Regelbedarf wird kleingerechnet

In einer Stellungnahme hat der Paritätische Wohlfahrtsverband den Referentenentwurf aus dem BMAS zur anstehenden Neuermittlung der Regelsätze in der Grundsicherung scharf kritisiert. Die ab 2021 vorgesehenen Leistungen seien

  • systematisch kleingerechnet,
  • lebensfern und
  • in keiner Weise bedarfsgerecht, wie insbesondere an den Leistungen für Kinder und Jugendliche deutlich werde.

Das Ziel der Grundsicherung, zumindest in bescheidenem Rahmen Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, werde so deutlich verfehlt.

Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes

Die Stellungnahme erinnert an die Grundsatzurteile des Bundesverfassungsgericht von 2010 und 2014:

  • „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.“ (9.2.2010).
  • Das Bundesverfassungsgericht hat 2014 das Verfahren der Regelbedarfsermittlung lediglich als „derzeit noch vereinbar“ mit der Verfassung bewertet, dabei aber auch „Anpassungsbedarf im Zuge der nächsten Neuermittlung der Höhe der Regelbedarfe“ (23.7.2014) konstatiert.

Vom Warenkorb zum Statistikmodell

Bis 1989 wurden die Regelsätze für die damalige „Hilfe zum Lebensunterhalt“ durch einen Warenkorb ermittelt. Im Warenkorbmodell wurden bis dahin existenziell notwendige Waren bestimmt und preislich bewertet. Das daraus resultierende Ergebnis bildete dabei ab, was die beteiligten Sachverständigen nach ihrer Einschätzung für angemessen hielten, es hatte aber keinen Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Der Wechsel zum Statistikmodell mit einer Bezugnahme auf die alle fünf Jahre erhobene Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes versprach dabei eine realitätsgerechtere Regelbedarfsermittlung. Das Statistikmodell hat aber eine grundlegende Schwäche: Durch das Statistikmodell wird die Frage danach, was ein Mensch tatsächlich benötigt, nicht mehr gestellt. Jetzt kommt es darauf an, was eine willkürlich zusammengesetzte – einkommensarme – Gruppe an
Ausgaben tätigt. Ob und inwieweit diese Ausgaben Bedarfe decken, wird nicht weiter thematisiert, sondern stillschweigend unterstellt.

und wieder zurück zum Warenkorb?

Rechnet man nun zusammen, was die einkommensschwachen Haushalte, die ja die Referenz für die Regelsätze darstellen, durchschnittlich ausgeben, kommt man auf eine Summe, die etwa 150 Euro höher ist als der vorgesehene Regelsatz für einen Ein-Personenhaushalt (439 Euro). Nun wird stillschweigend doch wieder das Warenkorb-Prinzip eingeführt. Es werden nämlich einzelne Positionen einfach gestrichen, weil sie angeblich nicht zum Existenzminimum gehörten. Nun wird deutlich, was nach Meinung der Experten zum Minimum eines menschen würdigen Daseins nötig ist. Ein Mensch im Grundsicherungsbezug braucht:

  • keinen Urlaub,
  • keine auswärtigen Übernachtungen,
  • keinen Garten und keine Pflanzen,
  • keine Haustiere und
  • keine Besuche von Gaststätten, Cafés oder Kantinen usw.

Das Bundesministerium kann sich anscheinend ein menschenwürdiges Dasein ohne soziale Bezüge vorstellen.

Methodenkritik

Ein weiterer Kritikpunkt ist die statistische Methode. Bei vielen Hochrechnungen der Ausgaben werden nur 25 oder weniger Haushalte herangezogen. Die statistische Standardabweichung liegt in solchen Fällen zwischen 20 und 100 Prozent, die Gefahr von falschen Zahlen also deutlich zu hoch.

seltsame Steigerungsrate

Die jetzige Einkommen- und Verbrauchsstichprobe (EVS) bezieht sich auf das Jahr 2018. Die ermittelten Regelbedarfe beziehen sich daher ebenfalls auf dieses Jahr und müssen daher nach den Regeln des Gesetzes fortgeschrieben werden. In § 7 Abs.2 des Entwurfs ist für diese zwei Jahre insgesamt eine Steigerung von 0,93 vorgesehen. In den beiden Regelbedarfsstufen – Fortschreibungsverordnungen (RBSFV) aus 2019 und 2020 wurden hingegen Steigerungen von 2,02 bzw. 1,88 Prozent zugrundegelegt. Das wäre für die zwei Jahre insgesamt eine Steigerung von 3,9 %. Somit müsste schon alleine deshlab der angepeilte Regelsatz 13 Euro höher sein (also 452 Euro statt 439 Euro).

Stellungnahme prüft jedes Detail

In der Stellungnahme geht der Paritätische Wohlfahrtsverband ausführlich auf alle Ausgabenposten ein und beleuchtet sie kritisch. Beispielsweise die monatlich veranschlagten Ausgaben für die Anschaffung von Kühlschrank oder Waschmaschine in Höhe von 1,67 / 1,60 Euro. Um davon ein neues Gerät zu kaufen, muss man jahrelang ansparen und hat nach 5 Jahren trotzdem kaum genug, um ein veraltetes stromfressendes Exemplar zu kaufen. Die Alternative wäre ein Kredit vom Jobcenter; für die Rückzahlung desselben muss man dann aber jahrelang auf 10% des ohnehin knappen Regelsatzes verzichten.

