Grundsicherung für Ukraine-Flüchtlinge

Bund und Länder haben sich am 07. April 2022 auf wesentliche Punkte im Hinblick auf die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine geeinigt.

Die EU hatte im Hinblick auf die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine schon die „Massenzustrom-Richtlinie“ (Richtlinie 2001/55/EG) aktiviert. Die Richtlinie gewährleistet für die Flüchtlinge einen bis zu 3 Jahre dauernden vorübergehenden Schutz. Der Schutz kann auf schnelle und unbürokratische Weise gewährt werden, wobei der jeweilige Mitgliedstaat zur Registrierung verpflichtet ist und unter anderem für eine angemessene Unterbringung und für den Lebensunterhalt zu sorgen hat. Personen mit vorübergehendem Schutz haben Zugang zum Arbeitsmarkt und müssen nicht in Aufnahmeeinrichtungen oder Flüchtlingsunterkünften wohnen.

Leistungen nach SGB XII und SGB II

Bund und Länder haben nun beschlossen, dass ukrainische Flüchtlinge ihne Asylverfahren die gleichen Recht haben wie Menschen, deren Asylantrag bewilligt ist. Das heißt, sie erhalten Leistungen nach dem Zweiten bzw. Zwölften Buch Sozialgesetzbuch.

Registrierung

Voraussetzung dafür wird eine Registrierung im Ausländerzentralregister und die Vorlage einer aufgrund der Registrierung ausgestellten Fiktionsbescheinigung oder eines Aufenthaltstitels nach § 24 Abs. 1 AufenthG sein. Die hierfür notwendigen gesetzlichen Anpassungen werden unverzüglich umgesetzt, sie sollen zum 1. Juni 2022 in Kraft treten.

Warum nicht für alle Flüchtlinge?

Dass den ukrainischen Flüchtlingen die unterhalb des Existenzminimums liegenden Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetz erspart bleiben ist eine sehr begrüßenswerte Entscheidung. Sie sollte aber auch dazu führen grundsätzlich über die Abschaffung des Asylbeweberleisungsgesetz nachzudenken. Denn auch Flüchtlinge aus anderen Teilen der Welt sollten nicht als Flüchtlinge zweiter Klasse behandelt werden.

Weitere Beschlüsse der Bund/Länder Regierungschef*innen:

  • Die aus der Ukraine geflüchteten Menschen sollen schneller im Ausländerzentralregister registriert werden, hierfür sind Ausländerbehörden, Polizeien, BAMF und Erstaufnahmeeinrichtungen zuständig. Spätestens bei der Beantragung von Sozialleistungen muss eine Registrierung im AZR vorliegen.
  • Die aus der Ukraine Geflüchteten sollen „zügig und gerecht“ bundesweit verteilt werden, auch in ländliche Regionen.
  • Eine Arbeitsaufnahme ist auch schon vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (i.d.R. also mit der Fiktionsbescheinigung) möglich ist und die Erwerbstätigkeit muss ohne Vorabprüfung der Arbeitsagentur von den Ausländerbehörden erlaubt werden.
  • Der Zugang zu Kita, Schule und Hochschule soll für ukrainische Kinder schnell ermöglicht werden, für die Koordinierung der Aufnahme von Waisenhäusern wurde eine Koordinierungsstelle des Bundes eingerichtet.
  • Studierende aus der Ukraine sollen ihr Studium hier fortführen können, gefährdete belarussische, russische und ukrainische Forscher*innen ihre Forschungstätigkeit fortsetzen können und dabei unterstützt werden.
  • Mit Bezug auf die bundesweite Verteilung von behinderten und pflegebedürftigen Menschen haben die Regierungschef*innen von Bund und Ländern vereinbart, dass Menschen mit Behinderungen und pflegebedürftige Menschen nicht von Angehörigen bzw. den sie unterstützenden/pflegenden Personen getrennt werden sollen. Die bundesweite Verteilung soll über drei „Drehkreuze“ (Berlin, Cottbus und Hannover) erfolgen. Die Bundesverbände der Leistungserbringer im Bereich Behindertenhilfe und Pflege werden einbezogen.

Quellen: Bundesregierung, Paritätischer Gesamtverband, FOKUS-Sozialrecht

Abbildung: Fotolia_91457673_M.jpg

Massenzustrom-Richtlinie

Auch wenn es sich vielleicht so anhört, hat die Massenzustrom-Richtlinie nichts mit Energieversorgung zu tun. Hier geht es um den Umgang mit Flüchtlingen, aktuell den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine,und zwa auf EU-Ebene.

Richtlinie seit 2001

In Anbetracht der Folgen der Juguslawien-Kriege in den 90ern des letzten Jahrhunderts und der großen Fluchtbewegungen, die dies Katastrophe ausgelöst hatte, einigte sich die EU 2001 auf eine Richtlinie zum Umgang mit Ereignissen, die eine große Flüchtlingswelle auslöst.

Die Richtlinie 2001/55/EG über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ist eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft, welche Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Flüchtlingen festlegt.

