Verordnungsentwurf zur Eingliederungshilfe

Mit dem Bundesteilhabegesetz sollte schon vor einigen Jahren ein menschenrechtsorientierter Behinderungsbegriff im SGB IX verankert werden. Strittig ist seitdem, welche Formulierung den Kreis der bisher leistungsberechtigen Personen weder erweitert noch Personen ausschließt, die auf der Grundlage der bisherigen Formulierung Leistungen erhält. Nun liegt das Ergebnis einer Untersuchung (Vorabevaluation) vor, die den vorliegenden Verordnungentwurf auf diese Frage hin analysiert hat.

Arbeitsgruppe seit 2018

Die mit der Implementierung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) verbundene Frage nach dem künftigen leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe konnte bisher nicht abschließend geregelt werden. Das dazu zunächst mit Art. 25a BTHG verfolgte Konzept einer quantitativen Betrachtung der Teilhabeeinschränkungen in den Lebensbereichen der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) erwies sich nach einer
wissenschaftlichen Evaluation als nicht tragfähig. Daraufhin initiierte das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Herbst 2018 die partizipative Arbeitsgruppe „Leistungsberechtigter Personenkreis in der Eingliederungshilfe“ (AG LPE).

Kriterien für die Neudefinition

Die Hauptaufgabe dieser Arbeitsgruppe bestand darin, Kriterien für die Neudefinition des zukünftigen leistungsberechtigten Personenkreises in der Eingliederungshilfe gemäß SGB IX zu erarbeiten. In diesem Rahmen entwickelte die Arbeitsgruppe einen Vorschlag zur Überarbeitung von § 99 SGB IX und den Entwurf
einer neuen Verordnung, die den Zugang zu Leistungen konkretisiert.

VOLE

Der Verordnungsentwurf trägt den Titel „Verordnung über die Leistungsberechtigung in der Eingliederungshilfe“ (VOLE). Die Struktur der VOLE orientiert sich am Aufbau der bestehenden Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) und verwendet Formulierungen, die den Begrifflichkeiten der UN-BRK und der ICF entsprechen. Trotz intensiver Bemühungen konnte innerhalb der Arbeitsgruppe bis Ende September 2019 keine vollständige Einigung über den genauen Wortlaut der VOLE erzielt werden. Während § 99 SGB IX zum 1. Juli 2021 durch den Gesetzgeber entsprechend des Vorschlags der AG LPE angepasst wurde, soll die VOLE erst nach einer Vorabevaluation auf den Weg gebracht werden.

Untersuchung der Auswirkungen

Ziel der Vorabevaluation ist die Untersuchung der Auswirkungen der VOLE auf den
leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe. Insbesondere soll die VOLE gegenüber der bislang maßgeblichen EinglHV vor dem Hintergrund des Ziels bewertet werden, den Personenkreis dem Grunde nach unverändert zu lassen. Auf Grundlage der Ergebnisse des Forschungsvorhabens soll der Verordnungsgeber entscheiden können, in welcher Form er die vorgeschlagene VOLE umsetzen möchte.

Nach dem Ergebnis der juristischen Analyse haben sich die gesetzlichen Bestimmungen über den Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe seit 01.01.2005 im Grundsatz nicht verändert. Mit dem BTHG wurde in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zum 01.01.2018 eine neue Definition von Behinderung eingeführt, die sich an dem Verständnis der UN-BRK und der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO orientiert.

Entscheidend für das neue Begriffsverständnis ist, dass Behinderung erst in Wechselwirkung zwischen dem gesundheitlichen Problem einer Person und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht.

Anpassung an die UN-Behindertenrechtskonvention

Bei der neuen Definition von Behinderung handelt es sich um eine sprachliche Anpassung des § 2 SGB IX an die UN-BRK. Die Bestimmungen über die Leistungsvoraussetzungen in § 99 SGB IX haben sich mithin seit fast 20 Jahren inhaltlich nicht geändert. Geändert hat sich durch das BTHG die nunmehr an der UN-BRK und der ICF orientierte Legaldefinition der Personen, für die diese
Bestimmungen über die Leistungsvoraussetzungen Anwendung finden sollen. Die untergesetzlichen Rechtsverordnungen (EinglHV und VOLE) müssen diesem Recht folgen und sind bei ihrer Anwendung auch im Lichte dieser Bestimmungen auszulegen.

