Keine Befristung beim Persönlichen Budget

Das entsprechende Urteil dazu hat das Bundessozialgericht schon Ende Januar 2021 gesprochen. Trotzdem lohnt sich auch jetzt noch ein Blick auf das Thema „Persönliches Budget“.

BSG-Urteil

Das Bundessozialgericht hatte in seiner Entscheidung (AZ: B 8 SO 9/19 R) festgestellt, dass ein  im Rahmen der Eingliederungshilfe bezahltes persönliches Budget für behinderte Menschen nicht befristet werden darf. Zwar kann alle zwei Jahre der Bedarf des behinderten oder kranken Menschen neu überprüft werden, eine generelle Befristung dieser Unterstützungsform ist aber nicht gesetzlich vorgesehen. Als Folge der Entscheidung müssen Betroffene wegen einer Befristung nicht immer wieder neu einen Antrag für die Eingliederungshilfeleistung stellen.

Dem Urteil voraus ging eine Klage eines psychisch kranken Mannes gegen seinen Sozialhilfeträger. Dieser hatte sein persönliches Budget befristet. So kürzte der Sozialhilfeträger das Budget von ursprünglich 600 Euro monatlich auf 196 Euro und später auf 388 Euro monatlich. Der Kläger hätte zudem nach Ablauf der Bewilligung einen neuen Antrag stellen müssen.

Keine Breitenwirkung

Aus dem Dritten Teilhabebericht der Bundesregierung vom geht hervor, dass das Persönliche Budget insgesamt von den Betroffenen nicht gut angenommen wird. Danach nahmen am Jahresende 2018 insgesamt 10.410 Personen ein Persönliches Budget in Anspruch, die meisten davon (10.090 beziehungsweise 96,9 %) im Rahmen der Eingliederungshilfe. Die Anzahl der Personen, die Leistungen der Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege in Form eines Persönlichen Budgets in Anspruch nahmen, stieg im Vergleich zum Jahr 2014 zwar um 9,9 Prozent, allerdings ergab sich bei jährlichen Schwankungen kein eindeutiger Aufwärtstrend. Am höchsten war die Zahl derjenigen, die ein Persönliches Budget in Anspruch nahmen, im Betrachtungszeitraum im Jahr 2017 (11.543 Personen). Insgesamt war die Zahl der Leistungsbeziehenden gering, eine Breitenwirkung konnte das Persönliche Budget bislang nicht erzielen.

Selbstbestimmung durch Persönliches Budget

Das Persönliche Budget nach § 29 SGB IX ermöglicht Menschen mit Behinderung statt der sonst üblichen Bereitstellung von Dienst- oder Sachleistungen in der Regel über Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, eine Geldleistung als Budget zu erhalten. Dieses zur Verfügung gestellte Budget soll behinderten und hilfebedürftigen Menschen ermöglichen, selbstbestimmt und in eigener Verantwortung Dienst- und Sachleistungen „einzukaufen“. Es ist ein bedeutsamer Unterschied, ob man selbst entscheidet oder andere professionelle Dienstleister regulieren lässt, wie notwendige Unterstützungsleistungen erbracht werden sollen und wer diese Hilfen erbringt. Voraussetzung für diese größere Autonomie und Teilhabe: Im Rahmen eines Bedarfsfeststellungsverfahrens und entsprechenden Zielvereinbarungen mit dem behinderten Menschen, ist – nach Maßgabe einiger im Sozialgesetzbuch genannten inhaltlichen, strukturellen und organisatorischen Vorgaben – dann ein für den individuellen Hilfebedarf erforderliches Persönliches Budget zu bewilligen.

Für viele zu kompliziert

Fast ausschließlich beantragen Menschen mit Körperbehinderung oder mit psychischen Behindeungen das Persönliche Budget. Die Antragstellung ist kompliziert, die Organisation und Handhabung des Budgets im Alltag stellt hohe Anforderungen. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, die genauso Anspruch auf ein selbstbestimmteres Leben mit Hilfe des Persönlichen Budgets haben, schrecken deswegen oft davor zurück.

Quellen: BSG, Bundesregierung

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Schulbücher

Zu Anfang 2021 wurde der neue Absatz 6a in den § 21 SGB II eingefügt, im SGB XII entsprechend der neue Absatz 9 im § 30. Danach haben Schüler und Schülerinnen, die aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hatten, einen Anspruch auf Übernahme der kompletten Schulbuchkosten, egal ob Ausleihgebühren, Eigenanteile, die nach landerechtlichen Bestimmungen anfallen, oder Gesamtkosten.

