Petitionen zu Kinderrechten

Bis kurz vor der letzten Bundestagswahl gab es hier mehrere Artikel zum Thema Kinderrechte ins Grundgesetz (hier, hier, hier, hier und hier). Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wird ausdrücklich die Absicht verkündet, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Das stand allerdings auch schon im Koalitionsvertrag der letzten Merkel-Regierung.

Eine Grundgesetzänderung braucht eine Zweidrittel-Mehrheit und die kommt seit Jahren nicht zustande, weil man sich bislang nicht auf gemeinsame Formulierungen einigen konnte.

Einige dafür, eine dagegen

Jetzt wurden im Bundestag Petitionen beraten, die die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz befürworten und eine Petition, die dies verhindern will.

Petition angenommen

Mit den Stimmen aller Fraktionen – mit Ausnahme der AfD-Fraktion – verabschiedete der Ausschuss die Beschlussempfehlung an den Bundestag, eine öffentliche Petition (ID 95231) mit der Forderung, das Kindeswohl verfassungsrechtlich zu garantieren und Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz mit dem Zusatz „Das Wohl des Kindes steht im Vordergrund.“ zu ergänzen, dem Bundesministerium der Justiz (BMJ) sowie dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ) „als Material“ zu überweisen und sie den Fraktionen zur Kenntnis zu geben.

Orientierung an der UN-Kinderrechtskonvention

„Kinder sollen nicht nur als Rechtsobjekte angesehen werden, sondern auch als Rechtssubjekte mit eigenen Rechten, die sowohl von Erziehungsberechtigten als auch von Behörden vorrangig zu beachten sind“, heißt es in der Petition. Eine erste Orientierung könne die UN-Kinderrechtskonvention bieten, die von der Bundesrepublik Deutschland bereits im Jahr 1992 ratifiziert worden sei, schreibt der Petent. Zu den Kinderrechten gehören seiner Aussage nach der Schutz vor Diskriminierung, Ausbeutung und Gewalt sowie der ungehinderte Zugang zu Nahrung, Trinkwasser und medizinischer Versorgung. Auch gehörten das Recht auf Erziehung, Bildung und Ausbildung ebenso wie das Recht auf Partizipation in Schule und Gesellschaft zu den Kinderrechten. Aufgeführt wird des Weiteren das Recht der Kinder auf Mitsprache in allen Angelegenheiten, die ihr seelisches, geistiges und körperliches Wohlergehen betreffen, sowie grundsätzlich das Recht zur freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit.

Petition verworfen

Petition verworfenDen Abschluss des Petitionsverfahrens sieht die mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke verabschiedete Beschlussempfehlung zu einer weiteren öffentlichen Petition (ID 104010) vor, in der die Ablehnung einer Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz gefordert wird.

Grundgesetz schützt Kinder schon

Aus Sicht der Petentin gibt es keine verfassungsrechtliche Schutzlücke. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits in einem Beschluss im Jahr 1968 festgehalten, dass das Kind ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz (GG) sei, heißt es in der Eingabe. Somit schütze das Grundgesetz Kinder bereits heute in vorbildlicher Weise. Der Begriff „Kinderrechte“ lasse zudem offen, wie diese Rechte genau definiert werden, wird kritisiert. Dies berge die Gefahr, dass die Politik künftig eigene Ziele, die Kinder betreffen, zu einem Kinderrecht erklären könnte. Denkbar seien beispielsweise die Einführung einer „Kindergartenpflicht“ oder gar einer „Krippenpflicht“ gestützt auf ein kindliches Recht auf Bildung. Hingegen sei es vermutlich im Sinne der Verfasser des Grundgesetzes gewesen, zukünftig Generationen vor dem Verlust von Freiheitsrechten zu schützen, schreibt die Petentin.

Verweis auf Koalitionsvertrag

In den Begründungen des Petitionsausschusses zu den beiden Beschlussempfehlungen wird jeweils auf den Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die 20. Legislaturperiode verwiesen, in dem vereinbart worden sei, die Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern und sich dabei maßgeblich an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention zu orientieren. Die konkrete Ausgestaltung, so heißt es, bleibe abzuwarten.

