PV-Beiträge für Rentner mit Kindern

Zum 1. Juli 2023 ändert sich die Höhe des Beitrages zur Pflegeversicherung. Das gilt auch für den Beitrag zur Pflegeversicherung für Rentnerinnen und Rentner. Für Versicherte ohne Kinder erhöht sich der Beitragssatz zum 1. Juli 2023 von bisher 3,4 auf 4,0 Prozent. Für Versicherte mit Kindern steigt er von bisher 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent. Der Beitragssatz von 3,4 Prozent gilt auch für Rentner, die erwachsene Kinder haben (25 Jahre und älter). Ebenso für Rentner, die ein Kind haben, das noch keine 25 Jahre alt ist.

In allen diesen Fällen wurde im Juli schon die Rente mit den veränderten PV-Beiträgen überwiesen.

Rentenbescheid wirft Fragen auf

Rentner, die zwei oder mehr Kinder im Alter unter 25 Jahren haben, waren allerdings vermutlich über ihren letzten Rentenbescheid verwundert. Dort fanden sie unabhängig von der Anzahl ihrer Kinder einen einheitlichen PV-Beitrag von 3,4 Prozent. Der vom Gesetzgeber vorgeschriebene Abschlag von 0,25 Prozent pro Kind ab dem zweiten Kind findet nicht statt.

Keine Auskunft erhältlich

Eine Nachfrage bei der Deutschen Rentenversicherung Bund ist telefonisch fast unmöglich. Hat man nach viel Mühen die Hürden des Telefoncomputers soweit überwunden, dass man das erlösende: „Ich verbinde mit einem Mitarbeiter“ hört, fliegt man aus der Leitung. Eine schriftliche Nachfrage wurde zwar beantwortet, allerdings nur mit der lapidaren Feststellung, der PV-Beitrag betrage 3,4 Prozent.

Google hilft

Auf der Homepage der Deutschen Rentenversicherung kommt man auch nicht weiter. Erst über eine Suchmaschine mit der Eingabe: „Neuer Beitrag zur Pflegeversicherung“ führt zu einer gut versteckten Seite der Deutschen Rentenversicherung Bund.

Dort findet sich tatsächlich eine genaue Beschreibung der PV-Beiträge einschließlich der Ermäßigungen für Kinder. Und hier findet sich auch der Grund, warum, das ganze noch nicht umgesetzt ist.

Rückzahlung Mitte 2025

Die DRV wartet auf ein digitales Verfahren, dass es „voraussichtlich“ geben wird. Damit sollen dann die neuen Regelungen „schnell und effizient von den Verwaltungen umgesetzt werden“. Die Entwicklung brauche aber Zeit. Daher könne bis zum 30.6.2025 für Eltern zunächst der reguläre Beitragssatz von 3,4 % erhoben werden. „Abschlagsberechtigte“ hätten jedoch einen Anspruch auf Erstattung der zu viel gezahlten Beiträge. Da können sich die Rentner in knapp zwei Jahen auf eine Rückzahlung freuen.

Geburtsurkunden

Die Elternschaft und das Alter der Kinder muss allerdings nachgewiesen werden. Am besten mit den Kopien der Geburtsurkunden.

Quellen: DRV-Bund, FOKUS-Sozialrecht

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Rückzahlung von Unterhaltvorschuss und Bürgergeld

Bezieht ein Unterhaltspflichtiger SGB II – Leistungen, dürfen Sozialleistungsträger die Zahlungen von Unterhaltsvorschuss nicht eintreiben. Sie dürfen noch nicht einmal ein gerichtliches Verfahren dazu einleiten. So die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 31.Mai 2023.

Vater bezog Hartz IV

Das Land Rheinland-Pfalz hatte seit Januar 2020 Unterhaltsvorschüsse für eine bei ihrer Mutter minderjährige Tochter erbracht und machte als Träger der Unterhaltsvorschusskasse gegenüber dem Vater Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht geltend. Das Beschwerdegericht beim OLG Düsseldorf wies den Antrag des Sozialversicherungsträgers mit Verweis auf § 7a UVG ab, da der Vater seit Beginn des Verfahrens ausschließlich SGB II-Leistungen bezog.

gerichtliche Festsetzung ausgeschlossen

Der für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat sah das genauso. Wie auch die Düsseldorfer Richter legt der BGH § 7a UVG so aus, dass nicht erst die Vollstreckung, sondern bereits die gerichtliche Festsetzung von Forderungen ausgeschlossen ist. Die Vorschrift regelt, dass ein nach § 7 UVG übergegangener Unterhaltsanspruch nicht verfolgt wird, solange der unterhaltspflichtige Elternteil Leistungen nach SGB II bezieht und über kein Einkommen nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II verfügt. Für die Wortlautauslegung zieht der Senat BGB- und ZPO-Vorschriften heran, die mit dem Begriff der „Verfolgung“ von Rechten stets auch schon die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen meinten. Dafür spreche auch der Zweck der Norm, verwaltungsaufwändige und unwirtschaftliche Rückgriffsbemühungen des Staates zu verhindern. Der BGH betont, dass die Norm des § 7a UVG, die auch Rückforderungen für die Vergangenheit ausschließe, auch den Schuldner schützen solle.

