Transfusionsgesetz, diskriminierungsfrei

Der Bundestag hat am 16.03.2023 eine Änderung des Transfusionsgesetzes beschlossen. Damit wird die bestehende Diskriminierung von schwulen und bisexuellen Männern sowie transgeschlechtlichen Menschen bei der Blutspende abgeschafft.

sinkende Bereitschaft zum Blutspenden

Blutkonserven und Blutprodukte retten jeden Tag Menschenleben. Die Nachfrage nach diesen lebensrettenden, nach wie vor nicht synthetisch herstellbaren Blutprodukten ist ungebremst hoch. Infolge der Corona-Pandemie ist die Bereitschaft zu Blutspenden jedoch weiter signifikant gesunken und wird auch aufgrund der demographischen Entwicklung in Deutschland weiter sinken. Schon jetzt beklagen die Hilfsorganisationen einen eklatanten Mangel an Blutspenden, der noch zunehmen wird, wenn nicht entsprechend politisch gehandelt wird.

Diskriminierung

Trotz dieses Notstands, der täglich Menschenleben kosten kann, sind grundsätzlich spendenbereite homosexuelle Menschen, vor allem Männer, die Sex mit Männern haben, nach den derzeitigen Regelungen zur Blutspende in Deutschland faktisch weitgehend von Blutspenden ausgeschlossen, dies schließt Trans-Personen mit ein. Diese Regelungen und die prozeduralen Vorgaben werden von der überwältigenden Mehrheit der Betroffenen als Diskriminierung empfunden und nimmt vielen betroffenen Menschen von vorneherein die Bereitschaft zur Blutspende.

Pauschal auf homosexuelle Menschen bzw. auf Männer, die Sex mit Männern haben bzw. Trans-Personen, abzielende Ausschlusskriterien, die sich nicht am individuellen Risikoverhalten orientieren, stellt ebenso wie die vor einer Spende zu machende Auskunftspflicht über die sexuelle Orientierung eine nicht akzeptable Diskriminierung ohne medizinische Notwendigkeit dar, die in der Folge den Mangel an lebensrettenden Blutspenden verschärft. Dies gilt infolge der Corona-Pandemie umso mehr.

Risikoverhalten ist ausschlaggebend

Nicht die sexuelle Orientierung per se ist jedoch maßgeblich für ein Infektionsrisiko, sondern das tatsächliche, individuelle Risikoverhalten, zum Beispiel durch ungeschützten Sexualverkehr mit häufig wechselnden Partnerinnen und Partnern, u. a. aus dem Bereich der Prostitution. Dies trifft auf hetero- als auch auf homosexuelle Menschen gleichermaßen zu. Unbestritten muss die medizinische Sicherheit der Blutspenden für die Empfänger höchste Priorität haben. Mittlerweile garantieren allerdings sehr hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei der Spende selbst als auch bei der Weiterverarbeitung der Blutspenden, dass das Risiko einer Infektion infolge einer Bluttransfusion verschwindend gering ist.

Österreichisches Modell

Ein Lösungsweg, der die Aspekte Sicherheit der Blutspenden und Diskriminierungsfreiheit aller Spender sinnvoll zusammenführt, ist das im Sommer 2022 in Österreich eingeführte Modell. Hier gilt die sogenannte „3 mal 3-Regel“: Wer innerhalb der vergangenen drei Monate mit mehr als drei verschiedenen Partnern Geschlechtsverkehr hatte und ein entsprechendes Risiko vermutet, wird für drei Monate von der Blutspende ausgenommen – unabhängig davon, ob die Person homosexuell oder ein Trans-Person ist oder nicht. Diese Regel basiert auf den modernen Blutanalysetechniken, ist evidenzbasiert und bildet den aktuellen wissenschaftlichen Stand ab. Dabei muss die spendenbereite Person ihre sexuelle Orientierung im Voraus nicht angeben. So ist jede Form von Diskriminierung gänzlich ausgeschlossen. Dieses Modell sollte daher in deutsches Recht überführt werden. Nach Einführung des österreichischen Modells in das deutsche Recht würde sich die Zahl der Blutspenden in der Konsequenz signifikant erhöhen, womit Tag für Tag Leben gerettet werden könnten.

Quelle: Bundestag

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Lichtblicke aus Brüssel

Während sich Deutschland immer noch schwer tut mit der Bekämpfung der drohenden Klimakatastrophe, gibt es ab und an ermutigende Zeichen von der EU.

Klimaziele verfehlt? Egal!

Was passiert gerade in Deutschland? Das Klimaschutzgesetz soll entschärft werden. Der Koalitionsausschuss hat sich neulich darauf geeinigt, dass die sektorspezifischen Ziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen abgeschafft werden sollen. Beschlossen ist das aber nicht, es gibt noch nicht mal einen Gesetzentwurf dazu. Daher ist die Rechtslage immer noch so, dass Minister wie der Verkehrsminister, der die Klimaziele deutlich verfehlt hat, verpflichtet ist, bis Mitte Juni ein Sofortprogramm vorlegen, das mit konkreten Maßnahmen zeigt, wie der Verkehr wieder auf Klimakurs kommt.

