Frau Intensivstation

Diskussion um Versorgung von Intensivpatienten

Mit dem Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) wollte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Missbrauch und Fehlanreize bei der Versorgung von Intensivpatienten, insbesondere bei Beatmungs- und Wachkomapatienten verhindern. Der dazu vorgelegte Referentenentwurf erntete massiv Kritik von Betroffenen und Fachverbänden.

Kritik am ersten Referentenentwurf

Vor allem die neue Regelung, dass viele behinderte Menschen gegen ihren Willen in vollstationäre Heime oder spezielle Beatmungs-Einheiten verbracht werden können, wurde angegriffen. Ausgenommen von dieser Regel sind nur Kinder und Jugendliche, die bei ihren Eltern und ihrem Zuhause bleiben dürfen. Alle anderen können nur dann in der eigenen Wohnung bleiben, wenn eine andere Unterbringung schlicht unmöglich oder für sie unzumutbar ist.

Kritik am zweiten Referentenentwurf

Seit Dezember 2019 gibt es eine Neufassung des Referentenentwurfs. Das Gesetz heißt nun „Gesetz zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPREG). Aber auch unter dem neuen Namen IPREG besteht das alte Problem weiter. Wieder gibt es Kritik von den Verbänden und von Betroffenen.  Der Referentenentwurf  wird nun am 22.1.2020 nicht wie ursprünglich geplant im Bundeskabinett diskutiert, sondern noch einmal überarbeitet.

Knackpunkt

Knackpunkt ist weiterhin der neue § 37c im SGB V, insbesondere der Absatz 2. Hier heißen die Sätze 1 bis 3: „Wünschen der Versicherten, die sich auf den Ort der Leistung nach Satz 1 richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind und die medizinisch-pflegerische Versorgung an diesem Ort sichergestellt ist. § 104 Absatz 2 und 3 des Neunten Buches gilt entsprechend.“

Im § 104 SGB IX steht, was unter „angemessen“ zu verstehen ist:

„Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind. Die Wünsche der Leistungsberechtigten gelten nicht als angemessen,

  1. wenn und soweit die Höhe der Kosten der gewünschten Leistung die Höhe der Kosten für eine vergleichbare Leistung von Leistungserbringern, mit denen eine Vereinbarung nach Kapitel 8 besteht, unverhältnismäßig übersteigt und
  2. wenn der Bedarf nach der Besonderheit des Einzelfalles durch die vergleichbare Leistung gedeckt werden kann.“

Selbstbestimmung oder Kostenabwägung

Weiter heißt es im Gesetzentwurf in Satz 4 des § 37c Abs.2: „Die Feststellung der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 bis 3 erfolgt durch die Krankenkasse nach persönlicher Begutachtung des Versicherten und des Leistungsorts durch den Medizinischen Dienst.“

Im Klartext bedeutet das, das Patienten gegen ihren Willen aus Kostengründen woanders als zu Hause untergebracht werden können. Die Entscheidung darüber liegt bei den Krankenkassen, die sich an das Gutachten des Medizinischen Dienstes halten werden.

Erklärung der Verbände

In der Erklärung der Verbände zur Ablehnung auch dieses Referentenentwurfs werden folgende Gründe aufgeführt:

  • „Alle Menschen haben die gleichen Rechte, unabhängig ihres Gesundheitszustandes und einer Behinderung.
  • Das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen hat bei der Entscheidung bezüglich des Versorgungsortes höchste Priorität.
  • Finanzielle Interessen dürfen nicht über den persönlichen Wünschen der Betroffenen stehen.
  • Es darf nicht im Ermessen des Medizinischen Dienstes oder der Krankenkassen liegen, gegen den Willen des Betroffenen über den Wohnort zu entscheiden.
  • Eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts verstößt gegen die Vorschriften zur Teilhabe der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 3 Buchst. c UN-BRK, Art. 19 Buchst. A UN-BRK, Art. 26 Abs. 1 UN-BRK), des Grundgesetzes (Art. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 11 GG) sowie gegen die entsprechenden Vorgaben des SGB V (§ 2a SGB V), des SGB IX (§ 1 SGB IX) und den im SGB V und SGB XII verankerten Grundsatz „ambulant vor stationär“ (§ 37 Abs. 1 und 2 SGB V, § 13 SGB XII).
  • Es ist im Hinblick auf den individuellen Gesundheitszustand und den damit verbundenen Einschränkungen in der Bewältigung des Alltags insbesondere für intensiv-medizinisch betreute Patientinnen und Patienten wichtig, über die Wahl des Lebensmittelpunktes selbst bestimmen zu können, unabhängig ihres Alters.
  • Menschen mit einem intensivmedizinischen Pflegebedarf, wie z. B. invasiver Beatmung, sind bereits aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation stark in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Diesen Betroffenen nun auch noch ihr freies Wunsch- und Wahlrecht in Bezug auf ihren Lebensmittelpunkt zu nehmen, bedeutet für die Betroffenen einen tiefgreifenden persönlichen Einschnitt in ihre Selbstbestimmung und nimmt ihnen jegliche Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe. Es ist damit zu rechnen, dass die Umsetzung dieser Reform bei den Betroffenen und deren Angehörigen zu psychischen Traumatisierungen, Depressivität oder gar Suizidalität führen wird.“

Die Forderung lautet daher, den Referentenentwurf zum IPREG zu überarbeiten, und das einschränkende Kriterium der Angemessenheit in § 37c Abs. 2 SGB V sowie den Verweis auf § 104 SGB IX zu streichen.

Quellen: BMG – Stellungnahmen, Paritätischer Gesamtverband, AbilityWatch, FOKUS-Sozialrecht

Abbildung: pixabay.com hospital-840135_1280.jpg