Mädchen mit Händen voll Farbe

Kinderrechte im Grundgesetz

Heute (27.1.2021) hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf beschlossen, mit dem Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden.

Ergänzt wird Artikel 6 Absatz 2. Er lautet zurzeit:

Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Angefügt werden sollen die Sätze:

Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.

Diskussionsprozess

Vorausgegangen ist dem Gesetzentwurf ein breit angelegter Diskussionsprozess, über den hier mehrfach berichtet wurde:

Vier Elemente

Die angestrebte Gesetzesänderung enthält vier Elemente:

  • Der Entwurf stellt klar, dass Kinder Träger von Grundrechten sind, die zu achten und zu schützen sind. Dies umfasst insbesondere das Recht der Kinder, sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu entwickeln.
  • Das Kindeswohl ist angemessen zu berücksichtigen. Damit wird das Kindeswohlprinzip auf Verfassungsebene verankert. Gleichwohl wird durch die Formulierung „angemessen“ sichergestellt, dass auch die Interessen anderer Grundrechtsträger berücksichtigt werden, indem diese gegebenenfalls widerstreitende Interessen mit dem Kindeswohl in einen verhältnismäßigen Einklang zu bringen sind.
  • Des Weiteren wird der Anspruch auf rechtliches Gehör bekräftigt. Denn das Kindeswohl kann bei Entscheidungen nur dann angemessen berücksichtigt werden, wenn vorher ermittelt wurde, wie die konkreten Interessen des betroffenen Kindes aussehen.
  • Weder an der Erstverantwortung der Eltern noch am staatlichen Wächteramt bei Gefährdungen des Kindeswohls – die beide schon im Grundgesetz geregelt sind – ändert der Gesetzentwurf etwas.

UN-Kinderrechtskonvention

Die Bundesregierung stellt bei der neuen Formulierung einen Bezug zur UN-Kinderrechtskonvention her. Der nun vorliegende Regelungstext greift die Verpflichtungen aus der UN-Kinderrechtskonvention, insbesondere aus den Artikeln 3 und 12 UN-Kinderrechtskonvention, aber nur unzureichend auf. Damit besteht die Gefahr, dass nationales Recht hinter das völkerrechtlich vereinbarte Recht der UN-Kinderrechtskonvention sowie hinter die geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückfällt.

angemessen – vorrangig

Nach dem Gesetzentwurf soll das Kindeswohl „angemessen“ zu berücksichtigen sein, während das Kindeswohl nach Art. 3 Abs. 1 UN-KRK als „vorrangig“ zu berücksichtigen gilt. Würde das Kindeswohl bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, als vorrangig berücksichtigt, wären Verantwortliche in Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen verpflichtet, Erwägungen im Sinne des Kindeswohls immer zuerst in den Blick zu nehmen und bei allen Entscheidungen und Handlungen zu berücksichtigen. Andere Interessen würden nicht automatisch dahinter zurückgestellt, es müsste aber genau begründet werden, wenn sie das Kindeswohl beieinträchtigen könnten.
Die Begründung der Bundesregierung für das Wort „angemessen“, die getroffene Wortwahl füge sich besser in die Sprache des Grundgesetzes ein, klingt nicht besonders überzeugend. 

rechtliches Gehör

Die in Artikel 12 UN-Kinderrechtskonvention ebenfalls geregelte Berücksichtigung der Meinung des Kindes wird nicht aufgegriffen. Der Artikel sieht eine weitergehende Beteiligungsmöglichkeit als nur einen Anspruch auf rechtliches Gehör vor, indem die Kinder alters- und reifeangemessen in allen sie berührenden Angelegenheiten beteiligt werden sollen. Zudem schließt Art. 12 UN-KRK andere Angelegenheiten ein, die für ein Kind oder Gruppen von Kindern von Bedeutung sein können. Im Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 14.10.2019 findet man die Formulierung: „Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte betreffen, einen Anspruch auf Gehör und auf Berücksichtigung seiner Meinung entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“ Dies würde den Ansprüchen der UN-Kinderrechtskonvention eher genügen.

Elternrechte

Im Grunde bedeutet der Satz: „Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“ nichts anderes als der schon in Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 stehenden Formulierung, ist also überflüssig. Die Bundesregierung hat die Elternrechte damit dennoch noch einmal betont, weil, wie sie mitteilt, ein Kernanliegen dieser Grundgesetzänderung sei, das Elternrecht und die Elternverantwortung nicht zu beschränken.
Bei dem Anliegen der Initiativen, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, war jedoch nicht der Schutz und die Stärkung der Elternrechte im Fokus, sondern die Beteiligungsrechte und die Rolle von Kindern und Jugendlichen als handelnde Subjekte. Es geht nicht darum, das Elternrecht zu schwächen, sondern die Kinderrechte zu stärken.

Quellen: Bundeskabinett, Deutscher Bundesjugendring, Kompetenzzentrum Jugend-Check

Abbildung: Fotolia_84842182_L.jpg