Verbesserungen durch das Teilhabestärkungsgesetz?

Morgen, also am 22.4.2021, wird das Teilhabestärkungsgesetz abschließend im Bundestag beraten. Über den Inhalt und die Ziele des Gesetzes berichteten wir im Januar. In der vergangenen Woche gab es dazu die Anhörungen von Experten und Fachverbänden.

Dabei wurde deutlich, dass die im Gesetz vorgesehenen Änderungen im Wesentlichen unterstützt werden. Kritisiert wurde aber, dass einige Schlechterstellungen von Menschen mit Behinderungen bestehen bleiben und die Chance verpasst wurde, die Gleichstellung voranzubringen.

Umsetzung der UN-BRK

Begrüßt auch im Sinne der Umsetzung UN-Behindertenrechtskonvention werden folgende Vorhaben:

  1. Die Aufnahme des Themas Schutz vor Gewalt für behinderte Mädchen und Frauen. Finanzierung und konkrete Strategien müssen noch geklärt werden.
  2. Die Aufnahme Digitaler Gesundheitsanwendungen in den Leistungskatalog.
  3. Die Ausweitung des Budgets für Ausbildung.
  4. Die Abkehr von der bisherigen diskriminierenden Sprachregelung bei der neuen Regelung der Leistungsberechtigung.
  5. Die Änderung des BGG im Hinblick auf die Verpflichtung auch der Privatwirtschaft, Assistenzhunde zu akzeptieren.

Was fehlt?

Wunsch und Wahlrecht

Mit dem BTHG wurden Leistungen der Assistenz für diejenigen, deren Kostenträger die Eingliederungshilfe ist, unter eine Prüfung der „Angemessenheit“ und damit unter Kostenvorbehalt gestellt (§ 104 Abs. 2 SGB IX). Diese Abschwächung des allgemein geltenden Wunsch- und Wahlrechts (§ 8 SGB IX) muss beendet werden. Die freie Wahl der Wohnform ist grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

„Zwangs-Poolen“

Leistungen, die gemeinsam an mehrere Leistungsberechtigte erbracht werden, bezeichnet man auch als Poolen von Leistungen. Das Poolen kann auf Wunsch des Leistungsnehmers geschehen, aber auch gegen seinen Willen, wenn das Poolen für ihn zumutbar ist. Das „Zwangs-Poolen“ ist allerdings rechtlich umstritten. Der Gesetzgeber argumentiert mit der Wirtschaftlichkeit, die Gegner sehen darin Unvereinbarkeiten mit der Behindertenrechtskonvention und dem Grundgesetz. Die gemeinsame Leistungserbringung darf möglich und in Einzelfällen sogar gewollt sein, aber nur, sofern dies dem Wunsch der Betroffenen entspricht. Die gemeinsame Leistungserbringung muss daher – zumindest für den Bereich der Persönlichen Assistenz – unter dem Zustimmungsvorbehalt der Leistungsberechtigten stehen.

Ehrenamt

Die Ausübung eines Ehrenamtes wird durch § 78 Abs. 5 SGB IX unzulässig eingeschränkt. Danach solle die notwendige Unterstützung für die Ausübung eines Ehrenamtes „vorrangig im Rahmen familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher oder ähnlich persönlicher Beziehungen erbracht werden“. Schon die Grünen forderten im November 2018 eine Abschaffung des Absatzes 5. In der Stellungnahme der Selbsthilfe-Initiative Ability Watch wird zumindest die Streichung der Einschränkung „soweit die Unterstützung nicht zumutbar unentgeltlich erbracht werden kann“ gefordert.

Anrechnung von Einkommen und Vermögen

Die UN-BRK fordert die gleichberechtigte Partizipation von Menschen mit Behinderung und damit die Möglichkeit, den gleichen Lebensstandard zu erreichen wie Menschen ohne Behinderung. Behinderungsbedingte Unterstützungsleistungen müssen entsprechend gestaltet sein. Damit verbietet sich auch jede Anrechnung von Einkommen und Vermögen für den Erhalt von Teilhabeleistungen, da diese zu einer Verringerung des Lebensstandards im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung führt. Nancy Poser von Ability Watch dazu: „Dass der Gesetzgeber gleichwohl auch im Entwurf des Teilhabestärkungsgesetzes erneut die Abschaffung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen nicht angeht, scheint einzig in der überkommenden Vorstellung begründet, dass Teilhabeleistungen kein Nachteilsausgleich sondern Teil einer Sozialhilfe seien, für deren Empfang man arm zu sein hat.“

Assistenz im Krankenhaus

In der Anhörung forderte unter anderem der VDK nachdrücklich, die Finanzierung des Assistenzbedarfs im Krankenhaus endlich zu regeln. VdK-Präsidentin Verena Bentele dazu: „Aus unseren Beratungen wissen wir, dass Menschen mit Demenz im Krankenhaus ohne Begleitung nur schwer zurechtkommen. Wenn sie keine vertraute Person bei sich haben, können sie den Ärzten oft nicht folgen. Sie wissen dann nicht, welche Medikamente sie einnehmen sollen und warum eine Behandlung durchgeführt wird. Für Menschen mit Behinderungen oder für alte Menschen mit Demenz ist eine Begleitung im Krankenhaus der Schlüssel, um gesund zu werden. Dafür braucht es endlich eine gesetzliche Regelung. Die Betroffenen dürfen nicht länger von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen werden, weil niemand die Kosten für ihre Assistenz übernehmen will. Eingliederungshilfe und Krankenkassen schieben sich seit Jahren die Verantwortung zu. Die Leidtragenden sind vor allem Menschen mit Demenz oder mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen.“

Schon im Mai 2020 forderten die Fachverbände für Menschen mit Behinderung vom Bundesgesetzgeber, die soziale Assistenz für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung im Krankenhaus sowie in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen als Leistung der Eingliederungshilfe durch eine geeignete Regelung im SGB IX sicherzustellen. Die Fachverbände schlagen vor, die Liste der Leistungen zur sozialen Teilhabe in § 113 Abs. 2 Ziffern 1-9 SGB IX um eine Ziffer 10 „Assistenz im Krankenhaus sowie in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen“ zu ergänzen.

