FDP blockiert Lieferkettengesetz

Wieder scheint es der immer noch mächtigen Fossil-Lobby mit ihren Erfüllungsgehilfen in der FDP gelungen zu sein, ein wichtiges EU-Vorhaben zu Fall zu bringen. Gestern (6.2.2024) musste Bundesarbeitsminister Heil die Kompromisssuche für die EU-Lieferketten-Richtlinie für gescheitert erklären.

Die FDP argumentiert, das geplante Gesetz schaffe Nachteile für die deutsche Wirtschaft. Zudem gehe es über ein bereits bestehendes deutsches Lieferkettengesetz hinaus. Dass das so ist, stört die FDP aber erst kurz vor der Zielgerade.

Worum geht es?

Es geht um eine Richtlinie, mit der große und mittelständische Unternehmen in Europa dazu verpflichtet werden sollen, Menschenrechte und Umweltschutz in ihrer Lieferkette einzuhalten. Beispielsweise müssen Autohersteller müssen nachweisen, dass die Rohstoffe für ihre Autobatterien nicht von Kindern geschürft werden oder giftige Chemikalien bei der Produktion nicht in Flüsse gelangen. Bei Verstoß könnten Betroffene dagegen klagen.

Vertrauensverlust befürchtet

Grüne und SPD – Mitglieder der Regierung befürchten einen massiven Vertrauensverlust in der EU, in der Zeit wird abermals die Führungsschwäche des Kanzlers beklagt.

Offene Briefe von Wissenschaftlern und Organisationen

Ein offener Brief von in unterschiedlichen Disziplinen forschender, lehrender und zu Fragen der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft beratender Wissenschaftler teilt seine „große Sorge“ mit. Die aktuellen Pläne gegen eine Annahme der im Trilog abgestimmten EU-Lieferkettenregulierung stelle auch die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft in der EU nach dem EU-Green-Deal-Projekt in Frage. Auch aus der Wirtschaft kommen nicht nur ablehnende Statements. Viele Unternehmen befürworten ein starkes europäisches Gesetz.

Ein Bündnis aus mehr als 130 zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern mit der Initiative Lieferkettengesetz ein starkes EU-Lieferkettengesetz, das europaweit verpflichtende Menschenrechts- und Umweltstandards für Unternehmen schafft.

Blockade ist Programm

Es ist nicht das erste Mal, dass die FDP durch Blockade-Haltung auffällt. In der EU hat sie besipielsweise damit erreicht, dass beim Verbot des Verbrennungsmotors wichtige Schlupflöcher für die deutsche Autoindustrie verbleiben. Heute wurde bekannt, dass die FDP auch die EU – CO2-Regelungen für Lastwagen ausbremsen werde. Wie die Tagesschau berichtet, ist mittlerweile auch die Automobilindustrie verärgert über den kleinen Koalitionspartner. Sie brächten schließlich in erster Linie Verlässlichkeit.

Von Tempolimit bis Klimageld

Die Liste der verhinderten Reformen wird immer länger. Angefangen hat es schon im Koalitionsvertrag mit dem strikten „Nein“ zum Tempolimit. Seitdem reißt das FDP-Verkehrsministerium krachend jede Klima-Zielvorgabe, stattdessen fließt viel Geld in den Autobahnausbau. „Technolgieoffen“ träumen die Liberalen weiter von Atom, Kernusion, Efuels für PKWs und Wasserstoff für Heizungen. Klimageld wird es mit der FDP nicht geben.

Schutz vor Vergewaltigung torpediert

Nebenbei sorgte sie auch beim Thema Schutz von Frauen vor sexualisierter Gewalt dafür, dass ausgerechnet einheitliche Standards für den Straftatbestand Vergewaltigung ausgeklammert wurden.

Das für viele hoffnungsvolle Projekt „Ampel“ droht zu scheitern. Nicht etwa an den massiven weltweiten Krisen, wie sie noch keine Bundesregierung zuvor bewältigen musste, sondern am kleinen Koalitionspartner.

Quellen: FOKUS-Sozialrecht, ZEIT, TAZ, Verfassungsblog, Initiative Lieferkettengesetz, Tagesschau

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Mehr Digitalisierung im Gesundheitssystem

Zwei Bundestagsbeschlüsse zur weiteren Digitalisierung im Gesundheitssystem hat der Bundesrat am 2. Februar 2024 gebilligt:

  • Änderungen beim Einsatz der elektronischen Patientenakte – Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG) und
  • verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten – Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG).

Beide Gesetze treten im Wesentlichen am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft.

DigiG

Mit dem Gesetz werden insbesondere folgende Ziele verfolgt:

  • die Nutzung der Potenziale der elektronischen Patientenakte (ePA) zur Steigerung der Patientensicherheit und der medizinischen und pflegerischen Versorgungsqualität wird verbessert, indem sie durch Umstellung auf eine Widerspruchslösung („Opt-out“) flächendeckend in die Versorgung integriert werden kann,
  • das E-Rezept wird weiterentwickelt und verbindlich eingeführt,
  • Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) werden noch besser für die Versorgung nutzbar gemacht,
  • Videosprechstunden und Telekonsilien werden qualitätsorientiert weiterentwickelt,
  • digitale Versorgungsprozesse werden in strukturierten Behandlungsprogrammen ermöglicht,
  • die Interoperabilität wird verbessert,
  • die Cybersicherheit wird erhöht und
  • der Innovationsfonds wird verstetigt und weiterentwickelt.