Richtlinien sahen das anders

Das Urteil widerspricht damit auch den aktuell gültigen Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes des Familienministeriums. Darin heißt es unter anderem, dass eine Prüfung des Unterhaltsanspruchs vorzunehmen sei sowie gegebenenfalls rechtswahrende Anschreiben an den Unterhaltspflichtigen, um ggf. eine Verwirkung des Anspruchs zu verhindern und eine spätere Verfolgung vorzubereiten. Gleiches gelte für die eventuell erforderliche gerichtliche Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs. Durch die Nichtverfolgung des Anspruchs könne es zu Verjährung und Verwirkung kommen.

Unterhaltsvorschuss

Unterhaltsvorschuss verfolgt das Ziel, den allein stehenden Elternteil zu entlasten und den Ausfall an Unterhalt für sein Kind nicht entstehen zu lassen. Unterhaltsvorschuss stellt eine Sozialleistung dar. Die Höhe des Unterhaltsvorschusses wird durch die Mindestunterhaltsverordnung festgelegt.

Danach beträgt der Mindestunterhalt seit 1. Januar 2023:

Kinder, die das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Altersstufe 0 bis 5 Jahre): 437 EUR
Kinder, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Altersstufe 6 bis 11 Jahre): 502 EUR
Kinder, die das achzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Altersstufe 12 bis 17 Jahre): 588 EUR

Hat der Elternteil, bei dem das Kind lebt, Anspruch auf volles Kindergeld, so mindert sich die Unterhaltsleistung um das für ein erstes Kind zu zahlende Kindergeld, also um 250 EUR.

Quellen: Bundesgerichtshof, SOLEX

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Medizinische Leistungen für minderjährige Asylbewerber

Will eine Behörde bei minderjährigen Asylbewerbern die Kostenübernahme für medizinisch erforderliche Behandlungen verweigern, weil diese nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich seien, so bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung. Dies hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Rahmen eines Eilverfahrens entschieden.

Asylantrag abgelehnt

Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der 2006 geborene Antragsteller ist georgischer Staatsbürger und leidet seit seiner Geburt an einer chronisch-progressiv verlaufenden Erkrankung. Folgen dieser Erkrankung sind Kleinwuchs, schwere Knochenwachstumsstörungen, eine Deformation des Brustkorbes sowie eine ausgeprägte mehrdimensionale Achsenfehlstellung in den Kniegelenken sowie dauerhafte, starke Schmerzen. Er benötigt einen Rollstuhl. Seine Eltern reisten mit ihm im Jahr 2022 nach Deutschland ein, um für ihn eine bessere medizinische Versorgung zu erlangen. Die Asylanträge wurden abgelehnt, die dagegen gerichtete Klage ist noch anhängig.

Operation erforderlich

Die untersuchenden Ärzte und das Gesundheitsamt sprachen sich für eine zeitnahe chirurgische Operation des Antragsstellers in einer Spezialklinik aus. Dadurch könne er schmerzarm bis schmerzfrei werden und unter Umständen ohne Hilfsmittel laufen. Die voraussichtlichen Operationskosten betragen rund 17.600 EUR. Der zuständige Landkreis lehnte die Übernahme der Kosten ab. Die Operation sei angesichts der Ausreisepflicht des Antragstellers, der Androhung der Abschiebung und des absehbar nur vorübergehenden Aufenthalts in Deutschland nicht erforderlich und auch nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich oder zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten.

Landkreis muss die Kosten übernehmen

Das Sozialgericht Braunschweig hat den Landkreis im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten für die geplante Operation zu übernehmen. Das LSG Niedersachsen-Bremen hat diese Entscheidung nun bestätigt.

Berücksichtigung der UN-Kinderrechtskonvention

Dabei hat der erkennende Senat seine Rechtsprechung zu Leistungen für die medizinische Behandlung von Minderjährigen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz präzisiert. Danach müsse vor allem bei Kindern im Lichte des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und unter Berücksichtigung der UN-Kinderrechtskonvention besonders gerechtfertigt werden, wenn eine nach den hiesigen Lebensverhältnissen medizinisch erforderliche Behandlungsmaßnahme als nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich abgelehnt werden soll. Die Behörde müsse dazu neben den Umständen des Einzelfalles auch die Qualität des betroffenen (Grund-)Rechts, das Ausmaß und die Intensität der tatsächlichen Beeinträchtigung im Falle der Leistungsablehnung sowie die voraussichtliche und bisherige Aufenthaltsdauer des Ausländers in Deutschland einbeziehen.

Umstände des Einzelfalls

Durch die Operation bestehe in diesem konkreten Fall die Aussicht, dass der Antragsteller künftig nicht mehr auf einen Rollstuhl angewiesen sei und ggf. sogar ohne Hilfsmittel schmerzarm bzw. schmerzfrei laufen könne. Nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere auch der prognostisch längeren Aufenthaltsdauer des Klägers in Deutschland, sei es sachlich nicht gerechtfertigt, dem minderjährigen Antragsteller die medizinisch dringend indizierte Maßnahme vorzuenthalten.

Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juni 2023, L 8 AY 16/23 B ER

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Bürgergeld-Freibeitrag bei FSJ und BFD

Freiwillige, die einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) oder ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) leisten, hierfür ein Taschengeld bekommen und im Bürgergeld-Bezug stehen, erhalten ebenfalls einen Freibetrag für dieses Taschengeld. Die Höhe des Freibetrages für das Taschengeld im FSJ oder BFD ist abhängig vom Alter der Freiwilligen. Wenn die Freiwilligen unter 25 Jahre sind, so können sie das Taschengeld in voller Höhe behalten, denn es besteht ein Freibetrag von 520 Euro. Das Taschengeld im FSJ oder BFD erreicht diese Höhe nicht.

Sind die Freiwilligen 25 Jahre oder älter, so steht ihnen ein monatlicher Freibetrag in Höhe von 250 Euro zu.  Diese Regelung entspricht der bei der allgemeinen ehrenamtlichen Tätigkeit.

Vergessen, aber…

Die Bundesfreiwilligendienst-Leistenden über 25 Jahre wurden im ursprünglichen Bürgergeldgesetz schlichtweg vergessen. Erst eine nachträgliche Änderung, verpackt im „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts„, schaffte Abhilfe.

…keine Absicht

Zur Begründung schreibt die Bundesregierung, dass durch das Bürgergeld-Gesetz zum 1. Juli 2023 die Regelung zur Höhe des Absetzbetrages von dem Taschengeld, das junge Menschen nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder
Jugendfreiwilligendienstegesetz erhalten, geändert wurde. Für Leistungsberechtigte, die an einem Freiwilligendienst teilnehmen und die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, wurde der Grundabsetzbetrag auf derzeit 520 Euro angehoben. Im Zuge der Änderung wurde die bisherige Regelung des § 11b Absatz 2 Satz 6 SGB II
ersatzlos gestrichen. Dadurch entfiel auch der Freibetrag für Personen über 25 Jahren. Diese Schlechterstellung der Personen über 25 Jahren war nicht beabsichtigt.

Mit der Änderung wird sichergestellt, dass der bislang im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch geregelte Absetzbetrag in Höhe von 250 Euro für erwerbsfähige Freiwillige, die einen Dienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz leisten und die das 25. Lebensjahr vollendet haben, erhalten bleibt.

Mehr Infos für Jugendliche und junge Erwachsene

Weitere Regelungen zu Einkommensanrechnung bei Ausbildung, Nebenjobs und Ferienjobs siehe hier.

Quellen: Bundestag, FOKUS Sozialrecht, Thomas Knoche: Grundlagen – SGB II: Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Walhalla Fachverlag; 3., aktualisierte Edition (28. Februar 2023)

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Sachverständigenbeirat „Versorgungsmedizinische Begutachtung“

Der Sachverständigenbeirat „Versorgungsmedizinische Begutachtung“ wurde mit dem „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“ zum 1.6.2023 neu ausgerichtet. Der Begriff „Ärztlicher“ wurde aus dem Titel gestrichen, die gesetzliche Grundlage ist nicht mehr die Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV), sondern der neue § 153a Im SGB IX.

Zusammensetzung des Beirats

Verbände für Menschen mit Behinderungen, die Länder sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales benennen je sieben Mitglieder, darunter jeweils mindestens vier Ärztinnen oder Ärzte, die versorgungsmedizinisch oder wissenschaftlich besonders qualifiziert sind. Daneben können und sollen aber auch Sachverständige mit einer anderen Kompetenz (z. B. aus dem Gebiet der Sozial- oder Arbeitswissenschaft, der Teilhabeforschung oder der Disability Studies) benannt werden. Die Zusammensetzung des Beirates folgt damit nicht mehr einem rein medizinisch orientierten Verständnis von Behinderung, sondern einem teilhabeorientierten und ganzheitlichen Ansatz.

Aufgaben des Beirats

Der Beirat hat die Aufgaben,

  • das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in versorgungsmedizinischen Angelegenheiten zu beraten,
  • die Versorgungsmedizinischen Grundsätze auf dem aktuellen Stand zu halten und
  • Begutachtungskriterien zu erarbeiten, die als solche Voraussetzung für die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) bzw. des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) sind.

Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze, die bei der Begutachtung im Schwerbehindertenrecht und im Sozialen Entschädigungsrecht anzuwenden sind, sind in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung enthalten. GdB und GdS bilden entsprechend dem teilhabeorientierten Verständnis von Behinderung das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigung ab.

Änderungen durch Rechtsverordnung

Änderungen, die der Beirat dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales empfiehlt, werden durch eine Rechtsverordnung nach § 153 Absatz 2 SGB IX verbindlich geregelt.

Typisierende Regelungen

Menschen mit Behinderung haben ein Interesse daran, dass bei der Feststellung der Behinderung ihrer individuellen Situation weitestgehend Rechnung getragen wird. Gleichzeitig erwarten sie, dass die Versorgungsämter der Länder und Kommunen die Millionen von Erst- und Folgeanträgen, die dort allein im Schwerbehindertenrecht pro Jahr eingehen, zügig bearbeiten. In diesem Spannungsverhältnis sind im Interesse aller Beteiligten typisierende Regelungen erforderlich, die an einem „typischen Durchschnittsfall“ anknüpfen, damit die Feststellung der Behinderung auf der Grundlage der eingereichten ärztlichen Befundunterlagen ohne weitere Untersuchungen oder Tatsachenermittlungen zügig möglich ist.