Insgesamt wird der Entwurf der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Anpassung in keiner Weise gerecht. Gerade in den aktuellen Krisenzeiten der Corona-Pandemie bedeuten die viel zu geringen Grundsicherungsleistungen für hunderttausende Menschen bittere, existenzielle Not.

Quellen: Paritätischer Wohlfahrtsverband, BMAS, FOKUS-Sozialrecht

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AU per Video – Sprechstunde

In der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ist festgelegt, welche Regeln für die Feststellung und Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit – die sogenannte Krankschreibung – von Versicherten durch Vertragsärztinnen und Ver-tragsärzten sowie im Rahmen des Entlassmanagements aus dem Kran-kenhaus gelten. Grundsätzlich gilt, dass die Beurteilung der Arbeitsunfä-higkeit und ihrer voraussichtlichen Dauer sowie die Ausstellung der Be-scheinigung nur aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erfolgen darf.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 16.7.2020 in einer Presseerklärung mitgeteilt, unter welchen Voraussetzungen Vertragsärztinnen und -ärzte können zukünftig die Arbeitsunfähigkeit von Versicherten auch per Videosprechstunde feststellen.

Im SGB V seit 5 Jahren

Im Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen vom 21.12.2015 (BGBl. I S. 2408) war im § 87 Abs. 2a SGB V zum ersten Mal die Rede von „Video-Sprechstunden“. Der gesetzliche Auftrag lautete zu prüfen, inwieweit durch den Einsatz sicherer elektronischer Informations- und Kommunikationstechnologien Videosprechstunden telemedizinisch erbracht werden können. Prüfen soll das der Bewertungsausschuss (BA), ein Gremium der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Voraussetzungen

Als Voraussetzung für die Krankschreibung per Videosprechstunde gilt laut G-BA insbesondere,

  • dass die oder der Versicherte der behandelnden Arztpraxis bekannt ist und
  • dass die Erkrankung eine Untersuchung per Videosprechstunde zulässt.

Die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist auf einen Zeitraum von sieben Kalendertagen begrenzt. Eine Folgekrankschreibung über Videosprechstunde ist nur zulässig, wenn die vorherige Krankschreibung aufgrund unmittelbarer persönlicher Untersuchung ausgestellt wurde.

Ausgeschlossen bleibt eine Krankschreibung per Videosprechstunde

  • bei Versicherten, die in der betreffenden Arztpraxis bislang noch nie persönlich vorstellig geworden sind,
  • sowie die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit ausschließlich auf Basis z. B. eines Online-Fragebogens, einer Chat-Befragung oder eines Telefonates.

Ein Anspruch der Versicherten auf Krankschreibung per Videosprechstunde besteht nicht.

Digitalisierte AU-Bescheinigung für die Krankenkasse

Eine weitere Änderung der AU-Richtlinie betrifft die Ausfertigung der AU-Bescheinigung für die Krankenkasse. Sie soll ab 1.1.2021 digitalisiert und elektronisch übermittelt werden.

Quelle: G-BA

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Regelbedarfsermittlungsgesetz für das Jahr 2021

Das BMAS hat das Regelbedarfsermittlungsgesetz für das Jahr 2021 als Entwurf vorgelegt, demnach sollen die Regelbedarfe wie folgt festgesetzt werden:

  • Regelbedarfsstufe 1 / Alleinstehende von 432 € auf 439 € / + 7 €
  • Regelbedarfsstufe 2 / Partner innerhalb BG von 389 € auf 395 € / + 6 €
  • Regelbedarfsstufe 3 / U 25 im Haushalt der Eltern von 345 € auf 361 € / + 6 €
  • Regelbedarfsstufe 4 / Jugendliche von 15 bis 17 J. von 328 € auf 367 € / + 39 €
  • Regelbedarfsstufe 5 / Kinder von 6-14 Jahren 308 € / keine Änderung
  • Regelbedarfsstufe 6 / Kinder von 0 bis unter 6 Jahren von 250 € auf 279 € / + 29 €

Von den Verbrauchsausgaben der Referenzgruppe der Einpersonenhaushalte nach § 4 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 (Einpersonenhaushalten die unteren 15 Prozent der Haushalte) werden für die Ermittlung des Regelbedarfs folgende Verbrauchsausgaben der einzelnen Abteilungen aus der Sonderauswertung für Einpersonenhaushalte der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018 für den Regelbedarf berücksichtigt (in Klammern Zahlen für 2020):

