FDP blockiert Lieferkettengesetz

Wieder scheint es der immer noch mächtigen Fossil-Lobby mit ihren Erfüllungsgehilfen in der FDP gelungen zu sein, ein wichtiges EU-Vorhaben zu Fall zu bringen. Gestern (6.2.2024) musste Bundesarbeitsminister Heil die Kompromisssuche für die EU-Lieferketten-Richtlinie für gescheitert erklären.

Die FDP argumentiert, das geplante Gesetz schaffe Nachteile für die deutsche Wirtschaft. Zudem gehe es über ein bereits bestehendes deutsches Lieferkettengesetz hinaus. Dass das so ist, stört die FDP aber erst kurz vor der Zielgerade.

Worum geht es?

Es geht um eine Richtlinie, mit der große und mittelständische Unternehmen in Europa dazu verpflichtet werden sollen, Menschenrechte und Umweltschutz in ihrer Lieferkette einzuhalten. Beispielsweise müssen Autohersteller müssen nachweisen, dass die Rohstoffe für ihre Autobatterien nicht von Kindern geschürft werden oder giftige Chemikalien bei der Produktion nicht in Flüsse gelangen. Bei Verstoß könnten Betroffene dagegen klagen.

Vertrauensverlust befürchtet

Grüne und SPD – Mitglieder der Regierung befürchten einen massiven Vertrauensverlust in der EU, in der Zeit wird abermals die Führungsschwäche des Kanzlers beklagt.

Offene Briefe von Wissenschaftlern und Organisationen

Ein offener Brief von in unterschiedlichen Disziplinen forschender, lehrender und zu Fragen der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft beratender Wissenschaftler teilt seine „große Sorge“ mit. Die aktuellen Pläne gegen eine Annahme der im Trilog abgestimmten EU-Lieferkettenregulierung stelle auch die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft in der EU nach dem EU-Green-Deal-Projekt in Frage. Auch aus der Wirtschaft kommen nicht nur ablehnende Statements. Viele Unternehmen befürworten ein starkes europäisches Gesetz.

Ein Bündnis aus mehr als 130 zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern mit der Initiative Lieferkettengesetz ein starkes EU-Lieferkettengesetz, das europaweit verpflichtende Menschenrechts- und Umweltstandards für Unternehmen schafft.

Blockade ist Programm

Es ist nicht das erste Mal, dass die FDP durch Blockade-Haltung auffällt. In der EU hat sie besipielsweise damit erreicht, dass beim Verbot des Verbrennungsmotors wichtige Schlupflöcher für die deutsche Autoindustrie verbleiben. Heute wurde bekannt, dass die FDP auch die EU – CO2-Regelungen für Lastwagen ausbremsen werde. Wie die Tagesschau berichtet, ist mittlerweile auch die Automobilindustrie verärgert über den kleinen Koalitionspartner. Sie brächten schließlich in erster Linie Verlässlichkeit.

Von Tempolimit bis Klimageld

Die Liste der verhinderten Reformen wird immer länger. Angefangen hat es schon im Koalitionsvertrag mit dem strikten „Nein“ zum Tempolimit. Seitdem reißt das FDP-Verkehrsministerium krachend jede Klima-Zielvorgabe, stattdessen fließt viel Geld in den Autobahnausbau. „Technolgieoffen“ träumen die Liberalen weiter von Atom, Kernusion, Efuels für PKWs und Wasserstoff für Heizungen. Klimageld wird es mit der FDP nicht geben.

Schutz vor Vergewaltigung torpediert

Nebenbei sorgte sie auch beim Thema Schutz von Frauen vor sexualisierter Gewalt dafür, dass ausgerechnet einheitliche Standards für den Straftatbestand Vergewaltigung ausgeklammert wurden.

Das für viele hoffnungsvolle Projekt „Ampel“ droht zu scheitern. Nicht etwa an den massiven weltweiten Krisen, wie sie noch keine Bundesregierung zuvor bewältigen musste, sondern am kleinen Koalitionspartner.

Quellen: FOKUS-Sozialrecht, ZEIT, TAZ, Verfassungsblog, Initiative Lieferkettengesetz, Tagesschau

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Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

Zur Zeit legt dem EU-Rat der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vor.