Individuell neben der Gesundheitsstörung vorliegende Barrieren oder Ressourcen (z. B. das Fehlen oder Vorhandensein medizinischer Hilfsmittel oder technischer Hilfen, einer Arbeitsassistenz oder Schulbegleitung oder eines barrierefreien Wohn- oder Arbeitsplatzes) sind zwar für die Teilhabe gleichermaßen relevant, aber es würde einen unverhältnismäßig hohen Aufwand nach sich ziehen, diese im Einzelfall zu ermitteln.

Fortschritte können Anpassungen erfordern

Gleichwohl muss der Beirat bei der Formulierung der Begutachtungskriterien auch prüfen, ob Fortschritte bei der barrierefreien Gestaltung der Umwelt, medizinischer oder medizintechnischer Fortschritt die Teilhabe der Menschen mit Behinderungen tatsächlich auf breiter Ebene so verbessern, dass eine Anpassung des GdB bzw. GdS für den „typischen Durchschnittsfall“ in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen angezeigt ist.

Den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen festgelegten GdB bzw. GdS liegen somit stets die im allgemeinen für den Großteil der Betroffenen erreichbaren Behandlungsergebnisse zugrunde.

Quellen: BMAS, FOKUS-Sozialrecht

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SGB XIV naht

Im Dezember 2019 beschlossen Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts (BGBl. I S.2652 Nr. 50). Damit war der Weg frei für ein neues Sozialgesetzbuch XIV. Das Gesetz regelt Ansprüche von Gewalt- und Terroropfern, aber auch von Impfgeschädigten neu. Für Kriegsopfer gelten umfangreiche Bestandsschutzregeln. Das neue Sozialgesetzbuch gilt ab 1. Januar 2024.

Nachfolge des BVG

Das Soziale Entschädigungsrecht wird im SGB XIV gebündelt und neu strukturiert. Der Kern des Soziale Entschädigungsrechts liegt noch im Bundesversorgungsgesetz (BVG) aus dem Jahr 1950. Das BVG wurde für Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene der Weltkriege geschaffen.

Immer unübersichtlicher

Auf das BVG verweisen viele Nebengesetze, zum Beispiel das Opferentschädigungsgesetz (OEG), das Strafrechtliche und Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungs-, das Häftlingshilfe-, das Soldatenversorgungs-, das Infektionsschutz- und das Zivildienstgesetz. Insgesamt wurde das gesamte Soziale Entschädigungsrecht vor allem für die Betroffenen immer unübersichtlicher.

Personenkreis verändert sich

Die Zahl der Kriegsopfer und ihrer Hinterbliebenen geht demografiebedingt weiter zurück. Die Zahl der Opfer von Gewalttaten aber könnte tendenziell zunehmen. Deshalb wird das neue SGB XIV viel stärker an den Bedarfen von Gewaltopfern ausgerichtet. Dabei zieht der Gesetzgeber auch Konsequenzen aus dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016. 

Was bedeutet Soziale Entschädigung?

Soziale Entschädigung unterstützt Menschen, die durch ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung mit der Folge einer Gesundheitsstörung erlitten haben, für die die staatliche Gemeinschaft eine besondere Verantwortung trägt. Das schädigende Ereignis ist Grundlage jeglicher Entschädigung. Es ist ein Ereignis, durch das einer der Entschädigungstatbestände erfüllt wird.

Entschädigungstatbestände nach dem SGB XIV sind nach derzeitigem Stand (zivile) Gewalttaten (OEG), nachträgliche Kriegsauswirkungen der beiden Weltkriege (BVG), Ereignisse im Zusammenhang mit der Ableistung des Zivildienstes (ZDG) sowie Impfschäden nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Durch das schädigende Ereignis muss eine gesundheitliche Schädigung eingetreten sein und diese Schädigung muss zu einer Gesundheitsstörung geführt haben. Beispiel: Messerstich in die Brust verursacht Schädigung der Lunge, die nicht folgenlos verheilt, sondern zu einer Funktionseinschränkung der Lunge führt.

Berechtigte

Berechtigte nach dem SGB XIV sind grundsätzlich

  • Geschädigte (im Bereich Gewaltopfer auch Schockschadensopfer),
  • Angehörige von Geschädigten,
  • Hinterbliebene von Geschädigten und
  • Nahestehende von Geschädigten. Darunter verstehen wir Menschen, die zu der oder dem Geschädigten in einem besonderen Näheverhältnis stehen. z. B. Menschen, die mit der oder dem Geschädigten in einer dauerhaften Lebensgemeinschaft leben, die einer Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft ähnlich ist.

Opfer sexueller Gewalt

Auch Opfer sexueller Gewalt können bei Vorliegen der weitergehenden Voraussetzungen Leistungen nach dem SGB XIV erhalten. Dies ist auch möglich, wenn die sexuelle Gewalttat schon Jahre zurückliegt.

Traumaambulanzen

Die neue Leistung der Traumaambulanzen können auch Personen in Anspruch nehmen, die das schädigende Ereignis zunächst – oft für Jahre oder Jahrzehnte – verdrängt haben, dann aber eine aktuelle/akute psychische Belastung erleben. Eine aktuelle Belastung liegt vor, wenn akute Symptome auftreten. Sie hängt nicht vom Zeitpunkt des traumatisierenden Ereignisses ab. Diese Fallkonstellation kann insbesondere bei Personen auftreten, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden sind.