Ausgerechnet die AfD hat in einem Zusatzantrag zum Gesetzentwurf diesen Punkt aufgegriffen und fordert wortgleich eben diese Gesetzesänderung. Falls es tatsächlich zu der Ergänzung im Gesetz kommen sollte, wird es der AfD aber nicht gelingen, dies als „ihren Erfolg“ darzustellen.

Schwammige Rechtsbegriffe

Mit dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung zahlreiche Änderungen im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) umsetzen, die den Alltag von Menschen mit Behinderungen erleichtern sollen. So soll beispielsweise geregelt werden, dass Menschen mit Behinderung der Zutritt nicht wegen einer Begleitung durch einen Assistenz- oder Blindenführhund verweigert werden darf.

Viele Organisationen und Vereine kritisieren dabei jedoch schwammige Rechtsbegriffe und befürchten, dass Menschen mit Behinderung auch weiterhin selber beweisen müssten, dass sie beim Besuch von Geschäften oder Einrichtungen auf die Begleitung ihres Assistenzhundes angewiesen sind. Befürchtet wird zudem, dass sich Nachteile für Menschen in Begleitung von Blindenführhunden ergeben werden, sofern Blindenführhunde, wie vorgesehen, keine Assistenzhunde nach dem BGG sein sollen. Mit der Unterscheidung zwischen Assistenz- und Blindenführhunden würde der Sonderstatus des Blindenführhundes zementiert, was dazu führen könnte, dass Assistenzhunde „nachhaltig von der Finanzierung durch Sozialleistungsträger ausgeschlossen bleiben“, schreibt etwa der Verein Associata-Assistenzhunde in seiner Stellungnahme für den Gesetzentwurf. Auch die Allianz für Assistenzhunde fragt in ihrer Stellungnahme: „Warum müssen Halter*innen von Nicht-Blindenführhunden mit hohen Kosten kämpfen, während Blindenführhund-Teams gefördert werden?“

Bundesrat

Sollte das Teilhabestärkungsgesetz im Bundestag verabschiedet werden, muss es noch im Bundesrat bestätigt werden. Auf der Tagesordnung der nächsten Bundesratssitzung ist es aber noch nicht aufgeführt. Es kann also noch Juni werden, bis das Gesetz endgültig verabschiedet wird. Geplant ist das Inkrafttreten zum 1.1.2022, teilweise aber schon direkt nach Verkündung des Gesetzes (Gewaltschutz, Digitale Gesundheitsanwendungen, Ausweitung des Budgets für Ausbildung).

Quellen: Bundestag, Bundesrat, ability watch, VDK, Neues Deutschland, FOKUS-Sozialrecht – Artikelserie zum BTHG

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Corona-Teilhabe-Fonds verlängert

Zum 1. Januar 2021 hatte der Bundestag (Beschluss vom 2.7.2020) den Corona-Teilhabe-Fonds aufgelegt, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erließ eine Förderrichtlinie und traf Verwaltungsvereinbarungen mit den Bundesländern. Die Leistungen werden von den Integrationsämtern in den Ländern erbracht. Sie gleichen rückwirkend für die Zeit ab dem 1. September 2020 entgangene Einnahmen aus. Die jetzige Verlängerung der Antragsfrist erfolgt mittels einer Richtlinie zur Änderung der bisherigen Förder-Richtlinie. Diese wurde am 08. April 2021 im Bundesanzeiger veröffentlicht.

Einrichtungen der Behindertenhilfe, Sozialkaufhäuser und gemeinnützige Sozialunternehmen können zur Zeit Leistungen zum Ausgleich der Pandemiefolgen erhalten. Dazu gehören auch rund 900 Inklusionsbetriebe, die unter Schließungen und Umsatzausfällen leiden und in denen Menschen mit Schwerbehinderung arbeiten. Die Frist zur Beantragung von Leistungen wird aufgrund der andauernden pandemischen Lage nun bis zum 31. Mai 2021 verlängert.

Eckpunkte der Fördermöglichkeit sind:

  • Zuschüsse aus dem Corona-Teilhabe-Fonds bestehen aus einer Liquiditätsbeihilfe in Höhe von 90 Prozent der betrieblichen Fixkosten, die nicht durch die Einnahmen gedeckt sind.
  • Die Beihilfe ist nicht von der Anzahl der Beschäftigten oder der Betriebsgröße abhängig und kann im Einzelfall bis zu 800.000 Euro betragen.
  • Erstattungsfähig sind auch Personalaufwendungen, die nicht durch Kurzarbeitergeld oder anderweitig gedeckt sind.
  • Antragsformulare stehen auf der Webseite der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter zur Verfügung.
  • Die Auszahlung der Liquiditätsbeihilfe erfolgt unverzüglich nach der Bewilligung.
  • Bis zum 31. August 2021 hat der Antragsteller in einer Schlussabrechnung die tatsächlichen Einnahmen, Kosten und gegebenenfalls andere Unterstützungsleistungen nachzuweisen. Ergibt sich dabei, dass der Liquiditätsengpass geringer ist als anfangs angenommen, sind zu viel gezahlte Leistungen zurückzuzahlen.

