Weniger Leistungsbeziehende durch Bürgergeld

Sozialmissbrauch und Kündigungswellen, weil das Bürgergeld so hoch sei, dass die Arbeit sich nicht mehr lohne. Vor allem die Springerpresse versucht seit Monaten, Stimmung gegen gegen Sozialleistungsbezieher zu machen. Neben Flüchtlingen und potentiellen Empfängern der noch gar nicht existierenden Kindergrundsicherung, sind vor allem Menschen im Visier, die Bürgergeld beziehen.

Was ist dran an den Behauptungen?

  • Sämtliche „Berechnungen“, nachdem man mit Bürgergeld mehr verdienen kann als mir „ehrlicher Arbeit“, haben sich als falsch herausgestellt. Beispiel Jens Spahn.
  • Dass die Sozialausgaben in unermessliche Höhen steigen, ist wissenschaftlich nicht haltbar, wie neulich hier im Beitrag „Sozialstaat explodiert?“ dargelegt.
  • Angeblichen Kündigungswellen als Folge der Bürgergeld-Einführung lassen sich nicht belegen.

Kündigungswellen?

Am 22. Februar gab es dazu eine Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Bsirske (auf Seite 54). Er wollte wissen, welche Informationen, beispielsweise in Form von verlässlichen statistischen Daten zum Übergang von Beschäftigung in das Zweite Buch Sozialgesetzbuch – Bürgergeld, der Bundesregierung hinsichtlich der These vorlägen, dass es seit der Einführung des Bürgergeldes im Jahr 2023 zu einer Welle massenhafter Kündigungen gekommen sei, und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehe.

Niedrigster Zugang zur Grundsicherung seit Einführung des SGB II

Die Antwort lautete, dass es zu dieser These keine empirischen Befunde gäbe. Im Jahr 2023 gäbe es nach Angaben der Statistik der Bundesagentur für Arbeit rund 3,28 Millionen Zugänge in Arbeitslosigkeit im Rechtskreis des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II). Das seien 2,0 Prozent bzw. 64.000 mehr Zugänge als im Jahr 2022. Die Zugänge aus Beschäftigung im 1. Arbeitsmarkt in Arbeitslosigkeit im Rechtskreis SGB II lagen im Jahr 2023 jedoch mit 341.000 Zugängen um 13,7 Prozent bzw. 54.000 Zugängen niedriger als im Jahr 2022.

Damit gab es im Jahr 2023, dem Jahr der Einführung des Bürgergeldes, den bislang niedrigsten Zugang an Arbeitslosen in die Grundsicherung für Arbeitsuchende aus Beschäftigung am 1. Arbeitsmarkt seit ihrer Einführung im Jahr 2005. Gleichzeitig ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Jahresverlauf 2023 saisonbereinigt weiter gestiegen.

Mehr Artikel dazu

Damit ist wieder mal klar, dass es sich bei all dem um Fakenews-Kampagnen handelt, um Stimmung gegen „die da unten“ zu machen. Nachzulesen auch im Tagesspiegel, im Spiegel, bei tacheles e.V. und in der ZEIT.

Quellen: Bundestag, FOKUS-Sozialrecht, BILD, Tagesschau

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Ende des Bürgergeldbonus

Kaum eingeführt, wird der Bürgergeldbonus nach knapp einem halben Jahr wieder eingestampft. Arbeitsminister Heil hatte am 15. Dezember in einer Jahresbilanz zum Bürgergeld unter anderem den Bürgergeldbonus noch gepriesen als Teil der Abschaffung des Vermittlungsvorrangs durch das Bürgergeldgesetz und Stärkung der Weiterbildung. Da war aber schon klar, dass dieses gelobte Instrument der Sparpolitik zum Opfer fallen würde.

§ 16j wird aufgehoben

In der Vorabversion des Referentenentwurfs „Entwurf eines Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024 (Beitrag BMAS Abteilung II „Arbeitsmarkt“ heißt es lapidar: „§ 16j wird aufgehoben.“. In der Begründung wird zwar noch mal der „Kerngedanke des Bürgergeldgesetzes“ beschworen, durch Weiterbildung mehr dauerhafte Arbeitsmarktintegrationen zu erreichen. Ein wichtiger Teil davon ist aber nun Geschichte.