Beweiserleichterung

Dazu wird es künftig eine Regelung zur Beweiserleichterung geben, die insbesondere Opfern sexueller Gewalt zugutekommt. Für sie ist es nicht immer einfach nachzuweisen, dass die gesundheitlichen Schädigungsfolgen auf eine oft schon Jahre zurückliegende Schädigung zurückzuführen sind. Wenn nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mehr dafür als dagegen spricht, dass zwischen erlittener Tat, gesundheitlicher Schädigung und Schädigungsfolgen ein ursächlicher Zusammenhang besteht (Prinzip der doppelten Kausalität), sind Ansprüche nach dem SGB XIV möglich. Die Kausalität wird also vermutet, wenn bei psychischen Gesundheitsstörungen Tatsachen vorliegen, die geeignet sind, einen Ursachenzusammenhang zu begründen und dies nicht durch einen anderen Kausalverlauf widerlegt wird.

Leistungskatalog nicht identisch

Der Leistungskatalog des SGB XIV ist nicht identisch mit dem Leistungskatalog des BVG. Einige Leistungen des BVG gehen in anderen Leistungen auf oder werden nach dem SGB XIV nur noch als Härtefall-Leistung erbracht.

  • Badekuren, Versehrtenleibesübungen – Grund: wurden nur noch selten abgefragt, sie gehen in der Regelleistung medizinische Rehabilitation auf.
  • Erholungshilfe – Grund: das Erholungsbedürfnis von Menschen hat seine Ursache nicht im schädigenden Ereignis.
  • Altenhilfe – Grund: Erschwernisse im Alter haben ihre Ursache nicht im schädigenden Ereignis.
  • Ausgleichsrente – Grund: Zusammenfassung in der wesentlich erhöhten monatlichen Entschädigungszahlung, Vereinfachung
  • Ehegattenzuschlag – Grund: Zusammenfassung in der wesentlich erhöhten monatlichen Entschädigungszahlung, Vereinfachung.
  • die Hilfe zur Pflege – Grund: geht in den ergänzenden Leistungen bei Pflegebedürftigkeit auf.

Mehr Informationen

Weitere Fragen rund um das neue SGB XIV beantwortet das Bundesministerium für Arbeit uns Soziales hier. Außerdem informiert das BMAS über das Soziale Entschädigungsrecht auch in Leichter Sprache.

Quellen: BMAS, FOKUS-Sozialrecht, Sozialverband Deutschland

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Klimageld wird gebraucht

Während die Fossil-Multis weiter Milliardengewinne anhäufen, wartet Otto Normalverbraucher weiter auf das lange versprochene Klimageld.

CO2-Bepreisung

Die Energiepreiskrise hat sich inzwischen etwas entspannt. Langfristig sind vorhersehbare Preisentwicklungen für fossile Energieträger wichtig, um Verbraucher*innen Planungssicherheit beim Umstieg auf klimaschonende Technologien zu bieten. Ein wirkungsvolles Instrument dafür ist die CO2-Bepreisung durch den europäischen und nationalen Emissionshandel. Denn wenn die erlaubten Emissionsmengen sukzessive verringert werden, steigen die CO2-Preise und dadurch auch die Preise der fossilen Energieträger. Dies setzt breite wirtschaftliche Anreize zum Umstieg auf klimaschonende Alternativen.

zusätzliche Staatseinnahmen

Höhere Energiepreise bedeuten stärkere Belastungen der Verbraucher*innen. Dies betrifft untere Einkommensgruppen relativ stärker, da deren Energiekosten einen deutlich größeren Anteil am Haushaltsbudget ausmachen. Anders als bei der Energiekrise, die durch deutlich höhere Importpreise ausgelöst wurde, entstehen bei der CO2-Bepreisung zusätzliche Einnahmen des Staates. Diese können für Entlastungen bei Steuern und Abgaben, für höhere Sozialleistungen – etwa auch eine pauschale Klimageldzahlung an alle Privatpersonen – oder für Anpassungshilfen zur Energieeinsparung verwendet werden.

DIW-Studie zu Klimageld

In einer Studie des DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) wurden die Verteilungswirkungen von langfristig erhöhten Preisen fossiler Energieträger, einschließlich der CO₂-Bepreisung, bei privaten Haushalten untersucht.

Einkommensschwache zahlen mehr

Wenn der Preis langfristig betrachtet bei 150 Euro pro Tonne in den Sektoren Wärme und Verkehr liegt, müssten die zehn Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen knapp sechs Prozent mehr, also zusätzlich, ihres Nettoeinkommens fürs Heizen und für Kraftstoffe ausgeben. Für die einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung beträgt diese zusätzliche Belastung lediglich 1,5 Prozent ihres Einkommens.

Bereits heute geben die einkommensschwächsten Haushalte durchschnittlich knapp sieben Prozent ihres Nettoeinkommens alleine für Heizkosten aus. In Zukunft werden wohl alleine die Heizkosten aufgrund der steigenden CO₂-Steuer circa zwölf Prozent des Nettoeinkommens verschlingen.