E-Rezept und E-Akte

Mit dem e-Rezept können Patientinnen und Patienten verschreibungspflichtige Medikamente papierlos erhalten. Ab 2025 wird die elektronische Patientenakte – ePA – grundsätzlich für alle gesetzlichen Versicherten eingerichtet. Wer sie nicht nutzen will, muss aktiv widersprechen. In der ePA können medizinische Befunde und Informationen aus Untersuchungen oder Behandlungen gespeichert werden. Dies soll den Bürokratieaufwand mindern und unnötige Mehrfachuntersuchungen vermeiden.

Fitness Tracker

Versicherte können ihre mit Smartwatches oder Fitness Trackern gesammelten Daten wie Schrittzählung, Herzfrequenz, Schlafqualität, Köpertemperatur an ihre Krankenkassen übermitteln, um sie in der ePA speichern zu lassen.

GDNG

Mit dem Gesetz werden bürokratische und organisatorische Hürden bei der Datennutzung abgebaut und die Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten im Sinne eines
die Datennutzung „ermöglichenden Datenschutzes“ unter vollumfänglicher Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Standards verbessert.

Zur Erreichung der skizzierten Ziele wird das geltende Recht insbesondere um
folgende wesentliche Maßnahmen ergänzt:

  • Aufbau einer nationalen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten,
  • Verknüpfung von Daten des Forschungsdatenzentrums Gesundheit mit Daten der klinischen Krebsregister der Länder,
  • Stärkung des Gesundheitsdatenschutzes,
  • Nachhaltigkeit und europäische Anschlussfähigkeit,
  • Einbindung von etablierten Strukturen.

Datennutzung zu Forschungszwecken

Für gemeinwohlorientierte Zwecke sollen Gesundheitsdaten leichter und schneller nutzbar sein. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte entsteht dazu eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle. Gesetzliche Kranken- und Pflegekassen können ihre Daten künftig stärker nutzen, wenn dies der besseren Versorgung dient, beispielsweise der Arzneimitteltherapiesicherheit, der Erkennung von Krebs- oder seltenen Erkrankungen. Für die Datenfreigabe zu Forschungszwecken aus der ePA gilt ebenfalls ein Widerspruchsverfahren.

Quelle: Bundesrat

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Wartefristen bei Leistungen für Asylbewerber

§ 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG regelt, dass Leistungsberechtigte, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben, sogenannte Analogleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch erhalten. Sie bekommen demnach Leistungen entsprechend der Sozialhilfe sowie Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung anstatt der demgegenüber niedrigeren Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und weiterer Leistungen nach den §§ 4 und 6 bis 7 AsylbLG.

von 18 auf 36 Monate

Laut dem Beschluss der Besprechung des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten vom 6. November 2023 soll der bisherige automatische Anspruch auf die sogenannten Analogleistungen statt bisher nach 18 Monaten künftig erst nach 36 Monaten eintreten.

Asylsuchende haben zur Zeit in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts schon heute keinen Anspruch auf das, was die gesetzlichen Krankenkassen als „medizinisch notwendig“ definiert ist. Die Frist soll auf 36 Monate verlängert werden.

Gravierende gesundheitliche Folgen

Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. (BAfF) weisen zusammen mit medizinischen, psychotherapeutischen und psychosozialen Fachverbände und mit über 200 zivilgesellschaftliche Organisationen darauf hin, wie gravierend sich sowohl die körperliche Gesundheit als auch die psychische Belastungssituation traumatisierter Geflüchteter verschlechtert, wenn über einen so langen Zeitraum hinweg keine Behandlung erfolgt. Dazu haben sie ein Positionspapier veröffentlicht sowie einen offenen Brief an den Bundeskanler.

erhebliche direkte und indirekte Folgekosten

Wenn Asylsuchende künftig drei Jahre auf einen weitgehend regulären Zugang zum Gesundheitssystem warten müssten, werde ihre psychosoziale Belastungssituation massiv zunehmen – mit Folgen für die Prävalenz psychischer Erkrankungen.
Aufgrund der Fokussierung auf Akutversorgung sei mit einer noch stärkeren Inanspruchnahme von psychiatrischen und psychosozialen Notfallstrukturen zu rechnen. Für bereits vorliegende psychische Erkrankungen erhöhe sich das Chronifizierungsrisiko deutlich. Daraus entstünden erhebliche direkte und indirekte Folgekosten u. a. durch teurere stationäre Behandlungen sowie infolge zu später Behandlung höhere volkswirtschaftliche Kosten durch Beeinträchtigung der Schul- oder Arbeitsfähigkeit sowie ausbleibende oder erschwerte Integrations- und Teilhabechancen.

UN-Rüge

Die Bundesregierung wurde bereits mehrfach von den Vereinten Nationen dafür gerügt, dass Deutschland Asylsuchenden das Recht auf Gesundheitsversorgung verwehrt. Sie nun noch länger zu benachteiligen, ist menschenrechtswidrig und ignoriert die jüngste ausdrückliche Aufforderung des UN-Komitees zur Konvention gegen Rassismus (ICERD), die Ungleichbehandlung im Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen zu beenden (08.12.2023).

erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken

Auch das Bundesverfassungsgericht hat schon vor über zehn Jahren entschieden, dass die „Menschenwürde…migrationspolitisch nicht zu relativieren“ ist. Der Versuch, die Flucht nach Deutschland zu begrenzen, indem man Geflüchteten den Zugang zu notwendiger Gesundheitsversorgung versagt, ist also nicht nur unwirksam und unmenschlich, sondern auch verfassungswidrig.