Maßnahmen

Mit diesem Vorschlag sollen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in der EU wirksam bekämpft werden. Zu diesem Zweck werden darin Maßnahmen in den folgenden Bereichen vorgeschlagen:

  • Strafbarkeit von und
  • Strafen für einschlägige Straftaten,
  • Schutz der Opfer und Zugang zur Justiz,
  • Unterstützung der Opfer,
  • Verhütung,
  • Koordinierung und Zusammenarbeit.

geschlechtsspezifische Gewalt

Gewalt gegen Frauen ist geschlechtsspezifische Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark trifft. Sie umfasst jede gegenüber Frauen aufgrund ihres Geschlechts vorgenommene Gewalttat, die bei ihnen einen körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schaden oder Leidensdruck verursacht oder zu verursachen droht, einschließlich der Androhung solcher Handlungen.

Sie umfasst Straftaten wie

  • sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung,
  • weibliche Genitalverstümmelung,
  • Zwangsehen,
  • Zwangsabtreibung oder Zwangssterilisation,
  • Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung,
  • Stalking,
  • sexuelle Belästigung,
  • Femizid,
  • Hassreden und Straftaten aufgrund des Geschlechts sowie
  • verschiedene Formen der Online-Gewalt (im Folgenden „Cybergewalt“), einschließlich der Weitergabe oder der Manipulation von intimen Materialien ohne Zustimmung, Cyberstalking und Cybermobbing.

Wurzeln der Gewalt

Diese Gewalt hat ihre Wurzeln in der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und ist Ausdruck der strukturellen Diskriminierung von Frauen. Häusliche Gewalt ist eine Form der Gewalt gegen Frauen, da Frauen unverhältnismäßig stark davon betroffen sind. Sie findet innerhalb der Familie oder des Haushalts statt, unabhängig von biologischen oder rechtlichen familiären Bindungen, entweder zwischen Intimpartnern oder zwischen anderen Familienmitgliedern, einschließlich zwischen Eltern und Kindern. Frauen sind aufgrund der zugrunde liegenden Muster von Nötigung, Macht und/oder Kontrolle als Opfer beider Formen von Gewalt überdurchschnittlich stark betroffen. Allerdings kann jede Person unabhängig vom biologischen oder sozialen Geschlecht ein potenzielles Opfer solcher Gewalt sein. Insbesondere von häuslicher Gewalt kann jede Person betroffen sein, auch Männer, jüngere oder ältere Menschen, Kinder und LGBTIQ-Personen.

Ziel ist die Verhütung von Gewalt

Ziel dieses Vorschlags ist es, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten und zu bekämpfen, um ein hohes Maß an Sicherheit und die uneingeschränkte Wahrnehmung der Grundrechte in der Union, einschließlich des Rechts auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung von Frauen und Männern, zu gewährleisten. Der Vorschlag trägt somit zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Titel V AEUV) bei. Um diese Ziele zu erreichen, ist im Vorschlag Folgendes vorgesehen:

  • ·wirksamere Gestaltung der bestehenden Rechtsinstrumente der EU, die für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt relevant sind,
  • ·Aufwärtskonvergenz und Schließung der Lücken in den Bereichen Schutz, Zugang zur Justiz, Unterstützung, Verhütung sowie Koordinierung und Zusammenarbeit, und
  • ·Angleichung des EU-Rechts an einschlägige internationale Normen.

Blockade einiger EU-Staaten

Insbesondere Deutschland und Frankreich blockieren allerdings den Richtlinien-Vorschlag. Das deutsche Justizministerium glaubt nicht, dass der Vorschlag der Kommission mit dem Europarecht vereinbar wäre. Die EU überschreite mit dem Artikel zu Vergewaltigungen ihre Regelungskompetenz, so das Argument. Da sich Mitgliedstaaten, EU-Parlament und Kommission bisher nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen konnten, droht die gesamte Richtlinie zu scheitern.

Offener Brief an den Justizminister

In einem offenen Brief appellieren über 100 namhafte Frauen aus Politik, Kultur und Wirtschaft an Justizminister Marco Buschmann (FDP) und die Bundesregierung, von ihrem Widerstand gegen eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt abzurücken.