Personenkreis soll gleich bleiben

Die Vorabevaluation des Entwurfs der „Verordnung über den Leistungszugang in der
Eingliederungshilfe“ (VOLE) hatte das Ziel, vor Einführung einer neuen Verordnung zu erwartende Veränderungen hinsichtlich des leistungsberechtigten Personenkreises zu untersuchen. Insbesondere soll die VOLE gegenüber der bislang maßgeblichen Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) vor dem Hintergrund des Ziels bewertet werden, den Personenkreis dem Grunde nach unverändert zu lassen.

Keine Änderung bei körperlicher oder seelischer Behinderung

Die interdisziplinär angelegte Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) führte hierfür juristische, medizinische und ozialwissenschaftliche Analysen zusammen. Im Ergebnis wird konstatiert, dass bei Einführung der vorliegenden Fassung der §§ 2 und 4 VOLE weder eine Ausweitung noch eine Einschränkung des beschriebenen Personenkreises zu erwarten ist.

Ausgrenzung bei geistig Behinderten

Jedoch ist festzuhalten, dass die drei Formulierungsalternativen zu § 3 VOLE in
unterschiedlichem Umfang zu einer Ausgrenzung eines Teils des bisher von § 2 EinglHV erfassten Personenkreises führen. Damit die mit der Einführung der neuen medizinischen Oberbegriffe angestrebte Rechtsklarheit und einheitliche Rechtsanwendung erreicht werden kann, bedarf es laut Untersuchung einer Überarbeitung hinsichtlich der Verwendung medizinischer Begriffe.

Überarbeitung

Der Entwurf soll nun auf Grundlage der Forschungserbegnisse überarbeitet und erneut in der genannten Arbeitsgruppe besprochen werden.

Quellen: BMAS, Paritätischer Gesamtverband, FOKUS-Sozialrecht

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Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung

Mit dem Bundesteilhabegesetz wurde zum 01.01.2018 die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) eingeführt. Diese ist unabhängig von Leistungserbringern oder Leistungsträgern und nur dem Ratsuchenden verpflichtet. Als niederschwelliges Beratungsangebot soll sie wohnortnah sein, zeitnah agieren und mit dem Betroffenen auf „Augenhöhe“ sprechen. Um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, sollen die Beratungsstellen aus Fördermitteln des BMAS finanziert werden. Bei der Förderung besonders berücksichtigt werden sollen Beratungsangebote von Betroffenen für Betroffene (Peer-to-Peer-Counseling).

Ziele

Ziel der EUTB soll sein, „die Position von Menschen mit (drohenden) Behinderungen gegenüber den Leistungsträgern und Leistungserbringern im sozialrechtlichen Dreieck durch ein ergänzendes, allein dem Ratsuchenden gegenüber verpflichtetes Beratungsangebot zu stärken und insbesondere im Vorfeld der Beantragung konkreter Leistungen die notwendige Orientierungs-, Planungs- und Entscheidungshilfe zu geben. Das Angebot soll ganzheitlich die individuelle Persönlichkeit und Situation der Ratsuchenden aufgreifen und deren gesamtes soziales Umfeld mit dem Ziel einbeziehen, die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Ratsuchenden soll dafür ein unabhängiges, d. h. insbesondere von ökonomischen Interessen und der Kostenverantwortung der Leistungsträger und Leistungserbringer weitgehend freies Beratungsangebot zur Verfügung stehen“ (so die Förderrichtlinie zur Durchführung der „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ für Menschen mit Behinderungen vom 17.05.2017).

wissenschaftliche Begleitung

Mit der Einführung der EUTB begann auch die wissenschaftliche Begleitung. Der Evaluationsbericht wurde im April von der Prognos AG und von infas GmbH, die die Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durchführten, vorgestellt.