Kanzler Scholz hebelt das Gesetz mit einer „Weisung“ aus. Verkehrsminister Wissing muss nichts tun, schließlich wolle man ja die Rechtslage ändern. Diese Form von Demokratieverständnis ist auch für die SPD ziemlich neu. Die Aufregung hält sich in Grenzen. Stattdessen wird von den „staatstragenden Parteien“ eine längere Haftstrafe für „Klimakleber“ bejubelt. Da fragt man sich, wer die größere kriminelle Energie hat und wer die wahren „Klimaterroristen“ sind.

Und die EU?

Nach dem Rat der Mitgliedsländer hat nun auch das Europäische Parlament das Herzstück des Europäischen Green Deals beschlossen. Die EU-Staaten müssen dem Plan noch zustimmen, was jedoch als Formsache gilt.

Das Paket enthält:

  • Die Verschärfung des EU-Emissionshandels für Energieproduktion und Industrie (ETS1)
  • Reform zur Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel
  • Die Absicherung für die energieintensive Industrie durch einen Grenzausgleichsmechanismus (“CBAM”)
  • Die Einführung eines zweiten Emissionshandels für die Bereiche Gebäude und Verkehr (ETS2)
  • Die Einführung eines EU-Klimasozialfonds

Erfolg der Protestbewegung

Dieses Klimapaket wurde nur durch die Zuspitzung der Klimakrise und die Protestbewegung Fridays for Future möglich. Sie hatte großen Einfluss auf das Ergebnis der Europawahlen 2019.

harte Deckel

Der EU-Emissionshandel setzt harte Deckel für die Treibhausgasemissionen. Leider galt er bisher nur für gut 40% der Gesamtemissionen. Durch den neuen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr sowie die Erweiterung des ETS1 für kleinere Industriebetriebe werden künftig über 85% aller EU-Treibhausgasemissionen vom Emissionshandel erfasst. Auch Verkehr und Gebäude, die beim Klimaschutz bisher besonders schlecht geliefert haben, sind nun durch einen echten Emissionsdeckel erfasst. Zudem werden die Emissionsminderungsanstrengung für Industrie und Kraftwerke auf -62% bis 2030 gegenüber 2005 (bisher sind es -43%) erhöht.

Sozialer Ausgleich

Doch gerade mit der Ausweitung auf Gebäude und Verkehr stellen sich soziale Fragen. Erstmals im europäischen Recht überhaupt, beschließt die EU im Mehrheitsverfahren einen starken sozialen Ausgleich. Erstmals beschließt die EU parallel zu einer regulatorischen Maßnahme im Binnenmarkt gleichzeitig einen Ausgleich sozialer Folgekosten. Dabei startet der Klimasozialfonds schon in 2026, während der ETS2 erst zum 1.1.2027 startet. Insgesamt stellen die EU sowie die Mitgliedsstaaten rund 87 Mrd. Euro zur Verfügung, um Klimaschutz sozial gerecht zu machen. Nun liegt es an den Mitgliedsstaaten, diese Gelder so auszugeben, dass die verletzlichsten Mitbürger*innen präzise erreicht werden.

Darüber hinaus wird eine Art Klimazoll für Drittländer eingeführt, der sogenannte Kohlendioxid-Grenzausgleichsmechanismus, der ab 2034 vollständig gelten soll. So müssen künftig auch Produzenten im Ausland für den Ausstoß von CO2 zahlen, wenn sie ihre Ware in der EU verkaufen wollen.

Quellen: T-Online, Sven Giegold

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3.000 neue Hilfsmittel

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) berichtete am 11. April über die aktuelle Überarbeitung des Hilfs- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses. Die 41 Produktgruppen des Verzeichnisses werden regelmäßig fortgeschrieben, damit relevante medizinische und technische Erkenntnisse und Entwicklungen möglichst schnell bei den Versicherten ankommen.

Patient*innen-Vertreter beteiligt

Zusätzlich zu den fast 3.000 neu aufgenommenen Hilfsmitteln wurden 1.431 Hilfsmittel aktualisiert. 338 Produkte, die veraltet sind oder nicht mehr hergestellt werden, wurden aus dem Verzeichnis gelöscht. Bei der Fortschreibung sind zahlreiche weitere Institutionen beteiligt, unter anderem Vertretungen von Patientinnen und Patienten.

Gesetzliche Grundlagen

Die Versorgung mit Hilfsmitteln im Sinne des § 33 SGB V ist Teil der medizinischen Vorsorgeleistungen und der Krankenbehandlung.
Nach § 139 Abs. 1 SGB V erstellt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ein systematisch strukturiertes Hilfsmittelverzeichnis. In dem Verzeichnis sind von der Leistungspflicht umfasste Hilfsmittel aufzuführen.

Beratungsverpflichtung

GKV-Versicherte haben Anspruch auf eine mehrkostenfreie Versorgung mit Hilfs- und Pflegehilfsmitteln. Die im Hilfsmittelverzeichnis festgelegten Beratungsverpflichtungen stellen sicher, dass gesetzlich Versicherte – immerhin 90 Prozent der Gesamtbevölkerung – nicht durch ungerechtfertigte Mehrkosten belastet werden. Leistungserbringende wie Sanitätshäuser, Orthopädiefachgeschäfte oder Hörakustikerinnen und -akustiker müssen stets aktiv über diesen Versorgungsanspruch informieren, eine Auswahl an mehrkostenfreien Hilfsmitteln anbieten und auf eventuelle Mehrkosten ausdrücklich hinweisen.

