Bundestag berät über das Selbstbestimmungsgesetz

Der Bundestag hat am Mittwoch, 15. November 2023, erstmals den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (20/9049) beraten. Im Anschluss an die Aussprache überwiesen die Abgeordneten die Vorlage zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Geschlechtseinträge und Vornamen künftig deutlich einfacher geändert werden können. Zur Begründung führt die Bundesregierung an, dass sich das „medizinische und gesellschaftliche Verständnis von Geschlechtsidentität“ in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt habe. „Die aktuelle Rechtslage trägt dem nicht ausreichend Rechnung“, heißt es weiter. Ziel des Entwurfs sei es, Regelungen zu vereinheitlichen, zu entbürokratisieren „und zum Schutz der verfassungsrechtlich geschützten Geschlechtsidentität zu regeln“. Der Entwurf treffe „keine Regelungen zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen“.

Für Menschen, deren Geschlechtsidentität vom Geschlechtseintrag abweicht, sollen danach künftig nicht mehr die Regelungen des Transsexuellengesetzes (TSG) einschlägig sein. Diese sehen unter anderem vor, dass sich Personen, die Vornamen und Geschlechtseintrag ändern wollen, zweifach begutachten lassen müssen.

Erklärung gegenüber dem Standesamt

Stattdessen ist laut Entwurf vorgesehen, dass eine Person die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags per Erklärung gegenüber dem Standesamt veranlassen kann. Diese Regelung lehnt sich laut Entwurf an die Regelungen für Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung an. Diese haben seit 2018 die Möglichkeit, gegenüber dem Standesamt ihren Geschlechtseintrag streichen oder in „divers“ ändern zu lassen. Die in diesen Fällen vorgesehene Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung soll künftig entfallen.

Die Neuregelung greift laut Entwurf auch für nichtbinäre Personen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Bisher gab es demnach für diese Personen keine explizite Regelung zur Änderung des Geschlechtseintrags. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes seien auch in diesen Fällen die Regelungen des TSG einschlägig gewesen, heißt es im Entwurf. Mit der Neuregelung soll das TSG aufgehoben werden.

Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag

Kernstück des Entwurfs ist ein neues „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ (Selbstbestimmungsgesetz). Es soll die Voraussetzungen zur Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags regeln. Grundsätzlich ist vorgesehen, dass eine Änderung drei Monate vorher beim zuständigen Standesamt angemeldet werden muss. Nach einer Änderung soll eine weitere Änderung erst nach Ablauf von einem Jahr (Sperrfrist) möglich sein.

Mit der Erklärung vor dem Standesamt soll die betreffende Person versichern, dass „der gewählte Geschlechtseintrag beziehungsweise die Streichung des Geschlechtseintrags ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht“ und „ihr die Tragweite der durch die Erklärung bewirkten Folgen bewusst ist“.

Regelungen für Minderjährige und Betreute

Für Minderjährige und Personen mit Betreuer gelten abweichende Regelungen. Beschränkt geschäftsfähige minderjährige Personen, die mindestens 15 Jahre alt sind, sollen die entsprechende Erklärung selbst abgegeben können, benötigen dazu aber die Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters. Stimmt dieser nicht zu, soll laut Entwurf das Familiengericht die Zustimmung ersetzen können, „wenn die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht“.

Bei geschäftsunfähigen Minderjährigen beziehungsweise Minderjährigen, die noch nicht 15 Jahre alt sind, soll nur der gesetzliche Vertreter die Erklärung abgeben können. Die Sperrfrist zur erneuten Änderungen soll für Minderjährige und Personen mit Betreuer nicht gelten.

Regelungen zur Wirkung der Änderungen

In dem Entwurf werden zudem Regelungen zur Wirkung der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen aufgeführt. Danach sollen grundsätzlich der jeweils aktuelle Geschlechtseintrag und die jeweils aktuellen Vornamen im Rechtsverkehr maßgeblich sein. Ausdrücklich wird ausgeführt, dass „betreffend den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen […] die Vertragsfreiheit und das Hausrecht des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers sowie das Recht juristischer Personen, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln, unberührt [bleiben]“. Als Beispiel wird in die Begründung auf den Zugang zu Saunas verwiesen.

Normiert wird auch, welche Folgen die Änderung eines Geschlechtseintrags auf quotierte Gremien hat. Ferner wird angeführt, dass Rechtsvorschriften, die etwa künstliche Befruchtung, Schwangerschaft oder Entnahme von Samenzellen betreffen, unabhängig von dem im Personenstandsregister eingetragenen Geschlecht der jeweiligen Person gelten sollen, wenn die Person etwa gebärfähig ist. Weitere Regelungen betreffen unter anderem die Änderung von Registern und Dokumenten, das Offenbarungsverbot, das Eltern-Kind-Verhältnis sowie die Wehrpflicht im Spannungs- und Verteidigungsfall.

Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 20. Oktober 2023 eine Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf beschlossen. So fordert die Länderkammer unter anderem eine Schärfung des Offenbarungsverbots, die die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung allerdings ablehnt.

Grundsätzlich kritisiert der Bundesrat, „dass die vorgelegten Pläne sich in verschiedenen Bereichen als unzulänglich erweisen, insbesondere mit Blick auf die Interessen von Kindern und Jugendlichen“. Konkret moniert die Länderkammer, dass es in Fällen von Minderjährigen bis 14 Jahre allein dem elterlichen Willen überlassen sein soll, Geschlechtseintrag und Vornamen der Kinder zu ändern, „ohne jede Beratung, Prüfung und Erforschung des Kindeswohls und -willens von außen“. Dies stünde in „eklatantem Widerspruch etwa zur kindzentrierten Ausgestaltung familiengerichtlicher Verfahren“, führt die Länderkammer aus.