Mit der EUTB wurden rund 500 Angebote in ganz Deutschland geschaffen, in denen Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen über Fragen der Rehabilitation und Teilhabe informiert und beraten werden. Das deutschlandweite Beratungsaufkommen liegt seit 2020 bei durchschnittlich rund 15.000 Beratungen im Monat.

Ratsuchende sind zufrieden

Die wissenschaftliche Begleitung der EUTB adressiert grundsätzliche Fragen zu den Umsetzungs- und Wirkungsbedingungen der EUTB. Ihre Ergebnisse zeigen, dass es der EUTB auftragsgemäß gelungen ist, ein breit akzeptiertes Informations- und Beratungsangebot zu entwickeln, das die vorhandene Beratungsinfrastruktur im Bereich Rehabilitation und Teilhabe ergänzt. Im Zuge ihrer Etablierung konnte für die EUTB – in der Regie der Fachstelle Teilhabeberatung – ein umfassendes System der Qualifizierung und Qualitätssicherung entwickelt werden, so dass zum Ende der Förderphase einheitliche Qualitätsstandards für die Beratung vorliegen und weiterentwickelt werden können. Die Zufriedenheit der Ratsuchenden mit der Beratung durch die EUTB ist hoch. Die Klärung ihrer Anliegen und die Erreichung der wichtigsten Ziele gelingt nach ihrer Selbsteinschätzung häufig. Damit kann die EUTB nachweislich zur Stärkung der Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Teilhabe der Ratsuchenden beitragen. Die Beratung von Betroffenen für Betroffen als „Peer-Beratung“ trägt zu einer wesentlichen Unterstützung des Angebots bei.

Weiterentwicklung

Zentrale Handlungsfelder für die Weiterentwicklung der EUTB betreffen ihre Vernetzung (intern und extern), die Klärung der fallbegleitenden und rechtlichen Beratungsaufgaben der EUTB, die Weiterentwicklung des Schulungsangebotes der Beraterinnen und Berater, eine stärkere Einbindung der Träger von EUTB- Angeboten, die Erreichung bisher unterrepräsentierter Teilgruppen und die Vertiefung (Qualifizierung) und Ausweitung der beschriebenen Peer-Beratung.

Dauerhafte Förderung seit 2023

Mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz (seit 2020) wurde die rechtliche Grundlage für die Entfristung der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) geschaffen. Sie wird seit dem Jahr 2023 dauerhaft finanziert. Ausführungsvorschriften zur Förderung bzw. Finanzierung sind in der Verordnung zur Weiterführung der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (Teilhabeberatungsverordnung – EUTBV) zu finden. Sie trat am 01.01.2022 in Kraft und regelt u. a. die künftige Finanzierung und die Verteilungsschlüssel für die einzelnen Bundesländer nach Vollzeitäquivalenz (vgl. Tabelle in § 3 EUTBV) Gefördert werden Personal- und Sachausgaben. Die Fördersumme ist jährlich auf 95.000 Euro pro Vollzeitäquivalenz begrenzt. Die Finanzierung erfolgt jeweils für die Dauer von sieben Jahren. Der erste Bewilligungszeitraum läuft vom 01.01.2023 bis zum 31.12.2029.

Quellen: SOLEX, BMAS, FOKUS-Sozialrecht

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Bundesteilhabegesetz – Umsetzung

Vor drei Jahren trat die letzte Stufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Kraft. Von Vorneherein war klar, dass die Umsetzung für alle Beteiligten eine große Herausforderung darstellte. Das Ziel war, auch im Hinblick auf die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) eine zeitgemäßere Gestaltung mit besserer Nutzerorientierung und Zugänglichkeit sowie eine höhere Effizienz der deutschen Eingliederungshilfe zu erreichen.

Bericht der Bundesregierung

Nun hat die Bundesregierung einen „Bericht zum Stand und zu den Ergebnissen der Maßnahmen nach Artikel 25 Absatz 2 bis 4 des Bundesteilhabegesetzes“ vorgelegt. Danach ist die angestrebte Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe noch nicht vollständig in der Praxis umgesetzt. Der Bericht verweist unter anderem auf die pandemiebedingten Einschränkungen der vergangenen drei Jahre, die auch erhebliche Auswirkungen auf das Leben von Menschen mit Behinderungen und die Organisation von Leistungen durch die Leistungsträger gehabt hätten.