Digitale Pflegehilfsmittel helfen bei selbstständigem Leben

Zu den neu aufgenommenen digitalen Hilfsmitteln zählt zum Beispiel ein digitaler Medikamentenspender, der Pflegebedürftige dabei unterstützt, selbstständig ihre Medikamente zu nehmen. Außerdem gibt es jetzt ein Assistenzsystem als Pflegehilfsmittel, das unter anderem Stürze erkennt. Allen Produkten ist gemein, dass sie selbstständiges Leben unterstützen. Sie zählen zur Produktgruppe 52 (Pflegehilfsmittel zur selbständigeren Lebensführung/Mobilität).

Neuer orthopädischer Roller

Ein Beispiel für die vielen neuen nicht-digitalen Hilfsmittel ist ein dreirädriger orthopädischer Roller für Menschen mit bestimmten Einschränkungen: Der Unterschenkel liegt hier auf einer gepolsterten Auflage, mit dem gesunden Bein nimmt man Schwung. Der Roller ermöglicht eine selbstständige, sichere Fortbewegung mit wenig Kraftaufwand. Diese Innovation hat über das Antragsverfahren den Weg in die Versorgung gefunden und ist Teil der Produktgruppe 22 (Mobilitätshilfen).

Hilfe bei Ödemen

Für Menschen mit bestimmten Ödemen gibt es jetzt medizinisch adaptive Kompressionssysteme (MAK), die zur Entstauung eingesetzt werden. Anders als die üblichen Kompressionsbandagierungen können Versicherte diese einfach selbst anlegen und mit einem Klettverschluss anpassen. MAK gehören zur Produktgruppe 17 (Hilfsmittel zur Kompressionstherapie) und kommen unter anderem beim Lymphödem und beim ausgeprägten venösen Ödem zum Einsatz.

Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses wird fortgesetzt

Seit der 2018 abgeschlossenen Gesamtfortschreibung des Hilfs- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses wurden bereits 30 Produktgruppen erneut überarbeitet, 15 davon im vergangenen Jahr. Elf weitere Fortschreibungen sind in Arbeit. Bis Ende 2023 werden voraussichtlich alle 41 bestehenden Produktgruppen erneut aktualisiert sein. Neu kommt die Produktgruppe 30 (Hilfsmittel zum Glukosemanagement) hinzu, um den besonders innovationsstarken Bereich der Insulintherapie besser abzubilden.

Quelle: GKV

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Wokeness und Sonderurlaub

Wenn man zwei sehr unterschiedliche Dinge miteinander verknüpft, kann das für heftige Aufregung sorgen. Zum einen gab es einen Gesetzentwurf des Familienministeriums („Familienstartzeitgesetz„) und zum anderen die vermeintliche Abschaffung des Begriffs „Mutter“ durch die Tagesschau.

10 Arbeitstage nach der Geburt

Aber der Reihe nach: Das BMFSFJ setzt mit dem Familienstartzeitgesetz eine EU-Richtlinie und ein Vorhaben aus dem Koalititonsvertrag um. Kernpunkt ist ein zweiwöchiger Sonderurlaub nach einer Geburt, parallel zum Mutterschaftsurlaub, der in der Regel 12 Wochen nach der Geburt dauert.

Zehn Arbeitstage sollen Partnerinnen oder Partner der Mutter künftig nach der Geburt freigestellt werden. Alleinerziehende können eine Person aus ihrem Bekanntenkreis benennen, der der Anspruch auf den Sonderurlaub dann zugesprochen wird.

Umlageverfahren

Die Kosten hierfür sollen laut dem Gesetzentwurf nicht die Arbeitgeber*innen tragen, sondern werden durch ein Umlageverfahren finanziert. Es ist das gleiche Verfahren, das bislang für die Mutterschaftsleistungen gilt. Dabei zahlen Arbeitgeber*innen eine Umlage und bekommen dann die zu zahlenden Mutterschaftsbezüge von der Krankenkasse erstattet.

Die bezahlte Freistellung, der zehntägige Sonderurlaub läßt insbesondere ärmere Familien profitieren. Die Begründung aus dem Familienministerium lautet: Mütter und Väter, die nicht über große finanzielle Mittel verfügen, arbeiteten oft in körperlich anstrengenden Berufen, im Schichtdienst oder sie hätten lange Wege zur Arbeit zurückzulegen. Durch den Sonderurlaub würde folglich grade ihnen der Start in die erweiterte Familienzeit erleichtert werden.

Länger Elterngeld bei Frühgeburten

Zeitgleich mit der Partnerfreistellung nach der Geburt soll die Änderung des Mutterschutzgesetzes auch Eltern von Frühchen stärker berücksichtigen. Eltern, deren Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, sollen künftig einen weiteren Monat Basiselterngeld erhalten. Damit sollen Familien besser unterstützt werden, die einen höheren Bedarf für Pflege und Erziehung benötigen.

Nicht alle Mütter sind Gebärende

Bei der Berichterstattung über den Gesetzentwurf verwendete die Tagesschau zunächst statt den Begriff „Mutter“ die Begriffe „entbindende Person“ und „gebärende Personen“. Es gibt nun mal Familien mit zwei Müttern statt Vater und Mutter. Mit der Formulierung soll klargestellt werden, dass natürlich der neue Sonderurlaub für die Partnerin der gebärenden Mutter gilt.

Was ist woke?