Die Bundesregierung hält den Vorwurf, dass der Entwurf die Interessen von Kindern und Jugendlichen nicht ausreichend berücksichtige, für nicht zutreffend. Sie lehnt vor allem die generelle Beteiligung der Familiengerichte bei Minderjährigen ab. „Für eine generelle Kontrolle des Staates durch die Familiengerichte zum Schutz des Minderjährigen besteht keine Veranlassung, zumal eine erneute Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen bei Minderjährigen ohne Einhaltung einer Sperrfrist erklärt werden kann“, entgegnet die Bundesregierung.

Langer Weg

Den langen Weg des Selbstbestimmungsgesetzes begleiteten wir hier in mehreren Beiträgen:

Quellen: Bundestag, FOKUS-Sozialrecht

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Kabinettsbeschlüsse

Am 23. August 2023 verabschiedete das Bundeskabinett drei Gesetzesvorhaben:

  • Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ehenamens- und Geburtsnamensrechts,
  • Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts,
  • Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag.

Namenssrecht

Der Gesetzentwurf sieht eine Modernisierung des bürgerlich-rechtlichen Namensrechts vor: also des Ehenamens- und Geburtsnamensrechts. Das geltende deutsche Namensrecht ist sehr restriktiv, gerade auch im internationalen Vergleich. Es trägt der vielfältigen Lebenswirklichkeit und den Bedürfnissen vieler Familien nicht mehr hinreichend Rechnung. Kernstück der Reform ist die Einführung echter Doppelnamen für Ehepaare und Kinder. Wenn Ehen auseinandergehen, dann sollte das Recht Kinder nicht starrköpfig an einem Namen festhalten, der zu ihrer Lebenssituation nicht mehr passt. Und auch den Namenstraditionen von Minderheiten sollte das Recht mit Respekt begegnen. Mehr zu den Änderungsvorhaben beim Bundesjustizministerium.

Staatsbürgerschaft

Das Staatsangehörigkeitsrecht soll modernisiert werden. Zu dem Gesetzentwurf gab es an dieser Stelle im November 2022 und im Mai 2023 schon zwei Artikel. Den Kabinettsentwurf veröffentlicht das Bundesinnenministerium. Wesentliche Inalte des Entwurfs:

  • Mehrstaatigkeit soll möglich werden: Zugewanderte müssen ihre bisherige Staatsangehörigkeit bei der Einbürgerung nicht mehr aufgeben.
  • Einbürgerung soll beschleunigt werden: Statt nach 8 Jahren sollen Menschen bereits nach 5 Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können.
  • Besondere Leistung wird belohnt: Bei „besonderen Integrationsleistungen“ ist eine Einbürgerung bereits nach 3 Jahren möglich.
  • Lebensleistung der Gastarbeitergeneration soll anerkannt werden: Nachweis mündlicher Sprachkenntnisse genügt für eine Einbürgerung (kein Einbürgerungstest notwendig)

Selbstbestimmung

Das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (Selbstbestimmungsgesetz, SBGG) möchte die durch das Grundgesetz garantierten Rechte

  • freie Entfaltung der Persönlichkeit,
  • Achtung der Privatsphäre und
  • Nichtdiskriminierung

für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen sicherstellen. Dafür soll das veraltete und zum Teil verfassungswidrige Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980 aufgehoben und durch eine einheitliche Regelung ersetzt werden, mit der Menschen ihren Geschlechtseintrag oder ihre Vornamen per Selbstauskunft beim Standesamt ändern können.

Den Gesetzentwurf veröffentlicht das Bundesfamilienministerium. Seit 2020 berichten wir hier über die Bemühungen, die Diskriminierung des alten Transsexuellengesetzes zu überwinden:

Kritik von Betroffenen

Betroffene erkennen an, dass mit dem Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung getan wurde, allerdings bemängeln sie, dass aus einem Gesetz zur selbstbestimmten Änderung staatlicher Anerkennung ein Gesetz geworden sei, das im Wesentlichen das tiefe Misstrauen gegenüber den verfassungsgemäßen Rechten geschlechtlicher Minderheiten regelt und rechtfertigt. Hier werde die bloße Existenz von TIN-Personen als Zumutung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft konstruiert und festgeschrieben. So beschreibt es das Online-Magazin Queer.de.

Quellen: Bundeskabinett, BMI, BMJ, BMFSFJ, Queer.de, FOKUS-Sozialrecht

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LGBTIQ-Rechte weltweit

In vielen Ländern der Erde ist Diversität selbstverständlich geworden, immer mehr Länder führen die Ehe für alle ein, die Rechte der queeren Community werden gestärkt und weltweit gehen zahlreiche Menschen am Christopher Street Day auf die Straßen. Doch auf der anderen Seite werden diese Fortschritte von reaktionären Kräften erbittert bekämpft, die zu einer vermeintlich konservativen Gesellschaftsordnung zurückwollen. Natürlich spielen dabei die radikal-terroristischen Auswüchse der großen Weltreligionen wie immer eine entscheidende Rolle. (LGBTIQ = Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Inter, Queer)

USA

In den USA will der religiöse Eiferer DeSantis Präsident werden. Er ist als Gouverneur Floridas schon mehrfach unangenehm aufgefallen, weil er die Lösung aller Probleme in der Unterdrückung von Menschen sieht, die nicht der Norm entsprechen. Sogar darüber reden darf man nicht mehr. Unterricht über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in Schulen ist mittlerweile verboten.