Angesichts dessen hält die Ausschussmehrheit die erst genannte Eingabe für geeignet, in die diesbezüglichen Diskussionen und politischen Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden, während sie sich dem mit der zweiten Petition verfolgten Anliegen nicht anzuschließen vermag.

Quellen: Bundestag-Petitionsausschuss, FOKUS-Sozialrecht

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Medizinische Leistungen für minderjährige Asylbewerber

Will eine Behörde bei minderjährigen Asylbewerbern die Kostenübernahme für medizinisch erforderliche Behandlungen verweigern, weil diese nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich seien, so bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung. Dies hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Rahmen eines Eilverfahrens entschieden.

Asylantrag abgelehnt

Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der 2006 geborene Antragsteller ist georgischer Staatsbürger und leidet seit seiner Geburt an einer chronisch-progressiv verlaufenden Erkrankung. Folgen dieser Erkrankung sind Kleinwuchs, schwere Knochenwachstumsstörungen, eine Deformation des Brustkorbes sowie eine ausgeprägte mehrdimensionale Achsenfehlstellung in den Kniegelenken sowie dauerhafte, starke Schmerzen. Er benötigt einen Rollstuhl. Seine Eltern reisten mit ihm im Jahr 2022 nach Deutschland ein, um für ihn eine bessere medizinische Versorgung zu erlangen. Die Asylanträge wurden abgelehnt, die dagegen gerichtete Klage ist noch anhängig.

Operation erforderlich

Die untersuchenden Ärzte und das Gesundheitsamt sprachen sich für eine zeitnahe chirurgische Operation des Antragsstellers in einer Spezialklinik aus. Dadurch könne er schmerzarm bis schmerzfrei werden und unter Umständen ohne Hilfsmittel laufen. Die voraussichtlichen Operationskosten betragen rund 17.600 EUR. Der zuständige Landkreis lehnte die Übernahme der Kosten ab. Die Operation sei angesichts der Ausreisepflicht des Antragstellers, der Androhung der Abschiebung und des absehbar nur vorübergehenden Aufenthalts in Deutschland nicht erforderlich und auch nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich oder zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten.

Landkreis muss die Kosten übernehmen

Das Sozialgericht Braunschweig hat den Landkreis im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten für die geplante Operation zu übernehmen. Das LSG Niedersachsen-Bremen hat diese Entscheidung nun bestätigt.

Berücksichtigung der UN-Kinderrechtskonvention

Dabei hat der erkennende Senat seine Rechtsprechung zu Leistungen für die medizinische Behandlung von Minderjährigen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz präzisiert. Danach müsse vor allem bei Kindern im Lichte des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und unter Berücksichtigung der UN-Kinderrechtskonvention besonders gerechtfertigt werden, wenn eine nach den hiesigen Lebensverhältnissen medizinisch erforderliche Behandlungsmaßnahme als nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich abgelehnt werden soll. Die Behörde müsse dazu neben den Umständen des Einzelfalles auch die Qualität des betroffenen (Grund-)Rechts, das Ausmaß und die Intensität der tatsächlichen Beeinträchtigung im Falle der Leistungsablehnung sowie die voraussichtliche und bisherige Aufenthaltsdauer des Ausländers in Deutschland einbeziehen.

Umstände des Einzelfalls

Durch die Operation bestehe in diesem konkreten Fall die Aussicht, dass der Antragsteller künftig nicht mehr auf einen Rollstuhl angewiesen sei und ggf. sogar ohne Hilfsmittel schmerzarm bzw. schmerzfrei laufen könne. Nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere auch der prognostisch längeren Aufenthaltsdauer des Klägers in Deutschland, sei es sachlich nicht gerechtfertigt, dem minderjährigen Antragsteller die medizinisch dringend indizierte Maßnahme vorzuenthalten.

Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juni 2023, L 8 AY 16/23 B ER

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UNICEF – Jubiläum in der größten Krise für Kinder

In diesen Tagen feiert die Unicef ihr 75jähriges Bestehen. Am 11. Dezember 1946 gründeten die UN ihr Kinderhilfswerk. Anlass war die Not im Nachkriegs-Europa, als Hundertausende Kinder an Hunger und Krankheiten litten.

Unterstützung in 190 Staaten

Heute arbeitet das Kinderhilfswerk vor allem in Entwicklungsländern und unterstützt in ca. 190 Staaten Kinder und Mütter in den Bereichen Gesundheit, Familienplanung, Hygiene, Ernährung sowie Bildung und leistet humanitäre Hilfe in Notsituationen. Außerdem betreibt es auf politischer Ebene Lobby-Arbeit, so etwa gegen den Einsatz von Kindersoldaten oder für den Schutz von Flüchtlingen. Die Organisation tritt weltweit für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ein.

UN-Kinderrechtskonvention

Ein großer Erfolg von UNICEF war 1989 die Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention durch die Vereinten Nationen. Darin verankert sind zum Beispiel das Recht auf Überleben und Schulbildung und der Schutz vor Gewalt und Missbrauch.

2005 – Skandal bei Unicef Deutschland

Unicef wurde die Verschleuderung von Spenden vorgeworfen, insbesondere wegen der Zahlung überhöhter Honorare und anteiliger Provisionen an externe Spendenwerber. Verträge über immense Summen wurden ohne schriftliche Unterlagen geschlossen. Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) entzog Unicef das Spendensiegel. Die Kölner Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen ein. In einem Sondergutachten fand die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG keine Hinweise auf Untreue, monierte aber Verstöße gegen Verfahrensregeln. Der Skandal führte zu einem Spendeneinbruch. 

Vertrauen zurückgewonnen

Seither hat UNICEF Deutschland versucht, vor allem durch umfassende Transparenz verloregegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Das ist auch gelungen. Das Spendensiegel des DZI konnte schnell zurückgewonnen werden. Seitdem wurde die Organisation mehrfach für Transparenz und Berichterstattung ausgezeichnet. Vorstand und Komiteemitglieder von UNICEF-Deutschland arbeiten ehrenamtlich. 2016 waren im Jahresdurchschnitt 110 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hauptamtlich angestellt. Die Mittel fließen zu rund drei Viertel in weltweite und deutschlandweite Programme für Kinder zur Gesundheitsversorgung, Impfschutz, Bildung, Kinderschutz, die Umsetzung der Kinderrechte sowie Nothilfe nach Naturkatastrophen und in Krisenregionen.

Rückschlag durch die Pandemie

Ausgerechmet im Jubiläumsjahr gibt es schwere Rückschläge – vor allem durch die Folgen der Corona-Pandemie. In einer kürzlich veröffentlichten Einschätzung von UNICEF bewirkt die Corona-Pandemie die größte Krise für Kinder seit Gründung der Organisation.

Bericht über die Auswirkungen

Ein verlorenes Jahrzehnt verhindern“ nennt UNICEF den Bericht, der die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kinder in der Welt beschreibt.

Laut der Studie des UN-Kinderhilfswerks UNICEF hat die Corona-Pandemie weltweit weitere 100 Millionen Kinder in die Armut gestürzt. Das seien innerhalb von weniger als zwei Jahren zehn Prozent mehr gewesen, berichtete die Organisation. Schon vor der Pandemie hatte eine Milliarde Kinder weltweit keinen ausreichenden Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Unterkunft, Nahrung, sanitären Einrichtungen oder sauberem Wasser. Eine solche Krise hat es in den 75 Jahren seit der Gründung von UNICEF noch nie gegeben. „Da die Zahl der Kinder, die verhungern, keine Schule besuchen, missbraucht werden, in Armut leben oder zur Heirat gezwungen werden, steigt die Zahl der Kinder, die Zugang zu Gesundheitsversorgung, Impfstoffen, angemessener Nahrung und grundlegenden Dienstleistungen haben“, teilte UNICEF-Chefin Henrietta Fore mit.