Das verschaffte dem eigentlich unspektakulären Gesetzentwurf eine enorme Resonanz. Man darf nun nicht mehr „Mutter“ sagen! Der Untergang des Abendlands droht! Und alles nur wegen der „woken“ Verbotspolitik!

Ich bin sicher, dass die meisten Menschen, die andere als „woke“ beschimpfen, gar nicht wissen, was das bedeutet. Der Begriff „woke“ entstand in den 30er Jahren des letzten Jahhunderts in den USA und beschreibt ein „erwachtes“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus.

Der Begriff wird von Konservativen und Rechten bis hin zu Rechtsextremen abwertend verwendet und politisch instrumentalisiert. Bemühungen gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Transphobie werden als „abartig, verrückt, gefährlich und als unmittelbare Bedrohung“ für die althergebrachte Lebensweise dargestellt.

Aufschrei bei den üblichen Verdächtigen

Kein Wunder also, dass der Versuch der Tagesschau, eine möglichst genaue und alle einschließende Formulierung zu wählen einen Aufschrei bei den üblichen konservativen Politikern im Einklang mit der AFD und den Propagandisten der Springer-Presse auslöste.

Die Tagesschau hat den Begriff später korrigiert, leider ohne Erklärung, nur dass es „Missverständnisse“ gegeben habe, und wieder „Mutter“ verwendet.

Das Familienstartzeitgesetz soll übrigens ab 1. Januar 2024 gelten.

Quellen: Tagesschau, buerger-geld.org

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Pflegereform im Kabinett

Das Bundeskabinett hat das Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege am 5. April verabschiedet. Es ist damit auf den parlamentarischen Weg gebracht. Es soll im Wesentlichen zum 1. Juli 2023 in Kraft treten.

Wesentlicher Inhalt

  • Der gesetzliche Beitragssatz soll zum 1. Juli von derzeit 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent steigen, der für Kinderlose von 3,4 auf 4,0 Prozent. Eltern mit mehr als einem Kind werden laut Entwurf weniger belastet: Ihr Beitrag würde ab dem zweiten Kind wieder um 0,15 Prozentpunkte pro Kind gesenkt, die Entlastung aber auf maximal 0,6 Prozentpunkte begrenzt. Damit setzt das Ministerium ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts um. 
  • Das Pflegegeld steigt soll ab 2024 um fünf Prozent steigen.
  • 2025 und 2028 sollen die Geld- und Sachleistungen entsprechend der Preisentwicklung weiter angepasst werden.
  • Verhinderungs- und Kurzzeitpflege in der ambulanten Pflege sollen ab 2024 in einen Jahresbetrag zusammengeführt werden, den Pflegebedürftige für ihre Zwecke flexibel einsetzen dürften.
  • Arbeitnehmer, die wegen einer akut auftretenden Pflegesituation eines Angehörigen nicht arbeiten können, hätten künftig nicht nur pro Kalenderjahr insgesamt bis zu zehn Arbeitstage Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld, sondern je pflegebedürftiger Person.
  • Um Pflegebedürftige in Heimen zu entlasten, sollen 2024 die Zuschüsse zu den Eigenanteilen um fünf bis zehn Prozentpunkte steigen.

Bessere Arbeitsbedingungen für beruflich Pflegende

  • In der stationären Pflege wird die Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens durch die Vorgabe weiterer Ausbaustufen beschleunigt. Dabei ist die Situation auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu berücksichtigen.
  • Um das Potential der Digitalisierung zur Verbesserung und Stärkung der pflegerischen Versorgung zu nutzen und die Umsetzung in die Praxis zu unterstützen, wird ein Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege eingerichtet.
  • Das Förderprogramm für digitale und technische Anschaffungen in Pflegeeinrichtungen mit einem Volumen von insgesamt etwa 300 Mio. Euro wird um weitere Fördertatbestände ausgeweitet und bis zum Ende des Jahrzehnts verlängert.

Halbherzige Pläne

So beschreibt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, den Entwurf von Minister Lauterbach. Er sei völlig unzureichend die Probleme zu lösen.

Eines der Hauptprobleme, das auch durch den vorgelegten Gesetzentwurf nicht gelöst werde, seien die explodierenden Eigenanteile, kritisiert der Verband. Inzwischen sind fast ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Heimen auf Sozialhilfe angewiesen, weil sie die Kosten nicht alleine bewältigen können.

Defizit der Pflegeversicherung

Laut Tagesschau beziehen etwa 4,9 Millionen Menschen Leistungen aus der gesetzlichen oder privaten Pflegeversicherung, etwa vier Millionen werden zu Hause versorgt. n den Corona-Jahren stiegen die Ausgaben der Pflegeversicherung stark an und lagen 2021 bei rund 53,8 Milliarden Euro und damit 1,35 Milliarden Euro über den Einnahmen. Das Defizit stieg das Defizit zum Jahresende 2022 auf rund 2,2 Milliarden Euro. Die Pflegeversicherung muss außerdem ein Darlehen aus dem vorigen Jahr in Höhe von einer Milliarde Euro an den Bund zurückzahlen.

Quelle: Bundesregierung, Paritätischer Gesamtverband, Tagesschau, FOKUS-Sozialrecht,

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G-BA: Ende der Sonderregelungen

Zwei Verordnungen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) mit Sonderregelungen zu Leistungsansprüchen während der COVID-19-Pandemie laufen am 7. April 2023 aus. Dies teilt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einer Presseerklärung am 6. April 2023 mit.