Geringere Chancen auf Anpassung

Die ungleiche Verteilung betrifft aber nicht nur die zusätzliche Belastung durch die CO₂-Bepreisung. Haushalte mit höherem Einkommen haben mehr Möglichkeiten mit höheren Preisen umzugehen. Sie können in der Regel leichter Energie und damit verbundene Kosten einsparen. Sie können leichter Kredite aufnehmen und bedienen, um Haus oder Wohnung klimataugllicher machen. Einkommenschwache Familien können unter Umständen selbst mit höchstmöglichen Zuschüssen den trotzdem noch verbliebenen Eigenanteil nicht aufbringen und sich damit vor den fossilen Preissteigerungen zu schützen.

All dies unterstreicht, dass die auch durch den CO₂-Preis verursachte Steigerung der Energiepreise ein Motor für soziale und wirtschaftliche Ungleichheit ist und sein wird. Ein wachsender CO₂-Preis wird diese Benachteiligung weiter verstärken.

Koalitionsvertrag umsetzen

Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung ihr Versprechen des Koalitionsvertrags zügig erfüllt und die zusätzlichen Einnahmen aus der CO₂-Steuer als Klimageld an die Bürgerinnen und Bürger zurückgibt.

Die Studie des DIW zeigt, dass ein einheitliches Pro-Kopf-Klimageld einen großen Teil der zusätzlichen Kosten von Haushalten mit geringen Einkommen abdecken und sie somit sehr effektiv entlasten könnte.

Regierung blockiert

Die Bundesregierung bleibt die Antwort schuldig, wann und wie sie dies umsetzen will. Die Vermutung liegt nahe, dass sie dies auf absehbare Zeit auch nicht tun wird. Statt auf ein Klimageld hinzuarbeiten hat Bundesfinanzminister das zusätzliche Geld aus der CO2-Bepreisung erst einmal dazu verwendet, durch ein sogenanntes Inflationsausgleichsgesetz die kalte Progression bei der Besteuerung von Einkommen mit 15 Milliarden Euro im Jahr abzusenken, wovon hauptsächlich Spitzenverdienende profitieren und Haushalte mit geringen Einkommen so gut wie keinen Euro erhalten.

Der grüne Teil der Ampel hat dem finanzpolitischem Amoklauf der FDP offenbar nichts mehr entgegenzusetzen. Und der SPD-Kanzler? Dem hats offenbar seit seiner „Zeitenwende“-Ankündigung die Sprache verschlagen.

Quellen: DIW, Marcel Fratscher in der ZEIT

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Im Sozialbereich wird gespart

Die Kindergrundsicherung verkommt zu einer Verwaltungsreform, das Klimageld ist in weiter Ferne, Programme gegen rechtsradikale Strömungen werden gestrichen, Eine Milliarde für die Pflegeversicherung entfällt.

Drastische Mittelkürzungen

Dazu kommen noch drastische Mittelkürzungen für soziale und zivilgesellschaftliche Organisationen, die zu massiven Einschnitten bei sozialen Angeboten: von Freiwilligendiensten über die psychosoziale Versorgung Geflüchteter bis hin zur Unterstützung Arbeitsuchender führen.

Brief an die Abgeordneten

Das sind die Inhalte des geplanten Bundeshaushaltes für das Jahr 2024. Um das schlimmste zu verhindern, hat der Paritätische einen Brief an die Abgeordneten der Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, FDP, Die Linke und SPD

  • im Haushaltsausschuss,
  • im Ausschuss für Familien, Frauen,
  • Senioren und Jugend,
  • im Ausschuss für Arbeit und Soziales,
  • im Ausschuss des Inneren

veröffentlicht. Darin drückt Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider seine Bestürzung und sein Unverständnis aus über der im Kabinett beschlossenen Entwurf des Bundeshaushaltes 2024.

Verheerende Pläne

Er enthalte drastische Kürzungen für soziale und zivilgesellschaftliche Organisationen und zwinge zu massiven Einschnitten bei den Hilfen für besonders unterstützungsbedürftige Menschen. Bestehende Infrastruktur, die in Krisenzeiten eine kurzfristige Ausweitung der Kapazitäten ermögliche, drohe nachhaltig beschädigt zu werden oder gleich ganz verloren zu gehen. Würden die Pläne umgesetzt, wäre das verheerend: für die soziale Infrastruktur, für freiwilliges Engagement und das partnerschaftliche Miteinander – vor allem aber für unser Gemeinwesen und all jene Menschen, die in schwieriger Lebenslage auf Hilfe, Beratung, Unterstützung und einen stabilen Sozialstaat angewiesen seien.

Steuerausfälle bei den Kommunen

Eine weitere massive Gefährdung der sozialen Infrastruktur vor Ort droht durch die Ausfälle, insbesondere bei den Gewerbesteuern, die das von Bundesfinanzminister Lindner vorgelegte Wachstumschancengesetz bewirken würde. Neben den gravierenden Steuerausfällen bei Bund und Land wären gerade die Kommunen von Steuerausfällen durch dieses Gesetz betroffen. Auf etwa 1,9 Milliarden Euro jährlich können sich die Einnahmeausfälle der Kommunen in den nächsten Jahren summieren, wird geschätzt. Würde das Gesetz beschlossen, könnten aber noch größere Steuerausfälle die Folge sein. Der Entwurf des Gesetzes liegt bereits vor, er soll bereits am 16. August 2023 im Bundeskabinett beschlossen werden. Das gilt es zu verhindern: Die Ausgaben für die Sozialpolitik vor Ort zählen zu den grundlegenden Bedarfen, um den sozialen Zusammenhalt zu sichern. Städte und Gemeinden sind vor allem Lebensorte, nicht nur Wirtschaftsstandorte.