Erbe des Kolonialismus

„In 69 Staaten wird Homosexualität strafrechtlich verfolgt, in zehn Staaten droht Lesben und Schwulen sogar die Todesstrafe“, schreibt das Auswärtige Amt in den Leitlinien zur feministischen Außenpolitik. Mit Blick auf den Globus fällt auf, dass sich fast die Hälfte der Staaten mit Anti-Queerer-Gesetzgebung auf dem afrikanischen Kontinent befinden. Was aber viele nicht wissen: Gesetze gegen Homosexualität stammen oft noch aus der britischen Kolonialzeit. Heute stehen in 32 Ländern des Kontinents queere Handlungen unter Strafe. Erst vor kurzem sorgte Uganda für Entsetzen. Ende März erließ das afrikanische Land ein Gesetz, dass die Lage von queeren Menschen noch katastrophaler macht als zuvor. Ihnen droht künftig eine lange Haftstrafe. Das Gesetz sieht als letzte Instanz gar die Todesstrafe vor.

Ausschuss für Menschenrechte im Bundestag

Am 24. Mai tagte der Bundestrags-Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum Thema „LGBTIQ-Rechte weltweit“. Der Ausschuss plädiert für ein stärkeres LGBTIQ-Engagement in der Außen- und Entwicklungspolitik.

Queere Menschen werden nicht nur für sexuelle Handlungen kriminalisiert, sondern bereits aufgrund ihrer Geschlechtsidentität und ihres Geschlechtsausdrucks. Häufig seien LGBTI-Personen Polizeimissbrauch und Misshandlungen ausgesetzt. Durch die Kriminalisierung legitimierten Staaten gesellschaftliche Diskriminierung, das hat Einfluss auf alle Bereiche des Lebens.

Russland

Mikhail Tumasov, ehemaliger Vorsitzender des Russian LGBT Network, berichtete über die Situation in Russland. Das „Anti-Homosexuellen-Propaganda Gesetz“, verabschiedet im Dezember 2022, habe Russland „Raum für einen Krieg gegen die Community“ gegeben. Ziel des Gesetzes sei nicht, die russische Gesellschaft vor den angeblich negativen Auswirkungen liberaler, westlicher Werte zu schützen, sondern Gewalt und Hassverbrechen gegen sexuelle Minderheiten zu schüren, so der Experte in seiner Stellungnahme. Laut einem Bericht von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International hätten die Übergriffe nach Verabschiedung des Gesetzes erheblich zugenommen.

Deutschland

Auch in Deutschland leben queere Menschen gefährlich. In Asylbewerberunterkünften seien die Menschen vor erneuter Diskriminierung nicht sicher, da die „übrigen Bewohner in gesellschaftspolitischen Fragen nicht unbedingt liberale Werte vertreten, wenn sie aus muslimisch oder anderen traditionell geprägten Gesellschaften kommen“, so der Sachverständige. Inzwischen gebe es zwar in einigen deutschen Städten wie Frankfurt am Main oder Nürnberg solche separaten Unterkünfte, doch gebe es zu wenige Plätze.

Selbstbestimmungsgesetz verändert

Als „sehr besorgniserregend“ bezeichnete der querpolitische Experte und Aktivist Fabian Grischkat die „globale Zunahme queerfeindlicher, antifeministischer und rechtspopulistischer Bewegungen“. Dieses Wachstum der international vernetzten Anti-Gender-Bewegung sei nicht zufällig, sondern werde seit Jahren strategisch koordiniert und finanziert. Teil davon seien „rechtsextreme Denkfabriken und korrupte Oligarchen“. Die Effekte der querfeindlicher Tendenzen könne man auch in Deutschland beobachten, warnte Grischkat mit Blick auf die Debatte um das geplante Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung. „Radikalfeministinnen und Neue Rechte“ hätten den „Diskurs so verschoben“, dass der ursprüngliche Gesetzentwurf radikal geändert worden sei.

Quellen: Bundestag, Frankfurter Rundschau, Auswärtiges Amt, FOKUS-Sozialrecht

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Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag

Seit ein paar Tagen steht der Entwurf des Selbstbestimmungsgesetz (Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag – SBGG) auch für Otto Normalblogger zur Einsicht verfügbar. Schon vor Ostern sollte das passieren, tat es aber nicht. Danach kamen zunächst ausgewählte Medien in den Genuss des Entwurfes. Die Eckpunkte zum Entwurf sind schon fast ein Jahr alt.

warum nicht mehr Transparenz?

Diese Praxis der Ampelkoalition, Gesetzentwürfe möglichst lange der allgemeinen Öffentlichkeit vorzuenthalten führt bisweilen – wie beim Gebäude-Energie-Gesetz – dazu, dass einige „priveligierte“ Medien ihren Vorteil ausnützen können und mit aus dem Zusammenhang gerissenen Schlagworten („Heizungsverbot“) ungestraft Märchen verbreiten und im Verbund mit den einschlägigen Lobbyisten massive und wirksame Kampagnen starten können. Mehr und frühere Transparenz hätte dafür gesorgt, dass klar wird, was tatsächlich in den Entürfen steht.

Was steht denn nun tatsächlich im Selbstbestimmungsgesetz?