  • Mit dem Außerkrafttreten der Coronavirus-Impfverordnung gilt für den Anspruch von gesetzlich Krankenversicherten auf COVID-19-Impfungen damit ab 8. April 2023 die Schutzimpfungs-Richtlinie des G-BA.
  • Mit dem Außerkrafttreten der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung enden auch die Corona-Sonderregelungen, die der G-BA in seinen Richtlinien zum Entlassmanagement von Krankenhäusern vorgesehen hatte: Ab dem 8. April gelten hier wieder die regulären Möglichkeiten zur Verordnung von Leistungen wie Heilmittel und häusliche Krankenpflege.

Schutzimpfungen gegen COVID-19

Die ab 8. April 2023 geltende Fassung der Schutzimpfungs-Richtlinie berücksichtigt bereits die aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Entsprechende Beschlüsse hatte der G-BA vorsorglich gefasst.

In der Richtlinie ist festgehalten, welche Impfstoffe zur Grundimmunisierung und für Auffrischimpfungen in den verschiedenen Altersgruppen auch unter Berücksichtigung besonderer Risiken wie Vorerkrankungen eingesetzt werden können.

Ärztin oder Arzt entscheidet

Darüberhinausgehende Leistungsansprüche auf Impfungen gegen COVID-19 sieht das BMG in seiner Verordnung zum Anspruch auf zusätzliche Schutzimpfung und auf Präexpositionsprophylaxe gegen COVID-19 (COVID-19-VorsorgeV) vor, wenn diese von einer Ärztin oder einem Arzt für medizinisch erforderlich gehalten werden.

Damit reduziert sich der Umfang des Anspruchs auf Schutzimpfung gegen das
Coronavirus SARS-CoV-2 ab dem 8. April 2023 von dem weitreichenden Anspruch nach der bisherigen Corona-Impfverordnung auf die dann geltenden Bestimmungen in der Schutzimpfungs-Richtlinie. Ab diesem Zeitpunkt ist der Anspruch der in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Person auf Schutzimpfungen unter anderem abhängig

  • von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe,
  • von einer entsprechenden Vorerkrankung oder
  • von einer beruflichen Indikation.

Die Krankenkasse kann nach § 20i Absatz 2 SGB V in ihrer Satzung weitere Schutzimpfungen und andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe vorsehen. Die Festlegung von Satzungsleistungen liegt im Ermessen der jeweiligen Krankenkasse.

Entlassmanagement nach einem Krankenhausaufenthalt

Seit dem 8. April 2023 gelten wieder die Regeln wie vor der Pandemie: Krankenhäuser können bei der Überleitung in die ambulante Versorgung die benötigten Leistungen für eine Dauer von bis zu 7 (statt 14) Tagen verordnen. Damit soll die in der Regel kurze Spanne bis zum Beginn der Nachbetreuung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte abgesichert werden. Das Entlassmanagement umfasst die Verordnung von

  • häuslicher Krankenpflege,
  • Heilmitteln,
  • Hilfsmitteln,
  • Soziotherapie,
  • spezialisierter ambulanter Palliativversorgung

sowie von sonstigen in die Arzneimittelversorgung einbezogenen Produkten. Arzneimittel können von Seiten des Krankenhauses mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen verordnet werden. Auch das Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist für die Dauer von 7 Tagen möglich.

Hintergrund

Erstmals am 20. März 2020 beschloss der G-BA zeitlich befristete Corona-Sonderregelungen: Ausnahmeregelungen, die in der pandemischen Situation für die Versicherten, die Krankenkassen und die ambulanten und stationären Leistungserbringer praktikable Abweichungen von den regulären Vorgaben ermöglichten. Die insgesamt weit über 100 gefassten Beschlüsse zielten im Wesentlichen darauf ab, den medizinischen Einrichtungen mehr Flexibilität beim Einsatz ihrer personellen Ressourcen zu geben und sie von Routineaufgaben und auch Dokumentationsvorgaben zu entlasten. Zudem galt es angesichts des hohen Infektionsrisikos in medizinischen Einrichtungen, direkte Kontakte zwischen medizinischem Personal und Versicherten zu reduzieren, ohne die ja weiterhin benötigten Versorgungsangebote komplett herunterzufahren.

Quelle: G-BA, Bundesgesetzblatt

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Vergütung während des Pflegestudiums

Mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz soll die Vergütung für diejenigen geregelt werden, die sich für ein Pflege-Studium entscheiden oder die bereits studieren. Gleichzeitig soll die Anerkennung ausländischer Abschlüsse in der Pflege vereinfacht werden. Den Referentenentwurf zum Pflegestudiumstärkungsgesetz (PflStudStG) hat Familienministerin Paus nun vorgelegt.

Duales Studium

Mit dem Gesetz zur Stärkung der hochschulischen Pflegeausbildung, zu Erleichterungen bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse in der Pflege und zur Änderung weiterer Vorschriften (Pflegestudiumstärkungsgesetz) soll das Pflegestudium als duales Studium ausgestaltet und die Finanzierung des praktischen Teils der hochschulischen Pflegeausbildung durch die Integration in das bestehende Finanzierungssystem der beruflichen Pflegeausbildung geregelt werden. Für die Studierenden soll eine angemessene Ausbildungsvergütung für die gesamte Dauer des Studiums eingeführt werden.

nicht nur für Neu-Student*innen

Mit Übergangsvorschriften soll sichergestellt werden, dass eine hochschulische Pflegeausbildung, die auf Grundlage der bisherigen Regelungen begonnen wurde, ohne die Notwendigkeit einer umfassenden Neuorganisation zu Ende geführt werden kann. Diese Studierenden sollen für die verbleibende Studienzeit ebenfalls eine Ausbildungsvergütung erhalten können.