Die finanziellen Anreize Weiterbildungsgeld und Weiterbildungsprämie werden weiterhin an Teilnehmende berufsabschlussbezogener Weiterbildungen gezahlt. Teilnehmende, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eine mit dem Bürgergeldbonus förderfähige Maßnahme angetreten haben, erhalten den Bonus bis zum Austritt aus oder dem Abschluss der Maßnahme.

Bürgergeldbonus und Weiterbildungsgeld

Erwerbsfähige Leistungsberechtigte sollten unter bestimmten Voraussetzungen einen Bürgergeldbonus in Höhe von 75 Euro monatlich erhalten. Gemeint sind Weiterbildungen, die nicht auf einen Berufsabschluss abzielen. Dies ist nun nicht mehr möglich. Wer eine Weiterbildung absolviert, deren Ziel ein Berufsabschluss ist, kann stattdessen Weiterbildungsgeld nach dem ebenfalls ab Juli 23 gültigen § 87a im SGB III erhalten.

Wer abseits von Populismus und Propaganda eine realistische Einschätzung des Bürgegelds lesen will, dem sei der Spiegel-Artikel von Florian Diekmann vom 3. Januar 2024 empfohlen.

Quellen: tacheles e.V., BMAS, sgb2.info, FOKUS-Sozialrecht, Spiegel

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Zurück zu Hartz IV

Bundesarbeitsminister Heil sieht sich genötigt beim Bürgergeld eine Rolle rückwärts zu machen. Vorausgegangen war eine beispiellose Fakenews-Kampagne, dass sich arbeiten nicht mehr lohne, weil das Bürgergeld so hoch sei und es keine Sanktionen mehr gäbe. Schon zu Beginn des letzten Jahres wurden solche hauptsächlich von der AFD verbreiteten Märchen widerlegt. Trotzdem ließen es sich einige CDU und FDP Politiker nicht nehmen, weiter in die Kerbe zu hauen, begleitet von den üblichen Verdächtigen aus der Medienwelt.

Lernfähigkeit?

Nun versucht die SPD, wie auch schon in anderen Politikbereichen wie der Migrationspolitik, angesichts dürftiger Umfrageergebnisse zum xten Mal Wähler zurückzuholen, in dem man auf die Positionen des rechten Randes umschwenkt. Zum xten Mal wird dies nicht funktionieren. Die Lernfähigkeit scheint völlig verschwunden zu sein.

170 Millionen

Hubertus Heil will also das Haushaltsgesetz 2024 mit einem Passus zu Einsparungen aus seinem Haus ergänzen. 170 Millionen sollen es sein, in dem die vom Verfassungsgericht für unzulässig erklärten Vollsanktionen wieder eingeführt werden. Das wären etwa 100.000 Vollsanktionen im Jahr.

Zum Vergleich: der jährliche Gesamtwirtschaftliche Schaden durch Steuerhinterziehung beträgt etwa 100.000.000.000 (100 Milliarden) Euro.

Dünnes Eis

Der Arbeitsminister bezieht sich auf einen Passus des Verfassungsgerichtsurteils, in dem es heißt, „wenn und solange Leistungsberechtigte es selbst in der Hand haben, durch Aufnahme einer ihnen angebotenen zumutbaren Arbeit (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar durch die Erzielung von Einkommen selbst zu sichern,“ sei ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen. Allerdings sagt das Urteil einschränkend, dies sei nur dann möglich, wenn deren Situation mit denen vergleichbar seien, bei denen keine Bedürftigkeit vorliege, weil Einkommen oder Vermögen aktuell verfügbar und zumutbar einsetzbar sei. Nur wenn eine solche tatsächlich existenzsichernde und zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund willentlich verweigert werde, obwohl im Verfahren die Möglichkeit bestand, dazu auch etwaige Besonderheiten der persönlichen Situation vorzubringen, die einer Arbeitsaufnahme bei objektiver Betrachtung entgegenstehen könnten, sei ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen.

Da werden die geplanten Einsparungen sicher schnell durch die Gerichtskosten aufgebraucht.

Lesenswert dazu auch der Beitrag von Dr. Joachim Rock, Leiter der Abteilung „Arbeit, Soziales und Europa“ beim Paritätischen Gesamtverband.