Abteilung 1 und 2 (Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren)152,33 €,
(150,44 €)
Abteilung 3 (Bekleidung und Schuhe)36,43 €,
(37,81 €)
Abteilung 4 (Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung)37,21 €,
(38,26 €)
Abteilung 5 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände, laufende Haushaltsführung)26,74 €,
(26,60 €)
Abteilung 6 (Gesundheitspflege)16,75 €,
(16,19 €)
Abteilung 7 (Verkehr)39,37 €,
(35,96 €)
Abteilung 8 (Nachrichtenübermittlung)39,25 €,
(38,59 €)
Abteilung 9 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur)42,83 €,
(41,40 €)
Abteilung 10 (Bildungswesen)1,58 €,
(1,10 €)
Abteilung 11 (Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen)11,47 €,
(10,73 €)
Abteilung 12 (Andere Waren und Dienstleistungen)34,97 €,
(34,22 €)

Die dem Gesetzentwurf zugrunde liegende Stichprobe stammt aus dem Jahr 2018. Berücksichtigt wird bei der genauen Höhe der Regelsätze dann noch die Lohn- und Preisentwicklung.

Für fast alle Personengruppen erhöhen sich die Regelsätze in der Grundsicherung. Bei den sechs- bis 13-jährigen Kindern wurde ein Bedarf von 4 Euro weniger ermittelt, deswegen bleibt hier der Regelsatz gleich.

Auffällig ist, dass in den einzelnen Abteilungen teilweise weniger Bedarf ausgerechnet wurde. Etwa bei der Abteilung 4, obwohl für 2021 mit einer Stromkostensteigerung in Höhe von 10 – 15 % zu rechnen ist.

Der Gesetzentwurf betont, dass nun auch Handy-Kosten berücksichtigt würden. Dies schlägt sich dann in der Abteilung 8 mit einer Erhöhung von mageren 66 Cent nieder.

Quellen:
Den Entwurf hat das BMAS aktuell (Stand: 15.7.2020 19 Uhr) nur an ausgewählte Verbände und Presseorgane übermittelt, deswegen kommen die Informationen vom Redaktionsnetzwerk Deutschland und von einem Twitterbeitrag des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Abbildung: Fotolia_113739057_Subscription_XL.jpg

16.07.2020: Hier ist der Referentenentwurf.

DGB-Konzept Kindergrundsicherung

Im letzten November wurde im Bundestag ein Gesetzentwurf der Grünen zur Einführung einer Kindergrundsicherung behandelt. Der Entwurf ist seitdem im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend untergetaucht.

Die SPD kündigte Anfang 2019 eine Gesetzesintitiative dazu an. Immerhin schaffte sie es, auf dem letzten Parteitag im Dezember 2019 dazu einen Beschluss herbeizuführen.

Von der Bundestagsfraktion der Linken gibt es seit Mitte März 2020 ein Positionspapier zur Kindergrundsicherung.

Die übrigen Fraktionen im Bundestag stehen einer Kindergrundsicherung eher ablehnend gegenüber. Jetzt ist erst mal Sommerpause. Vielleicht hilft es ja den Abgeordneten, dass jetzt der DGB mit seinem Konzept auf die Einführung einer bedarfsorientierten Kindergrundsicherung drängt, dass das Vorhaben nicht in Vergessenheit gerät. Das Konzept wurde zwar auch schon Ende März vorgestellt, der DGB macht aber sozusagen als Hausaufgabe für die Ferien noch mal Druck.

Die vorgelegten Entwürfe und Konzepte ähneln sich in wesentlichen Punkten. Hier der DGB-Vorschlag:

  • Das Kindergeld, der steuerliche Kinderfreibetrag, der Kinderzuschlag sowie die Hartz-IV-Leistungen für Kinder und Jugendliche werden gebündelt und durch die Kindergrundsicherung ersetzt.
  • Die Kindergrundsicherung setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Einem Sockelbetrag von einem Kindergeld in Höhe von 240 Euro, das alle Eltern je Kind unabhängig von ihrem Einkommen erhalten. Hinzu kommt ein einkommensabhängiger, nach dem Alter der Kinder gestaffelter Zusatzbetrag.
  • Die Höchstbeträge (Summe aus Sockel und Zusatzbetrag) betragen zwischen 364 Euro monatlich (Kind unter sechs Jahren) und 504 Euro (Jugendliche ab 14 Jahre).
  • Die Anrechnung von Elterneinkommen setzt erst ein, wenn der Bedarf der Eltern bzw. des Elternteils durch eigenes Einkommen gedeckt ist und ist so gestaltet, dass die Aufnahme oder Ausweitung einer Erwerbstätigkeit zu spürbaren Einkommenszuwächsen führt.

Die einzelnen Beträge unterscheiden sich in den Konzepten etwas und auch die Zusammensetzung wird unterschiedlich begründet. Beim SPD-Vorschlag setzen sich die Komponenten so zusammen:

  • Aus dem kindlichen Regelbedarf der jedem Kind zur Verfügung stehen muss (in 2020: 250 Euro für 0 bis 5-Jährige, 308 Euro für 6 bis 13-Jährige und 328 Euro für über 14-Jährige).
  • Aus den anteiligen Wohnkosten von Kindern, die im Existenzminimumbericht
    festgestellt werden (in 2020: 104 Euro pro Kind).
  • Aus einem zusätzlichen Betrag für mehr soziale Teilhabe, Freizeitgestaltung und Bildung (46 Euro pro Kind).