Zunächst wird das Transsexuellengesetz aufgehoben, dass schon mehrfach vom Bundesverfassungsgericht beanstandet wurde. Weitere wesentliche Inhalte:

  • Volljährige Menschen sollen durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt die Änderung ihres Geschlechtseintrags sowie ihrer Vornamen bewirken können. Für die Wirksamkeit dieser Erklärung gilt eine dreimonatige Wartefrist.
  • Für Minderjährige bis 14 Jahre sollen die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt abgeben.
  • Für Minderjährige ab 14 Jahren ist geplant, dass die Minderjährigen die notwendige Erklärung selbst mit Zustimmung der Sorgeberechtigten beim Standesamt abgeben können. Um die Persönlichkeitsrechte der jungen Menschen zu wahren, sollen Familiengerichte in den Fällen, in denen die Sorgeberechtigten nicht zustimmen, orientiert am Kindeswohl – wie auch in anderen Konstellationen im Familienrecht – die Entscheidung der Sorgeberechtigten ersetzen können.
  • Nach einer erfolgten Änderung des Geschlechtseintrags oder der Vornamen soll für eine erneute Änderung eine Sperrfrist von einem Jahr gelten. Damit soll vermieden werden, dass Entscheidungen übereilt getroffen werden. Ab der Erklärung gegenüber dem Standesamt kann eine erneute Änderung also erst nach 15 Monaten vorgenommen werden (drei Monate Wartefrist plus zwölf Monate Sperrfrist).
  • Auf Grundlage des Gesetzes kann ein Bußgeld verhängt werden, wenn jemand die Änderungen des Geschlechtseintrags von transgeschlechtlichen, nichtbinären oder intergeschlechtlichen Personen gegen deren Willen offenbart und dadurch die betroffene Person absichtlich schädigt (Offenbarungsverbot).
  • Das Selbstbestimmungsgesetz ändert nichts am privaten Hausrecht und am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Was heute im Rechtsverkehr zulässig ist, das ist auch künftig zulässig. Und was heute verboten ist, bleibt verboten. Das geht aus dem Entwurf und seiner Begründung klar hervor.
  • Die geplante Regelung sieht ausschließlich die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen vor. Die Frage, ob eine Person, die zusätzlich geschlechtsangleichende körperliche oder medizinische Maßnahmen in Erwägung zieht, solche vornehmen kann, wird nicht durch das SBGG geregelt. In diesem Fall gelten wie bisher allein fachmedizinische Prüfkriterien.

Menschenrechtsschutz

Die Reform steht auch im Zusammenhang mit der internationalen Weiterentwicklung des Schutzes aller Menschen vor Diskriminierung. Sie kommt den Empfehlungen nationaler und internationaler Gremien nach, die sich insgesamt für eine stärker durch Selbstbestimmung geprägte Regelung des Geschlechtseintrags für trans- und intergeschlechtliche Menschen ausgesprochen haben. Vor allem aber entspricht das SBGG den Vorgaben des internationalen Menschenrechtsschutzes.

Diskriminierung und Armutsgefährdung

Trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen sind häufig Diskriminierung in fast allen Lebensbereichen ausgesetzt (zum Beispiel in der Familie, am Arbeitsplatz oder Gewaltbetroffenheit in der Öffentlichkeit). Insbesondere werden sie von Dritten häufig als angeblich psychisch krank stigmatisiert und massiv herabgewürdigt, sie werden verunglimpft, beleidigt und immer häufiger auch körperlich angegriffen bis hin zu tödlichen Angriffen. Auch diese Situation soll sich mithilfe des Selbstbestimmungsgesetzes verbessern, zum Beispiel durch ein bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot.

2020 wurden laut Bundesinnenministerium 204 politisch motivierte Straftaten im Themenfeld „Geschlecht/Sexuelle Identität“ erfasst, darunter 40 Gewalttaten. Im Jahr 2021 stieg die Zahl auf 340 Straftaten, darunter 57 Gewalttaten.

In einer Erhebung der EU-Grundrechteagentur gaben 58 Prozent der befragten transgeschlechtlichen Personen aus Deutschland an, in den zurückliegenden zwölf Monaten diskriminiert oder belästigt worden zu sein.

Nach der Studie „Out im Office“ sind transgeschlechtliche und nichtbinäre Menschen besonders armutsgefährdet. Rund ein Viertel der trans* Befragten gab ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1000 Euro an (in der Teilgruppe der nichtbinären Befragten sogar 40 Prozent).

Dreimonatsfrist

Die geplante Dreimonatsfrist wird von Betroffenen allerdings kritisiert, da sie überwiegend Menschen betrifft, deren Transition in allen anderen Lebensbereichen bereits Monate, wenn nicht Jahre, zurückliegt und denen noch einmal eine dreimonatige Wartezeit „aufgebrummt“ wird. Einen Brief an die zuständigen Minister*innen dazu schreibt Felix Reda.

Frauensauna und Hausrecht

In dem Streit zwischen Justiz- und Familienministerium um das Hausrecht von Frauensaunen hat sich FDP-Minister Buschmann durchgesetzt, auch wenn die Ausformulierung im Vergleich zu früheren Äußerungen abgemildert wurde. „Die Rechtslage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bleibt unverändert“, heißt es im Gesetzentwurf. „Es ist daher etwa im Rahmen des Hausrechts weiterhin möglich, aus sachlichem Grund, etwa um den Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung zu tragen (zum Beispiel beim Zugang zu Saunen oder Fitnessstudios für Frauen oder zu Umkleidekabinen) im Einzelfall zu differenzieren.“

Keine Selbstbestimmung im Krieg

Ganz neu wurde ein bislang nicht diskutierter Paragraf zum Verteidigungsfall in den Gesetzentwurf aufgenommen. Damit will die Regierung offenbar verhindern, dass sich cis Männer durch eine Änderung des Geschlechtseintrags einer Einberufung entziehen. Befindet sich Deutschland im Krieg, darf der Geschlechtseintrag nicht mehr von „männlich“ zu „weiblich“ oder „divers“ geändert oder ganz gestrichen werden, heißt es im SBGG, „sofern dies im Einzelfall keine unbillige Härte darstellen würde“.