Quellen: tacheles e.V., BMAS, Tagesschau, dpa, Bundesverfassungsgericht

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Ganzheitliche Betreuung (Bürgergeld)

Seit 1. Juli 2023 haben die Jobcenter die Möglichkeit ein Coaching (sog. ganzheitliche Betreuung) zu bewilligen, um Bürgergeldbeziehende für eine Beschäftigung zu befähigen.

Informationen vom BMAS und der Agentur für Arbeit

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat aktuelle Informationen zu den Inhalten und zur Durchführung des § 16k SGB II (ganzheitliche Betreuung) herausgegeben. Dieses Finanzierungsinstrument ist mit der Umsetzung der zweiten Stufe des Bürgergeldes zum 1. Juli 2023 in Kraft getreten. Die Betreuung kann sowohl von Jobcentern als auch von ihnen beauftragte Dritte durchgeführt werden.

Mit diesem Instrument, so das BMAS, soll die Beschäftigungsfähigkeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aufgebaut und stabilisiert werden. Junge Menschen sollen zudem an eine Ausbildung herangeführt bzw. während der Ausbildung begleitet werden können. Bei der ganzheitlichen Betreuung soll im Rahmen von Einzelcoachings an den besonderen, individuellen Problemlagen der Leistungsberechtigten gearbeitet werden, die Auswirkungen auf die Beschäftigungsfähigkeit haben. Umfasst ist dabei die beratende wie auch die aufsuchende Betreuung, bei der auch das häusliche und sozialräumliche Umfeld
einbezogen werden kann.

Förderinhalte

Mögliche Förderinhalte finden sich in der fachlichen Weisung der Bundesagentur für
Arbeit zur ganzheitlichen Betreuung nach § 16k SGB II. Dort finden sich auch nähere
Informationen zur Abgrenzung von Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen
Eingliederung nach § 16 SGB II in Verbindung mit § 45 SGB III.

Mögliche Förderinhalte:

  • Individuelle Beratung, Betreuung und Unterstützung der Teilnehmenden und ggf. deren Bedarfsgemeinschaft während des gesamten Förderzeitraums,
  • Unterstützung in der konkreten persönlichen und familiären Situation, z. B. Aufbau von Tagesstrukturen, Stabilisierung der Bedarfsgemeinschaft, soziale Aktivierung, Verbesserung sozialer Handlungskompetenzen, Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
  • Alltagshilfen, z. B. Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Umgang mit Geld, Beratung zum Erscheinungsbild, Hilfestellung bei Behördengängen und Antragstellungen,
  • Krisenintervention bzw. Konfliktbewältigung,
  • Unterstützung bei psychosozialen Problemen, Suchtproblematiken, Schulden, Gesundheitsproblemen, Entwicklung von Sprachkompetenzen durch Aktivierung von Netzwerken zu anderen Leistungsträgern.
  • Unterstützung bei besonderen individuellen Rahmenbedingungen, die der Beschäftigungsfähigkeit entgegenstehen, z. B. von Geflüchteten, Frauen/Männern, die § 10 SGB II (Zumutbarkeit) in Anspruch nehmen,
  • Abstimmung der ganzheitlichen Betreuung mit schon bestehenden Leistungen (z. B. bei Leistungen in Kooperation mit der Jugendhilfe oder bei Therapien),
  • Unterstützung von Bedarfsgemeinschaften mit Kindern bei der Inanspruchnahme von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII oder von Krankenkassen bzw. Rehaträgern,
  • Aufbau beruflicher Handlungskompetenzen, z. B. Unterstützung bei der Entwicklung von Arbeitstugenden, Förderung der beruflichen Flexibilität, Vermittlung der Anforderungen im Arbeitsalltag (u. a. pünktlicher Arbeitsbeginn, Erwartungen des Arbeitgebers),
  • Übergangsmanagement, z. B. Förderung von Anschlussperspektiven
  • Beschäftigungs- und ausbildungsbegleitende Angebote
  • Individuelle Hilfestellungen bei der Heranführung an eine Berufsorientierung, Ausbildung oder zur Begleitung während einer Ausbildung, z. B. Unterstützung bei der Suche nach Ausbildungsbetrieben, Vorbereitung auf und Begleitung zu Bewerbungsgesprächen, individuelle Betreuung am Ausbildungsplatz, Ansprechpartner für den Ausbildungsbetrieb, Koordination von und Begleitung zu Gesprächen mit dem Arbeitgeber, Unterstützung beim Übergang von der Ausbildung in eine anschließende Beschäftigung.