Umfassende Informationen veröffentlichen die Integrationsämter unter diesem Link.

Quelle: BMAS

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Länger Kinderkrankengeld

Zuletzt im Januar wurde der Anspruch auf Kinderkrankengeld auf 20 Tage im Jahr 2021 verlängert.

Nun hat das Bundeskabinett beschlossen, dass dieser Anspruch für das Jahr 2021 von 20 Tagen pro Elternteil und Kind auf 30 Tage und damit für Elternpaare pro Kind auf 60 Tage verlängert wird. Auch für Alleinerziehende verdoppelt sich der Anspruch pro Kind von 30 auf nun 60 Tage.

Ein Anspruch auf das erweiterte pandemiebedingte Kinderkrankengeld besteht nicht nur dann, wenn das eigene Kind krank ist, sondern auch, wenn die Kinderbetreuung zu Hause erforderlich ist. Das gilt unter anderem dann, wenn die Schule, die Kita, oder auch die Einrichtung für Menschen mit Behinderungen pandemiebedingt geschlossen ist, die Präsenzbetreuung untersagt ist oder einzelne Klassen oder Kitagruppen in Quarantäne sind.

Anspruchsberechtigt sind gesetzlich versicherte berufstätige Eltern, die selbst Anspruch auf Krankengeld haben und deren Kind unter zwölf Jahre alt ist. Bei Kindern, die eine Behinderung haben, besteht der Anspruch auch über das zwölfte Lebensjahr hinaus. Voraussetzung ist auch, dass es im Haushalt keine andere Person gibt, die das Kind betreuen kann. Privatversicherte und beihilfeberechtigte Eltern können einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1a Infektionsschutzgesetz (IfSG) geltend machen.

Die 30 oder auch 60 Tage können sowohl für die Betreuung eines kranken Kindes verwendet werden als auch für die Betreuung, weil die Schule oder Kita geschlossen, die Präsenzpflicht aufgehoben oder der Zugang eingeschränkt ist.

Ist das Kind krank, muss der Betreuungsbedarf gegenüber der Krankenkasse mit einer Bescheinigung vom Arzt nachwiesen werden. Dafür wird die „Ärztliche Bescheinigung für den Bezug von Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes“ ausgefüllt. Muss ein Kind aufgrund einer Schul- oder Kitaschließung zu Hause betreut werden, genügt eine Bescheinigung der jeweiligen Einrichtung.

Auch wenn nur die Präsenzpflicht in der Schule aufgehoben, der Zugang zur Kita eingeschränkt wurde oder nur die Klasse oder Gruppe nicht in die Schule oder Kita gehen kann, haben Eltern Anspruch.

Ein Anspruch besteht unabhängig davon, ob die Arbeitsleistung nicht auch grundsätzlich im Homeoffice erbracht werden kann.

Wie bisher beträgt das Kinderkrankengeld bis zu 90 Prozent des entfallenen Nettoarbeitslohns.

Eltern beantragen das Kinderkrankengeld bei ihren Krankenkassen und weisen auf geeignete Weise nach, dass die Einrichtung geschlossen ist oder nicht besucht wird. Die Krankenkasse kann die Vorlage einer Bescheinigung der Einrichtung oder der Schule verlangen.

Quelle: Bundeskabinett

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Bundesnotbremse

Die Zahl der Infizierten steigt, die Krankenhäuser und Intensivstationen kommen an ihre Grenze. Genau so, wie es die Wissenschaftler schon seit Januar vorhergesagt haben. Bundesregierung, Länderchefs und Parteispitzen sind davon völlig überrascht und reagieren mit Schockstarre. Wenigstens sollen bundeseinheitliche Regeln her. Das Kabinett hat dazu am 13.4. einen Gesetzentwurf verabschiedet. Gleichzeitig wurde bekannt, dass das Gesetz nicht im beschleunigten Verfahren verabschiedet wird, man will ja nichts überstürzen.

Änderungen zum ersten Entwurf

Unterschiede zum vorab bekannt gewordenen Entwurf gibt es einige:

  • zu den Geschäften, die auch bei einer Inzidenz über 100 öffnen dürfen gehören nun auch Buchhändler und Getränkemärkte,
  • Präsenzunterricht bleibt bei Inzidenz zwischen 100 und 200 nur mit 2 Tests pro Woche zulässig. Bei einer Inzidenz über 200 aber nicht. Ausgenommen davon sind jetzt Abschlussklassen und Förderschulen,
  • im öffentlichen Nahverkehr ist eine maximale Belegung von 50 % nur noch „anzustreben“, nicht, wie es im Entwurf noch hieß, „sicherzustellen“, 
  • die Regelung, dass private Treffen nur mit einer weiteren Person „je Tag“ stattfinden dürfen, ist gestrichen,
  • im Privaten dürfen sich bei einer Inzidenz über 100 ein Haushalt plus eine Person (und deren Kinder unter 14) treffen, die ursprünglich vorgesehene Obergrenze von 5 Personen wurde gestrichen.

Eine Verschärfung

Verschärft wurde das Außerkraftreten der „Notbremse“. Das soll erst geschehen, wenn die Inzidenz an 5 aufeinanderfolgenden Tagen unter 100 bleibt (vorher 3 Tage). Es bleibt dabei, dass die Bundesnotbremse in Kraft tritt, wenn die Inzidenz in einem Kreis an 3 aufeinanderfolgenden Tage über 100 liegt.