Laut Einschätzung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Das gegenüber dem Existenzminimum herabgesetzte Leistungsniveau ist laut Bundesverfassungsgericht nur gerechtfertigt, wenn man bei einem nur kurzfristigen bzw. vorläufigen Aufenthalt in Deutschland von einem tatsächlich spezifischen Minderbedarf ausgehen kann. 22 Andernfalls seien Leistungen auf SGB XII-Niveau zu gewähren.

Quellen: BAfF, Bundesverfassungsgericht, Deutscher Bundestag – Wissenschaftliche Dienste

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Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

Zur Zeit legt dem EU-Rat der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vor.

Maßnahmen

Mit diesem Vorschlag sollen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in der EU wirksam bekämpft werden. Zu diesem Zweck werden darin Maßnahmen in den folgenden Bereichen vorgeschlagen:

  • Strafbarkeit von und
  • Strafen für einschlägige Straftaten,
  • Schutz der Opfer und Zugang zur Justiz,
  • Unterstützung der Opfer,
  • Verhütung,
  • Koordinierung und Zusammenarbeit.

geschlechtsspezifische Gewalt

Gewalt gegen Frauen ist geschlechtsspezifische Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark trifft. Sie umfasst jede gegenüber Frauen aufgrund ihres Geschlechts vorgenommene Gewalttat, die bei ihnen einen körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schaden oder Leidensdruck verursacht oder zu verursachen droht, einschließlich der Androhung solcher Handlungen.

Sie umfasst Straftaten wie

  • sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung,
  • weibliche Genitalverstümmelung,
  • Zwangsehen,
  • Zwangsabtreibung oder Zwangssterilisation,
  • Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung,
  • Stalking,
  • sexuelle Belästigung,
  • Femizid,
  • Hassreden und Straftaten aufgrund des Geschlechts sowie
  • verschiedene Formen der Online-Gewalt (im Folgenden „Cybergewalt“), einschließlich der Weitergabe oder der Manipulation von intimen Materialien ohne Zustimmung, Cyberstalking und Cybermobbing.

Wurzeln der Gewalt

Diese Gewalt hat ihre Wurzeln in der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und ist Ausdruck der strukturellen Diskriminierung von Frauen. Häusliche Gewalt ist eine Form der Gewalt gegen Frauen, da Frauen unverhältnismäßig stark davon betroffen sind. Sie findet innerhalb der Familie oder des Haushalts statt, unabhängig von biologischen oder rechtlichen familiären Bindungen, entweder zwischen Intimpartnern oder zwischen anderen Familienmitgliedern, einschließlich zwischen Eltern und Kindern. Frauen sind aufgrund der zugrunde liegenden Muster von Nötigung, Macht und/oder Kontrolle als Opfer beider Formen von Gewalt überdurchschnittlich stark betroffen. Allerdings kann jede Person unabhängig vom biologischen oder sozialen Geschlecht ein potenzielles Opfer solcher Gewalt sein. Insbesondere von häuslicher Gewalt kann jede Person betroffen sein, auch Männer, jüngere oder ältere Menschen, Kinder und LGBTIQ-Personen.

Ziel ist die Verhütung von Gewalt

Ziel dieses Vorschlags ist es, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten und zu bekämpfen, um ein hohes Maß an Sicherheit und die uneingeschränkte Wahrnehmung der Grundrechte in der Union, einschließlich des Rechts auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung von Frauen und Männern, zu gewährleisten. Der Vorschlag trägt somit zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Titel V AEUV) bei. Um diese Ziele zu erreichen, ist im Vorschlag Folgendes vorgesehen:

  • ·wirksamere Gestaltung der bestehenden Rechtsinstrumente der EU, die für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt relevant sind,
  • ·Aufwärtskonvergenz und Schließung der Lücken in den Bereichen Schutz, Zugang zur Justiz, Unterstützung, Verhütung sowie Koordinierung und Zusammenarbeit, und
  • ·Angleichung des EU-Rechts an einschlägige internationale Normen.

Blockade einiger EU-Staaten

Insbesondere Deutschland und Frankreich blockieren allerdings den Richtlinien-Vorschlag. Das deutsche Justizministerium glaubt nicht, dass der Vorschlag der Kommission mit dem Europarecht vereinbar wäre. Die EU überschreite mit dem Artikel zu Vergewaltigungen ihre Regelungskompetenz, so das Argument. Da sich Mitgliedstaaten, EU-Parlament und Kommission bisher nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen konnten, droht die gesamte Richtlinie zu scheitern.

Offener Brief an den Justizminister

In einem offenen Brief appellieren über 100 namhafte Frauen aus Politik, Kultur und Wirtschaft an Justizminister Marco Buschmann (FDP) und die Bundesregierung, von ihrem Widerstand gegen eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt abzurücken.

2.300 Opfer pro Jahr in Europa

In dem Schreiben heißt es, mit dieser EU-Richtlinie habe es noch nie einen besseren Schutz von Frauen vor männlicher Gewalt gegeben. Die Situation verlange es aber, denn sie sei tragisch: „Jeden Tag werden zwischen 6 und 7 Frauen in Europa von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das sind 2.300 tote Frauen jedes Jahr – und das ist nur die offizielle Schätzung der UN. Jedes Jahr werden ca. 1,5 Millionen Frauen laut einer Schätzung auf Basis von EU-Daten vergewaltigt. Im Schnitt hat in der EU schon jede zweite Frau sexuelle Belästigung und jede dritte Frau sexualisierte oder körperliche Gewalt erfahren.“

Hauptstreitpunkt

Doch Hauptstreitpunkt in den Verhandlungen zwischen Europäischen Parlament und dem Rat ist die Harmonisierung des Vergewaltigungsstraftatbestands. Endlich soll EU-weit auf den Willen der Personen entscheidend abgestellt werden. Das ist wichtig, denn 11 EU-Mitgliedsstaaten verwenden immer noch Definitionen von Vergewaltigung, die Gewaltanwendung oder Drohung als entscheidendes Unrechtsmerkmal markieren: Bulgarien, Tschechien, Estland, Frankreich, Ungarn, Italien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und die Slowakei, d.h., dass ein einfaches “Nein” des Opfers in diesen Fällen nicht ausreicht, um den Tatbestand zu erfüllen. Diese Gesetzgebung bietet dadurch nicht ausreichenden Schutz für Opfer, da sie typische Fälle von Vergewaltigungen, insbesondere in Nähebeziehungen wie Partnerschaften, nicht erfasst.