Trägerzulassung

Voraussetzung für die Umsetzung ist eine Trägerzulassung, wobei eine zentrale Anforderung dabei ist, ein Qualitätssystem zu etablieren. Damit können sich die Träger bereits an den entsprechenden Ausschreibungsverfahren durch das Jobcenter beteiligen. Die Durchführung als sog. „Gutscheinmaßnahme“ setzt eine Träger- und Maßnahmezulassung voraus. Sowohl die Träger- als auch die Maßnahmezulassung erfolgt durch akkreditierte Fachkundige Stellen.

Quellen: BMAS, Arbeitsagentur, Paritätischer Gesamtverband

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Bürgergeld für Straffällige bei Sucht-Therapien

Eine Gesetzeslücke schließen will das Land NRW mit einem Gesetzesänderungsantrag im Bundesrat. Es geht um § 7 SGB II, in dem die Leistungsberechtigten des Bürgergelds beschrieben sind. Dort heißt es in Absatz 4: „Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, … in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung …untergebracht ist.“ Dort soll nun folgender Satz angefügt werden: „Hiervon ausgenommen ist der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung auf Grundlage des § 35 des Betäubungsmittelgesetzes…“

§ 35 Zurückstellung der Strafvollstreckung

Die Vollstreckung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder eines Strafrestes von nicht mehr als zwei Jahren bei von Betäubungsmitteln abhängigen Verurteilten kann zurückgestellt werden, wenn sie die Tat aufgrund ihrer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen haben und sich wegen ihrer Abhängigkeit in einer ihrer Rehabilitation dienenden Behandlung befinden oder zusagen, sich einer bereits gewährleisteten Therapie zu unterziehen.

Therapie statt Strafe

Voraussetzung für die Gewährleistung des Therapiebeginns und damit für einen
Antrag auf Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG ist die Kostenzusage des zuständigen Trägers, um die Übernahme der für die therapeutische Maßnahme selbst anfallenden Kosten sicherzustellen. In der Vergangenheit wurden den betroffenen Personen Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) gewährt, um ihren Lebensunterhalt während der Therapiemaßnahme zu sichern.

BSG-Urteil

Mit Urteil vom 5. August 2021 (B 4 AS 58/20 R) hat das Bundessozialgericht klargestellt, dass ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für verurteilte
Personen, die sich nach Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG in
einer stationären Entwöhnungstherapie befinden, gemäß § 7 Absatz 4 Satz 2 SGB
ausgeschlossen ist, da es sich bei Therapieeinrichtungen im Sinne des § 35 BtMG
um Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen im
Sinne des § 7 Absatz 4 Satz 2 SGB II handelt.

Therapie nicht mehr möglich

In der Praxis hat diese Rechtsprechung zur Folge, dass für Gefangene, gegen die
eine nach § 35 BtMG zurückstellungsfähige Strafe vollstreckt wird, eine Vermittlung in eine notwendige Therapie nach § 35 BtMG faktisch unmöglich wird.

Der bislang erfolgreiche Ansatz des § 35 BtMG, „Therapie statt Strafe“, droht daher
künftig weitgehend ins Leere zu laufen. Dies hat gesamtgesellschaftlich, aber auch
für den einzelnen Gefangenen/die einzelne Gefangene und sein/ihr unmittelbares
Umfeld dramatische Auswirkungen, da Gefangene ohne die dringend erforderliche
Drogentherapie in die Gesellschaft entlassen werden müssen.

Therapie soll nicht zu Leistungsausschluss führen

Um die geschilderten negativen Auswirkungen der sozialgerichtlichen
Rechtsprechung zu vermeiden und um die Anwendung des Ansatzes „Therapie statt
Strafe“ sicherzustellen, soll eine Regelung im SGB II dahingehend vorgenommen werden, dass der Aufenthalt in einer stationären Therapieeinrichtung nicht zu einem Leistungsausschluss von Bürgergeld führt. Ziel der Gesetzesänderung ist dabei die Sicherstellung eines Anspruchs auf Leistungen für verurteilte Personen, die sich nach Zurückstellung der Strafvollstreckung in einer stationären Entwöhnungstherapie befinden, ohne dabei in die Systematik der Sozialgesetzbücher einzugreifen.

Der Bundesrat hat bisher noch nicht über den Antrag beraten.