Vorgesehen ist eine erste Beratung im Bundestag am 16.4., abschließend in der kommenden Woche. Danach muss das Gesetz noch den Bundesrat passieren.

Umstrittene Ausgangssperren

Besonders umstritten sind die geplanten Ausgangssperren. Es sollen zwischen 21 Uhr und 5 Uhr des Folgetages Ausgangsbeschränkungen gelten. Aufenthalte außerhalb des Wohnraums sollen allerdings gestattet bleiben, wenn diese zur Berufsausübung, zur Abwendung einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum, zur Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts, zur unaufschiebbaren Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen oder Minderjähriger, der Begleitung Sterbender oder der Versorgung von Tieren dienen.

Befürchtet wir eine Flut von Klagen gegen diese Regelung, einige lokale Ausgangssperren wurden schon von Gerichten gekippt.

Die Wirksamkeit von Ausgangssperren ist umstritten. Selbst, wenn sie zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beitrügen, ist es schwer vermittelbar, dass die Menschen tagsüber in Großraumbüros, Schulen und Schulbussen Kontakte zu vielen anderen Menschen haben sollen, aber ein abendlicher Spaziergang verboten sein soll.

Nicht kontrollierbar

Grundsätzlich ist der Inzidenzgrenzwert viel zu hoch, gerade auch wegen der B117-Mutation. Damit lässt sich die Pandemie, wie die Wissenschaftler ständig predigen, nicht mehr kontrollieren. Zur Erinnerung: Vor einem Jahr, als Deutschland die wegen des Umgangs mit der Pandemie noch von vielen Seiten gelobt wurde, ging das Land bei einem Inzidenzwert von knapp 30 in den Lockdown. Das bescherte uns einen relativ entspannten Sommer. Der wurde leider verschlafen und nicht genutzt, um Vorbereitungen für den Herbst und Winter zu treffen. Hätte es nicht die rasante Impfstoffentwicklung gegeben, sähe es jetzt völlig hoffnungslos aus.

Quelle: Bundeskabinett

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Coronaregeln – bundeseinheitlich?

Union und SPD haben offenbar ihre Pläne für bundesweit einheitliche Corona-Regeln konkretisiert. Es liegt ein Entwurf einer „Formulierungshilfe“ für einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Demnach sei künftig eine verbindliche „Notbremse“ in Gebieten vorgesehen, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner den Wert von 100 an drei Tagen nacheinander überschreitet. Dann müssten dort zwischen 21 Uhr abends und 5 Uhr früh Ausgangsbeschränkungen verhängt werden. Zudem sei geplant, dass in solchen Gebieten alle nicht-lebensnotwendigen Geschäfte schließen müssten, ebenso die Außengastronomie. In Schulen und Kitas solle es laut der Nachrichtenagentur dpa ab einem Inzidenzwert von 200 nur noch eine Notbetreuung geben. Wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in dem betreffenden Gebiet drei Tage lang wieder unter dem entsprechenden Schwellenwert liege, könnten die zusätzlichen Maßnahmen beendet werden. Bislang ist die Pandemiebekämpfung rechtlich vor allem Sache der Bundesländer, die sich nicht immer an die bereits auf einer Ministerpräsidentenkonferenz vereinbarte „Notbremse“ halten.

Ende April? Bis dahin könnte das Virus ja mal Pause machen!

Inhaltlich ändert sich also kaum etwas. Der Unterschied zu vorher ist, dass sich alle an die Regeln halten müssen. Das hatte man allerdings von den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz eigentlich auch erwartet. Das Gesetz muss jetzt noch durch den Bundestag und den Bundesrat, bevor es vielleicht Ende April dann in Kraft tritt. Dummerweise hält sich das Virus nicht an die parlamentarischen Gepflogenheiten.

Einge Bundesländer bangen um ihre Modellprojekte. Es ist daher noch gar nicht sicher, ob das Gesetz so oder überhaupt in Kraft treten wird.

Kinder sind nicht so wichtig

Mittlerweile sollte jedem klar sein, dass die weitere Ausbreitung des Virus mit den alten und neuen Maßnahmen nicht verhindert werden kann. Die Intensivstationen werden überlastet, viele Menschen werden steben, viele werden noch lange an den Folgen der Krankheit leiden. Es werden zunehmend Jüngere und auch Kinder sein, die einen schweren Verlauf haben und langfristig mit den Folgen zu kämpfen haben. Trotzdem bleibt es dabei, dass für Schulen der Inzidenz-Schwellenwert bei 200 liegen soll. Es soll ja getestet werden. Ob überhaupt genügend Tests in den Schulen angekommen sind und ob die Tests auch tatsächlich vernünftig durchgeführt werden, scheint zweitrangig zu sein. So ist immer noch nicht geklärt, ob die Tests in der Schule unter Aufsicht durchgeführt werden sollen, also dann, wenn es eigentlich schon zu spät ist, eine Ansteckung zu verhindern, oder zu Hause und freiwillig, aber ohne Kontrolle, ob die Tests tatsächlich gemacht wurden.

Vermutlich ist man Anfang Mai wieder überrascht, wie hoch die Zahl der Kranken und Toten ist. Das hätte ja keiner wissen können….

Quelle: Bundesregierung

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Unfallversicherung – Weg zur Arbeit

Unstrittig ist, dass der Weg zur Arbeit unter dem Schutz der Unfallversicherung steht, sogar dann, wenn man wegen einer Fahrgemeinschaft Umwege fährt oder um die Kinder vorher in den Kindergarten zu bringen.