Dublin-System entfällt

Die Richtlinie bietet einen Mechanismus einer EU-weit koordinierten Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen jenseits des individuellen Asylverfahrens und jenseits des Dublin-Systems. Zuständig dafür, einen Massenzustrom festzustellen, ist der Rat der Europäischen Union.

aktiviert für Ukraine-Flüchtlinge

Da die Richtlinie insbesondere bei Kriegsflüchtlingen anzuwenden ist, beschlossen die Mitgliedstaaten am 3. März 2022 zum Schutz der Flüchtlinge aus der Ukraine diese Richtlinie erstmals zu aktivieren.

Die Mitgliedstaaten geben dabei an, wie viele Personen sie jeweils freiwillig aufnehmen; finanzielle Unterstützung gewährt der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (früher: der Europäischer Flüchtlingsfonds). Der vorübergehende Schutz kann dann auf schnelle und unbürokratische Weise gewährt werden, wobei der jeweilige Mitgliedstaat zur Registrierung verpflichtet ist und unter anderem für eine angemessene Unterbringung und für den Lebensunterhalt zu sorgen hat.

bis zu 3 Jahren

Personen mit vorübergehendem Schutz haben Zugang zum Arbeitsmarkt und müssen nicht in Aufnahmeeinrichtungen oder Flüchtlingsunterkünften wohnen. Der Schutz endet nach einem Jahr (verlängerbar auf insgesamt bis zu zwei Jahren bzw. mit erneutem qualifiziertem Mehrheitsbeschluss des Rates auf insgesamt maximal drei Jahre) oder endet jederzeit, sobald der Rat dies mit qualifizierter Mehrheit beschließt, bietet also keine langfristige Bleibeperspektive. Den Betroffenen ist es nicht verwehrt, einen Antrag auf Asyl zu stellen.

Ziele dieser Richtlinie sind:

  • die Schaffung von sozialen Mindeststandards für Personen, die vorübergehenden Schutz benötigen,
  • die Schaffung eines Solidaritätsmechanismus zwischen den EU-Mitgliedstaaten zur ausgewogenen Verteilung und
  • das Ermöglichen eines zeitlich beschränkten Aufenthaltsstatus für die Schutzsuchenden.

Personengruppen

Schutzsuchende aus der Ukraine haben europaweit Zugang zu Arbeit, Bildung sowie Sozialleistungen und medizinischer Versorgung. Es geht um folgende Personengruppen:

  • Ukrainische Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen, die sich bis zum 24.02.2022 in der Ukraine aufgehalten haben
  • Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die in der Ukraine internationalen Schutz genießen, sowie ihre Familienangehörigen, sofern sie sich vor dem oder am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben
  • Drittstaatsangehörigen, die sich vor dem oder am 24. Februar mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine aufgehalten haben und nicht sicher in ihr Herkunftsland zurückkehren können

Flüchtlinge aus Drittstaaten

In einer Stellungnahme dazu weist der Paritätische Gesamtverband darauf hin, dass Deutschland gemäß Artikel 7 der Richtlinie die Möglichkeit hat, weitere Personen aufzunehmen. Viele Drittstaatenangehörige aus der Ukraine seien hier in Deutschland gestrandet sind und benötigten genauso Schutz.

In Deutschland greift durch die EU-Richtlinie der § 24 des Aufenthaltsgesetzes. Demnach haben die Flüchtlinge aus der Ukraine Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.  Einen direkten Anspruch auf Hartz IV haben sie nicht.

weitreichende Regelungen nötig

Erwerbstätigkeit und der Zugang zu Bildung müssen nach den Vorgaben der Richtlinie gewährt werden. Auch hier gelte es, so der Paritätische Gesamtverband, bei der nun anstehenden Umsetzung in Deutschland möglichst weitreichende Regelungen zu treffen, damit bundesweit die Zugänge zu Kita, Schule, Integrationskursen und Arbeitsmarkt, aber auch allen anderen sozialen und medizinischen Unterstützungsangeboten wirklich sichergestellt werden.

Warum nicht schon 2015?

Die Frage stellt sich natürlich, warum nicht auch 2015 die Massenzustrom-Richtlinie aktiviert wurde, als überwiegend syrische Kriegsflüchtlinge nach Europa und Deutschland kamen. Damals war die EU zerstritten, ob überhaupt die Grenzen geöffnet werden sollten und es gab keine Einigung über die Verteilung der Flüchtlinge. Seitdem hat sich Europa massiv und unter Inkaufnahme von schweren Menschenrechtsverletzungen abgeschottet (hier und hier). Jetzt handelt es sich um europäische Flüchtlinge; das scheint das ausschlaggebende Kriterium zu sein, warum EU-weit die Hilfsbereitschaft so groß ist. Das ist sehr zu begrüßen, lässt aber trotzdem einen faden Beigeschmack zurück. Oder wie es Thomas Fischer im Spiegel am 8.3.2022 ausdrückte: „Selten klang Rassismus edelmütiger.“

Quellen: Rat der Europäischen Union, Paritätischer Gesamtverband, wikipedia, Spiegel

Abbildung: fotolia_101139545.jpg