Weitere Ausnahmen

  • Die Unterbringung von Strafgefangenen „muss sich nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren“, heißt es im Entwurf. „Das SBGG gebietet mithin nicht, dass Personen immer entsprechend ihrem personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag in einer entsprechenden Anstalt untergebracht werden.“
  • Das Selbstbestimmungsgesetz erlaubt zudem weiterhin Ungleichbehandlungen im Sport: „Die Bewertung sportlicher Leistungen kann unabhängig von dem aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden.“
  • Keinen Einfluss haben Transitionen auch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen: „Auf den aktuellen Geschlechtseintrag kommt es nicht an, wenn medizinische Leistungen zu ergreifen sind.“
  • Zudem wird klargestellt, dass das SBGG nicht auf Gesetze und Verordnungen, die Regelungen über Schwangerschaft, Gebär- oder Zeugungsfähigkeit betreffen, angewendet werden kann.
  • Ebenso bleibt ein trans Mann im Rechtsverhältnis zu seinem Kind eine „Mutter“. In Geburtsurkunden kann zumindest die Bezeichnung „Vater“ oder „Mutter“ nachträglich in „Elternteil“ geändert werden.

Quellen: Bundesfamilienministerium, Queer.de, Felix Reda, FOKUS-Sozialrecht

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Selbstbestimmungsgesetz – Eckpunkte

Noch vor gut einem Jahr wurden Gesetzentwürfe zur Abschaffung des Transsexuellengesetzes und zur Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes von der damaligen Koalition und der AFD abgelehnt. Damit blieb das 40 Jahre alte Transsexuellengesetz, von dem weite Teile durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nicht anwendbar erklärt wurden, noch ein weiteres Jahr in Kraft.

Die Ampel-Koalition will dies nun ändern. Schon im Koalitionsvertrag wurde die Einführung eines Selbstbestimmungsgestzes Beschlossen. Nun legten Familienministerin Paus und Justizminister Buschmann die Eckpunkte dazu vor.

Derzeitige Regelung

Nach der derzeitigen Regelung bedarf müssen transgeschlechtliche und nicht-binäre Personen ein Gerichtsverfahren durchmachen, in dem zwei Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen. Diese Gerichtsverfahren sind oft langwierig und kostenintensiv und werden vielfach als entwürdigend empfunden.

Anders ist die Regelung für Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (umgangssprachlich „intersexuelle“ bzw. „intergeschlechtliche“ Menschen), sie können den Geschlechtseintrag und die Vornamen mit einer Erklärung beim Standesamt ändern. Dazu müssen sie ein ärztliches Attest vorlegen oder eine Versicherung an Eides statt abgeben.

Geplante Regelung

Künftig soll es eine einheitliche Regelung für alle transgeschlechtlichen sowie nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen geben, die ihren Geschlechtseintrag oder ihre Vornamen ändern wollen. Weder die Vorlage eines ärztlichen Attests noch eine Begutachtung sind nötig. Wenn eine Person neben der Änderung des Geschlechtseintrags oder der Vornamen auch körperliche Veränderungen anstrebt, sind hingegen wie bisher medizinische Regelungen und Leitlinien einschlägig. Der Anwendungsbereich des neuen Selbstbestimmungsgesetzes umfasst keine Vorfestlegung hinsichtlich medizinischer Maßnahmen, da die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen hiervon unabhängig ist.

Wesentliche Änderungen

  • Das Transsexuellengesetz wird abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Statt in einem mitunter langwierigen und kostenintensiven Gerichtsverfahren können der Geschlechtseintrag und die Vornamen künftig in einem einfachen Verfahren vor dem Standesamt geändert werden.
  • Die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen wird für transgeschlechtliche sowie nicht-binäre und intergeschlechtliche Personen einheitlich geregelt, also nicht mehr wie bisher in zwei verschiedenen Gesetzen mit unterschiedlichen Voraussetzungen.
  • Der Regelungsbereich des neuen Selbstbestimmungsgesetzes umfasst keine Vorfestlegung hinsichtlich etwaiger körperlicher (somatischer) geschlechtsangleichender Maßnahmen.
  • Volljährige Personen können im Sinne einer echten Selbstbestimmung die Änderung ihres Geschlechtseintrags und ihrer Vornamen durch Erklärung mit Eigenversicherung veranlassen.
  • Für Minderjährige bis 14 Jahre oder bei Geschäftsunfähigkeit des Minderjährigen geben die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt ab.
  • Ab 14 Jahren geben die Minderjährigen die Erklärung selbst mit Zustimmung der Sorgeberechtigten ab. Um die Persönlichkeitsrechte der jungen Menschen zu wahren, kann das Familiengericht in den Fällen, in denen die Sorgeberechtigten nicht zustimmen, orientiert am Kindeswohl – wie auch in anderen Konstellationen im Familienrecht – die Entscheidung der Eltern auf Antrag des Minderjährigen ersetzen.

Weitere Eckpunkte sind auf der Homepage des Familienministeriums zu finden. Zu den einzelnen Begrifflichkeiten und deren Bedutung hat die Gewerkschaft Erziehung un Wissenschaft eine Broschüre herausgegeben.

Kritik

Kritik an dem Gesetz kommt natürlich vor allem aus konservativen Kreisen bis hin zur AFD, mit dem Hauptargument, dass die traditionelle „Familie“ abgeschafft werden solle. Aber auch Teile der Frauenbewegung fürchtet, dass sich jetzt überall Männer in Frei- und Schutzräume für Frauen einschleichen könnten, wenn sie erklärten, sie seien eine Frau. Sie sprechen trans Frauen grundsätzlich das Frau-Sein ab aufgrund eines biologischen Weltbildes. Dabei hatte schon das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Geschlechtsidentität nicht unbedingt von den biologischen Gegebenheiten abhängt.