Höhe wie bei Azubis

Studierende im Pflegebereich, die den praktischen Teil ihres Studiums in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes ableisten, können sich am Tarifvertrag für Auszubildende für die Pflege orientieren. Die Höhe der Brutto-Vergütung liegt hier für das jeweilige Ausbildungsjahr bei circa (Stand: 4/2022):

1. Ausbildungsjahr: rund 1.190 EUR
2. Ausbildungsjahr: rund 1.252 EUR
3. Ausbildungsjahr: rund 1.353 EUR

Vereinfachungen für ausländische Kräfte

Durch den Gesetzesentwurf sollen zudem die Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegefachkräfte vereinheitlicht und vereinfacht werden. Dazu soll insbesondere eine bundesrechtliche Regelung des Umfangs und der erforderlichen Formerfordernisse der insoweit vorzulegenden Unterlagen sowie der Etablierung der Möglichkeit eines Verzichts auf eine umfassende Gleichwertigkeitsprüfung zugunsten einer Kenntnisprüfung oder eines Anpassungslehrgangs beitragen.

Digitale Kompetenzen

Daneben sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen der beruflichen Pflegeausbildung an aktuelle Entwicklungen angepasst werden, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung. Unter anderem sollen digitale Kompetenzen als Teil des Ausbildungsziels ausdrücklich aufgenommen und in den Kompetenzkatalogen der Pflegeberufe-Ausbildungs- und -Prüfungsverordnung erweitert werden. Zudem sollen digitale Unterrichtsformate in der Ausbildung und im Studium in der Pflege ermöglicht werden. 

Ressortabstimmung

Der Referentenentwurf befindet sich zurzeit in der Ressortabstimmung und wurde den Ländern und Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet.

Quelle: BMFSJ

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Die antastbare Würde

Am 26. Mai 1993 wurde das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) als Begleitinstrument der vorangegangenen Änderung des Grundgesetzes Artikel 16 „Politisch Verfolgte genießen Asyl“ und der Einführung des Artikels 16a im Bundestag beschlossen.

Kampagne von BILD und Co.

Vorausgegangen war ein Anstieg der Flüchtlingszahlen, insbesondere durch den Bürgerkrieg in Jugoslawien und eine beispiellose Hetzkampagne vor allem der Springerpresse („Das Boot ist voll“, Asylmißbrauch“, „Überfremdung“). Die Rhetorik wurde gerne von rechtsradikalen Parteien, aber auch von den Unionsparteien, vor allem in Wahlkämpfen übernommen.

Nicht verwunderlich war es daher, dass es Menschen gab, die den vermeintlichen Volkswillen in die Tat umsetzten, mit Mord- und Brandanschlägen auf Asylbewerberheime und Wohnhäusern von ausländischen Bürgern. (Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Lübeck usw.) Der rechte Terror forderte viele Todesopfer.
Eine gute Zusammenfassung der Ereignisse findet man in wikipedia.

Asylkompromiss

Statt einer wirksamen Bekämpfung des rechten Terrors und verbesserten Schutz von ausländischen Mitbügern und Flüchtlingen, fiel der Politik nichts anderes ein als ein Einknicken vor der Gewalt. Mit dem sogenannten „Asylkompromiss“ wurde, auch mit den Stimmen der SPD, das Grundgesetz geändert. Dadurch wurde das individuelle Grundrecht auf Asyl stark eingeschränkt. Seitdem können Asylsuchende ohne Anhörung zurückgewiesen werden, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat oder einem sicheren Herkunftsstaat einreisen. Da alle Nachbarländer Deutschlands als sichere Drittstaaten gelten, war es für Asylsuchende praktisch nicht mehr zielführend, auf dem Landweg einzureisen.

Flankiert wurde die Grundgesetzänderung durch das Asylbewerberleistungsgesetz. Dieses verschlechterte die materiellen Bedingungen für Asylbewerber deutlich. Es vollzog die Trennung der Fürsorgepflicht für Asylbewerber von den Rechtsansprüchen auf Sozialhilfe. Sachleistungen ersetzten nun Bargeldleistungen, Gesundheitsleistungen wurden auf Notwendiges reduziert.

Tatsächlich nahm die Zahl der Asylbewerber danach ab, dafür stieg die Zahl der illegalen Einwanderung.

Proteste und gerichtliche Erfolge

In den zurückliegenden 30 Jahren gab es, auch von den Betroffenen selbst, kontinuierliche bundesweite Protestaktionen gegen soziale Ausgrenzung, Ungleichheit und die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Obwohl das hiesige Existenzminimum bereits niedrig gerechnet wird und nicht für ein menschenwürdiges Leben ausreicht, erhalten Personen im AsylbLG noch weniger. Zwar konnte immer wieder kleinere juristische Erfolge gefeiert werden, wie z.B. 2012, als das BVerfG Leistungskürzungen aus migrationspolitischen Erwägungen ablehnte oder wie erst kürzlich geurteilt wurde, dass die niedrigere „Sonderbedarfsstufe“ für alleinstehende erwachsene Asylbewerber*innen in Sammelunterkünften gegen das Grundgesetz verstößt.