Arbeitsweg muss nicht von der Familienwohnung ausgehen

Was aber gilt, wenn man vorübergehend nicht in der Familienwohnung wohnt, sondern bei Verwandten oder Freunde? Gerade in diesen Pandemiezeiten gibt es dafür mitunter triftige Gründe, besipielsweise bei einer Quarantäne oder wenn man sich wegen der Erkrankung eines Familienmitglieds eine Zeitlang woanders aufhält.

Urteil des Bundessozialgerichts

Bislang war die Rechtsprechung zu dieser Frage teilweise uneinheitlich. Nun hat das Bundessozialgericht am 30.1.2021 in zwei Urteilen entschieden, dass für die Bewertung des Schutzes in der Gesetzlichen Unfallversicherung im Fall der Wegeunfälle von einem sog. dritten Ort keine einschränkenden Kriterien mehr gelten (Az.: B 2 U 2/18 R, B 2 U 20/18 R).

Dritter Ort

Ein dritter Ort liegt dann vor, wenn der Arbeitsweg nicht von der Wohnung aus angetreten wird, sondern von einem anderen Ort, oder wenn der Arbeitsweg nicht an der Wohnung, sondern an einem anderen Ort endet. Erfasst sind z. B. die Wohnung von Freunden, Partnern oder Verwandten. Das BSG hat in seinen Urteilen ausdrücklich klargestellt, dass es für den Versicherungsschutz insbesondere weder auf den Zweck des Aufenthaltes an dem dritten Ort noch auf einen Angemessenheitsvergleich mit der üblichen Weglänge und Fahrzeit des Arbeitsweges ankommt. Denn diese Kriterien sind im dafür maßgeblichen Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) nicht genannt und würden ansonsten zu ungerechten Ergebnissen führen.

Egal ob 5 km oder 200 km

So ist es z. B. unerheblich, wenn an Stelle des üblichen Arbeitsweges von 5 km eine Strecke von 200 km zurückgelegt wird. Es ist auch nicht hinderlich, wenn der Aufenthalt am dritten Ort rein privaten Zwecken dient. Entscheidend ist, ob der Weg unmittelbar zum Zweck der Aufnahme der beruflichen Tätigkeit bzw. unmittelbar nach deren Beendigung zurückgelegt wird.

Vergleiche

Die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung haben in Umsetzung dieser Urteile unter anderem in anhängigen Gerichtsverfahren Vergleiche zugunsten der Betroffenen geschlossen.

Quelle: Pressemitteilung des Bayerischen Sozialgerichts

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Aufnahme von Flüchtlingen

Seit April 2020 hat die deutsche Bundesregierung mehr als 2.500 Schutzsuchende mit Charterflügen von Griechenland nach Deutschland gebracht. Das Programm läuft nun aus.

Gemeinsam mit 10 weiteren Organisationen – darunter Amnesty International, Deutscher Caritasverband, Diakonie, pro asyl, save the children, world vision – appelliert der Paritätische Wohlfahrtsverband an die Bundesregierung, die Aufnahme von Flüchtlingen von den griechischen Inseln fortzusetzen.

Kein warmes Wasser, keine sanitäre Versorgung, dazu die ständige Angst vor Gewalt, Übergriffen und einer möglichen Ansteckung mit dem Corona-Virus. Von einem Leben in Würde und Sicherheit sind viele Geflüchtete, die derzeit in Griechenland in überfüllten Lagern ausharren müssen, weit entfernt. Vor allem Kinder leiden unter den katastrophalen Zuständen in den Lagern auf den Inseln Lesbos oder Samos. 

Die Behörden in Griechenland sind mit der Situation überfordert, das Asylsystem ist heillos überlastet. So gab es im Januar 2021 laut UNO-Flüchtlingshilfe noch fast 90.000 unbearbeitete Asylfälle, deren Bearbeitung oft mehrere Jahre dauert. 

Mit dem letzten Charterflug am 31. März 2021 endete das Aufnahmeprogramm. Bisher gibt es allerdings keine Anzeichen der deutschen Bundesregierung, es fortzuführen. Die Situation vieler weiterer Schutzsuchender in Griechenland hat sich kaum verändert.

Die gemeinsamen Forderungen der Organisationen lauten:

Deutschland sollte die bestehenden Aufnahmeprozesse fortsetzen: Die deutsche Bundesregierung hat bereits verschiedene Verfahren auf Bundesebene geschaffen, um schutzbedürftige Menschen aus den griechischen Inseln aufzunehmen. Anstatt die Umsiedlung weiterer Menschen mit hohem Schutzbedarf nun zu beenden, sollten die Aufnahmeprozesse fortgesetzt werden. Dies wäre ein weiteres Zeichen der Menschlichkeit und europäischen Solidarität. Mehrere Bundesländer haben zudem zugesagt, Schutzsuchende aus den griechischen Lagern aufzunehmen.

Die enorme Aufnahmebereitschaft in Deutschland sollte gehört werden: Der Weihnachtsappell, der von mehr als 240 Bundestagsabgeordneten unterzeichnet wurde und in dem die Abgeordneten weitere Aufnahmen fordern, das ständig wachsende „Bündnis Städte Sicherer Häfen“, sowie die konkreten Aufnahmezusagen von Bundesländern sind eindrucksvolle Beispiele für das große zivilgesellschaftliche Engagement. Die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger, der Vereine, Städte und Kirchen, Bewegungen, die sich seit Jahren für weitere Aufnahmen einsetzen, müssen gehört und ihrer Aufnahmebereitschaft Rechnung getragen werden.