Glaubwürdigkeit nicht verspielen

Deutschland müsse die Blockade-Haltung aufgeben, appelieren die Frauen an die Bundesregierung und insbesondere an Justizminister Buschmann, und sich klar positionieren, denn auch auf internationaler Ebene verspiele Deutschland sonst jede Glaubwürdigkeit und verliere an Verhandlungsmacht: Wenn ein Zugeständnis auf EU-Ebene Frauenrechte adäquat zu schützen ausbleibe, könne Deutschland sich nicht international als Vorreiter und Verfechter für diese Rechte positionieren. Eine Zustimmung zu einer umfassenden EU-Richtlinie hätte somit eine bedeutende Signalwirkung auch an andere Länder.

Quellen: EUR-Lex, Center for Feminist Foreign Policy (CFFP), Spiegel, Tagesschau

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Verordnungsentwurf zur Eingliederungshilfe

Mit dem Bundesteilhabegesetz sollte schon vor einigen Jahren ein menschenrechtsorientierter Behinderungsbegriff im SGB IX verankert werden. Strittig ist seitdem, welche Formulierung den Kreis der bisher leistungsberechtigen Personen weder erweitert noch Personen ausschließt, die auf der Grundlage der bisherigen Formulierung Leistungen erhält. Nun liegt das Ergebnis einer Untersuchung (Vorabevaluation) vor, die den vorliegenden Verordnungentwurf auf diese Frage hin analysiert hat.

Arbeitsgruppe seit 2018

Die mit der Implementierung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) verbundene Frage nach dem künftigen leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe konnte bisher nicht abschließend geregelt werden. Das dazu zunächst mit Art. 25a BTHG verfolgte Konzept einer quantitativen Betrachtung der Teilhabeeinschränkungen in den Lebensbereichen der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) erwies sich nach einer
wissenschaftlichen Evaluation als nicht tragfähig. Daraufhin initiierte das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Herbst 2018 die partizipative Arbeitsgruppe „Leistungsberechtigter Personenkreis in der Eingliederungshilfe“ (AG LPE).

Kriterien für die Neudefinition

Die Hauptaufgabe dieser Arbeitsgruppe bestand darin, Kriterien für die Neudefinition des zukünftigen leistungsberechtigten Personenkreises in der Eingliederungshilfe gemäß SGB IX zu erarbeiten. In diesem Rahmen entwickelte die Arbeitsgruppe einen Vorschlag zur Überarbeitung von § 99 SGB IX und den Entwurf
einer neuen Verordnung, die den Zugang zu Leistungen konkretisiert.

VOLE

Der Verordnungsentwurf trägt den Titel „Verordnung über die Leistungsberechtigung in der Eingliederungshilfe“ (VOLE). Die Struktur der VOLE orientiert sich am Aufbau der bestehenden Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) und verwendet Formulierungen, die den Begrifflichkeiten der UN-BRK und der ICF entsprechen. Trotz intensiver Bemühungen konnte innerhalb der Arbeitsgruppe bis Ende September 2019 keine vollständige Einigung über den genauen Wortlaut der VOLE erzielt werden. Während § 99 SGB IX zum 1. Juli 2021 durch den Gesetzgeber entsprechend des Vorschlags der AG LPE angepasst wurde, soll die VOLE erst nach einer Vorabevaluation auf den Weg gebracht werden.

Untersuchung der Auswirkungen

Ziel der Vorabevaluation ist die Untersuchung der Auswirkungen der VOLE auf den
leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe. Insbesondere soll die VOLE gegenüber der bislang maßgeblichen EinglHV vor dem Hintergrund des Ziels bewertet werden, den Personenkreis dem Grunde nach unverändert zu lassen. Auf Grundlage der Ergebnisse des Forschungsvorhabens soll der Verordnungsgeber entscheiden können, in welcher Form er die vorgeschlagene VOLE umsetzen möchte.

Nach dem Ergebnis der juristischen Analyse haben sich die gesetzlichen Bestimmungen über den Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe seit 01.01.2005 im Grundsatz nicht verändert. Mit dem BTHG wurde in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zum 01.01.2018 eine neue Definition von Behinderung eingeführt, die sich an dem Verständnis der UN-BRK und der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO orientiert.

Entscheidend für das neue Begriffsverständnis ist, dass Behinderung erst in Wechselwirkung zwischen dem gesundheitlichen Problem einer Person und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht.

Anpassung an die UN-Behindertenrechtskonvention

Bei der neuen Definition von Behinderung handelt es sich um eine sprachliche Anpassung des § 2 SGB IX an die UN-BRK. Die Bestimmungen über die Leistungsvoraussetzungen in § 99 SGB IX haben sich mithin seit fast 20 Jahren inhaltlich nicht geändert. Geändert hat sich durch das BTHG die nunmehr an der UN-BRK und der ICF orientierte Legaldefinition der Personen, für die diese
Bestimmungen über die Leistungsvoraussetzungen Anwendung finden sollen. Die untergesetzlichen Rechtsverordnungen (EinglHV und VOLE) müssen diesem Recht folgen und sind bei ihrer Anwendung auch im Lichte dieser Bestimmungen auszulegen.