Systematik fehlt noch

Vielerorts fehlt eine neue Leistungs- und Vergütungssystematik in der Eingliederungshilfe. Diese bildet die Grundlage für Einzelvereinbarungen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern und ist Voraussetzung für eine stärker auf die Bedarfe der Menschen mit Behinderungen angepasste individuelle Leistungsbewilligung und Erbringung. Außerdem werden die neuen an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientierten Bedarfsermittlungsinstrumente noch nicht flächendeckend in der Eingliederungshilfe eingesetzt.

Einschränkungen durch die Pandemie

Auch die neue Teilhabe- bzw. Gesamtplanung kommt noch nicht überall mit der gewünschten Dynamik zum Einsatz. Diese Verzögerungen lassen sich einerseits damit erklären, dass sich die Verhandlungen zu den Landesrahmenverträgen sowie zu den Einzelvereinbarungen vielerorts schwieriger und aufwändiger darstellten als erwartet. Zum anderen hat die COVID-19-Pandemie viele Personalressourcen bei allen an der BTHG- Umsetzung beteiligten Akteuren gebunden. Aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen konnte zudem etwa die Bedarfsermittlung und die Gesamtplanung über einen längeren Zeitraum nicht im persönlichen Kontakt mit den Leistungsberechtigten durchgeführt werden. Dies betraf auch etwaige Wirtschaftlichkeits- und Qualitätskontrollen, die wegen eingeschränkter Zugangsmöglichkeiten zu Einrichtungen nicht möglich waren.

abschließende Ergebnisse Ende 2024

Dementsprechend könnten zum jetzigen Zeitpunkt noch keine abschließenden Aussagen getroffen werden, ob die mit dem BTHG verbundenen Ziele erreicht werden. Die Begleit- und Forschungsprojekte würden jedoch eine Vielzahl wichtiger Einblicke in verschiedene Fragestellungen enthalten. Die Befunde stellten insofern einen Zwischenstand dar, als dass einer Reihe von Forschungsfragen im Zuge der Verlängerung der Projekte Finanzuntersuchung und Wirkungsprognose um zwei Jahre weiter nachgegangen werde. „Die Veröffentlichung der abschließenden Ergebnisse ist gegen Ende des Jahres 2024 geplant“, schreibt die Regierung. Sie betont zugleich, dass auf jeden Fall schon jetzt erkennbar sei, dass die meisten Akteure und Betroffenen die Ziele des BTHG unterstützen würden, es viele Fortschritte gebe, die Umsetzung deutschlandweit jedoch sehr heterogen sei.

Verlängerung um zwei Jahre

Die teilweise Verlängerung des Projekts „Umsetzungsbegleitung“, ebenfalls um zwei Jahre, sichere die weitere fachliche Begleitung für die noch andauernde Umsetzung der Reform. In den kommenden Monaten müssten die mit diesem Bericht vorgelegten Ergebnisse ausgewertet und die Befunde forschungsprojektübergreifend zueinander in Beziehung gesetzt werden. Auf dieser Basis sollten die bisherigen Ergebnisse auch mit Blick auf die Aufträge des Koalitionsvertrags zur Weiterentwicklung des Leistungsrechts für Menschen mit Behinderungen diskutiert werden.

Untersuchungen und Projekte

Nach Maßgabe des Art. 25 Abs. 2 bis 4 BTHG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die folgenden Untersuchungen und Projekte initiiert:

  • Begleitung der Umsetzung der Regelungen des Bundesteilhabegesetzes (Umsetzungsbegleitung BTHG) nach Art. 25 Abs. 2 BTHG,
  • Untersuchung der Ausführung sowie der absehbaren Wirkungen der neuen Regelungen der Eingliederungshilfe (Wirkungsprognose) nach Art. 25 Abs. 2 BTHG,
  • Modellhafte Erprobung der zum 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Verfahren und Leistungen der Eingliederungshilfe (modellhafte Erprobung) nach Art. 25 Abs. 3 BTHG,
  • Untersuchung der jährlichen Einnahmen und Ausgaben bei den Leistungen der Eingliederungshilfe (Finanzuntersuchung) nach Art. 25 Abs. 4BTHG.