Deutschland sollte vorangehen und sich weiterhin für eine langfristige europäische Lösung einsetzen: Neben Deutschland beteiligen sich derzeit viele weitere EU-Mitgliedstaaten an der Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen aus den griechischen Inseln. Diese Solidaritätsmaßnahmen müssen fortgesetzt und ausgebaut werden. Deutschland sollte auch weiterhin vorangehen und sich für geordnete, menschenwürdige Aufnahmeverfahren durch aufnahmebereite Mitgliedstaaten einsetzen. Langfristig braucht es einen europäischen Rechtsrahmen, der die Verteilung von Schutzsuchenden auf aufnahmebereite Länder regelt.

Die Situation vor Ort muss endlich verbessert werden: Das Leid auf den ägäischen Inseln muss ein Ende haben. Es ist nicht hinnehmbar, dass schutzsuchende Familien, Kranke und Kinder in der EU hinter Zäunen, in Zelten und im Schlamm leben müssen. Die beteiligten Akteure müssen aktiver werden und menschenwürdige Bedingungen in den Aufnahmelagern schaffen. Dies sollte insbesondere den Zugang zu gesundheitlichen und sozialen Diensten und zu Rechtsberatung einschließen. Mit großer Sorge sehen wir außerdem die Bestrebungen, geschlossene Zentren an der Grenze einzurichten. Diese verhindern faire Asylverfahren und verschlimmern die Situation der Perspektivlosigkeit.

Bisherige Aufnahmen

Seit April 2020 hat Deutschland über 2.500 Schutzsuchende aus Griechenland über verschiedene Verfahren aufgenommen:

Im Rahmen einer europäischen Hilfsaktion nahm Deutschland 53 unbegleitete Minderjährige und 243 kranke Kinder einschließlich ihrer Kernfamilien auf (Koalitionsbeschluss vom 8. März 2020).

Nach dem Brand auf Lesbos beteiligte sich Deutschland an einer europäischen Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen und hat 150 unbegleitete Minderjährige aufgenommen.

Neben den unbegleiteten Minderjährigen entschied Deutschland nach den Bränden im Lager Moria, zusätzlich 1.553 Personen von den griechischen Inseln aufzunehmen, deren Schutzberechtigung bereits von den zuständigen griechischen Behörden festgestellt wurde.

News from The Borders

Über die Situation in den Flüchtlingslagern berichtet immer wieder ausführlich und eindrucksvoll Erik Marquardt, Fotograf und Mitglied des Europaparlaments, in seinem Blog News from The Borders

Quellen: DPWV, Amnesty, Eric Marquardt

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Barrierefreiheit

Am 24. März hat das Bundeskabinett das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) beschlossen. Es regelt die Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen und beseitigt Barrieren beim Zugang zu Informationen und Kommunikation.

Umsetzung der EU-Richtlinie

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wird die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, kurz: EAA) umgesetzt. Der Gesetzentwurf hat zum Ziel, die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen in der Europäischen Union zu harmonisieren und somit die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Durch einheitliche EU-Anforderungen soll das BFSG auch kleinen und mittleren Unternehmen helfen, die Möglichkeiten des europäischen Binnenmarktes auszuschöpfen. 

4 Jahre Zeit

Die Regelungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes sind grundsätzlich ab dem 28. Juni 2025 anzuwenden. Für Selbstbedienungsterminals wurde eine Übergangsfrist von 15 Jahren festgelegt.

Produkte und Dienstleistungen

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gilt zum Beispiel für folgende Produkte:

  • Computer,
  • Tablets,
  • Geldautomaten,
  • Ticketautomaten,
  • Mobiltelefone,
  • Router,
  • Fernseher mit Internetzugang und
  • E-Book-Lesegeräte.

Daneben werden unter anderem für die folgenden Dienstleistungen Barrierefreiheitsanforderungen aufgestellt:

  • Internetzugangsdienste,
  • Telefondienste,
  • Messenger-Dienste,
  • Personenbeförderungsdienste,
  • Bankdienstleistungen,
  • E-Books und
  • der Online-Handel. 

Beratungsangebot

Für Kleinstunternehmen, die barrierefreie Dienstleistungen anbieten und erbringen, soll ein Beratungsangebot bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit geschaffen werden. 

Aufgabe der Bundesländer

Die Bundesländer üben die Marktüberwachung über die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen und damit über den Vollzug des Umsetzungsgesetzes als eigene Angelegenheit aus. 

Klagemöglichkeit und Schlichtung

Wenn bestimmte Produkte oder Dienstleistungen den Anforderungen zur Barrierefreiheit nicht entsprechen und Verbraucherinnen und Verbraucher daher die Produkte oder Dienstleistungen nicht oder nur eingeschränkt nutzen können, können sie von der zuständigen Landesbehörde der Marktüberwachung Maßnahmen zur Beseitigung des Verstoßes beantragen. Wird dies von der Behörde abgelehnt, steht den Antragstellenden der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen. Dazu können sich Verbraucherinnen und Verbraucher durch einen Verband vertreten lassen oder der Verband kann an Stelle des Verbrauchers im eigenen Namen handeln (gesetzliche Prozessstandschaft). Auch ein eigenes Verbandsklagerecht für Verbände und qualifizierte Einrichtungen ist vorgesehen. 

Außergerichtliche Einigungen können durch die Schlichtungsstelle Behindertengleichstellungsgesetz niederschwellig unterstützt werden.

Quelle: BMAS

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Sozialgericht Karlsruhe legt nach

Das Sozialgericht Karlsruhe hatte am 11.02.2021 entschieden, dass das Jobcenter einem Arbeitssuchenden zusätzlich zum Regelsatz entweder als Sachleistung wöchentlich 20 FFP2-Masken zuschicken oder als Geldleistung hierfür monatlich weitere 129,- € zahlen müsse.