Gefahr für hart erkämpfte Fortschritte

  • COVID-19 ist die größte Krise für Kinder in der 75-jährigen Geschichte von UNICEF und kehrt hart erkämpfte Fortschritte um. Ohne Maßnahmen steht die Welt vor einem verlorenen Jahrzehnt für Kinder, so dass die Ziele für nachhaltige Entwicklung ein unmöglicher Traum sind.
  • In weniger als zwei Jahren sind 100 Millionen Kinder mehr in Armut geraten, ein Anstieg von 10 Prozent seit 2019.
  • In einem Best-Case-Szenario, das auf früheren Trends basiert, wird es sieben bis acht Jahre dauern, bis sich die Kinderarmut vor COVID erholt und wieder erreicht ist.
  • Die tiefe Ungleichheit bei der Erholung von der Pandemie vergrößert die Kluft zwischen reicheren und ärmeren Ländern. Während sich die reicheren Länder erholen, sind die ärmeren Länder mit Schulden belastet und die Entwicklungsgewinne fallen zurück. Die Armutsquote steigt in Ländern mit niedrigem Einkommen und in den am wenigsten entwickelten Ländern weiter an.

Was muss passieren?

UNICEF präsentiert eine Aktionsagenda, die helfen soll, die Krise zu überwinden und Kinder in Zukunft besser schützen soll:

  • Investitionen in Sozialschutz, Humankapital und Ausgaben für eine integrative und belastbare Erholung
  • Beendigung der Pandemie und Umkehrung des alarmierenden Rückschlags in Bezug auf Gesundheit und Ernährung von Kindern
  • Stärkeres Zurückbauen durch Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Bildung, eines Schutzes und einer guten psychischen Gesundheit für jedes Kind
  • Stärkung der Widerstandsfähigkeit, um Kinder besser zu verhindern, darauf zu reagieren und vor Krisen zu schützen

Quellen: Tagesschau, Wikipedia, Unicef, anstageslicht.de

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(Keine) Kinderrechte im GG

Ist das Wohl des Kindes angemessen, maßgeblich, oder vorrangig zu berücksichtigen? An dieser Streitfrage scheiterte jetzt wohl ein weiteres ehrgeiziges Ziel der Großen Koalition: die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz.

In der UN-Kinderrechtskonvention lautet Artikel 3 Absatz 1:

„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“

Die UN-Kinderrechtskonvention hat in Deutschland die Geltung eines Bundesgesetzes. Da stellt sich die Frage, warum das Grundgesetz hinter der UN-Kinderrechtskonvention zurückbleiben soll.

In der EU Grundrechtecharta lautet Artikel 24 – Rechte des Kindes Absatz 2:

„Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“

Warum dann nur „angemessen“?

CDU/CSU und das konservative Lager fürchten eine Schwächung der Elternrechte. Sie möchten nicht, dass das grundgesetzlich verankerte Dreiecksverhältnis von Kindern, Eltern und Staat angetastet wird. Dies wäre der Fall, wenn die Interessen der Kinder vorrangig berücksichtigt werden.

Allerdings hat auch das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen festgestellt, dass das Elternrecht im Grundgesetz kein Recht am Kind ist, sondern ein Pflicht-Recht der Eltern zum Wohle des Kindes (u.a.: 1 BvR 1620/04, 01.04.2008).

Kinderrechte stärken ohne die Elternrechte zu schwächen

Es geht bei einer Verankerung der Kinderrechte nicht darum, die Elternrechte zu schwächen, sondern es geht darum, die Kinderrechte zu stärken. Im Gegenteil erhalten Eltern durch die Einführung der Kindergrundrechte bessere Möglichkeiten, die Rechte ihrer Kinder gegenüber staatlichen Einrichtungen durchzusetzen.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte sich auf die „angemessen“-Lösung eingelassen, obwohl die SPD eigentlich auch für „vorrangig“ war. Man wollte zu Potte kommen.