Quellen: Bundesrat, Bundestag, BSG

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SGB-Anpassungen an das Bürgergeld

Infolge der Änderungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) durch das Bürgergeldgesetz vom 16. Dezember 2022 seien Anpassungen in anderen Gesetzen notwendig, damit sich alle Regelungen widerspruchslos in die bestehende Rechtsordnung einfügen und Wertungswidersprüche vermieden werden, schreibt die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf. Daneben seien Änderungen in bereits verkündeten Gesetzen erforderlich, da einige noch nicht in Kraft getretene Regelungen aufgrund aktueller Gesetzesvorhaben angepasst werden müssten.

Gleichlauf

Unter anderem wurden im Rahmen des Bürgergeldgesetzes den Angaben zufolge nicht alle Änderungen des SGB II bei der Berücksichtigung von Einkommen auf das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) übertragen. Die unterbliebenen Angleichungen bei der Berücksichtigung von Einkommen an Änderungen im SGB II sollen nun im SGB XII nachgeholt werden. Zugleich ist vorgesehen, die Änderungen des SGB XII bei der Berücksichtigung von Einkommen „aus Gründen des Gleichlaufs“ im Bundesversorgungsgesetz nachzuvollziehen und unter anderem die ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt unpfändbar zu stellen.

Auch andere Sozialgesetzbücher betroffen

Von den angestrebten Änderungen betroffen sind neben dem Zwölften und Vierzehnten auch das Zweite, Dritte, Sechse, Neunte und Elfte Buch Sozialgesetzbuch. Weitere Anpassungen sollen dem Gesetzentwurf zufolge unter anderem im Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts, dem Wohngeldgesetz und dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erfolgen.

Kritik bleibt bestehen

Dass die vorgelgten Anpassungen bei weitem nicht ausreichen, haben wir hier schon im letzten Mai dargelegt. Tatsächlich werden einige restriktive Regelungen aus dem SGB II ins SGB XII übernommen. In den Punkten, wo eine Gleichbehandlung dringend erfolgen müsse, passiere aber nichts, schreibt der Verein Tacheles e.V. in seinem Newsletter vom 17. September 2023. acheles hatte im Gesetzgebungsverfahren eine umfassende Stellungnahme geschrieben und insbesondere diese Ungleichbehandlung herausgearbeitet. Hier zum Nachlesen.

Quellen: Bundesag, tacheles e.v., FOKUS-Sozialrecht

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Bürgergeld 2024

Ab Januar 2024 soll das Bürgergeld um etwa 12 Prozent steigen. Mit der Anfang 2023 in Kraft getretenen Bürgergeld-Reform sollten die Sätze schneller als in der Vergangenheit an die Inflation angepasst werden können. Bei der Berechnung wird das Lohn- und Inflationsniveau für die Regelsätze des Folgejahres bis zum zweiten Quartal des aktuellen Jahres berücksichtigt.

So sollen die Regelsätze aussehen:

RegelbedarfsstufenPersonenkreis
20242023
Regelbedarfsstufe 1Alleinstehende
563 EUR502 EUR
Regelbedarfsstufe 2volljährige Partner 
innerhalb Bedarfsgemeinschaft
506 EUR451 EUR
Regelbedarfsstufe 3Erwachsene unter 25 Jahren
im Haushalt der Eltern
451 EUR402 EUR
Regelbedarfsstufe 4Jugendliche zwischen 14 bis 17 Jahren
471 EUR420 EUR
Regelbedarfsstufe 5Kinder zwischen 6 – 13 Jahren
390 EUR348 EUR
Regelbedarfsstufe 6Kinder von 0 bis 5 Jahren
357 EUR318 EUR

Die Reaktionen auf die angekündigte Erhöhung des Bürgergelds waren erwartbar. Dem Verfahren für die Fortschreibung der Regelsätze für das Bürgergeld hat am Ende im Bundestag auch die CDU im letzen Jahr zudestimmt. Auch Jens Spahn, der das offensichtlich vergessen hat und nun mit falschen Zahlen Stimmung machen will.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) hält die Regelsatzanpassung für ein gutes Signal, der Paritätische Gesamtverband hingegen weist auf seine eigenen Berechnungen hin, wonach der Regelsatz bei 813 Euro liegen müsse.