Alle Projekte und Untersuchungen werden nun um zwei Jahre verlängert.

Quellen: Bundestag, BMAS, FOKUS-Sozialrecht

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Mittagessen in der WfbM

Im Jahr 2019 erschien hier eine 19-teilige Artikelserie Beiträge zum Bundesteilhabegesetz. In Teil 10 der Reihe ging es um die Soziale Teilhabe.

Gesetzeslage

Bestandteil der Sozialen Teilhabe ist nach § 113 Abs. 4 SGB IX auch die Gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Allerdings übernimmt die Soziale Teilhabe der Eingliederungshilfe nicht den Warenwert eines Mittagessens, sondern nur die erforderliche sächliche Ausstattung, die personelle Ausstattung und die erforderlichen betriebsnotwendigen Anlagen des Leistungserbringers.

Die reinen Verpflegungskosten dagegen gehören zu den existenzsichernden Leistungen und werden für Bezieher von Grundsicherungsleistungen (SGB XII, SGB II) pauschal als Mehrbedarf erstattet, zur Zeit 3,57 Euro pro Mittagessen.

70 Euro im Monat

Schwierig wird es für langjährige Mitarbeiter in der WfbM, die zusätzlich zu dem (geringen) Werkstattentgelt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen und damit – meistens knapp – die Einkommensgrenze für die Grundsicherung (im Alter und bei Erwerbsminderung) überschreiten. Sie müssen monatlich etwa 70 Euro für Verpflegung in der WfbM selber bezahlen.

Klage beim LSG

Dagegen hat ein Betroffener beim Landessozialgericht Baden Württemberg geklagt und ist am 17. März 2022 mit seiner Klage gescheitert. Sowohl das SG als auch das LSG bewerten die Kosten des Mittagessens als existenzsichernde Leistungen. Sie stellten keine Leistungen dar, die im Rahmen der Eingliederungshilfe zu erbringen seien. Das Mittagessen sei nach dem Willen des Gesetzgebers kein Bestandteil der Eingliederungshilfeleistungen, soweit die Kosten des Mittagessens die Höhe des Mehrbedarfs nach § 42b Abs. 2 Satz 3 SGB XII nicht überschreiten. Lediglich für den Fall, dass die Kosten für die Herstellung und Bereitstellung hierdurch nicht gedeckt würden, seien sie der Eingliederungshilfe zuzuordnen. In diesem speziellen Fall seien aber die kompletten Kosten vom pauschalierten Mehrbedarfsbetrag gedeckt.

Nur wenn es mehr kostet, übernimmt die Eingliederungshilfe

Auch das Argument, dass ja in den 3,57 Euro auch die Kosten für die sächliche und personelle Ausstattung enthalten seien, die dem Kläger somit als Eingliederungshilfeleistung zu erstatten seien, hatte keinen Erfolg. Nur, wenn aus dem Mehrbedarf nicht alle über den Warenwert hinausgehenden Kosten für die Zubereitung und Bereitstellung gedeckt werden können, sei der ungedeckte Teilbetrag von der Eingliederungshilfe zu übernehmen.

Revision möglich

Das Landessozialgericht hat eine Revision beim Bundessozialgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen.

Quellen: LSG Baden Württemberg, FOKUS-Sozialrecht

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Verbesserungen durch das Teilhabestärkungsgesetz?

Morgen, also am 22.4.2021, wird das Teilhabestärkungsgesetz abschließend im Bundestag beraten. Über den Inhalt und die Ziele des Gesetzes berichteten wir im Januar. In der vergangenen Woche gab es dazu die Anhörungen von Experten und Fachverbänden.

Dabei wurde deutlich, dass die im Gesetz vorgesehenen Änderungen im Wesentlichen unterstützt werden. Kritisiert wurde aber, dass einige Schlechterstellungen von Menschen mit Behinderungen bestehen bleiben und die Chance verpasst wurde, die Gleichstellung voranzubringen.