Für Spannung bei den anstehenden Debatten zum Selbstbestimmungsgesetz ist also gesorgt. Gängige Vorurteile könnten im Vorfeld schon einmal hier entkräftet werden.

Quellen: BMFSFJ, FOKUS-Sozialrecht, GEW, Verfassungsblog, Bundesverband Trans*

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Keine Befristung beim Persönlichen Budget

Das entsprechende Urteil dazu hat das Bundessozialgericht schon Ende Januar 2021 gesprochen. Trotzdem lohnt sich auch jetzt noch ein Blick auf das Thema „Persönliches Budget“.

BSG-Urteil

Das Bundessozialgericht hatte in seiner Entscheidung (AZ: B 8 SO 9/19 R) festgestellt, dass ein  im Rahmen der Eingliederungshilfe bezahltes persönliches Budget für behinderte Menschen nicht befristet werden darf. Zwar kann alle zwei Jahre der Bedarf des behinderten oder kranken Menschen neu überprüft werden, eine generelle Befristung dieser Unterstützungsform ist aber nicht gesetzlich vorgesehen. Als Folge der Entscheidung müssen Betroffene wegen einer Befristung nicht immer wieder neu einen Antrag für die Eingliederungshilfeleistung stellen.

Dem Urteil voraus ging eine Klage eines psychisch kranken Mannes gegen seinen Sozialhilfeträger. Dieser hatte sein persönliches Budget befristet. So kürzte der Sozialhilfeträger das Budget von ursprünglich 600 Euro monatlich auf 196 Euro und später auf 388 Euro monatlich. Der Kläger hätte zudem nach Ablauf der Bewilligung einen neuen Antrag stellen müssen.

Keine Breitenwirkung

Aus dem Dritten Teilhabebericht der Bundesregierung vom geht hervor, dass das Persönliche Budget insgesamt von den Betroffenen nicht gut angenommen wird. Danach nahmen am Jahresende 2018 insgesamt 10.410 Personen ein Persönliches Budget in Anspruch, die meisten davon (10.090 beziehungsweise 96,9 %) im Rahmen der Eingliederungshilfe. Die Anzahl der Personen, die Leistungen der Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege in Form eines Persönlichen Budgets in Anspruch nahmen, stieg im Vergleich zum Jahr 2014 zwar um 9,9 Prozent, allerdings ergab sich bei jährlichen Schwankungen kein eindeutiger Aufwärtstrend. Am höchsten war die Zahl derjenigen, die ein Persönliches Budget in Anspruch nahmen, im Betrachtungszeitraum im Jahr 2017 (11.543 Personen). Insgesamt war die Zahl der Leistungsbeziehenden gering, eine Breitenwirkung konnte das Persönliche Budget bislang nicht erzielen.

Selbstbestimmung durch Persönliches Budget

Das Persönliche Budget nach § 29 SGB IX ermöglicht Menschen mit Behinderung statt der sonst üblichen Bereitstellung von Dienst- oder Sachleistungen in der Regel über Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, eine Geldleistung als Budget zu erhalten. Dieses zur Verfügung gestellte Budget soll behinderten und hilfebedürftigen Menschen ermöglichen, selbstbestimmt und in eigener Verantwortung Dienst- und Sachleistungen „einzukaufen“. Es ist ein bedeutsamer Unterschied, ob man selbst entscheidet oder andere professionelle Dienstleister regulieren lässt, wie notwendige Unterstützungsleistungen erbracht werden sollen und wer diese Hilfen erbringt. Voraussetzung für diese größere Autonomie und Teilhabe: Im Rahmen eines Bedarfsfeststellungsverfahrens und entsprechenden Zielvereinbarungen mit dem behinderten Menschen, ist – nach Maßgabe einiger im Sozialgesetzbuch genannten inhaltlichen, strukturellen und organisatorischen Vorgaben – dann ein für den individuellen Hilfebedarf erforderliches Persönliches Budget zu bewilligen.

Für viele zu kompliziert

Fast ausschließlich beantragen Menschen mit Körperbehinderung oder mit psychischen Behindeungen das Persönliche Budget. Die Antragstellung ist kompliziert, die Organisation und Handhabung des Budgets im Alltag stellt hohe Anforderungen. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, die genauso Anspruch auf ein selbstbestimmteres Leben mit Hilfe des Persönlichen Budgets haben, schrecken deswegen oft davor zurück.

Quellen: BSG, Bundesregierung

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Kein Ende des Transsexuellengesetzes

Das Transsexuellengesetz ist mittlerweile 40 Jahre alt. Seitdem hat das Bundesverfassungsgericht einzelne Vorschriften des Gesetzes bereits sechs Mal für verfassungswidrig erklärt. Auch weitere Vorschriften des TSG stehen verfassungsrechtlich in der Kritik, wie der psycho-pathologisierende Begutachtungszwang.

Verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat im Oktober 2017 den Gesetzgeber dazu aufgefordert, bis Ende 2018 eine Neuregelung des Personenstandsrechts auf den Weg zu bringen, eine dritte Option beim Geschlechtseintrag einzuführen oder gänzlich auf einen Geschlechtseintrag zu verzichten (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017, 1 BvR 2019/16). In seiner Urteilsbegründung wird die Selbstbestimmung als Persönlichkeitsrecht eines Menschen klar in den Vordergrund gestellt.

Die CDU/SPD Koalition ist bisher an dem Vorhaben gescheitert. Dafür legten FDP und Grüne jeweils einen Gesetzentwurf vor.