In der Folge gab es gegenteilige Urteile vom

Arroganz der Gutprivilegierten

Die Begründungen ähneln sich. Masken seien billig, können wiederverwendet werden, es reichten ja auch OP-Masken (die Gesundheit von Hartz IV-Empfängern ist demnach nicht so wichtig), 10 Euro im Monat würden ausreichen, das könne bei Lebensmitteln oder durch weniger gesellschaftliche Teilhabe, die sei ja sowieso eingeschränkt, eingespart werden. Harald Thome von Tacheles e. V. schreibt dazu in seinem Newsletter treffend: „Mit der Arroganz der Gutprivilegierten werden die Anträge auf pandemische Zuschläge durch die Bank weggewischt.“

Das Sozialgericht Karlsruhe hat nun in einem weiteren Urteil klargemacht, dass der Corona-Zuschuss aus dem Sozialschutzpaket III zu gering und verfassungswidrig ist.

Leitsatz

Im Leitsatz des Urteils schreibt das Gericht, der mit dem Sozialschutzpaket III eingeführte § 70 SGB II sei unbeachtlich, da er gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verstoße. § 70 SGB II komme sowohl nach dem subjektiven Willen des Bundesgesetzgebers als auch nach Maßgabe einer objektiven Auswertung der durch das Coronavirus SARS-Cov-2 bedingten Veränderungen der Verbrauchsausgaben einkommensschwacher Haushalte eine existenzsichernde
Funktion zu.

  • Im Widerspruch zu den verfassungsgerichtlich erkannten Beurteilungsmaßstäben ist den BT-Drucksachen zu § 70 SGB II in verfassungswidriger Weise nicht ansatzweise zu entnehmen, warum eine Einmalzahlung für den Monat Mai 2021 in Höhe von 150,- € den Mehrbedarf aufgrund der COVID-19-Epidemie für die Monate Januar 2021 bis Juni 2021 decken sollte.
  • Ferner werde das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG auch verletzt, weil § 70 SGB II n. F. in seiner künftigen Gestalt ohne hinreichenden Grund für die bereits in den Leistungsmonaten Januar 2021 bis April 2021 gegebenen Mehrbedarfe lediglich eine nachträgliche Leistungsgewährung im Mai 2021 vorsehe, obgleich es sodann wegen des zwischenzeitlichen Zeitablaufs evidenter Maßen schon zu spät sein werde, die Leistungen noch zweckentsprechend einzusetzen.
  • Des Weiteren verletze § 70 SGB II n. F. den Anspruch auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für die Monate Januar 2021 bis April 2021 sowie Juni 2021 auch deswegen, weil in aus einem nicht verfassungslegitimen Grund die Leistungsgewährung existenzsichernder Mittel nicht nur vom Ausmaß der aktuellen Hilfebedürftigkeit abhängen solle, sondern auch davon, ob diese zu einem späteren bzw. früheren Zeitpunkt – nämlich: im Mai 2021 – vorliegen werde.
  • Schließlich verletze § 70 SGB II n. F. auch das allgemeine Gleichheitsgrundrecht, da kein Grund solcher Art und solchen Gewichts ersichtlich ist, der eine Diskriminierung von Grundsicherungsempfänger:innen rechtfertigt, welche im Mai 2021 aufgrund irgendwelcher Zufälligkeiten nicht im grundsicherungsrechtlichen Sinne hilfebedürftig sind und infolgedessen vom Schutzbereich der Norm nach ihrem unmissverständlichen Wortlaut auch in den übrigen Kalendermonaten der ersten Jahreshälfte des Jahres 2021 gänzlich ausgeschlossen würden.

27 Seiten Begründung

Auf einer 27 Seiten langen Begründung benennt das Gericht weitere Belastungen, die die Leistungsempfänger zur Zeit zu tragen haben. Die aktuelle Pandemie führt zu höheren und längeren Bedarfsspitzen, die Hilfebedürftige nicht durch Minderausgaben in anderen Bereichen kompensieren können und für die keine Vorsorge betrieben werden konnte. Mehrkosten entstehen nicht nur durch Masken, sondern auch durch

  • Homeschooling,
  • teurere Lebensmittel,
  • Wegfall von Lebensmittelausgaben der Tafel,
  • ausgefallenes Schulessen,
  • gestiegene Stromkosten,
  • gestiegene Spritpreise
  • die Verringerung des verfügbaren Einkommens durch Jobverluste und Kurzarbeit,
  • Wegfall von Einnahmequellen „auf der Straße“ für darauf angewiesene Menschen (ob durch den Verkauf von Straßenzeitungen, Straßenmusik oder auch Bettelei).

Zugang zu den Lebenschancen

Grundsicherungsempfänger*innen bezögen existenzsichernde Leistungen, so die Karlsruher Richter, in aller Regel nicht aus Bequemlichkeit, sondern, weil sie aus individuellen und gesellschaftlichen Gründen keinen gleichen Zugang zu den Lebenschancen hätten, welche der – insofern privilegierte und in Teilen ignorante – Großteil der Bevölkerung für selbstverständlich halte.

Sozialpflichtigkeit

Das bundesdeutsche Verfassungsrecht sehe in Art. 1 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 und Art. 20 Abs. 1 GG die Sozialpflichtigkeit nicht bei den Menschen, die bereits am untersten Rand des Menschenwürdigen lebten, sondern bei denen, die über ausreichend Privateigentum verfügten, denn dessen Gebrauch solle zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen, während die Würde des Menschen und das Prinzip des Sozialstaats unantastbar seien, vgl. Art. 79 Abs. 3 GG.