Bei den Grünen liegt der Grundbetrag bei 280 Euro, dazu kommen die Plus-Beträge, so dass die Höchstbeträge (für 2019 berechnet)

  • für 0 bis 5 Jahre alte Kinder bei 364 Euro;
  • für 6 bis 13 Jahre alte Kinder bei 475 Euro;
  • für 14 bis 17 Jahre alte Jugendliche bei 503 Euro liegen.

Alle Konzepte haben das Ziel, die Kinderarmut zu bekämpfen und allen Kindern soziale Teilhabe zu ermöglichen. Der DGB will damit alle Kinder und Jugendlichen aus dem Hartz IV-System holen.

Der DGB beziffert die Kosten auf 12,5 Milliarden Euro jährlich. Der Betrag sei im Vergleich zu den milliardenschweren Rettungsschirmen für Unternehmen in der Coronakrise eine kleine Summe, aber mit Sicherheit eine Investition in die Zukunft unseres Landes, die sich auszahlen werde.

Quellen: DGB, SPD-Fraktion, Grünen-Fraktion, Linken-Fraktion, Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Abbildung: Privat: Thomas Knoche

Verordnung von ambulanten Leistungen

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 29.6.2020 in Berlin die Frist für den Beginn einer Heilmittelbehandlung nach einer vertragsärztlichen oder -​zahnärztlichen Verordnung für gesetzlich Krankenversicherte von 14 Tagen auf 28 Tage verlängert. Damit soll einem in den Praxen möglicherweise bestehenden Terminstau bei Heilmittelbehandlungen, die bedingt durch die Corona-​Pandemie nicht begonnen werden konnten, entgegengewirkt werden. Die Sonderregelung gilt bis zum 30. September 2020. Ab dem 1. Oktober 2020 treten die neuen Heilmittel-Richtlinien in Kraft. Ab dann gilt sowieso die Frist von 28 Tagen zum Beginn einer Heilmittelbehandlung.

Ebenfalls bis zum 30. September 2020 verlängerte der G-BA die Sonderregelung, wonach Krankentransportfahrten zu nicht aufschiebbaren, zwingend notwendigen ambulanten Behandlungen von nachweislich an COVID-​19-Erkrankten keiner vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse bedürfen. Dies gilt auch für Versicherte, die aufgrund einer behördlichen Anordnung unter Quarantäne stehen.

Auslaufen von Sonderreglungen seit 1. Juli 2020

Laut Mitteilung des G-BA erlaubt die zur Zeit niedrige Neuinfektionsrate und die Aufhebung bestimmter Einschränkungen des öffentlichen Lebens auch eine schrittweise Rückkehr zur „normalen“ Patientenversorgung. Das G-BA schließt aber neue Sonderregelungen nicht aus, wenn sich die Infektionsdynamik wieder beschleunigen sollte.

Folgende Sonderregelungen endeten am 1. Juli 2020:

  • Verlängerte Frist zur Vorlage von Verordnungen
    Die Frist zur Vorlage von Verordnungen von häuslicher Krankenpflege, spezialisierter ambulanter Palliativversorgung sowie Soziotherapie bei der Krankenkasse beträgt wieder 3 Tage statt 10 Tage.
  • Folgeverordnungen nach telefonischer Anamnese
    Folgeverordnungen für häusliche Krankenpflege, für zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel, Krankentransporte und Krankenfahrten sowie Heilmittel (letztere auch von Zahnärztinnen und Zahnärzten verordnete) können nicht länger nach telefonischer Anamnese ausgestellt werden. Ebenso kann die Verordnung nicht länger postalisch an die Versicherte oder den Versicherten übermittelt werden.
  • Weitere Regelungen zu Folgeverordnungen im Bereich der häuslichen Krankenpflege
    Im Bereich der häuslichen Krankenpflege können Folgeverordnungen nicht länger für bis zu 14 Tage rückwirkend erfolgen. Die Begründung der Notwendigkeit bei einer längerfristigen Folgeverordnung von häuslicher Krankenpflege und die 3-​Tages-Frist zur Ausstellung der Folgeverordnung sind nun wieder zu berücksichtigen.

Quelle: Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)

Abbildung:  pixabay.com connection-4884862_1280.jpg

Behindertenpauschbetrag

Das Finanzministerium hat einen Referentenentwurf zur Erhöhung der Be­hin­der­ten-Pausch­be­trä­ge und An­pas­sung wei­te­rer steu­er­li­cher Re­ge­lun­gen (Be­hin­der­ten-Pausch­be­trags­ge­setz) vorgelegt,

Nach § 33b EStG wird wegen der außergewöhnlichen Belastungen, die behinderten Menschen unmittelbar infolge der Behinderung erwachsen, ein Pauschbetrag vom Einkommen abgezogen. Für Steuerpflichtige mit einer Behinderung besteht damit die Möglichkeit anstelle eines Einzelnachweises für ihre Aufwendungen für den täglichen behinderungsbedingten Lebensbedarf einen Behinderten-Pauschbetrag zu beantragen.