Gesetzentwurf der FDP

Die FDP-Fraktion will mit ihrem Gesetzentwurf „zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung“ (19/20048) das aktuelle Transsexuellengesetz und den Paragrafen 45b des Personenstandsgesetzes abschaffen und durch ein „Gesetz zur Selbstbestimmung über die Geschlechtsidentität“ ersetzen. Wie die Fraktion ausführt, haben Menschen, deren Geschlechtsmerkmale nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmen, in Deutschland die Möglichkeit, sich medizinisch und juristisch einer Transition zu unterziehen.

Das juristische Änderungsverfahren werde durch das 1981 in Kraft getretene Transsexuellengesetz normiert, das zwei Optionen für Menschen vorsehe, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt: die Änderung des Namens sowie die formelle Änderung der Geschlechtszugehörigkeit über den Personenstand. Voraussetzung für die Änderung des Namens seien nach derzeitiger Rechtslage zwei Gutachten von Sachverständigen, die mit diesem Gebiet ausreichend vertraut und voneinander unabhängig tätig sind.

Zugleich verweisen die Abgeordneten darauf, dass es seit 2018 Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung in Deutschland möglich sei, über den Paragraf 45 b des Personenstandsgesetzes Vornamen und Geschlechtseintrag der eigenen Geschlechtsidentität entsprechend anzupassen. Laut Bundesregierung und Urteil des Bundesgerichtshofs (XII ZB 383/19) sei die Anwendung dieses Paragrafen jedoch auf intergeschlechtliche Personen beschränkt.

Gesetzentwurf der Grünen

Wie die Fraktion ausführt, hat das Parlament mit der Änderung des Personenstandsgesetzes Anfang 2019 eine dritte Option beim Geschlechtseintrag („divers“) geschaffen, doch sei beanstandet worden, dass „die Entscheidung über den Geschlechtseintrag von der Vorlage eines ärztlichen Attestes abhängig gemacht wird“. Zudem bleibe unklar, „ob das Gesetz transsexuelle, transgeschlechtliche und transidente Menschen ausschließt, die sich immer noch durch das unwürdige Verfahren nach dem Transsexuellengesetz quälen müssen“.

Das Transsexuellengesetz stelle für die Änderung der Vornamen und die Berichtigung des Geschlechtseintrages entsprechend der selbst bestimmten Geschlechtsidentität „unbegründete Hürden auf, die das Selbstbestimmungsrecht in menschenunwürdiger Weise beeinträchtigen“. Darüber hinaus verweisen die Abgeordneten darauf, dass in Deutschland an intergeschlechtlichen Kindern immer noch genitalverändernde Operationen vorgenommen würden, „die medizinisch nicht notwendig sind“.

Dem Entwurf (19/19755) zufolge soll das Transsexuellengesetz durch das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt und im Personenstandsgesetz klargestellt werden, „dass alle Menschen eine Erklärung zur Geschlechtsangabe und Vornamensführung bei einem Standesamt abgeben können“. Zudem soll das Selbstbestimmungsgesetz genitalverändernde chirurgische Eingriffe bei Kindern verbieten sowie unter anderem „einen Anspruch auf Achtung des Selbstbestimmungsrechts bei Gesundheitsleistungen“ statuieren, Bund, Länder und Kommunen zum Ausbau der bisherigen Beratungsangebote verpflichten und eine „Regelung für trans- und intergeschlechtliche Eltern“ einführen.

Es bleibt alles beim Alten

Beide Gesetzentwürfe wurden von CDU, SPD und der AfD abgelehnt. Von der AfD, die in der Bundestagssitzung wieder eindringlich ihre Pöbelqualität unter Beweis stellte, und der CDU war nichts anderes zu erwarten. Die CDU glänzt dabei wieder mit ihrer Blockadehaltung, mit dem Hinweis, der politische Meinungsbildungsprozess sei „noch nicht abgeschlossen“. Vierzig Jahre nach der ersten und fünf Jahre nach der letzten Klatsche durch das Bundesverfassungsgericht.

Koalitionszwang, Fraktionszwang

Die SPD beruft sich auf den Koalitionszwang. Ihr sei es nicht gelungen mit der CDU einen guten Entwurf auszuhandeln. Das werde sie in der nächsten Legislaturperiode nachholen. Zwar seien die Gesetzentwürfe von FDP und Grüne schon Verbesserungen, aber es sei halt noch nicht gut genug. Also werde sie lieber aus Koalitionsgründen eine Verbesserung ablehnen.

Viele SPD-Abgeordnete würden wohl liebend gerne in diesem Punkt mit FDP/Grüne stimmen; das ist wegen des Fraktionszwangs und um eine Koalition, die faktisch sowieso am Ende ist, zu unterstützen, wohl nicht möglich.

GG Artikel 38

Der Artikel 38 Absatz 1 des Grundgesetzes scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Er lautet: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

Antrag auf Entschädigung

Der Antrag der Linksfraktion, dass Entschädigungszahlungen an trans- und intergeschlechtliche Menschen gezahlt werden, an denen fremdbestimmte normangleichende Genitaloperationen durchgeführt wurden, wurde dagegen angenommen. In ihrem Antrag (19/17791) fordert die Fraktion die Bundesregierung auf, innerhalb eines Jahres einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Zudem solle die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit einem Gutachten zur Aufarbeitung menschenrechtswidriger medizinischer Eingriffe aufgrund des Transsexuellengesetzes beauftragt werden.

Die Linksfraktion verweist darauf, dass im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum „Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen“ die fremdbestimmte Durchführung von normangleichenden Genitaloperationen nun weitgehend verboten werden soll. Im Zusammenhang mit diesem geplanten Verbot sei es notwendig, begangenes Unrecht aufzuarbeiten und zu entschädigen. So seien zwischen 1981 und 2011 gemäß des Transsexuellengesetzes operative Eingriffe an den äußeren Geschlechtsmerkmalen sowie Sterilisationen vorgenommen worden. Nach Schätzungen des Bundesverbandes Trans* seien mehr als 10.000 Menschen in Deutschland zwangsweise sterilisiert worden.