Quellen: Haufe, Sozialverband Deutschland, Paritätischer Gesamtverband, Tagesschau

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Bürgergeld: Erreichbarkeit

Mit der Einführung des § 7b SGB II durch das Bürgergeld-Gesetz zum 1. Juli 2023 wird die Erreichbarkeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten neu geregelt. Wenn Leistungsberechtigte erreichbar sind und sich im näheren Bereich des zuständigen Jobcenters aufhalten, haben sie bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Anspruch auf Bürgergeld. Der nähere Bereich wird festgelegt durch die angemessene Zeitspanne, in welcher Leistungsberechtigte die Dienststelle des zuständigen Jobcenters aufsuchen können. Diese Zeitspanne ist gesetzlich nicht definiert. Der Begriff wird durch den Erlass einer Verordnung bestimmt. Der Entwurf der SGB II-Erreichbarkeitsverordnung liegt nun vor.

Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Die Verordnung konkretisiert insbesondere folgende Aspekte der Erreichbarkeit:

  • Definition des näheren Bereichs im Sinne des § 7b Absatz 1 Satz 2 SGB II. Ein Aufenthalt im näheren Bereich liegt vor, wenn und soweit die Leistungsberechtigten mit einer einfachen Wegstrecke von 2,5 Stunden die für sie zuständige Dienststelle des Jobcenters erreichen können (bisher „insgesamt 2,5 Stunden für den Hin- und Rückweg“ (Fachliche Weisungen 7, Rn.133),
  • Festlegungen zur Möglichkeit, eingehende Mitteilungen werktäglich zur Kenntnis nehmen zu können (Bisher war werktägliche und persönliche postalische Erreichbarkeit gefordert, nunmehr reicht die „werktägliche Möglichkeit der Kenntnisnahme“ von Jobcentermitteilungen. Das bedeutet: die postalische Erreichbarkeit ist erfüllt, wenn Jobcenterpost von Dritten an die Leistungsbeziehenden weitergeleitet wird. Das ist vor allem bei wohnungslosen Menschen wichtig),
  • Ergänzung eines weiteren wichtigen Grundes im Sinne von § 7b Absatz 2 Satz 2 SGB II für Abwesenheiten außerhalb des näheren Bereichs („um Angehörige… bei der Geburt eines Kindes oder bei Pflege zu unterstützen, oder im Todesfall eines Angehörigen“),
  • Ausnahme vom Erfordernis der Zustimmung bei Abwesenheiten auf Grund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Das betrifft Leistungsberechtigte, die Bürgergeld ergänzend zu einem Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit im Umfang einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, also oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze beziehen und deren gesetzlicher Urlaubsanspruch drei Wochen übersteigt. Sie dürfen den näheren Bereich ohne wichtigen Grund, für die Dauer ihres arbeitsvertraglichen Urlaubsanspruchs verlassen, auch wenn dieser einen längeren Zeitraum als drei Wochen umfasst.
  • Regelungen zum Zustimmungserfordernis und zur Dauer der Abwesenheit bei Vorliegen und Nichtvorliegen eines wichtigen Grundes,

Zustimmungserfordernis

Bei der letzten Regelung (Zustimmungserfordernis), kritisiert der Verein tacheles e.V. dass hier  ein Anspruch auf Zustimmungserteilung fehle. SGB II – Leistungsbeziehende seien von der Willkür der Integrationsfachkräfte abhängig. In der Realität werde vielmals gesagt: „eine Entscheidung könnte allenfalls 5 Tage vorher getroffen werden“. Der fehlende Anspruch auf eine zeitnahe Entscheidung und damit die Möglichkeit langfristig Urlaub zu planen und kostengünstig zu buchen entfalle dadurch.

Leistungsberechtigte seien damit möglicher und nicht nötiger Willkür und faktischen Sanktionen ausgesetzt. Denn bei Ortsabwesenheit ohne Zustimmung entfalle für diesen Zeitraum komplett der Leistungsanspruch, dh. keine Regelleistung, keine Miete, keine Krankenkasse. 