Unverändert seit 45 Jahren

Die Behinderten – Pauschbeträge sind seit 1975 nicht mehr angepasst worden. Deswegen soll es jetzt nahezu eine Verdoppelung geben.

Darüber hinaus sollen verschiedene Steuervereinfachungen die Steuerpflichtigen mit einer Behinderung von Nachweispflichten und die Verwaltung von Prüfungstätigkeiten entlasten.

Zur Anpassung der Behinderten-Pauschbeträge und Steuervereinfachung sind die folgenden Maßnahmen vorgesehen:

  • die Verdopplung der Behinderten-Pauschbeträge inkl. Aktualisierung der Systematik,
  • die Einführung eines behinderungsbedingten Fahrtkosten-Pauschbetrags und
  • der Verzicht auf die zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen zur Gewährung eines Behinderten-Pauschbetrags bei einem Grad der Behinderung kleiner 50.

Pauschbeträge

Vorgesehen sind die Beträge:

  • bei einem Grad der Behinderung von 20      384 EUR
  • bei einem Grad der Behinderung von 30     620 EUR
  • bei einem Grad der Behinderung von 40     860 EUR
  • bei einem Grad der Behinderung von 50  1.140 EUR
  • bei einem Grad der Behinderung von 60   1.440 EUR
  • bei einem Grad der Behinderung von 70  1.780 EUR
  • bei einem Grad der Behinderung von 80  2.120 EUR
  • bei einem Grad der Behinderung von 90   2.460 EUR
  • bei einem Grad der Behinderung von 100 2.840 EUR
  • bei hilflosen und blinden Personen              7.400 EUR

GdB kleiner als 50

Derzeit wird der Pauschbetrag Steuerpflichtigenmit einem Grad der Behinderung kleinervon 50 (sog. „Minderbehinderten“) nur gewährt, wenn die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt hat, die Behinderung auf einer typischen Berufskrankheit beruht oder dem Steuerpflichtigen wegen seiner Behinderung eine gesetzliche Rente oder Bezug zusteht. Diese Zusatzvoraussetzungen sollen ab dem Veranlagungszeitraum 2021 auch aus Gründen der Steuervereinfachung ersatzlos entfallen. Im Ergebnis können alle Steuerpflichtigen mit einem anerkannten Grad der Behinderung – unabhängig davon, ob es sich um „Minderbehinderte“oder „Schwerbehinderte“ (Grad der Behinderung mindestens 50) handelt die Gewährung eines Behinderten-Pauschbetrags beantragen, wenn ein Grad der Behinderung von mindestens 20 anerkannt wurde.

Fahrtkosten-Pauschbetrag

Anstelle des bisherigen individuellen und aufwändigen Einzelnachweises der behinderungsbedingt entstandenen Fahrtkosten wird eine Pauschbetragsregelung in Höhe der bisher geltenden Maximalbeträge eingeführt. Der Pauschbetrag beträgt

  • 900 Euro bei geh- und stehbehindertenSteuerpflichtigen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 80 oder einem Grad der Behinderung von mindestens 70 und dem Merkzeichen „G“.

Für Menschen mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen „aG“), Blinde (Merkzeichen„Bl“) und hilflose Menschen (Merkzeichen „H“) können nach den bisher geltenden Regelungen in den Grenzen der Angemessenheit nicht nur Aufwendungen für durch die Behinderung veranlasste unvermeidbare Fahrten, sondern auch für Freizeit-, Erholungs- und Besuchsfahrten berücksichtigtwerden.

  • Aus diesem Grund wird für diese Fallkonstellationen ein Pauschbetrag von 4 500 Euro normiert.

Behinderungsbedingte Fahrtkostenwerden zukünftig nur noch im Rahmen des Fahrtkosten-Pauschbetrags berücksichtigt. Dem Steuerpflichtigen wird dadurch der aufwändige Einzelnachweis erspart. Bei Erfüllen der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen werden die Aufwendungen in Höhe der in der Verwaltungspraxis bislang maximal möglichen Beträge vereinfacht und pauschaliert anerkannt. Sollten die Anspruchsvoraussetzungen für beide Pauschbeträge (Nummer 1 und Nummer 2) erfüllt sein, ist immer nur der höhere Pauschbetrag zu gewähren.

Quellen: Bundesfinanzministerium, FOKUS-Sozialrecht, SOLEX

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Intensivpflegegesetz – keine Rechtssicherheit

Das Intensivpflegegesetz wurde dreimal umgeschrieben. Nach vielen Protesten und Petitionen wurde nun die endgültige Form vom Bundestag verabschiedet.

Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusse

In der vom Gesundheitsausschuss empfohlenen Änderung heißt es: “Berechtigten Wünschen der Versicherten ist zu entsprechen.” Entfallen ist der bisherige Zusatz “… soweit die medizinische und pflegerische Versorgung an diesem Ort tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden kann”. Das war von Kritikern als Einfallstor für die Krankenkassen gesehen worden, die Betroffenen gegen ihren Willen in einem Pflegeheim unterzubringen. Denn die Versorgung dort ist kostengünstiger als die Betreuung zu Hause.