Personenkreis soll gleich bleiben

Die Vorabevaluation des Entwurfs der „Verordnung über den Leistungszugang in der
Eingliederungshilfe“ (VOLE) hatte das Ziel, vor Einführung einer neuen Verordnung zu erwartende Veränderungen hinsichtlich des leistungsberechtigten Personenkreises zu untersuchen. Insbesondere soll die VOLE gegenüber der bislang maßgeblichen Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) vor dem Hintergrund des Ziels bewertet werden, den Personenkreis dem Grunde nach unverändert zu lassen.

Keine Änderung bei körperlicher oder seelischer Behinderung

Die interdisziplinär angelegte Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) führte hierfür juristische, medizinische und ozialwissenschaftliche Analysen zusammen. Im Ergebnis wird konstatiert, dass bei Einführung der vorliegenden Fassung der §§ 2 und 4 VOLE weder eine Ausweitung noch eine Einschränkung des beschriebenen Personenkreises zu erwarten ist.

Ausgrenzung bei geistig Behinderten

Jedoch ist festzuhalten, dass die drei Formulierungsalternativen zu § 3 VOLE in
unterschiedlichem Umfang zu einer Ausgrenzung eines Teils des bisher von § 2 EinglHV erfassten Personenkreises führen. Damit die mit der Einführung der neuen medizinischen Oberbegriffe angestrebte Rechtsklarheit und einheitliche Rechtsanwendung erreicht werden kann, bedarf es laut Untersuchung einer Überarbeitung hinsichtlich der Verwendung medizinischer Begriffe.

Überarbeitung

Der Entwurf soll nun auf Grundlage der Forschungserbegnisse überarbeitet und erneut in der genannten Arbeitsgruppe besprochen werden.

Quellen: BMAS, Paritätischer Gesamtverband, FOKUS-Sozialrecht

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Neue Kassenleistungen

Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen (G-BA) veröffentlichte Mitte Januar Informationen über neue Kassenleistungen.

Zahnschmelzhärtung

Das Auftragen von Fluoridlack zur Zahnschmelzhärtung für alle Kinder bis zum 6. Geburtstag ist nun eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob das Kariesrisiko als hoch eingeschätzt wird oder nicht.  Bisher gab es für den Schutz des Milchgebisses je nach Altersgruppe unterschiedliche Regelungen: Bis zum 33. Lebensmonat spielte das Kariesrisiko keine Rolle. Zwischen dem 34. Lebensmonat und dem vollendeten 6. Lebensjahr war hingegen noch ein hohes Kariesrisiko die Voraussetzung dafür, dass die Milchzähne zweimal pro Kalenderhalbjahr mit Fluoridlack geschützt werden konnten.

Kinder zwischen dem 6. Lebensmonat und dem vollendeten 6. Lebensjahr haben gemäß der Richtlinie über die Früherkennungsuntersuchungen auf Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten Anspruch auf sechs zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen. Zum Leistungsumfang gehört unter anderem, dass die Zahnärztin oder der Zahnarzt die Mundhöhle untersucht, das Kariesrisiko des Kindes einschätzt, zu Ernährungsrisiken durch zuckerhaltige Speisen und Getränke sowie zur richtigen Mundhygiene berät und gegebenenfalls fluoridhaltige Zahnpasta empfiehlt.

Systemische Therapie bei Kindern und Jugendlichen

Die Systemische Therapie steht künftig auch für die psychotherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung. Für Erwachsene ist das Verfahren Systemische Therapie bereits seit dem Jahr 2020 eine Kassenleistung.

Die Systemische Therapie ist ein Psychotherapieverfahren, das insbesondere die sozialen Beziehungen innerhalb einer Familie oder Gruppe in den Blick nimmt. Die Therapie fokussiert dementsprechend darauf, die Interaktionen zwischen Mitgliedern von solchen „Systemen“ zu verändern beziehungsweise ihnen eine funktionalere Selbstorganisation der Patientin oder des Patienten entgegenzusetzen. Sie kann – wie die anderen psychotherapeutischen Verfahren auch – als Einzel- oder Gruppentherapie oder in Kombination von Einzel- und Gruppentherapie angeboten werden. Als spezifische Anwendungsform der Systemischen Therapie ist zudem das „Mehrpersonensetting“ möglich: dabei werden relevante Bezugspersonen der Patientin oder des Patienten in die Behandlung einbezogen.

Bildgebendes Verfahren zum Abklären von koronarer Herzkrankheit

Soll in Arztpraxen der Verdacht auf eine chronische koronare Herzkrankheit abgeklärt werden, kann dafür bei gesetzlich Versicherten künftig die Computertomographie-Koronarangiographie (CCTA) eingesetzt werden. Die CCTA ist eine nicht-invasive bildgebende Methode, mit der die Herzkranzarterien dargestellt werden, um dort Verengungen oder Verschlüsse zu finden.

Die chronische koronare Herzkrankheit in Folge verkalkter, verengter Herzkranzgefäße ist nach wie vor die häufigste Todesursache in Deutschland. Solche Verengungen können im Laufe des Lebens durch Ablagerungen entstehen und behindern die Sauerstoffversorgung des Herzmuskels. Mit Hilfe der CCTA können die Herzkranzarterien dargestellt werden, ohne dass damit ein operativer Eingriff verbunden ist. Denn anders als bei Herzkatheteruntersuchungen muss bei der CCTA kein Kunststoffschlauch (Katheter) über ein Blutgefäß in der Leiste oder am Handgelenk eingeführt werden, um die Gefäße und Kammern des Herzens sichtbar zu machen.