Quelle: BMAS, tacheles e.V., Arbeitsagentur, FOKUS-Sozialrecht, SOLEX, Thomas Knoche: Grundlagen – SGB II: Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Walhalla Fachverlag; 3., aktualisierte Edition (28. Februar 2023)

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Bürgergeld ab 1. Juli 2023

Einige Regelungen des Bürgergeldgesetzes treten erst jetzt zum 1. Juli in Kraft. Hier ein Überblick:

Freibeträge für Erwerbstätige

Die Freibeträge für Erwerbstätige werden verbessert. Bei einer Beschäftigung mit einem Einkommen zwischen 520 und 1000 Euro dürfen 30 Prozent (statt bisher 20 Prozent) davon behalten werden. Das bedeutet bis zu 48 Euro mehr im Geldbeutel als bisher.

Einkommen aus Schüler- und Studentenjobs

unge Menschen dürfen das Einkommen aus Schüler- und Studentenjobs und aus einer beruflichen Ausbildung genauso wie Bundesfreiwilligen- und FSJ – dienstleistende bis zur Minijob-Grenze (derzeit 520 Euro) behalten. Das gilt auch in einer dreimonatigen Übergangszeit zwischen Schule und Ausbildung. Einkommen aus Schülerjobs in den Ferien bleibt gänzlich unberücksichtigt. Ehrenamtliche können jährlich bis zu 3.000 Euro der Aufwandsentschädigung behalten.

Kooperationsplan

Der Kooperationsplan ersetzt die formale Eingliederungsvereinbarung. Der Kooperationsplan ist der „rote Faden“ für die Arbeitssuche und wird in verständlicher Sprache gemeinschaftlich von Jobcenter-Beschäftigten und Bürgergeld-Beziehenden erarbeitet. Er enthält keine Rechtsfolgenbelehrung. Er wird schrittweise bis Ende 2023 die Eingliederungsvereinbarung ablösen.

Schlichtungsverfahren

Wenn bei der Erarbeitung des Kooperationsplans Meinungsverschiedenheiten auftreten, kann das neue Schlichtungsverfahren weiterhelfen.

Coaching

Bürgergeld-Beziehende können die ganzheitliche Betreuung/Coaching als neues Angebot in Anspruch nehmen. Das Coaching kann auch aufsuchend, ausbildungs- oder beschäftigungsbegleitend erfolgen.

Weiterbildung

  • Wer eine Weiterbildung mit Abschluss in Angriff nimmt, bekommt für erfolgreiche Zwischen – und Abschlussprüfungen eine Weiterbildungsprämie. Zusätzlich gibt es ein monatliches Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro.
  • Für andere Maßnahmen, die für eine nachhaltige Integration besonders wichtig sind, gibt es einen monatlichen Bürgergeldbonus von 75 Euro.
  • Es besteht die Möglichkeit, mehr Zeit zum Lernen zu bekommen. Das Nachholen eines Berufsabschlusses kann bei Bedarf auch unverkürzt gefördert werden.
  • Im SGB III wird der Arbeitslosenversicherungsschutz für Personen, die während einer Weiterbildung Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung erhalten, durch eine längere Mindestrestanspruchsdauer nach Ende der Weiterbildung verbessert.
  • Wer Grundkompetenzen benötigt, zum Beispiel bessere Lese-, Mathe- oder IT-Kenntnisse, kann diese leichter nachholen.

Außerdem:

  • Die Anforderungen an die Erreichbarkeit von Leistungsbeziehenden wird an die Möglichkeiten moderner Kommunikation angepasst.
  • Mutterschaftsgeld wird nicht mehr als Einkommen angerechnet.
  • Erbschaften zählen nicht als Einkommen, sondern als Vermögen.
  • Bei einer medizinischen Reha muss kein Übergangsgeld mehr beantragt werden, das Bürgergeld wird weitergezahlt.

Quellen: BMAS, FOKUS-Sozialrecht, SOLEX, Thomas Knoche: Grundlagen – SGB II: Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Walhalla Fachverlag; 3., aktualisierte Edition (28. Februar 2023)

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SGB XII- und SGB XIV-Anpassungsgesetz

Im Rahmen des Bürgergeldgesetzes vom 16. Dezember 2022 wurden nicht alle Änderungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) bei der Berücksichtigung von Einkommen auf das SGB XII übertragen. Einige der unterbliebenen Angleichungen sollen mit diesem Gesetz nachgeholt werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet begrenzte Änderungen in den Sozialgesetzbüchern II, XII, IX, XIV, dem Bundesversorgungsgesetz, dem sozialen Entschädigungsrecht sowie dem Soldatenversorgungsrecht. Der Gesetzentwurf strebt allerdings keine weitreichenden inhaltlichen Änderungen an.