Laut Änderungsantrag werden die Krankenkassen künftig verpflichtet, für eine Verbesserung der Versorgung des Patienten zu sorgen, sollte dort die Pflegequalität nicht gewährleistet sein.

Begründung

In der Begründung heißt es: „Es wird klargestellt, dass die Krankenkasse berechtigten Wünschen der Versicherten zum Ort der Leistungserbringung zu entsprechen hat. Die medizinische und pflegerische Versorgung am Leistungsort muss sichergestellt sein oder durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden können. Über geeignete Nachbesserungsmaßnahmen hat die Krankenkasse mit dem Versicherten eine Zielvereinbarung abzuschließen. Es wird geregelt, dass eine Übernahme von Eigenanteilen bei stationärer Versorgung auch nach einer Besserung des Gesundheitszustandes für mindestens sechs Monate weiter erfolgt; die Krankenkasse kann diesen Zeitraum durch Satzung ausweiten. Mit der Änderung wird geregelt, dass in Fällen, in denen die Krankenkasse nicht in der Lage ist, eine geeignete Pflegefachkraft zu stellen, die Kosten für eine selbstbeschaffte Pflegefachkraft in angemessener Höhe zu erstatten sind. Klargestellt wird zusätzlich,
dass daneben die Möglichkeit der Leistungserbringung im Rahmen eines persönlichen Budgets erhalten bleibt. Die Zuzahlungspflicht bei Versorgung in der eigenen Häuslichkeit wird auf 28 Tage im Kalenderjahr begrenzt.“

Festzuhalten ist:

  • Das Ziel des BMG war und ist es, Kosten einzusparen. Deswegen wird das Gesetz von den Krankenkassen begrüßt. Intensivpflege in häuslicher Umgebung ist wesentlich teurer als in Heimen.
  • Der Gesundheitsminister wollte sein Gesetz möglichst geräuschlos über die Bühne bringen. Das hat nicht geklappt. Stattdessen gab es vor allem von Betroffenen, als auch von Sozialverbänden massive Proteste. Das wiederum bewirkte die Korrekturen am Gesetz.
  • Nun steht eine Formulierung im umstrittenen Paragrafen, die auf den ersten Blick wie ein Zugeständnis an die Betroffenen aussieht. „Berechtigten Wünschen ist zu entsprechen“.

Was ist berechtigt?

Die Entscheidung, welche Wünsche aber berechtigt sind, trifft der Medizinische Dienst und die Krankenkassen. Somit sind die Betroffenen immer noch nicht sicher vor einer Zwangseinweisung in ein Heim. Betroffene müssen damit rechnen, dass sie erst nach einem langen Weg durch die Sozialgerichte zu ihrem Recht kommen. Das ist für viele Betroffene und ihre Angehörigen, die sich sowieso in  in einer existenziell schwierigen Lebenslage befinden schlicht unzumutbar. Dazu kommt, dass der geänderte Gesetzentwurf ein sogenanntes Teilhabeplanverfahren vorsieht, so wie es bereits im Sozialgesetzbuch IX vorgeschrieben ist, was ebenfalls für alle Betroffenen mit großem Aufwand verbunden ist, selbst wenn man diese Regelung für vernünftig hält.

Behindertenrechtskonvention

Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich »mit Artikel 19 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK), zu gewährleisten, dass „Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben“. Dies gilt nach Artikel 26 – wie nach anderen Artikeln der Konvention auch – gleichermaßen für alle Menschen mit Pflegebedarf infolge ihrer meist dauerhaften Beeinträchtigungen.

Quellen: Bundestag, FOKUS-Sozialrecht

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Grundrentengesetz verabschiedet

Der Bundesrat hat am 3. Juli 2020 der Grundrente zugestimmt: Damit erhalten rund 1,3 Millionen Menschen mit kleinen Renten ab 2021 einen Zuschlag zu ihrer Altersversorgung.

Kernstück des Gesetzes ist die Einführung einer Grundrente für langjährig Versicherte, die an bestimmte Bedingungen geknüpft ist: Wenn mindestens 33 Jahre Grundrentenzeiten vorliegen (aus Beschäftigung, Kindererziehung oder Pflegezeiten), soll die Rente um einen Zuschlag erhöht werden, wenn die Entgeltpunkte des Erwerbslebens unterdurchschnittlich, aber nicht ganz gering waren. Dabei soll der Zuschlag in einer Staffelung von 33 bis 35 Jahren ansteigend berechnet werden. Allerdings sollen diejenigen keine Grundrente erhalten, deren Arbeitsentgelte häufig lediglich die Bedeutung eines ergänzenden Einkommens hatten (zum Beispiel durch Minijobs).