Quelle: Bundestag

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Intensivpflegegesetz mit Bedenken zugestimmt

Nun ist es amtlich: Wer Intensivpflege benötigt, verliert unter Umständen auch noch sein Grundrecht auf Selbsbestimmung.

Der Bundesrat stimmte am 18.9.2020 dem Intensivpflegegesetz (IPReG) zu. In einer begleitenden Entschließung weist der Bundesrat aber darauf hin, dass die Rechte von Menschen mit Behinderung auf Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe eingeschränkt werden könnten – insbesondere bei der Entscheidung über ihren Wohnort. Die Befürchtungen seien auch durch die Änderungen im Bundestagsverfahren nicht komplett ausgeräumt worden.
Der Vermittlungsausschuss soll aber nicht angerufen werden. Damit winkt der Bundesrat ein Gesetz durch, dass die UN-Behindertenrechtskonvention missachtet und vermutlich auch das Grundgesetz.

Ziel: Kostenreduzierung

Vorgeschobener Anlass für das Gesetz waren einige Abrechnungsbetrugsfälle in der Intensivpflege. In Wirklichkeit geht es aber um Kostensenkungen, wie schon die Gesetzesbegründung des ersten Entwurfs unter dem Namen „Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG)“ sagt. Gegen Betrug durch Abrechnungen in so genannten Beatmung-WGs gibt es allerdings schon Strafgesetze, die konsequent angewendet werden müssen.

Offensichtlich ist es so, dass Minister Spahn, gemeinsam mit den Lobbyisten der Pflegebranche und Krankenkassen, die außerklinische Pflege als Auslaufmodell betrachtet, weil in Kliniken fachliche Betreuung kostengünstiger gebündelt werden kann.

Auf großen Druck der Öffentlichkeit, der Fachverbände, der Opposition und einer Petition konnten wenigstens einige Erleichterungen in das Gesetz eingebaut werden.

§ 37c SGB V

Versicherte mit außerklinischen, intensivpflegerischen Versorgungsbedarfen erhalten künftig die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege auf Grundlage des § 37c SGB V; Leistungen der häuslichen Krankenpflege werden in diesen Fällen nicht mehr nach § 37 SGB V erbracht. Der anspruchsberechtigte Personenkreis nach § 37c SGB V ist im Wesentlichen der Personenkreis, der nach bisherigem Recht aufgrund eines besonders hohen Bedarfs an medizinischer Behandlungspflege auch bei Unterbringung in stationären Pflegeeinrichtungen ausnahmsweise Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Absatz 2 Satz 3 SGB V hatte. Insoweit wird auf die bestehende, bewährte Abgrenzung des Anwendungsbereichs zurückgegriffen. Die Eigenanteile, die die Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen zu leisten haben, werden erheblich reduziert.

Grundrecht ja, aber nur gegen Geld

In der Gesetzesbegründung des Gesundheitsministeriums wird im Übrigen zynisch darauf hingewiesen, dass jeder sein Grundrecht ja wahrnehmen könne, bezahlen müsse er dann schon selbst. Immerhin gilt das Grundgesetz noch für Millionäre, die Intensivpflege brauchen.:
„Unabhängig von der gewählten Wohnform können die Leistungsorte, an denen außerklinische Intensivpflege erbracht wird, dem Schutzbereich von Artikel 13 Absatz 1 Grundgesetz unterfallen (Unverletzlichkeit der Wohnung), so dass für das Betreten durch den MD grundsätzlich eine Einwilligung des Schutzrechtsinhabers erforderlich ist. Erfolgt diese Einwilligung durch den oder die Versicherte, den oder die Hausrechtsinhaber oder -inhaberin oder den oder die an den Wohnräumen Berechtigten nicht, kann die Leistung an den Leistungsorten nach Absatz 1 Nummer 3 und 4 versagt werden.“

Anforderungen an die außerklinische Pflege

Die Anforderungen an die außerklinische Pflege sind so hoch, dass sie von den betroffenen Menschen kaum umgesetzt werden können. Überprüfen soll das der medizinische Dienst nach Richtlinien, die der Gemeinsame Bundesausschuss erlassen wird.

  • Intensivpflege darf nur noch von besonders qualifizierten Ärzten und Ärztinnen verordnet werden
  • strenge Qualitätsvorgaben gelten für die häusliche Intensivpflege
  • Pflegedienste werden zur Zusammenarbeit mit Fachärzten verpflichtet
  • medizinischer Dienst überprüft die Einhaltung der Vorgaben durch persönliche Begutachtung zu Hause

Was tun?

Offen bleibt, ob es Klagen gegen das Gesetz geben wird. Überlegungen dazu gibt es aber. Möglich bleibt den Betroffenen aber der Versuch, Einfluss auf die Begutachtungsrichtlinien zu nehmen. Nachdem ein erster Entwurf des G-BA dazu bekannt geworden ist, der die Schlimmes befürchten ließ, beeilte sich der G-BA darauf hinzu weisen, dass die endgüligen Richtlinien erst nach Beratung und Diskussion mit allen Beteiligten verabschiedet werde.

Fazit

Ein lesenswertes Fazit aus dem Kampf um das IPReG zieht die Autorin und Bloggerin Laura Mensch unter dem Titel: „Schluss, aus, vorbei – IPReG gefährdet die Selbstbestimmung jetzt aktiv“.

Quellen: Bundesrat, BMG, Change.org, Kobinet, FOKUS-Sozialrecht

Unsere bisherigen Beiträge zum Thema:

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