Ab Herbst 2024 ambulant möglich

Im Krankenhaus kann die CCTA bereits angewendet werden. Bevor sie auch als ambulante Leistung von Fachärztinnen und Fachärzten erbracht und abgerechnet werden kann, muss noch der sogenannte Bewertungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen festlegen, inwieweit der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) angepasst werden muss. Hierfür hat der Bewertungsausschuss maximal sechs Monate Zeit. Der EBM bildet die Grundlage für die Abrechnung der vertragsärztlichen Leistungen.

Quelle: G-BA

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Kinderfreibetrag, Kindergeld

Zur aktuellen Debatte um die Erhöhung des Kinderfreibetrags hier noch mal ein Berechnungsbeispiel aus dem Jahr 2020 mit für 2024 aktualisierten Zahlen (Quelle: SOLEX):

Beispiel

Ein Ehepaar erzielt ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 120.000 EUR (ohne Berücksichtigung eines Kinderfreibetrages) und hat 2 Kinder.

Variante 1: Kindergeld
Kindergeld für 2 Kinder führt zu einer Vergünstigung in Höhe von 6.000 EUR pro Jahr.


Variante 2: Kinderfreibetrag
Der Kinderfreibetrag beträgt bei Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, pro Kind und Monat 776 EUR. Daraus ergibt sich für zwei Kinder pro Jahr insgesamt ein Freibetrag in Höhe von 18.624 EUR. Bei einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 120.000 EUR ergibt sich eine Steuerbelastung in Höhe von 30.784 EUR. Der Kinderfreibetrag senkt das zu versteuernde Einkommen auf 101.376 EUR und die Steuerbelastung entsprechend auf 23.430 EUR. Damit beträgt die Steuerersparnis aufgrund des Freibetrages 7.354 EUR.

Ergebnis:
Die Steuervariante führt gegenüber der Kindergeldvariante zu einem um 1.354 EUR besserem Ergebnis. Das entspräche einem monatlichen Kindergeld pro Kind von 306 Euro.

Zu wenig für die armen Reichen

Das reicht nicht, sagt Finanzminister Lindner und will deswegen den Kinderfreibetrag rückwirkend erhöhen, das Kindergeld aber nicht. Er begründet dies so: „Die Bundesregierung tut viel für Kinder und Familien. Gerade das #Kindergeld haben wir früher und stärker erhöht. Für die Jahre 2023 und 2024 wurde das Kindergeld für jedes Kind vorzeitig auf 250 EUR angehoben. Im üblichen Verfahren läge es jetzt bei nur 244 EUR. Damit bekommen Familien heute schon mehr, als die Erhöhung des Kinderfreibetrages erforderte. Beim #Kinderfreibetrag ist die vorzeitige Erhöhung noch nicht erfolgt, deshalb besteht hier verfassungsrechtlicher Nachholbedarf.“

Falsch gerechnet

In Wirklichkeit ist die Differenz zwischen Kindergeld und Steuerersparnis aber gestiegen. Das kann man nachrechnen.

Der FDP-Minister erklärt nicht, warum Geld für sein Klientel vorhanden ist, für die mittleren und geringen Einkommensempfänger aber nicht. Auch das Klimageld wird nicht kommen, teilte er neulich mit, was ebenfalls eher die unteren Einkommensschichten entlasten würde.

Quellen: SOLEX, Twitter (X), Spiegel

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Kriminalisierung der Seenotrettung?

Am Mittwoch, 18. Januar 2024, wird im Bundestag das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ verabschiedet.

Gesetzesinhalt

Das Gesetz sieht vor, dass Abschiebehaft und Abschiebegewahrsam verschärft werden und Wohnungen auch ohne richterlichen Beschluss durchsucht werden können. Abschiebungen in der Nacht sollen vereinfacht werden, Behörden dürfen demnach Mobiltelefone und Datenträger auslesen, ohne dass die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme geprüft werden muss. Des Weiteren eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, humanitäre Hilfe fortan als Schleusertätigkeit zu verfolgen.

Strafbarkeit von altruistischer Hilfe möglich

Gerade der letzte Punkt sorgte für große Aufregung. Sollten etwa Seenotrettungen künftig strafbar sein? Das Innenministerium bestreitet dies Absicht: Zur Bekämpfung der Schleusungskriminalität sei eine Verschärfung der bisherigen Strafandrohungen für entsprechende Delikte vorgesehen. Zugleich werde klargestellt, dass die Rettung Schiffbrüchiger auch künftig nicht strafbar sei.

Rechtsgutachten

Ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. Aziz Epik und Prof. Dr. Valentin Schatz der Universitäten Hamburg und Lüneburg bestätigt aber die Befürchtung, dass eine Kriminalisierung bei entsprechender Auslegung unklarer Begriffe zumindest nicht ausgeschlossen ist.

Gefahr einer Kriminalisierung

Die vom BMI vorgeschlagene Ausweitung des § 96 Abs. 4 AufenthG auf Fälle
uneigennütziger Hilfeleistung zur unerlaubten Einreise berge potenziell die Gefahr einer Kriminalisierung ziviler Seenotrettung, so das Gutachten. Nach der hier vertretenen Auffassung sei das Verhalten ziviler Seenotretter*innen beim Rettungsvorgang und bei der Verbringung in einen Ausschiffungshafen zwar nach § 34 StGB gerechtfertigt. Diese Position ist jedoch weder unstreitig noch ist die künftige Rechtspraxis insoweit hinreichend antizipierbar.