Zwei Menschenwürden

Dennoch wird nach wie vor intensiv in die Selbstbestimmung Betroffener eingegriffen und bis heute werden Geflüchtete in Ankunftszentren und Erstaufnahmeeinrichtungen – denen sogar eine selbstbestimmte Ernährung verboten wird – entmündigt.

Die unantastbare Würde des Menschen wurde in Deutschland mit der Grundgesetzänderung und dem Asylbewerberleistungsgesetz antastbar. Seit dem gibt es zwei Menschenwürden in diesem Land.

Bundesweite Aktionswoche

Der „Arbeitskreis kritische soziale Arbeit Freiburg“ ruft daher zu einer bundesweiten Aktionswoche auf vom 20. – 26. Mai 2023: „30 Jahre Protest gegen das Asylbewerberleistungsgesetz

Quellen: wikipedia, Politik und Unterricht, aks Freiburg

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AU per Telefon – wie geht es weiter?

Wer erkältet war, konnte sich lange Zeit per Telefon von seinem Arzt krankschreiben lassen. Telefonische Krankschreibungen waren bei leichteren Atemwegserkrankungen für bis zu sieben Tage möglich. Die Regelung läuft am 31. März 2023 aus.

Pandemie-Sonderregelung

Die telefonische Krankschreibung war Teil der Sicherheitsmaßnahmen während der akuten Corona-Pandemie. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte sie eingeführt. Ziel war es, volle Wartezimmer zu vermeiden und so insbesondere chronisch Kranke vor vermeidbaren Infektionen zu schützen.

Da sich in Deutschland neben Corona-Infektionen Erkältungs – und Grippe-Erkrankungen ausbreiteten, wurde die Regelung mehrmals verlängert. Sollte sich wieder eine Situation einstellen, die Sicherheitsmaßnahmen erfordert, wird der Gemeinsame Bundesausschuss erneut schnell reagieren.

warum nicht dauerhaft?

Der Hausärzteverband kritisiert das Auslaufen der Regelung. Er fordert, dass die telefonische Krankschreibung für die Fälle, in denen es medizinisch sinnvoll ist, dauerhaft etabliert wird. Grundvoraussetzung muss natürlich sein, dass die jeweiligen Patientinnen und Patienten den Praxen bekannt sind, und dass es sich um eine Krankschreibung von maximal sieben Tagen handelt. Vor dem Hintergrund des enormen Versorgungsdrucks in den Praxen bräuchten die Hausärzte einen Instrumentenkasten, den sie flexibel und bedarfsgerecht einsetzen könnten. Dazu müsse auch zwingend die telefonische Krankschreibung gehören. Die knappen ärztlichen Ressourcen sollten möglichst effizient eingesetzt werden, sonst fehle die Zeit am Ende an anderer Stelle. Weswegen eine Regelung, die in den vergangenen Jahren hervorragend funktioniert hab, jetzt ohne Not gestrichen werden solle, sei schlichtweg nicht nachvollziehbar.

Unbefristet bei Absonderung

Eine telefonische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ist aber in bestimmten Fällen weiterhin möglich. Künftig dürfen Vertragsärzte einem Patienten noch dann nach telefonischer Anamnese eine Arbeitsun­fähig­keit bescheinigen, wenn eine öffentlich-rechtliche Pflicht oder Empfehlung für eine Absonderung be­steht. Das kann der KBV zufolge etwa bei einer Infektionskrankheit wie COVID-19 oder Affenpocken der Fall sein. Diese unbefristete Regelung zur telefonischen AU hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlos­sen. Sie gilt dauerhaft ab dem 1. April.

AU per Video

Ganz unabhängig von der Pandemiesituation können Versicherte eine Krankschreibung auch bei einer Videosprechstunde erhalten – nicht nur bei leichten Atemwegserkrankungen. Voraussetzung sei natürlich, dass die Arbeitsunfähigkeit ohne eine unmittelbare körperliche Untersuchung abgeklärt werden könne.

Quellen: Bundesregierung, G-BA, Deutsches Ärzteblatt, Deutscher Hausärzteverband, FOKUS-Sozialrecht

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Antiziganismus schafft es nicht in den Bundestag

Anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust und des 78. Jahrestages der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 wurde in diesem Jahr besonders der 500.000 ermordeten Sinti und Roma gedacht.

Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus

Im Mai 2019 wurde der Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation) veröffentlicht, der am 31. März dem Bundestag zur Beschlussempfehlung erneut (erstmals im Juni 2021) vorgelegt werden sollte.

Die Abstimmung über den Bericht wurde nun schon wieder kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestages am Freitag, 31. März 2023, abgesetzt.

Beauftragter gegen Antiziganismus

In dem mehr als 800 Seiten umfassenden Bericht fordert die 2019 eingesetzte Kommission die Bundesregierung auf, einen „Beauftragten gegen Antiziganismus“zu berufen, der Maßnahmen zur Überwindung von Antiziganismus koordinieren soll. Beraten werden soll er nach dem Willen der Kommission von einem unabhängigen Kreis aus Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft, der von der Bundesregierung in Absprache mit dem Beauftragten berufen wird.