2.300 Opfer pro Jahr in Europa

In dem Schreiben heißt es, mit dieser EU-Richtlinie habe es noch nie einen besseren Schutz von Frauen vor männlicher Gewalt gegeben. Die Situation verlange es aber, denn sie sei tragisch: „Jeden Tag werden zwischen 6 und 7 Frauen in Europa von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das sind 2.300 tote Frauen jedes Jahr – und das ist nur die offizielle Schätzung der UN. Jedes Jahr werden ca. 1,5 Millionen Frauen laut einer Schätzung auf Basis von EU-Daten vergewaltigt. Im Schnitt hat in der EU schon jede zweite Frau sexuelle Belästigung und jede dritte Frau sexualisierte oder körperliche Gewalt erfahren.“

Hauptstreitpunkt

Doch Hauptstreitpunkt in den Verhandlungen zwischen Europäischen Parlament und dem Rat ist die Harmonisierung des Vergewaltigungsstraftatbestands. Endlich soll EU-weit auf den Willen der Personen entscheidend abgestellt werden. Das ist wichtig, denn 11 EU-Mitgliedsstaaten verwenden immer noch Definitionen von Vergewaltigung, die Gewaltanwendung oder Drohung als entscheidendes Unrechtsmerkmal markieren: Bulgarien, Tschechien, Estland, Frankreich, Ungarn, Italien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und die Slowakei, d.h., dass ein einfaches “Nein” des Opfers in diesen Fällen nicht ausreicht, um den Tatbestand zu erfüllen. Diese Gesetzgebung bietet dadurch nicht ausreichenden Schutz für Opfer, da sie typische Fälle von Vergewaltigungen, insbesondere in Nähebeziehungen wie Partnerschaften, nicht erfasst.

Glaubwürdigkeit nicht verspielen

Deutschland müsse die Blockade-Haltung aufgeben, appelieren die Frauen an die Bundesregierung und insbesondere an Justizminister Buschmann, und sich klar positionieren, denn auch auf internationaler Ebene verspiele Deutschland sonst jede Glaubwürdigkeit und verliere an Verhandlungsmacht: Wenn ein Zugeständnis auf EU-Ebene Frauenrechte adäquat zu schützen ausbleibe, könne Deutschland sich nicht international als Vorreiter und Verfechter für diese Rechte positionieren. Eine Zustimmung zu einer umfassenden EU-Richtlinie hätte somit eine bedeutende Signalwirkung auch an andere Länder.

Quellen: EUR-Lex, Center for Feminist Foreign Policy (CFFP), Spiegel, Tagesschau

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Massenzustrom-Richtlinie

Auch wenn es sich vielleicht so anhört, hat die Massenzustrom-Richtlinie nichts mit Energieversorgung zu tun. Hier geht es um den Umgang mit Flüchtlingen, aktuell den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine,und zwa auf EU-Ebene.

Richtlinie seit 2001

In Anbetracht der Folgen der Juguslawien-Kriege in den 90ern des letzten Jahrhunderts und der großen Fluchtbewegungen, die dies Katastrophe ausgelöst hatte, einigte sich die EU 2001 auf eine Richtlinie zum Umgang mit Ereignissen, die eine große Flüchtlingswelle auslöst.

Die Richtlinie 2001/55/EG über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ist eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft, welche Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Flüchtlingen festlegt.

Dublin-System entfällt

Die Richtlinie bietet einen Mechanismus einer EU-weit koordinierten Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen jenseits des individuellen Asylverfahrens und jenseits des Dublin-Systems. Zuständig dafür, einen Massenzustrom festzustellen, ist der Rat der Europäischen Union.

aktiviert für Ukraine-Flüchtlinge

Da die Richtlinie insbesondere bei Kriegsflüchtlingen anzuwenden ist, beschlossen die Mitgliedstaaten am 3. März 2022 zum Schutz der Flüchtlinge aus der Ukraine diese Richtlinie erstmals zu aktivieren.