Keine tragfähige Begründung

Das Gutachten bemängelt, dass es bislang keine tragfähige Begründung für die Notwendigkeit einer entsprechenden Ausweitung der Strafbarkeit gebe. Daher bleibe im Dunkeln, welchen legitimen Zweck die neue Strafvorschrift erfüllen solle. Sofern zu Beginn der Diskussion auf die Erfassung von bewaffneten Grenzdurchbrüchen in altruistischer Motivation an der kroatischen Außengrenze abgestellt worden sei, ließe sich die vermeintlich bestehende Schutzlücke ohne Weiteres durch eine Ausweitung des § 96 Abs. 4 AufenthG auf Taten nach § 96 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG (Beisichführen einer Schusswaffe) schließen.

Empfehlung der Gutachter

Die geplante Gesetzesänderung berge die Gefahr eines chilling effects auf die vor allem aus Deutschland koordinierte zivile Seenotrettung im Mittelmeer. Dem Gesetzgeber empfehlen die Autoren, von der geplanten Ausweitung der Strafbarkeit Abstand zu nehmen. Mindestens aber sei ein Tatbestandsausschluss für Fälle humanitärer Unterstützung vorzusehen, wie er den Mitgliedstaaten der EU ausdrücklich in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/90/EG für alle Formen
humanitärer Unterstützung ermöglicht werde. Ein solcher könnte unter Rückgriff auf den Wortlaut der Richtlinie erfolgen. Dementsprechend könnte ein möglicher § 96 Abs. 6 AufenthG lauten: „Absatz 1 Nr. 1 und Absatz 4 sind nicht anzuwenden, wenn die Hilfeleistung mit dem Ziel der humanitären Unterstützung der betroffenen Person erfolgt.“ Ein solcher Tatbestandsausschluss müsste – ebenfalls in Umsetzung der Richtlinie – konsequenterweise auch auf die Beihilfe zur unerlaubten Einreise gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, § 27 StGB erstreckt werden.

Quellen: Bundestag, demokratieteam.org, A. Epik und V. Schatz, Kriminalisierung der Seenotrettung? Gutachten zur geplanten Neufassung des § 96 Abs. 4 AufenthG, 2023, EUR-Lex, wikipedia

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Festzuschüsse zum Zahnersatz

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bestimmt nach § 56 Absatz 1 SGB V in Richtlinien die zahnmedizinischen Befunde, für die Festzuschüsse zum Zahnersatz nach § 55 SGB V gewährt werden und ordnet den Befunden zahnprothetische Regelversorgungen zu („befundbezogenes Festzuschusssystem“).

befundbezogene Festzuschüsse

Versicherte haben Anspruch auf medizinisch notwendige Versorgung mit Zahnersatz (zahnärztliche Behandlung und zahntechnische Leistungen).

Die Krankenkassen gewähren zu den Aufwendungen für Zahnersatz befundbezogene Festzuschüsse. Patientinnen und Patienten können beim Zahnersatz zwischen jeder medizinisch anerkannten Versorgungsform wählen (vgl. § 55 Abs. 1 SGB V). Der Festzuschuss beträgt 60 % der festgelegten Kostenobergrenzen für bestimmte Zahnersatzleistungen. Gute Zahnpflege und nachgewiesene regelmäßige Kontrolluntersuchungen führen zu höheren Zuschüsse. Wer seine Zähne in den letzten fünf Jahren jeweils jährlich hat untersuchen lassen, kann den Zuschuss um einem Bonus auf 70 % erhöhen. Bei Minderjährigen ist zur Erlangung dieses Vorteils der Nachweis einer halbjährlich Untersuchung erforderlich. Gelingt der Nachweis der regelmäßigen Untersuchung sogar in den letzten 10 Jahren, so erhöht sich der Bonus noch einmal auf 75 % des Festbetrages.

jährliche Anpassung

Jedes Jahr passt der G-BA die Höhe der auf die Regelversorgung entfallenden Beträge bei der Versorgung mit Zahnersatz (ZE) an die Ergebnisse der Verhandlungen über den zahnärztlichen ZE-Punktwert und die zahntechnischen Bundesmittelpreise an.

Auf Grundlage der Ergebnisse der diesjährigen Verhandlungen zwischen den jeweiligen Vertragspartnern Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV),
Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und dem Verband Deutscher Zahntechniker-Innungen (VDZI), wurde die Höhe der auf die Regelversorgung entfallenden Beträge bei der Versorgung mit Zahnersatz mit Wirkung vom 1. Januar 2024 angepasst.

4,22 Prozent mehr

Dabei wurden die zahnärztlichen Leistungen auf Basis des aufgrund der Anhebung des bundeseinheitlichen durchschnittlichen Punktwertes für Zahnersatz entsprechend der Vereinbarung zwischen der KZBV und dem GKV-Spitzenverband ab dem 1. Januar 2024 in Höhe von 1,0827 € (+ 4,22 % ggü. JD 2023) berechnet.
Die Berechnungen für die zahntechnischen Leistungen basieren auf der Vereinbarung der bundeseinheitlichen durchschnittlichen Preise zwischen dem VDZI und dem GKV-Spitzenverband vom November 2023. Die Kosten für das Verbrauchsmaterial Praxis und die Kosten für die Prothesenzähne wurden analog
zu den Veränderungen der Preise der zahntechnischen Leistungen (+4,22 % ggü. Jahr 2023) fortgeschrieben.