Parlamentarische Beratung ab September

Ab 5. September beraten Bundestag und Bundesrat die Haushaltspläne.

Quelle: Paritätischer Gesamtverband

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Zugang zu außerklinischer Intensivpflege

Außerklinische Intensivpflege ist ein komplexes, individuell abzustimmendes Leistungsangebot. Es richtet sich an Patientinnen und Patienten, bei denen täglich ein Risiko für lebensbedrohliche gesundheitliche Krisen besteht und die darum einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben. Pflegefachkräfte überwachen beispielsweise die Atem- und Herz-Kreislauf-Funktionen, bedienen ein Beatmungsgerät und setzen Inhalations- und Absauggeräte ein.

Übergangsregelung seit Oktober 2020

Der Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege beruht seit Oktober 2020 auf einer neuen gesetzlichen Grundlage (§ 37c SGB V). Der G-BA hat innerhalb dieses rechtlichen Rahmens in der Richtlinie zur außerklinischen Intensivpflege das Nähere zu Inhalt und Umfang der Leistungen bestimmt und konkretisiert, welche Voraussetzungen bei der Verordnung gelten. Mit Ablauf der Übergangsreglung in der Häusliche-Krankenpflege-Richtlinie ist die Richtlinie zur außerklinischen Intensivpflege ab 31. Oktober 2023 verbindlich anzuwenden. Zugleich entfällt der Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege über die Häusliche-Krankenpflege-Richtlinie; dieser Passus wird dort nach dem 31. Oktober 2023 gestrichen.

Änderung der Richtlinie

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat seine Richtlinie zur außerklinischen Intensivpflege geändert, um beispielsweise für beatmungspflichtige Patientinnen und Patienten eine kontinuierliche Versorgung zu ermöglichen. Der G-BA will damit möglichen Engpässen entgegenwirken, wenn ab dem 31. Oktober 2023 nach dem Willen des Gesetzgebers diese speziellen Leistungen zwingend nur noch nach der Richtlinie zur außerklinischen Intensivpflege (AKI) verordnet werden können. Konkret hat der G-BA die Vorschrift zur Erhebung des sogenannten Entwöhnungspotenzials zeitlich befristet gelockert. Zudem erweitert er dauerhaft den Kreis verordnender und potenzialerhebender Ärztinnen und Ärzte. Anlass für beide Schritte waren Hinweise aus der Versorgung, dass es zu wenige berechtigte Ärztinnen und Ärzte geben könnte.

Bis Ende 2024: Ausnahmeregelung zur Potenzialerhebung

Der Gesetzgeber sieht vor, dass bei beatmeten oder trachealkanülierten Patientinnen und Patienten vor jeder Verordnung von außerklinischer Intensivpflege eine sogenannte Potenzialerhebung stattfinden muss. Dabei wird geprüft, ob eine vollständige Entwöhnung der Patientinnen und Patienten oder ihre Umstellung auf eine nicht-invasive Beatmung bzw. die Entfernung der Trachealkanüle möglich ist. Die nun vom G-BA in seiner Richtlinie ergänzte Ausnahmeregelung gilt bis 31. Dezember 2024: Für den Fall, dass eine qualifizierte Ärztin oder ein qualifizierter Arzt nicht rechtzeitig verfügbar ist, ist die Potenzialerhebung in dieser Zeit keine zwingende Voraussetzung für die Verordnung außerklinischer Intensivpflege. Die Potenzialerhebung ist jedoch möglichst zeitnah und spätestens bis Ende 2024 nachzuholen.

Potenzialerhebende Ärztinnen und Ärzte bei Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen

Für die Potenzialerhebung speziell bei beatmungspflichtigen Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen hat der G-BA die Qualifikationsanforderungen angepasst. So sieht der G-BA neben Ärztinnen und Ärzten aus dem Fachgebiet Kinder- und Jugendmedizin hier auch Fachpersonen aus anderen Medizinbereichen vor – für alle gilt jedoch, dass sie eine pneumologische Zusatzqualifikation resp. mehrmonatige Berufserfahrung in der Behandlung der spezifischen Patientengruppe in hierfür spezialisierten Einrichtungen haben. Damit soll dem besonderen medizinischen Bedarf dieser Altersgruppen besser entsprochen werden.

Verordnungsberechtigte Arztgruppen

Die derzeit vorgesehene Verordnungsberechtigung für Hausärztinnen und Hausärzte sowie bestimmte Facharztgruppen wird erweitert. Die Befugnis zur Verordnung kann von der Kassenärztlichen Vereinigung immer dann erteilt werden, wenn die Ärztin oder der Arzt über Kompetenzen im Umgang mit beatmeten oder trachealkanülierten Versicherten verfügt und diese nachweist. Somit können auch Vertragsärztinnen und Vertragsärzte anderer Facharztgruppen, die diese Versicherten bereits versorgen, weiterhin in der Versorgung gehalten werden.

Quelle: G-BA, FOKUS-Sozialrecht

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Erkennung und Steuerung epidemischer Gefahrenlagen

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) stellt in einer Pressemitteilung vom 18. Juli 2023 das Projekt „ESEG – Erkennung und Steuerung epidemischer Gefahrenlagen“ vor.