Vorgabe des Bundessozialgerichts

Das Bundessozialgericht hat am 8. Mai 2019 entschieden (Az. u. a. B 14 AS 6/18 R), dass die Kosten für Schulbücher nach § 21 Absatz 6 als Härtefall-Mehrbedarf zu übernehmen sind, wenn Schülerinnen und Schüler mangels Lernmittelfreiheit ihre Schulbücher selbst kaufen müssen. Die Kosten für Schulbücher seien zwar dem Grunde nach vom Regelbedarf erfasst, nicht aber in der richtigen Höhe, denn dem Regelbedarf liege die bundesweite Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) zugrunde. In der Mehrzahl der Bundesländer gelte jedoch Lernmittelfreiheit. Der in den Regelbedarf eingeflossene Betrag für Schulbücher sei daher strukturell zu niedrig für diejenigen, die ihre Schulbücher selbst kaufen müssen. Insoweit sei das Ergebnis der EVS nicht übertragbar.

Eigenständige Regelung

Diese Rechtsprechung wird bereits umgesetzt. Allerdings passt § 21 Absatz 6 SGB II als Auffangvorschrift für individuelle Härtefälle systematisch nicht bei der hier vorliegenden strukturellen Untererfassung eines Bedarfs im Rahmen der Ermittlung des Regelbedarfs. Daher wird mit dem neuen Absatz 6a eine eigenständige Regelung für Aufwendungen zu Kauf oder entgeltlicher Ausleihe von Schulbüchern geschaffen. Umfasst sind auch Arbeitshefte, soweit sie den Schulbüchern gleichstehen. Das ist der Fall, wenn sie über eine ISBN-Nummer verfügen.

Nur bei fehlender Lernmittelfreiheit

Voraussetzung für die Anerkennung als Mehrbedarf ist, dass für die betreffende Schülerin bzw. den Schüler im jeweiligen Bundesland oder in der jeweiligen Schule – ganz oder teilweise – keine Lernmittelfreiheit und damit keine Möglichkeit einer unentgeltlichen Anschaffung oder Ausleihe der Schulbücher bzw. der Arbeitshefte besteht. Zudem muss die Benutzung des Buches bzw. Arbeitshefts durch die Schule oder den jeweiligen Fachlehrer vorgegeben sein.

Wie bekommt man die Kosten erstattet?

Um diese Kosten erstattet zu bekommen, bedarf es

  • eines Nachweises der Schule, welche Bücher anzuschaffen sind, sowie
  • eine Quittung über die entstandenen Kosten.

Handelt es sich um erhebliche Kosten, z. B. wegen fehlender Lernmittelfreiheit in einem Bundesland, müssen die Kosten nach vorheriger Bezifferung monatlich im Voraus erbracht werden (§ 42 Abs. 1 SGB II). Seit 1.8.2016 gibt es diese Vorschussregelung. Maximal 100 Euro des Leistungsanspruchs des Folgemonats können als Vorschuss gewährt werden.

Wann muss der Antrag gestellt werden?

Im SGB XII (nach dem 3. Kapitel) und bei den Analogleistungen nach AsylbLG muss beachtet werden, dass die Anträge auf Übernahme zwingend im Monat des Kaufes gestellt werden müssen! Im SGB II können die Anträge auch deutlich später gestellt werden.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, BSG, Harald Thome, SOLEX

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Wohngruppenzuschlag

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat am 10. September 2020 in drei Revisionsverfahren über den Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a Sozialgesetzbuch Elftes Buch – SGB XI – für pflegebedürftige Bewohner von Wohngruppen entschieden (Aktenzeichen B 3 P 2/19 R, B 3 P 3/19 R, B 3 P 1/20 R).

Die sämtlich den Zuschlag ablehnenden Urteile der Landessozialgerichte sind aufgehoben worden. Der 3. Senat misst dem gesetzlichen Ziel der Leistung, ambulante Wohnformen pflegebedürftiger Menschen unter Beachtung ihres Selbstbestimmungsrechts zu fördern, hohe Bedeutung bei und hält einen strengen Maßstab für die Anforderungen an den Wohngruppenzuschlag nicht für gerechtfertigt.

Wohngruppenzuschlag in ambulant betreuten Wohngruppen

Die Bedeutung ambulant betreuter Wohngruppen für die pflegerische Versorgung wächst. Diese Wohngruppen tragen dem Wunsch nach privater und häuslicher Pflege und Betreuung Rechnung. Vor allem ermöglichen sie es Menschen, die ihren Lebensalltag nicht mehr allein bewältigen können oder möchten, eine gemeinschaftliche Pflege in der Nähe ihres angestammten Wohnumfeldes zu erhalten. Das verhindert Brüche im sozialen Gefüge der Betroffenen. Die überschaubare Größe der Wohngruppen erleichtert es, die Ressourcen der Pflegebedürftigen zu nutzen und zu erhalten sowie Angehörige und das weitere soziale Umfeld der Pflegebedürftigen in den Alltag der Wohngruppe einzubeziehen.

Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen (sog. Pflege-WG), die Pflegesachleistungen oder Pflegegeld beziehen, erhalten seit 1.1.2017 einen Wohngruppenzuschlag in Höhe von 214 EUR je Monat.

Die Voraussetzungen für den Wohngruppenzuschlag und die Ausgestaltung von ambulanten Wohngruppen wurde mit dem Pflegestärkungsgesetzen I und II weiterentwickelt:

  • Der Pflegebedürftige hat Anspruch auf Wohngruppenzuschlag, wenn
  • Er mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zusammenlebt.
  • Davon sind mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig.
  • Die Bewohner müssen Pflegesachleistungen, Pflegegeld, Kombinationsleistungen, Angebote zur Unterstützung im Alltag oder den Entlastungsbetrag beziehen.
  • Zweck der Wohngemeinschaft ist die gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung.
  • Eine Person muss durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt werden, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten.
  • Es muss sicher gestellt sein, dass die ambulante Leistungserbringung nicht tatsächlich weitgehend den Umfang einer stationären oder teilstationären Versorgung erreicht, und somit eine Situation vermieden wird, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter für die Mitglieder der Wohngruppe eine Vollversorgung anbietet. Das zentrale Merkmal einer ambulanten Versorgung ist, dass regelhaft Beiträge der Bewohnerinnen und Bewohner selbst, ihres persönlichen sozialen Umfelds oder von bürgerschaftlich Tätigen zur Versorgung notwendig bleiben.

§ 38a SGB XI gilt auch für Personen mit Pflegegrad 1.

Der Medizinische Dienst soll im Einzelfall prüfen, ob in Wohngruppen die Inanspruchnahme der Tages‐ und Nachtpflege erforderlich ist. Nur dann, wenn durch eine Prüfung nachgewiesen ist, dass die Pflege in einer ambulant betreuten Wohngruppe ohne teilstationäre Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden kann, kann die Leistung in Anspruch genommen werden. 

Hinweise des BSG

Das Bundessozialgericht weist in seinem Urteil darauf hin, dass trotz der Zielrichtung des Gesetzes der Zuschlag allerdings zu versagen wäre, wenn es sich nicht im Rechtssinne um eine ambulant betreute Wohngruppe, sondern faktisch um eine (verkappte) vollstationäre Versorgungsform handelte, oder wenn die in der Wohngruppe erbrachten Leistungen nicht über diejenigen der häuslichen Pflege hinausgingen. Für gesetzlich begünstigte Wohn- und Versorgungsformen sei maßgebend, dass die Betroffenen im Sinne einer „gemeinschaftlichen Wohnung“ die Möglichkeit hätten, Gemeinschaftseinrichtungen zu nutzen, und dass sie die Übernahme einzelner Aufgaben außerhalb der reinen Pflege durch Dritte selbstbestimmt organisieren könnten.

Die „gemeinschaftliche Beauftragung“ einer Person zur Verrichtung der im Gesetz genannten, die Wohngruppe unterstützenden Tätigkeiten müsse sich an der Förderung der Vielfalt individueller Versorgungsformen und der Praktikabilität messen lassen. Deshalb unterliege eine gemeinschaftliche Beauftragung keinen strengen Formvorgaben und kann auch durch nachträgliche Genehmigung erfolgen. Dafür reiche es aus, wenn innerhalb der Maximalgröße der Wohngemeinschaft von zwölf Personen einschließlich der die Leistung begehrenden pflegebedürftigen Person mindestens zwei weitere pflegebedürftige Mitglieder an der gemeinschaftlichen Beauftragung mitwirken. Bei der beauftragten Person könne es sich auch um mehrere Personen und ebenfalls um eine juristische Person handeln, die dann wiederum durch namentlich benannte natürliche Personen die für die Aufgabenerfüllung nötige regelmäßige Präsenz sicherstelle. Auch schade es nicht, wenn die Beauftragten noch andere Dienstleistungen im Rahmen der pflegerischen Versorgung übernähmen, solange keine solch enge Verbindung zur pflegerischen Versorgung bestehe, dass diese als stationäre Vollversorgung zu qualifizieren wäre.

Quellen: Bundessozialgericht, SOLEXWohngruppenzuschlag

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