Geringfügige Einkünfte von unter 25jährigen

Um die Regelungen im § 82 SGB XII (Einkommensbegriff) mit dem SGB II gleichzustellen, wird in Abs.1 Nr.7 der bisher geltende Betrag in Höhe von 520 Euro durch eine dynamische Verweisung auf § 8 Absatz 1a SGB IV (Gerindfügigkeitsgrenze) ersetzt. Dies stellt sicher, dass künftige Anhebungen der Geringfügigkeitsgrenze auch bei den anrechnungsfreien Beträgen nachvollzogen werden.

Zudem wird klargestellt, dass sich der Betrag nur auf Einnahmen aus Erwerbstätigkeit bezieht. Die Regelung wird zudem auf Personen beschränkt, die das 15., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben.

Zusätzlich geregelt wird festgelegt, dass Einnahmen aus Erwerbstätigkeit dann kein Einkommen sind, wenn diese auch nach dem Besuch allgemeinbildender Schulen bis zum Ablauf des dritten auf das Ende der Schulausbildung folgenden Monats erworben worden sind.

Ebenso werden Personen unter 25 Jahren, die einen Freiwilligendienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder dem Jugendfreiwilligendienstegesetz absolvieren, unter die Regelung gefasst. Zudem soll klargestellt werden, dass das gezahlte Taschengeld für Freiwilligendienste nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz beziehungsweise Jugendfreiwilligendienstegesetz als Einkommen aus Erwerbstätigkeit gilt. Damit soll sichergestellt werden, dass das
Taschengeld in Höhe des Betrages nach § 8 Absatz 1a des SGB IV zum Einkommen gehört.

Einmalige Einnahmen

Änderung von § 82 Absatz 7. Einnahmen werden zukünftig wie beim Bürgergeld im Zuflussmonat berücksichtigt. Bedarfsübersteigende Beträge werden dem Vermögen zugeschlagen. Die bislang für einmalige Zahlungen geltende Aufteilung auf sechs Monate erfolgt mit der Neuregelung nur noch in Fällen einer Nachzahlung.

Weitergehender Reformbedarf

Der Paritätische Gesamtverband weist auf weitergehenden Reformbedarf im SGB XII hin. Dieser Reformbedarf ergibt sich vor allem aus grundlegenden Defiziten der Grundsicherung in Bezug auf die angemessene Bedarfsdeckung und aus den weiterhin bestehenden zentralen Unterschieden zwischen den Regelungen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) gegenüber der Sozialhilfe (SGB XII). Die vielfach gegebene Schlechterstellung der Bedingungen im SGB XII – d.h. vor allem ältere und erwerbsgeminderte hilfebedüftige Menschen sind betroffen – gegenüber dem SGB II lässt sich mit dem zentralen Unterscheidungsmerkmal „erwerbsfähig / nicht-erwerbsfähig“ nicht rechtfertigen. Die Schlechterstellung im SGB XII wird daher vielfach von den Betroffenen als diskriminierend empfunden. Der Paritätische fordert die Bundesregierung daher zu einer grundlegenden Reform des SGB XII auf. 

Unterschiede SGB II / SGB XII

In einer Vielzahl von Regelungen gibt es Nachteile der SGB XII – Leistungsberechtigten gegenüber den Leistungsberechtigten nach dem SGB II.

SGB IISGB XII
Schonvermögen15.000 EUR10.000 EUR
Angemessenes Kfz15.000 EUR10.000 EUR
Geschontes selbstgenutztes Eigentum
für ein und zwei Personen:
SGB II: 130/140 m²80/90 m²
Freibetrag aus Erwerbseinkommen bei
100 EUR
100 EUR33,64 EUR
Einkünfte in Geldeswertanrechnungsfreianzurechnen
Zeitraum zur Antragsstellung einer
Heizkostennachzahlung und
Bevorratungskosten für
Nichtleistungsbeziehende
drei Monateein Monat

Ausführlich beschrieben werden die Unterschiede in einer Stellungnahme des Vereins Tacheles e.V. Gleichzeitig werden die geplanten Änderungen des Gestzentwurfs kommentiert und gesetzestaugliche Vorschläge zur Verbesserung des SGB XII gemacht.

Quellen: Tacheles e.V., Paritätischer Gesamtverband, Bundesregierung

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