Echtzeitdaten aus Notaufnahmen

Das Projekt hat erforscht, wie Echtzeitdaten aus Notaufnahmen und dem Rettungswesen vernetzt, regional ausgewertet und bewertet werden können. Das Besondere: Anstatt bestimmte Infektionserkrankungen zu beobachten, werden Kombinationen von Krankheitsanzeichen erfasst, um Muster und Trends zu identifizieren (syndromische Surveillance). Einige Instrumente und Vorgehensweisen wurden bereits während der COVID-19-Pandemie unter diesen realen Bedingungen erprobt und erfolgreich eingesetzt. (Surveillance bedeutet epidemiologische Überwachung von Krankheiten)

Empfehlung des Innovationsausschusses

Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss empfiehlt, die gewonnenen Erkenntnisse aufzugreifen und für eine systematische Beobachtung, Analyse und Berichterstattung von Infektionsdaten zu nutzen.

Konzept zur Gesundheitsüberwachung

Das Projekt hat ein innovatives Konzept zur Gesundheitsüberwachung entwickelt und mit bereits vorhandenen Plänen verglichen. Ziel ist es, frühzeitig auf saisonale Krankheitsausbrüche oder andere gesundheitliche Bedrohungen wie Epidemien reagieren zu können. Zudem wurden Instrumente entwickelt, die beispielsweise bei Epidemien als Entscheidungshilfen dienen können.

Studiendatenbank

Die Daten aus den Notaufnahmen und dem Rettungsdienst flossen in eine Studiendatenbank und standen mit Hilfe einer spezifischen Software für verschiedene Auswertungen in Echtzeit zur Verfügung:

  • Das Notaufnahmesurveillance-System (SUMO) wurde in Zusammenarbeit mit dem Notaufnahmeregister des Aktionsbündnisses für Informations- und Kommunikationstechnologie in Intensiv- und Notfallmedizin entwickelt und etabliert. Es befindet sich seit April 2020 in der Pilotierungsphase und wird am Robert Koch-Institut (RKI) kontinuierlich weiterentwickelt. Mit SUMO steht eine übergeordnete IT-Architektur bereit, die während der COVID-19-Pandemie für den RKI-Wochenbericht zur Inanspruchnahme von Notaufnahmen genutzt wurde und auch künftig für die syndromische Surveillance eingesetzt werden kann (www.rki.de/sumo).
  • Es wurde ein „High consequence infectious diseases“-Tool (HCID-Tool) als Reiseanamnese-Modul implementiert und über eine randomisierte kontrollierte Studie evaluiert. Auch wenn die Aussagekraft dieser Studie eingeschränkt ist, gibt es Hinweise, dass der Einsatz des Tools vor allem bei ärztlichem Personal den Wissensstand verbessert hat. Die Nutzungszufriedenheit war hoch.
  • Das Monitoring-Tool SARS-CoV-2-Screening-Modul erlaubt die Visualisierung und statistische Auswertung der Daten speziell aus den Notaufnahmen.

Für den Innovationausschuss hat das Projekt die syndromische Surveillance entscheidend vorangebracht, auch wenn für übertragbare, reproduzierbare Ergebnisse weitere empirische Forschung nötig sein wird.

Projekterkenntnisse gehen an verschiedene Institutionen

Die Erkenntnisse aus dem Projekt werden an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) weitergeleitet. Das BMG wird gebeten zu prüfen, inwieweit die entwickelten Instrumente und die Erkenntnisse aus dem Projekt gesetzlich aufgegriffen werden können, um die kontinuierliche und systematische Beobachtung, Analyse und Berichterstattung (Surveillance) von Infektionen auf Bevölkerungsebene weiterzuentwickeln.

Außerdem werden die Projekterkenntnisse an die Gesundheitsministerien der Bundesländer weitergeleitet. Auch sie werden gebeten in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich – wie beispielsweise dem Katastrophenschutz – zu prüfen, inwieweit die Entwicklungen und Erkenntnisse aus dem Projekt die bedarfsgerechte Surveillance unterstützen können.

Zur Information werden die Projektergebnisse ebenfalls an verschiedene Organisationen im Gesundheitswesen weitergeleitet: an den GKV-Spitzenverband, an die Deutsche Krankenhausgesellschaft, an die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, an die Deutsche Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin, an die Deutsche Gesellschaft für Rettungsdienst und präklinische Notfallmedizin und an das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung.

Die Rückmeldungen dieser Institutionen veröffentlicht der Innovationsausschuss – neben dem Beschluss und dem Ergebnisbericht – auf seiner Website.

Lehren aus der Pandemie

Über wesentliche erste Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie berichtet Lars Fischer in einem Beitrag in der Zeitschrift Spektrum. Beispielsweise über neue Erkenntnisse

  • über die Ansteckungswege bei Viren-Erkrankungen,
  • über das Kontaktverhalten der Menschen während der Pandemie,
  • über die Wirkung oder Nicht-Wirkung von behördlichen Maßnahmen,
  • über die Schwächen der Gesundheitsinfrastruktur in Deutschland,
  • warum es so schnell Impfstoffe gab und
  • über die Entwicklung wertvoller neuer Werkzeuge für die Überwachung von Infektionserregern.

Quellen: G-BA, RKI, Spektrum

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