Die Mitgliedstaaten geben dabei an, wie viele Personen sie jeweils freiwillig aufnehmen; finanzielle Unterstützung gewährt der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (früher: der Europäischer Flüchtlingsfonds). Der vorübergehende Schutz kann dann auf schnelle und unbürokratische Weise gewährt werden, wobei der jeweilige Mitgliedstaat zur Registrierung verpflichtet ist und unter anderem für eine angemessene Unterbringung und für den Lebensunterhalt zu sorgen hat.

bis zu 3 Jahren

Personen mit vorübergehendem Schutz haben Zugang zum Arbeitsmarkt und müssen nicht in Aufnahmeeinrichtungen oder Flüchtlingsunterkünften wohnen. Der Schutz endet nach einem Jahr (verlängerbar auf insgesamt bis zu zwei Jahren bzw. mit erneutem qualifiziertem Mehrheitsbeschluss des Rates auf insgesamt maximal drei Jahre) oder endet jederzeit, sobald der Rat dies mit qualifizierter Mehrheit beschließt, bietet also keine langfristige Bleibeperspektive. Den Betroffenen ist es nicht verwehrt, einen Antrag auf Asyl zu stellen.

Ziele dieser Richtlinie sind:

  • die Schaffung von sozialen Mindeststandards für Personen, die vorübergehenden Schutz benötigen,
  • die Schaffung eines Solidaritätsmechanismus zwischen den EU-Mitgliedstaaten zur ausgewogenen Verteilung und
  • das Ermöglichen eines zeitlich beschränkten Aufenthaltsstatus für die Schutzsuchenden.

Personengruppen

Schutzsuchende aus der Ukraine haben europaweit Zugang zu Arbeit, Bildung sowie Sozialleistungen und medizinischer Versorgung. Es geht um folgende Personengruppen:

  • Ukrainische Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen, die sich bis zum 24.02.2022 in der Ukraine aufgehalten haben
  • Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die in der Ukraine internationalen Schutz genießen, sowie ihre Familienangehörigen, sofern sie sich vor dem oder am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben
  • Drittstaatsangehörigen, die sich vor dem oder am 24. Februar mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine aufgehalten haben und nicht sicher in ihr Herkunftsland zurückkehren können

Flüchtlinge aus Drittstaaten

In einer Stellungnahme dazu weist der Paritätische Gesamtverband darauf hin, dass Deutschland gemäß Artikel 7 der Richtlinie die Möglichkeit hat, weitere Personen aufzunehmen. Viele Drittstaatenangehörige aus der Ukraine seien hier in Deutschland gestrandet sind und benötigten genauso Schutz.

In Deutschland greift durch die EU-Richtlinie der § 24 des Aufenthaltsgesetzes. Demnach haben die Flüchtlinge aus der Ukraine Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.  Einen direkten Anspruch auf Hartz IV haben sie nicht.

weitreichende Regelungen nötig

Erwerbstätigkeit und der Zugang zu Bildung müssen nach den Vorgaben der Richtlinie gewährt werden. Auch hier gelte es, so der Paritätische Gesamtverband, bei der nun anstehenden Umsetzung in Deutschland möglichst weitreichende Regelungen zu treffen, damit bundesweit die Zugänge zu Kita, Schule, Integrationskursen und Arbeitsmarkt, aber auch allen anderen sozialen und medizinischen Unterstützungsangeboten wirklich sichergestellt werden.

Warum nicht schon 2015?

Die Frage stellt sich natürlich, warum nicht auch 2015 die Massenzustrom-Richtlinie aktiviert wurde, als überwiegend syrische Kriegsflüchtlinge nach Europa und Deutschland kamen. Damals war die EU zerstritten, ob überhaupt die Grenzen geöffnet werden sollten und es gab keine Einigung über die Verteilung der Flüchtlinge. Seitdem hat sich Europa massiv und unter Inkaufnahme von schweren Menschenrechtsverletzungen abgeschottet (hier und hier). Jetzt handelt es sich um europäische Flüchtlinge; das scheint das ausschlaggebende Kriterium zu sein, warum EU-weit die Hilfsbereitschaft so groß ist. Das ist sehr zu begrüßen, lässt aber trotzdem einen faden Beigeschmack zurück. Oder wie es Thomas Fischer im Spiegel am 8.3.2022 ausdrückte: „Selten klang Rassismus edelmütiger.“

Quellen: Rat der Europäischen Union, Paritätischer Gesamtverband, wikipedia, Spiegel

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Barrierefreiheitsgesetz

Große Enttäuschung bei Betroffenen und deren Verbänden herrscht über das „Barrierefreiheitsstärkungsgesetz„, das in der Bundestagssitzung am 20. Mai in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden soll. Nachzulesen etwa bei barrierefreiheitsgesetz.org. Hier unser Beitrag vom 2. April 2021 zum Referentenentwurf.