Umsetzung der UN-BRK

Begrüßt auch im Sinne der Umsetzung UN-Behindertenrechtskonvention werden folgende Vorhaben:

  1. Die Aufnahme des Themas Schutz vor Gewalt für behinderte Mädchen und Frauen. Finanzierung und konkrete Strategien müssen noch geklärt werden.
  2. Die Aufnahme Digitaler Gesundheitsanwendungen in den Leistungskatalog.
  3. Die Ausweitung des Budgets für Ausbildung.
  4. Die Abkehr von der bisherigen diskriminierenden Sprachregelung bei der neuen Regelung der Leistungsberechtigung.
  5. Die Änderung des BGG im Hinblick auf die Verpflichtung auch der Privatwirtschaft, Assistenzhunde zu akzeptieren.

Was fehlt?

Wunsch und Wahlrecht

Mit dem BTHG wurden Leistungen der Assistenz für diejenigen, deren Kostenträger die Eingliederungshilfe ist, unter eine Prüfung der „Angemessenheit“ und damit unter Kostenvorbehalt gestellt (§ 104 Abs. 2 SGB IX). Diese Abschwächung des allgemein geltenden Wunsch- und Wahlrechts (§ 8 SGB IX) muss beendet werden. Die freie Wahl der Wohnform ist grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

„Zwangs-Poolen“

Leistungen, die gemeinsam an mehrere Leistungsberechtigte erbracht werden, bezeichnet man auch als Poolen von Leistungen. Das Poolen kann auf Wunsch des Leistungsnehmers geschehen, aber auch gegen seinen Willen, wenn das Poolen für ihn zumutbar ist. Das „Zwangs-Poolen“ ist allerdings rechtlich umstritten. Der Gesetzgeber argumentiert mit der Wirtschaftlichkeit, die Gegner sehen darin Unvereinbarkeiten mit der Behindertenrechtskonvention und dem Grundgesetz. Die gemeinsame Leistungserbringung darf möglich und in Einzelfällen sogar gewollt sein, aber nur, sofern dies dem Wunsch der Betroffenen entspricht. Die gemeinsame Leistungserbringung muss daher – zumindest für den Bereich der Persönlichen Assistenz – unter dem Zustimmungsvorbehalt der Leistungsberechtigten stehen.

Ehrenamt

Die Ausübung eines Ehrenamtes wird durch § 78 Abs. 5 SGB IX unzulässig eingeschränkt. Danach solle die notwendige Unterstützung für die Ausübung eines Ehrenamtes „vorrangig im Rahmen familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher oder ähnlich persönlicher Beziehungen erbracht werden“. Schon die Grünen forderten im November 2018 eine Abschaffung des Absatzes 5. In der Stellungnahme der Selbsthilfe-Initiative Ability Watch wird zumindest die Streichung der Einschränkung „soweit die Unterstützung nicht zumutbar unentgeltlich erbracht werden kann“ gefordert.

Anrechnung von Einkommen und Vermögen

Die UN-BRK fordert die gleichberechtigte Partizipation von Menschen mit Behinderung und damit die Möglichkeit, den gleichen Lebensstandard zu erreichen wie Menschen ohne Behinderung. Behinderungsbedingte Unterstützungsleistungen müssen entsprechend gestaltet sein. Damit verbietet sich auch jede Anrechnung von Einkommen und Vermögen für den Erhalt von Teilhabeleistungen, da diese zu einer Verringerung des Lebensstandards im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung führt. Nancy Poser von Ability Watch dazu: „Dass der Gesetzgeber gleichwohl auch im Entwurf des Teilhabestärkungsgesetzes erneut die Abschaffung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen nicht angeht, scheint einzig in der überkommenden Vorstellung begründet, dass Teilhabeleistungen kein Nachteilsausgleich sondern Teil einer Sozialhilfe seien, für deren Empfang man arm zu sein hat.“