Die Höhe des Zuschlags soll durch eine Einkommensprüfung ermittelt werden. Dabei soll zunächst ein monatlicher Einkommensfreibetrag in Höhe von 1.250 Euro für Alleinstehende und 1.950 Euro für Eheleute oder Lebenspartner gelten. Für die Einkommensprüfung soll auf das zu versteuernde Einkommen abgestellt werden. Gleich hohe Renten sollen gleichbehandelt werden. Daher soll das zu versteuernde Einkommen unter Hinzurechnung des steuerfreien Teils der Rente beziehungsweise eines Versorgungsfreibetrages und der Einkünfte aus Kapitalvermögen zugrunde gelegt werden. Die Übermittlung des zu versteuernden Einkommens soll durch einen automatisierten Datenabgleich zwischen der Rentenversicherung und den Finanzbehörden erfolgen.

Das Gesetz sieht in einem weiteren Aspekt die Einführung von Freibeträgen im Wohngeld in der Grundsicherung für Arbeitsuchende des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II), in der Hilfe zum Lebensunterhalt, in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) und in den fürsorgerischen Leistungen der Sozialen Entschädigung vor.

Änderungen zum ursprünglichen Entwurf behandeln vor allem rechtstechnische Anpassungen und die Einführung einer Widerspruchsabweisung gegen Bescheide bis Ende 2022. Diese Zeit brauche die Rentenversicherung für die Einführungsphase, so die Begründung. Ebenfalls neu ist eine Anhebung der Einkommensgrenze beim BAV-Förderbetrag (Betriebliche Altersvorsorge) von 2.200 auf 2.575 Euro und auf eine Anhebung des BAV-Förderbetrags auf 288 Euro ab 2020. Damit haben auch 2,5 Millionen Geringverdiener einen Zugang zu dieser Vorsorge, ohne Beiträge einzahlen zu müssen.

Die Opposition kritisiert mangelnde Zielgenauigkeit, überbordende Bürokratie beim Verfahren der Einkommensprüfung und eine ungeklärte Finanzierung.

Das Gesetz wird nun über die Bundesregierung dem Bundespräsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt. Danach kann es im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Es soll zum 1. Januar 2021 in Kraft treten.

Quellen: Bundestag, Bundesrat, FOKUS-Sozialrecht

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Mindestlohn

Die Mindestlohn-Kommission hat am 30.06.2020 ihren Anpassungsbeschluss gefasst und ihren Bericht vorgestellt. Es ist turnusgemäß der dritte Bericht seit der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland im Januar 2015. Dieser liegt derzeit bei 9,35 Euro brutto je Zeitstunde. Die Kommission empfiehlt eine Erhöhung des Mindestlohns in mehreren Schritten auf 10,45 Euro zum 01.07.2022.

Die Erhöhungen alle halbe Jahre:

• zum 01.01.2021: 9,50 Euro
• zum 01.07.2021: 9,60 Euro
• zum 01.01.2022: 9,82 Euro
• zum 01.07.2022: 10,45 Euro.

12 Euro angemessen

Bereits Ende 2018 schrieb Finanzminister Olaf Scholz in der Bild-Zeitung: „Ich finde, dass 12 Euro Mindestlohn angemessen sind. Am Lohn sollten Unternehmen nicht sparen.“ Im Laufe des vergangenen Jahres häuften sich die Stimmen, die diese Zielsetzung unterstützten. Die gesellschaftliche Zustimmung zu einer deutlichen Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro und darüber hinaus war sehr hoch.

Im Zeichen der Pandemie

Die Beschlussfassung der Mindestlohnkomission fällt in diesem Jahr in eine Zeit großer Unsicherheit angesichts der Corona – Pandemie und deren wirtschaftlichen Folgen. Für das Gesamtjahr 2020 wird gesamtwirtschaftlich eine deutliche Rezession erwartet, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Branchen gibt. Für das Jahr 2021 gehen die aktuellen Prognosen von einer wirtschaftlichen Erholung aus. Ab 2022 ist eine Rückkehr auf das Niveau des Bruttoinlandsprodukts von vor der Pandemie zu erwarten.

Senkung oder…

In der Corona-Krise wurden die niedrigen Verdienste in einigen „systemrelevanten“ Berufen kritisiert und dort eine grundsätzliche Erhöhung gefordert. Der wirtschaftliche Einbruch gab allerdings den Kritikern einer stärkeren Mindestlohnanhebung in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wieder Auftrieb. Die Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Energie der CDU/CSU im Bundestag plädierte sogar dafür, den Mindestlohn in Deutschland zu senken oder ihn wenigstens nicht zu erhöhen.

kräftiger Anstieg?

Im Gegenzug argumentiert die Böckler-Stiftung, mit einer kräftigen Erhöhung könne die private Nachfrage in der Corona-Krise stabilisiert werden. Mittelfristig sei eine Anhebung auf einen Wert von 60 Prozent des Medianlohns notwendig. Damit ließe sich eine nachhaltige Reduzierung des Niedriglohnsektors und die Etablierung existenzsichernder Löhne erreichen. 

Anpassung alle 6 Monate

Der Umstieg auf eine halbjährliche Anpassung des Mindestlohnes, den die Kommission mit ihrem neuen Beschluss vorgenommen hat, zeigt, dass sie das starre und vergleichsweise unflexible Modell einer zweijährigen Anpassung in zwischen aufgegeben hat.