Noch kein Gesetz

Deutschland gehört zu den wenigen OECD-Staaten, die noch keine allgemeingültige Gesetzgebung zur Barrierefreiheit hat, insbesondere für wirtschaftliche Akteur/innen. Alltägliche Barrieren begegnen Menschen mit Behinderung immer wieder: Stufen vor Geschäften, fehlende zugängliche WC-Anlagen oder zugestellte Leitstreifen. Ein gutes Barrierefreiheitsstärkungsgesetz könnte diesen Zustand erheblich verbessern.

Umsetzung von EU-Vorgaben

Das Barrierefreiheitsstärkungs­gesetz ist Umsetzungsgesetz einer EU-Richtlinie, die bis 28. Juni 2022 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die Richtline gibt Dinge vor, die geregelt werden müssen (Shortlist) und Dinge, die geregelt werden sollten (Longlist).

Der vorliegende Gesetzentwurf setzt allerdings nur die Shortlist um, also das Minimum. Das führt beispielsweise dazu, dass ein Ticketautomat barrierefrei sein muss, aber nicht das Gebäude, in dem er steht.

Verschlechterungen

Darüber hinaus enthält der jetzt vorliegende Gesetzentwurf laut BAGFW (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege) gegenüber dem ersten Referentenentwurf auch noch einige Verschlechterungen.

  • Stellt die Marktüberwachungsbehörde fest, dass Dienstleistungen nicht die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen, fordert sie den anbietenden Wirtschaftsakteur unverzüglich auf, innerhalb einer von ihr festgesetzten angemessenen Frist geeignete Korrekturmaßnahmen zu ergreifen. Kommt der Dienstleistungserbringer der Aufforderung nicht nach, kann die Marktüberwachungsbehörde die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Nichtkonformität der Dienstleistung abzustellen. Zur Durchsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen ist hier aus Sicht der BAGFW eine Kann-Vorschrift nicht ausreichend, vielmehr ist eine Soll-Vorschrift erforderlich.
  • Anstatt die Übergangsbestimmungen zu kürzen, wurden sie für den Einsatz von Selbstbedienungsterminals noch einmal um fünf Jahre auf nun 15 Jahre nach Inbetriebnahme 2025 verlängert. Dies führt in Zeiten rasanten technischen Fortschritts zu einer nicht akzeptablen weiteren Verzögerung bei der Herstellung von Barrierefreiheit und führt dazu, dass Menschen mit Behinderungen in einem wichtigen Themenfeld unangemessen benachteiligt werden. Die Übergangsfristen für die Dienstleistungserbringer sollten verkürzt werden.

Größere Barrierefreiheit gefordert

Die BAGFW fordert den Gesetzgeber in seiner Stellungnahme auf, noch im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens durch folgende Maßnahmen für eine größere Barrierefreiheit ernsthaft Sorge zu tragen:

  • Die BAGFW schlägt vor, Anforderungen an die bauliche Umwelt der Produkte und Dienstleistungen analog zu § 8 BGG aufzunehmen.
  • Der Geltungsbereich der Barrierefreiheit sollte auch regionale, städtische, vorstädtische Verkehrsdienste und Fahrzeuge umfassen.
  • Der Anwendungsbereich des Gesetzes sollte auf beruflich genutzte Produkte und Dienstleistungen ausgeweitet werden.
  • Den Rechten von Verbraucher/innen, anerkannten Verbänden und qualifizierten Einrichtungen im Verwaltungsverfahren kommt durch § 32 eine besondere Rechtsstellung zu. Der vorliegende Regierungsentwurf ermächtigt bisher nur Menschen mit Hör- und Sprachbeeinträchtigungen ihre Verbraucherrechte zu nutzen. Menschen mit anderen Sinnesbeeinträchtigungen oder Menschen mit Lernschwierigkeiten werden so vom Genuss ihrer Verbraucherrechte ausgeschlossen.
  • Gemäß § 7 BGG ist die Versagung angemessener Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen eine Benachteiligung. Die BAGFW fordert daher ausdrücklich, dass die Kosten für barrierefreie Information und Kommunikation in wahrnehmbarerer Form einheitlich geregelt werden. Die Rechte auf barrierefreie Dokumente gemäß § 10 BGG, auf Leichte Sprache gemäß § 11 BGG im Verwaltungsverfahren und angemessene Vorkehrungen gemäß § 7 BGG sind gesetzlich zu normieren. Die Kosten hierfür sind ebenfalls von den Marktüberwachungsbehörden zu tragen.
  • Die Definition von Barrierefreiheit sollte vollumfänglich im Sinne des § 4 Behindertengleichstellungsgesetz erfolgen, ohne jedwede inhaltliche Kürzungen.