Assistenz im Krankenhaus

In der Anhörung forderte unter anderem der VDK nachdrücklich, die Finanzierung des Assistenzbedarfs im Krankenhaus endlich zu regeln. VdK-Präsidentin Verena Bentele dazu: „Aus unseren Beratungen wissen wir, dass Menschen mit Demenz im Krankenhaus ohne Begleitung nur schwer zurechtkommen. Wenn sie keine vertraute Person bei sich haben, können sie den Ärzten oft nicht folgen. Sie wissen dann nicht, welche Medikamente sie einnehmen sollen und warum eine Behandlung durchgeführt wird. Für Menschen mit Behinderungen oder für alte Menschen mit Demenz ist eine Begleitung im Krankenhaus der Schlüssel, um gesund zu werden. Dafür braucht es endlich eine gesetzliche Regelung. Die Betroffenen dürfen nicht länger von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen werden, weil niemand die Kosten für ihre Assistenz übernehmen will. Eingliederungshilfe und Krankenkassen schieben sich seit Jahren die Verantwortung zu. Die Leidtragenden sind vor allem Menschen mit Demenz oder mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen.“

Schon im Mai 2020 forderten die Fachverbände für Menschen mit Behinderung vom Bundesgesetzgeber, die soziale Assistenz für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung im Krankenhaus sowie in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen als Leistung der Eingliederungshilfe durch eine geeignete Regelung im SGB IX sicherzustellen. Die Fachverbände schlagen vor, die Liste der Leistungen zur sozialen Teilhabe in § 113 Abs. 2 Ziffern 1-9 SGB IX um eine Ziffer 10 „Assistenz im Krankenhaus sowie in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen“ zu ergänzen.

Ausgerechnet die AfD hat in einem Zusatzantrag zum Gesetzentwurf diesen Punkt aufgegriffen und fordert wortgleich eben diese Gesetzesänderung. Falls es tatsächlich zu der Ergänzung im Gesetz kommen sollte, wird es der AfD aber nicht gelingen, dies als „ihren Erfolg“ darzustellen.

Schwammige Rechtsbegriffe

Mit dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung zahlreiche Änderungen im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) umsetzen, die den Alltag von Menschen mit Behinderungen erleichtern sollen. So soll beispielsweise geregelt werden, dass Menschen mit Behinderung der Zutritt nicht wegen einer Begleitung durch einen Assistenz- oder Blindenführhund verweigert werden darf.

Viele Organisationen und Vereine kritisieren dabei jedoch schwammige Rechtsbegriffe und befürchten, dass Menschen mit Behinderung auch weiterhin selber beweisen müssten, dass sie beim Besuch von Geschäften oder Einrichtungen auf die Begleitung ihres Assistenzhundes angewiesen sind. Befürchtet wird zudem, dass sich Nachteile für Menschen in Begleitung von Blindenführhunden ergeben werden, sofern Blindenführhunde, wie vorgesehen, keine Assistenzhunde nach dem BGG sein sollen. Mit der Unterscheidung zwischen Assistenz- und Blindenführhunden würde der Sonderstatus des Blindenführhundes zementiert, was dazu führen könnte, dass Assistenzhunde „nachhaltig von der Finanzierung durch Sozialleistungsträger ausgeschlossen bleiben“, schreibt etwa der Verein Associata-Assistenzhunde in seiner Stellungnahme für den Gesetzentwurf. Auch die Allianz für Assistenzhunde fragt in ihrer Stellungnahme: „Warum müssen Halter*innen von Nicht-Blindenführhunden mit hohen Kosten kämpfen, während Blindenführhund-Teams gefördert werden?“

Bundesrat

Sollte das Teilhabestärkungsgesetz im Bundestag verabschiedet werden, muss es noch im Bundesrat bestätigt werden. Auf der Tagesordnung der nächsten Bundesratssitzung ist es aber noch nicht aufgeführt. Es kann also noch Juni werden, bis das Gesetz endgültig verabschiedet wird. Geplant ist das Inkrafttreten zum 1.1.2022, teilweise aber schon direkt nach Verkündung des Gesetzes (Gewaltschutz, Digitale Gesundheitsanwendungen, Ausweitung des Budgets für Ausbildung).

Quellen: Bundestag, Bundesrat, ability watch, VDK, Neues Deutschland, FOKUS-Sozialrecht – Artikelserie zum BTHG

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