Beispiel

Der Festzuschuss für eine Metallische Vollkrone beträgt demnach 2024 365,96 Euro, bestehend aus 184,59 Euro zahnärztlicher Leistung und 181,37 Euro zahntechnischer Leitung. Im Jahr 2023 betrug der Gesamtfestzuschuss 351,14 Euro.

Der Versicherte erhält einen Zuschuss von

  • 60 Prozent (ohne Bonus): 219,58 Euro
  • 70 Prozent (mit Bonus 1): 256,17 Euro
  • 75 Prozent (mit Bonus2): 274,477 Euro
  • 100 Prozent (Härtefall): 365,96 Euro

Härtefall

Versicherte mit einem geringen Einkommen (zum Beispiel Sozialhilfeempfänger, Empfänger von Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung, Empfänger von Bürgergeld und Ausbildungsförderung), die Zahnersatz benötigen, bekommen von ihrer Krankenkasse einen zusätzlichen Festzuschuss; damit erhalten sie die Regelversorgung kostenfrei. Dies gilt auch für Versicherte, die in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung leben, dessen Kosten von einem Träger der Sozialhilfe oder der Sozialen Entschädigung getragen werden.

Geringes Einkommen

Ebenfalls 100 Prozent Zuschuss erhalten Versicherte, deren monatliche Bruttoeinnahmen 40% der monatlichen Bezugsgröße nicht überschreiten, das das heißt für das Jahr 2024 monatliche Bruttoeinnahmen bis zu 1.414,00 EUR für Alleinstehende. Die Einkommengrenze erhöht sich für den ersten im Haushalt lebenden Angehörigen um 530,25 EUR und für jeden weiteren Angehörigen um 353,50 EUR.

Übersteigt das Einkommen diese Einkommensgrenzen, so steigen die einzubringenden Eigenmittel kontinuierlich an. Versicherte mit höherem Einkommen müssen bis zum Dreifachen des Betrages selbst leisten, um den ihr Einkommen die maßgeblichen Einkommensgrenze übersteigt. Wer beispielsweise als Alleinstehender 1.442,00 EUR verdient, liegt 28,00 EUR über der Zuzahlungsbefreiungsgrenze (1.414,00 EUR) und muss daher für die Regelversorgung maximal 84,00 EUR an Eigenbeteiligung leisten.

Quellen: G-BA, SOLEX, FOKUS-Sozialrecht

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Studienstarthilfe und Flexibilitätssemester

Das sind zwei Begriffe aus der anstehenden Bafög-Reform. Dass eine Erhöhung der Bedarfssätze nicht geplant ist, aber einige Freibeträge schon und andere Anpassungen erfolgen sollen, ist im verlinkten Artikel nachzulesen. Hier nun mehr zu Studienstarthilfe und Flexibilitätssemester.

Flexibilitätssemester

Das Flexibilitätssemester (§ 15 Abs. 3 BAFöG) soll jedem Studierenden einmalig die Möglichkeit geben, ohne Angabe von Gründen über die Förderungshöchstdauer hinaus für ein Semester gefördert zu werden.

Bei Studiengängen an Hochschulen und Akademien wird Ausbildungsförderung grundsätzlich nur bis zum Ende der Förderungshöchstdauer (Regelstudienzeit) geleistet. Die tatsächliche Studienzeit überschreitet jedoch in vielen Fällen die Regelstudienzeit. Dieser Entwicklung soll Rechnung getragen werden, indem Auszubildende künftig ohne Angabe besonderer Gründe ein sogenanntes Flexibilitätssemester in Anspruch nehmen können. Das Flexibilitätssemester wird pro Person einmalig bewilligt. Das heißt beispielsweise bei mehrstufigen Studiengängen im Bachelor-/Mastersystem entweder einmalig im Bachelor oder einmalig im Master. Es soll dem Auszubildenden mehr Flexibilität bei der Durchführung seines Studiums und dem Umgang mit studienverlängernden Umständen geben, da er ohne Angabe besonderer Gründe auch nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer noch gefördert werden kann.

Studienstarthilfe

Jungen Menschen aus einkommensschwachen Haushalten soll durch Einführung einer Studienstarthilfe (§ 56 BAFöG) als ein strukturell neues Instrument die Entscheidung für eine ihrer Eignung und Neigung entsprechende Hochschulausbildung erleichtert werden, und finanzielle Eingangshürden abgebaut werden.

Dabei sollen gerade die zu Beginn des Studiums in besonderem Maße anfallenden Aufwendungen (beispielsweise Mietkaution, IT-Ausstattung, Bücher) finanziert werden, deren Charakter als Anfangsinvestition durch die sonst gleichmäßig als monatlicher Auszahlungsbetrag geleistete Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht abgebildet ist. Die Ausgestaltung als Zuschuss soll zudem Bedenken mit Blick auf eine zukünftige Rückzahlungspflicht
ausräumen.

Voraussetzung

Studienstarthilfe kann beantragen, wer als Auszubildender oder Studierender das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und

  • Leistungen nach dem SGB II,
  • Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII,
  • Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder
  • selbst oder ihre Eltern für sie einen Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz beziehen.

1.000 Euro

Die Studienstarthilfe wird einmalig als Zuschuss zum Beginn der Ausbildung in
Höhe von 1.000 Euro geleistet. Die Studienstarthilfe ist bei Sozialleistungen, deren Gewährung einkommensabhängig erfolgt, und bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Die Studienstarthilfe wird auch nicht auf leistungs- oder begabungsabhängige Stipendienleistungen aus öffentlichen Mitteln angerechnet.

Quellen: BMBF, FOKUS-Sozialrecht

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