Quelle: Sozialgericht Karlsruhe, juris, Tacheles e.V., FOKUS-Sozialrecht

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Testpflicht nach dem Urlaub

Viele Äußerungen und Entscheidungen unserer offiziellen Krisenbewältiger lösen mittlerweile nur noch ungläubiges Kopfschütteln aus. So erzählt der Ministerpräsident von NRW im Landtag, man habe ja vor einigen Wochen noch gar nicht wissen können, dass die Virusmutationen so gefährlich seien. Hätte er damals mal den Wissenschaftlern zugehört. Ein weiteres vielbenutztes Märchen verbreitet ein anderer Ministerpräsident in einer Talkshow: Man habe lockern müssen, weil der Druck aus der Bevölkerung so groß geworden sei. Während der ganzen Pandemie gab es immer eine große Mehrheit für die Eindämmungsmaßnahmen, zuletzt sogar für deren Verschärfung. Ein Bundesland verkündet bei der Feststellung des „Notbremse“-Wertes über 100 strengere Maßnahmen, das andere Lockerungen. Am gleichen Tag.

Mallorca

In diese Reihe gehört auch die Mallorca-Geschichte. Letztes Jahr wurden die Fluggesellschaften mit vielen Milliarden Hilfen bedacht, sodass sie jetzt tolle Billigflugangebote für Reisen nach Mallorca machen können. Passend dazu wird rechtzeitig die Einstufung von Mallorca als Risikogebiet aufgehoben, streng nach Zahlen, ungeachtet der Ausbreitung der viel gefährlicheren Virusvarianten. Da bleibt als Regierungshandeln nur noch der Appell übrig, doch bitte vernünftig zu sein, nach dem Motto, wenn wir schon nicht vernünftig sind, dann seid ihr es wenigstens.

Ergänzung der Testverordnung

Jetzt sollen es die Tests richten. Dazu wurde die Testverordnung geändert. Ab dem 30. März müssen Flugreisende vor Abflug nachweisen, dass sie nicht mit dem Coronavirus infiziert sind. Für alle anderen Einreisenden gelten weiterhin die Regelungen je nach Einstufung des Gebietes als Risiko-, Hochrisiko- oder Virusvariantengebiet.

Die Regelungen für Flugreisende, die nach Deutschland einreisen wollen, sind um eine generelle Testpflicht ergänzt worden. Dies wurde im Rahmen der Änderung der Coronavirus-Einreiseverordnung am 26. März 2021 vom Bundeskabinett beschlossen. Die neue Testpflicht gilt ab dem 30. März 0 Uhr bis einschließlich zum 12. Mai 2021. Ein negatives Testergebnis muss dann bei Flugreisenden vor Abreise vorliegen. Der Test darf maximal 48 Stunden alt sein. Nur, wer einen negativen Testnachweis erbringen kann, darf befördert werden. Flugreisende müssen den Test selbst bezahlen.

Was weiterhin gilt:

Neben diesen Neuerungen gelten die bisherigen Regelungen weiterhin für alle Reisenden, die mit Bus oder Bahn, Auto oder Schiff einreisen.

Unterschieden werden drei Arten von Risikogebieten im Ausland:

  • Gebiete, für die das Bundesgesundheitsministerium im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit festgestellt hat
  • Hochinzidenzgebiete mit einer Inzidenz, die ein Mehrfaches über derjenigen von Deutschland liegt, mindestens aber 200 beträgt
  • Gebiete, in denen besonders ansteckende Virusmutationen verbreitet sind

Nach Aufenthalt in einem Risikogebiet müssen Einreisende grundsätzlich und wie bisher eine digitale Einreiseanmeldung ausfüllen. Spätestens 48 Stunden nach ihrer Einreise müssen sie über einen Nachweis verfügen, dass sie bei Einreise nicht mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert sind, und diesen auf Anforderung der zuständigen Behörde vorlegen.

Wer aus einem Risikogebiet einreist, in dem besonders hohe Inzidenzen bestehen oder besonders ansteckende Virusvarianten verbreitet sind, muss den Nachweis bereits bei Einreise mit sich führen und auf Anforderung des Beförderers bei Abreise, der zuständigen Behörde bei Einreise oder bei polizeilicher Kontrolle vorlegen.

Beim Robert-Koch-Institut gibt es eine Übersicht der aktuell ausgewiesenen Risikogebiete, Hochinzidenzgebiete und Gebiete mit nachgewiesenen Virusmutationen.

Quarantänepflichten unverändert

An der Pflicht, sich nach Einreise aus Risikogebieten in Selbstisolation, also Quarantäne zu begeben, wird festgehalten. Reisende, die aus dem Ausland einreisen und sich innerhalb der letzten zehn Tage vor der Einreise in einem als Risikogebiet eingestuften Gebiet aufgehalten haben, sind verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise für die Dauer von zehn Tagen in Quarantäne zu begeben.

Unter bestimmten Voraussetzungen ergeben sich Ausnahmen von der Verpflichtung, sich in Quarantäne zu begeben. Die Bundesländer erlassen die für alle Einreisenden aus Risikogebieten verbindlichen Quarantäneregelungen einschließlich ihrer Ausnahmen. Hier eine Übersicht über die in den Ländern geltenden Bestimmungen.

Seit 1. März müssen Betreiber von Mobilfunknetzen ihre Kunden per SMS über die in Deutschland geltenden Einreise- und Infektionsschutzmaßnahmen informieren.

Die Bundesregierung veröffentlicht einen Überblick über die geltenden Regelungen für alle Reisende und Pendler. 

Quelle: Bundesregierung

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