Zur Sicherstellung der Umsetzung zahlreicher in dem Bericht formulierten Empfehlungen fordert die Kommission zudem die Schaffung einer ständigen Bund-Länder-Kommission, da viele Maßnahmen zur Überwindung von Antiziganismus laut Vorlage in die Zuständigkeit der Länder fallen.

Anerkennung des Genozids an Sinti und Roma

Zu den zentralen Forderungen der Kommission zählt zudem die umfassende Anerkennung des nationalsozialistischen Genozids an Sinti und Roma. Für nicht in Deutschland lebende Überlebende des NS-Völkermordes an Sinti_ze und Rom_nja fordert die Kommission die Einrichtung eines Sonderfonds durch das Bundesfinanzministerium für diejenigen, die nach den gesetzlichen Vorschriften der Bundesrepublik bisher keine oder nur geringfügige Entschädigungen erhalten haben.

Eine niedrigschwellige, einmalige Anerkennungsleistung sei für alle Roma und Sinti vorzusehen, die vor der Befreiung ihres damaligen Heimat- oder Emigrationslandes von der NS-Besatzung oder den mit dem NS-Regime kollaborierenden Regierungen geboren wurden, heißt es in der Vorlage weiter. Wer die Anspruchsvoraussetzungen erfülle, solle laufende Leistungen erhalten.

Aniziganismus in Deutschland

Der Bericht listet zu Beginn eine Reihe erschreckender Ereignisse auf, die während der Erstellung des Berichts seit 2019 in Deutschland passierten und die zeigen, dass Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja hierzulande coh weit verbreitet ist.

Dazu gehören:

  • die gesetzwidrige Sondererfassung von Sinti_ze und Rom_nja bei der Berliner Polizei,
  • antiziganistisch legitimierten Absperrungen ganzer Wohnblocks im Kontext der Corona-Ausnahmesituation,
  • Planungen zu einem Abbau des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas aufgrund des Baus einer S-Bahn-Trasse,
  • Abschiebungen von seit Jahrzehnten in Deutschland lebenden Rom_nja in existenziellen Notlagen,
  • Abführung eines elfjährigen Kindes in Handschellen und seine Inhaftnahme,
  • Äußerungen von prominenten Personen aus der Unterhaltungsbranche, die in ignoranter, verletzender und verächtlichmachender Manier bei mehreren Anlässen vor einem Millionenpublikum ihr Beharren auf der rassistischen Fremdbezeichnung „Zigeuner“ zum Besten gaben,
  • der rechtsterroristische Anschlag in Hanau vom 19. Februar 2020. Unter den neun Todesopfern befinden sich drei Angehörige aus den Communitys von Sinti_ze und Rom_nja: die 35-jährige Mercedes Kierpacz, der 23-jährige Vili Viorel Păun und der 33-jährige Kaloyan Velkov.

Schaden umfassend ausgleichen

Die Kommission fordert darüber hinaus, „den gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Schaden, der durch die massive Benachteiligung in der Wiedergutmachungspraxis und den fortgesetzten Antiziganismus nach 1945 der Zweiten Generation entstanden ist, umfassend auszugleichen“. Den bis 1965 in Deutschland geborenen Kindern der im Nationalsozialismus verfolgten Sinti und Roma seien daher nach dem Vorbild der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ einmalige Pauschalen auszuzahlen.

Des Weiteren dringt das Gremium auf die Einsetzung einer Kommission zur Aufarbeitung des an Sinti und Roma begangenen Unrechts in der Bundesrepublik. Sinti und Roma „wurde und wird durch staatliche Behörden und andere gesellschaftliche Institutionen der Bundesrepublik Deutschland (zum Beispiel Polizei, Justiz, öffentliche Verwaltung, Ausländer- und Sozialbehörden, Schulen, Jugendämter, Kirchen, Wohlfahrtsverbände) gravierendes Unrecht zugefügt“, schreiben die Autoren. Deshalb fordere die Kommission die Bundesregierung auf, einen „umfassenden Prozess der Aufarbeitung dieses auch als Zweite Verfolgung bezeichneten Unrechts einzuleiten“. Dazu solle die Bundesregierung ein mit angemessenen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattetes Gremium einsetzen.

Anerkennung geflüchteter Roma als schutzwürdig

Ferner pocht die Kommission in ihrem Bericht auf die Anerkennung geflüchteter Roma als „besonders schutzwürdige Gruppe“. Mit Blick auf die praktische Anwendung der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes sei klarzustellen, dass die in Deutschland lebenden Roma „aus historischen und humanitären Gründen als eine besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen sind“. Landesregierungen und Ausländerbehörden seien aufgefordert, die Praxis der Abschiebung von Roma sofort zu beenden. Der Bundesregierung und dem Bundesgesetzgeber wird in dem Bericht empfohlen, die Einstufung von Serbien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro und dem Kosovo als asylrechtlich „sichere Herkunftsstaaten“ zurückzunehmen.

Zentrale Forderungen

Schließlich macht sich die Kommission in ihren „zentralen Forderungen“ für die „Umsetzung und Verstetigung von Partizipationsstrukturen“ stark. Unter anderem soll danach die zivilgesellschaftliche Arbeit der Organisationen von Sinti und Roma in Deutschland durch „transparente Strukturen einer dauerhaften finanziellen Förderung“ gestärkt werden.

Quellen: Bundestag

Abbildung: pixabay.com racism-5271245_1280