Darüber hinaus schlägt die BAGFW vor, begleitende Investitionen in Barrierefreiheit z. B. durch ein Bundesprogramm zu fördern. Dieses sollte vor allem auf Kleinstunternehmen ausgerichtet werden, die bisher von den EAA-Verpflichtungen weitestgehend ausgenommen sind.

Detaillierte Änderungsbedarfe

Hinsichtlich der detaillierten Änderungsbedarfe aus Sicht der BAGFW wird auf die weiterhin bestehenden Kritikpunkte in seiner Stellungnahme vom 12. März 2021 zum Referentenentwurf des Barrierefreiheitsgesetzes verwiesen.

Quellen: Paritätischer Wohlfahrtsverband, BADFW, dieneuenorm.de

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Barrierefreiheit

Am 24. März hat das Bundeskabinett das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) beschlossen. Es regelt die Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen und beseitigt Barrieren beim Zugang zu Informationen und Kommunikation.

Umsetzung der EU-Richtlinie

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wird die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, kurz: EAA) umgesetzt. Der Gesetzentwurf hat zum Ziel, die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen in der Europäischen Union zu harmonisieren und somit die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Durch einheitliche EU-Anforderungen soll das BFSG auch kleinen und mittleren Unternehmen helfen, die Möglichkeiten des europäischen Binnenmarktes auszuschöpfen. 

4 Jahre Zeit

Die Regelungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes sind grundsätzlich ab dem 28. Juni 2025 anzuwenden. Für Selbstbedienungsterminals wurde eine Übergangsfrist von 15 Jahren festgelegt.

Produkte und Dienstleistungen

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gilt zum Beispiel für folgende Produkte:

  • Computer,
  • Tablets,
  • Geldautomaten,
  • Ticketautomaten,
  • Mobiltelefone,
  • Router,
  • Fernseher mit Internetzugang und
  • E-Book-Lesegeräte.

Daneben werden unter anderem für die folgenden Dienstleistungen Barrierefreiheitsanforderungen aufgestellt:

  • Internetzugangsdienste,
  • Telefondienste,
  • Messenger-Dienste,
  • Personenbeförderungsdienste,
  • Bankdienstleistungen,
  • E-Books und
  • der Online-Handel. 

Beratungsangebot

Für Kleinstunternehmen, die barrierefreie Dienstleistungen anbieten und erbringen, soll ein Beratungsangebot bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit geschaffen werden. 

Aufgabe der Bundesländer

Die Bundesländer üben die Marktüberwachung über die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen und damit über den Vollzug des Umsetzungsgesetzes als eigene Angelegenheit aus. 

Klagemöglichkeit und Schlichtung

Wenn bestimmte Produkte oder Dienstleistungen den Anforderungen zur Barrierefreiheit nicht entsprechen und Verbraucherinnen und Verbraucher daher die Produkte oder Dienstleistungen nicht oder nur eingeschränkt nutzen können, können sie von der zuständigen Landesbehörde der Marktüberwachung Maßnahmen zur Beseitigung des Verstoßes beantragen. Wird dies von der Behörde abgelehnt, steht den Antragstellenden der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen. Dazu können sich Verbraucherinnen und Verbraucher durch einen Verband vertreten lassen oder der Verband kann an Stelle des Verbrauchers im eigenen Namen handeln (gesetzliche Prozessstandschaft). Auch ein eigenes Verbandsklagerecht für Verbände und qualifizierte Einrichtungen ist vorgesehen. 

Außergerichtliche Einigungen können durch die Schlichtungsstelle Behindertengleichstellungsgesetz niederschwellig unterstützt werden.

Quelle: BMAS

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