Keine Zweidrittel-Mehrheit

Für eine Grundgesetzänderung braucht man aber eine Zweidrittel-Mehrheit. Das war nicht so einfach. Die AfD wollte gar keine Änderung, die FDP sah die Kinderrechte im Grundgesetz eigentlich schon geschützt und beklagt mangelnde konstruktive Vorschläge. Die Linksfraktion hatte schon 2019 einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, in der das Wohl des Kindes einfach nur zu berücksichtigen sein. Das Wörtchen „angemessen“ taucht einen Satz später auf, wenn es um eine Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei allen staatlichen Entscheidungen, die sie betreffen, geht.

Grüne und das Aktionsbündnis Kinderrechte, ein Zusammenschluss von Kinderrechtsverbänden wie dem Kinderschutzbund und dem Deutschen Kinderhilfswerk, bemängelt, es fehle der Anspruch auf kindliche Beteiligung. Statt „angemessen“ wollen sie das Kindeswohl „vorrangig“ berücksichtigt sehen.

Kaugummibegriff

„Angemessen“ ist ein sehr dehnbarer Begriff, der spätestens seit der Diskussion um das Bundesteilhabegesetz als Kaugummibegriff berüchtigt ist. Hier ging es um die „angemessene“ Berücksichtigung von Wünschen, wenn es um die Frage nach dem Wohnort von Menschen mit Behinderung geht: Ist die eigene WG zu teuer, ist sie halt nicht angemessen.

Zudem befürchtet man, dass mit diesem Begriff sogar eine Verschlechterung der Situaton der Kinderrecht einhergehen könnte. Welche Rolle das Kindeswohl nach der Grundgesetzänderung tatsächlich für „staatliches Handeln“ spielen würde, hinge am Ende davon ab, wie Gerichte, Jugendämter und andere Behörden „angemessen“ definieren. Zugespitzt könnte man sagen: In der geplanten Form öffne die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz willkürlichen Entscheidungen zulasten der Kinder Tür und Tor.

Maßgeblich

Die Grünen brachten einen weiteren Begriff ins Spiel. Die Vorstellung, dass Eltern automatisch immer das Richtige und Gute für ihre Kinder machten, entspreche nicht der Realität. Es entspreche auch nicht der Realität, dass der Staat, wenn er die Kinderrechte nicht maßgeblich berücksichtigen muss, automatisch das Richtige für die Kinder tue.

Aber auch mit „maßgeblich“ konnten die Sorgen der Konservativen nicht aus dem Weg geräumt werden. Somit ist das Vorhaben also gescheitert. Ob die Zusammensetzung des neuen Bundestags ab Herbst noch mal eine Chance eröffnet, zwei Drittel für eine vernünftige Lösung zusammen zu bekommen, ist fraglich.

Quellen: Tagesschau, Deutschlandfunk, Kinderrechte-ins-Grundgesetz

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Kinderrechte im Grundgesetz

Heute (27.1.2021) hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf beschlossen, mit dem Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden.

Ergänzt wird Artikel 6 Absatz 2. Er lautet zurzeit:

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Angefügt werden sollen die Sätze:

Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.

Diskussionsprozess

Vorausgegangen ist dem Gesetzentwurf ein breit angelegter Diskussionsprozess, über den hier mehrfach berichtet wurde:

Vier Elemente

Die angestrebte Gesetzesänderung enthält vier Elemente:

  • Der Entwurf stellt klar, dass Kinder Träger von Grundrechten sind, die zu achten und zu schützen sind. Dies umfasst insbesondere das Recht der Kinder, sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu entwickeln.
  • Das Kindeswohl ist angemessen zu berücksichtigen. Damit wird das Kindeswohlprinzip auf Verfassungsebene verankert. Gleichwohl wird durch die Formulierung „angemessen“ sichergestellt, dass auch die Interessen anderer Grundrechtsträger berücksichtigt werden, indem diese gegebenenfalls widerstreitende Interessen mit dem Kindeswohl in einen verhältnismäßigen Einklang zu bringen sind.
  • Des Weiteren wird der Anspruch auf rechtliches Gehör bekräftigt. Denn das Kindeswohl kann bei Entscheidungen nur dann angemessen berücksichtigt werden, wenn vorher ermittelt wurde, wie die konkreten Interessen des betroffenen Kindes aussehen.
  • Weder an der Erstverantwortung der Eltern noch am staatlichen Wächteramt bei Gefährdungen des Kindeswohls – die beide schon im Grundgesetz geregelt sind – ändert der Gesetzentwurf etwas.

UN-Kinderrechtskonvention

Die Bundesregierung stellt bei der neuen Formulierung einen Bezug zur UN-Kinderrechtskonvention her. Der nun vorliegende Regelungstext greift die Verpflichtungen aus der UN-Kinderrechtskonvention, insbesondere aus den Artikeln 3 und 12 UN-Kinderrechtskonvention, aber nur unzureichend auf. Damit besteht die Gefahr, dass nationales Recht hinter das völkerrechtlich vereinbarte Recht der UN-Kinderrechtskonvention sowie hinter die geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückfällt.

angemessen – vorrangig

Nach dem Gesetzentwurf soll das Kindeswohl „angemessen“ zu berücksichtigen sein, während das Kindeswohl nach Art. 3 Abs. 1 UN-KRK als „vorrangig“ zu berücksichtigen gilt. Würde das Kindeswohl bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, als vorrangig berücksichtigt, wären Verantwortliche in Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen verpflichtet, Erwägungen im Sinne des Kindeswohls immer zuerst in den Blick zu nehmen und bei allen Entscheidungen und Handlungen zu berücksichtigen. Andere Interessen würden nicht automatisch dahinter zurückgestellt, es müsste aber genau begründet werden, wenn sie das Kindeswohl beieinträchtigen könnten.
Die Begründung der Bundesregierung für das Wort „angemessen“, die getroffene Wortwahl füge sich besser in die Sprache des Grundgesetzes ein, klingt nicht besonders überzeugend. 

rechtliches Gehör

Die in Artikel 12 UN-Kinderrechtskonvention ebenfalls geregelte Berücksichtigung der Meinung des Kindes wird nicht aufgegriffen. Der Artikel sieht eine weitergehende Beteiligungsmöglichkeit als nur einen Anspruch auf rechtliches Gehör vor, indem die Kinder alters- und reifeangemessen in allen sie berührenden Angelegenheiten beteiligt werden sollen. Zudem schließt Art. 12 UN-KRK andere Angelegenheiten ein, die für ein Kind oder Gruppen von Kindern von Bedeutung sein können. Im Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 14.10.2019 findet man die Formulierung: „Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte betreffen, einen Anspruch auf Gehör und auf Berücksichtigung seiner Meinung entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“ Dies würde den Ansprüchen der UN-Kinderrechtskonvention eher genügen.

Elternrechte

Im Grunde bedeutet der Satz: „Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“ nichts anderes als der schon in Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 stehenden Formulierung, ist also überflüssig. Die Bundesregierung hat die Elternrechte damit dennoch noch einmal betont, weil, wie sie mitteilt, ein Kernanliegen dieser Grundgesetzänderung sei, das Elternrecht und die Elternverantwortung nicht zu beschränken.
Bei dem Anliegen der Initiativen, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, war jedoch nicht der Schutz und die Stärkung der Elternrechte im Fokus, sondern die Beteiligungsrechte und die Rolle von Kindern und Jugendlichen als handelnde Subjekte. Es geht nicht darum, das Elternrecht zu schwächen, sondern die Kinderrechte zu stärken.

Quellen: Bundeskabinett, Deutscher Bundesjugendring, Kompetenzzentrum Jugend-Check

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