Tariflöhne stiegen stärker

Für einen Zeitraum von sechs Jahren, seit Einführung des Mindestlohns ergibt sich eine Steigerung des Mindestlohns um 10 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Tarifindex um gut 14 Prozent. So gab es in den ersten zwei Jahren keine Anpassung des Mindestlohns, während die Tariflöhne deutlich stiegen. 

Evaluation in diesem Jahr

Die Bundesregierung wird wahrscheinlich den Kommissionsbeschluss so umsetzen. Die Hoffnungen durch einen politischen Eingriff auf 12 Euro zu kommen sind vergeblich. Das Thema Mindestlohn wird die Politik aber weiter beschäftigen. Laut Mindestlohngesetz steht im Jahr 2020 eine Überprüfung desr gesetzlichen Regelungen an. Die Bundesregierung wird spätestens zum Jahresende einen Bericht vorlegen.

Quellen: Mindestlohn-Kommission, ZEIT, Spiegel, Hans-Böckler Stiftung, Reinhard Bispinck in Gegenblende (DGB)

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Konjunkturpaket – Steuern, Kinderbonus

Bundestag und Bundesrat haben am 29.06.2020 grünes Licht für das Corona-Konjunkturpaket gegeben. Mit dem steuerlichen Maßnahmenpaket soll möglichst rasch der Konsum und damit die Binnenwirtschaft in der Corona-Krise angekurbelt werden. Es enthält unter anderem die befristete Mehrwertsteuersenkung von 19 auf 16 Prozent ab dem 01.07.2020 und einen einmaligen Kinderbonus von 300 Euro.  Es kann schon am 1. Juli 2020 in Kraft treten.

Befristete Mehrwertsteuersenkung

§ 28 Absatz 1 bis 3 UStG
Um möglichst rasch den Konsum und damit die Binnenwirtschaft anzukurbeln, wird die Mehrwertsteuer ab 1. Juli 2020 für sechs Monate gesenkt: von 19 auf 16 Prozent bzw. von sieben auf fünf Prozent. Die reduzierten Sätze gelten bis zum 31. Dezember 2020. Tabakerzeugnisse sind von der befristeten Senkung der Umsatzsteuer übrigens ausgenommen.

Hilfen für Unternehmen

Unternehmen dürfen ihre Verluste besser mit Gewinnen aus den Vorjahren verrechnen: der steuerliche Verlustrücktrag erhöht sich für 2020 und 2021 auf fünf Millionen Euro bzw. zehn Millionen Euro bei Zusammenveranlagung. Zudem lassen sich Betriebsgüter bis Ende 2021 besser abschreiben, damit Unternehmen zeitnah investieren und Anschaffungen nicht aufschieben.

Entlastung für Alleinerziehende

§ 24b Absatz 2 Satz 3 EStG
Auf Grund der eingeschränkten Betreuungsmöglichkeiten für Kinder in Zeiten der Corona-Pandemie und der für Alleinerziehende damit verbundenen besonderen Herausforderungen steigt der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in den Jahren 2020 und 2021 von derzeit 1.908 Euro auf 4.008 Euro jährlich. Der Erhöhungsbetrag gemäß § 24b Absatz 2 Satz 2 EStG pro weiterem Kind in Höhe von 240 Euro bleibt unverändert.

Kinderbonus

§ 66 Absatz 1 Satz 2 bis 4 EStG und § 6 Absatz 3 BKGG
Eltern erhalten für jedes kindergeldberechtigte Kind einen einmaligen Kinderbonus von 300 Euro. Dieser Bonus wird mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag vergleichbar dem Kindergeld verrechnet. Er wird nicht auf die Grundsicherung angerechnet. Zudem sollen die Einmalbeträge die Unterhaltsleistung nach dem
Unterhaltsvorschussgesetz nicht mindern.

Aufgrund dieser „Verrechnung“ profitieren Familien mit einem Kind und einem zu versteuernden Jahreseinkommen ab ca. 90.000 Euro nicht vom Kinderbonus, da ab diesem Einkommen der einkommensteuerrechtliche Kinderfreibetrag günstiger ist, als das um den Bonus erhöhte Kindergeld. Diese „Günstigerprüfung“ wird vom Finanzamt unaufgefordert durchgeführt. Etwaig ausgezahlter Kinderbonus wird dann entsprechend beim Kinderfreibetrag wieder abgezogen.

Der Kinderbonus wird in zwei Raten ausgezahlt:

  • 200 Euro im September 2020
  • 100 Euro im Oktober 2020.

Ein Anspruch in Höhe der Einmalbeträge von insgesamt 300 Euro für das Kalenderjahr 2020 besteht auch für ein Kind, für das nicht für den Monat September 2020, jedoch für mindestens einen anderen Kalendermonat im Kalenderjahr 2020 ein Anspruch auf Kindergeld besteht. Hier geht es also um Kinder, die nach dem September geboren werden, oder für die der Kindergeldanspruch vor September endet. Die Auszahlung des Kinderbonus erfolgt in diesen Fällen aber nicht zwingend im September und Oktober 2020 und nicht zwingend in Teilbeträgen.

Quellen: Bundesrat, Bundestag

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