Armutsbericht

Der Paritätische Gesamtverband hat Ende März einen neuen Armutsbericht veröffentlicht. Danach bleibt die Armut in Deutschland auf einem hohen Niveau. 16,8 Prozent der Bevölkerung lebten 2022 in Armut. 2019 waren es 15,9 Prozent.

Ergebnisse:

  • 16,8 Prozent der Menschen in Deutschland – oder 14,2 Millionen Menschen – müssen für das Jahr 2022 als einkommensarm bezeichnet werden. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein Rückgang um 0,1 Prozentpunkte zu verzeichnen. Der seit 2006 fast ungebrochene Trend zunehmender Armut ist damit für 2022 erst einmal gestoppt, allerdings nicht gedreht. Wir zählten zuletzt 2,7 Millionen mehr Arme als 16 Jahre zuvor.
  • Alleinerziehende und Haushalte mit drei und mehr Kindern haben die höchste Armutsbetroffenheit aller Haushalte. Auch Erwerbslose und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sowie Migrationshintergrund sind stark überproportional betroffen. Frauen weisen 2022 mit 17,8 Prozent eine deutlich höhere Armutsquote auf als Männer mit 15,8 Prozent. Besonders gravierend ist die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern bei älteren Personen ab 65 Jahren. Auch die Kinderarmut liegt auf einem erschreckend hohen Niveau: Deutlich mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Die Armut unter Selbstständigen ist nach einem deutlichen Anstieg während der Pandemie inzwischen wieder rückläufig.
  • Mehr als ein Viertel der 14,2 Millionen einkommensarmen Menschen ist erwerbstätig, ein weiteres knappes Viertel ist in Rente und mehr als ein Fünftel sind Kinder. Nur knapp fünf Prozent sind erwerbslos.
  • Die niedrigsten Armutsquoten haben Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg, die höchsten mit jeweils 19 Prozent und mehr das Saarland, Sachsen-Anhalt, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und – mit 29,1 Prozent ganz weit abgeschlagen – Bremen. Zwischen den Regionen einiger Flächenländer gibt es eine
    große Spreizung der Armutsbetroffenheit, insbesondere in Bayern, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Forderungen

  • Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf einen Stundenlohn von 15 Euro, um zumindest Vollzeiterwerbstätige aus der Armut herauszuführen und nach langjähriger Erwerbstätigkeit einen Rentenanspruch sicherzustellen, der im Alter über Grundsicherungsniveau liegt.
  • Einführung einer einkommens- und bedarfsorientierten Kindergrundsicherung, die in der Höhe zuverlässig vor Armut schützt.
  • Eine zukunftsorientierten Neuaufstellung der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Element einer armutsfesten Mindestrente und einer perspektivischen Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent. Hierzu ist die Rentenversicherung zu einer allgemeinen Bürgerversicherung umzubauen, in die alle, auch Selbständige und Beamte, mit allen Einkommen einzahlen.
  • Eine solidarische Pflegevollversicherung, die alle pflegebedingten Kosten übernimmt und den Trend steigender Kosten für Pflegebedürftige endlich stoppt. Fast ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Heimen ist auf Sozialhilfe angewiesen.
  • Einer konsequenten Mietpreisdämpfungspolitik, die auf Bundesebene den Weg für die Länder freimacht, einen Mietenstopp einzuführen oder aber die Mietpreisbremse deutlich nachzuschärfen. Es muss zudem sichergestellt werden, dass energetische Sanierungsmaßnahmen im Ergebnis mindestens warmmietenneutral sind.

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, FOKUS-Sozialrecht

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Kritik an der Kindergrundsicherung

Hier auf FOKUS-Sozialrecht erscheinen schon ab und an Beiträge, die die wesentlichen Punkte und Begrifflichkeiten der Kindergrundsicherung erläutern sollen (hier, hier und hier). Immerhin soll sie in gut einem Jahr in Kraft treten.
Oder vielleicht doch nicht?

2025 nicht realisierbar

In der Anhörung des Familienausschusses vom 8.11.2023 jedenfalls sagte eine Sprecherin der Bundesanstalt für Arbeit (BA), die Umsetzung des Gesetzes zum 1.1.2025 sei nicht realisierbar. Es müsse die IT angepasst, Personal akquiriert und qualifiziert und ein Schnittstellenmanagement aufgebaut werden, um Familien unnötige Weg zu ersparen.

Gesetzesziele verfehlt

Überhaupt würde der Aufbau des neuen „Familienservice“ nach Ansicht einiger Experten die Verwaltungskosten in die Höhe treiben und das System unnötig verkomplizieren. Dabei war doch die Grundidee, die von allen Sachverständigen im Übrigen begrüßt wird, familienpolitische Leistungen zusammenzuführen und dadurch leichter zugänglich zu machen. Die Vorlage der Regierung würde aber nicht dazu führen, Mehrfachzuständigkeiten zu beseitigen, Familien würden nicht Leistungen aus einer Hand bekommen, wie es eigentlich das Ziel des Gesetzes sei.

Kinder aus der Armut holen

Ziel der Kindergrundsicherung ist es, Millionen Kinder aus der Armut zu holen, indem die bisherigen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zusammengeführt und im Wesentlichen von einem neu zu schaffenden „Familienservice“ bei der Bundesagentur für Arbeit (in Anlehnung an die bisherigen Familienkassen) bearbeitet werden. Die Kindergrundsicherung soll aus drei Teilen bestehen: dem einkommensunabhängigen Kindergarantiebetrag für alle Kinder und Jugendlichen (entspricht dem Kindergeld), dem einkommensabhängigen und altersgestaffelten Kinderzusatzbetrag sowie den Leistungen für Bildung und Teilhabe. Dadurch, dass Unterhaltsleistungen und Unterhaltsvorschuss bei der Bemessung des Kinderzusatzbetrages grundsätzlich nur zu 45 Prozent berücksichtigt werden, soll sich die Situation von Alleinerziehenden, die Bürgergeld erhalten, und Alleinerziehenden mit noch nicht eingeschulten Kindern besonders verbessern.

Verwaltungsreform ist zu wenig

Kritik gab es mehrfach auch daran, dass der Gesetzentwurf bisher keine Anhebung des soziokulturellen Existenzminimums für Kinder vorsieht. Dies bezeichneten vor allem die Vertreter von Wohlfahrtsverbänden als enttäuschend. Andreas Aust vom Paritätischen Gesamtverband betonte, eine Kindergrundsicherung müsse deutlich mehr sein als eine Verwaltungsreform. „Um Armut zu bekämpfen, brauchen Familien schlicht und einfach mehr Geld.“ Für einen Großteil der armen Kinder würden sich die Leistungen aber nicht ändern, sagte er. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverband VdK Deutschland, bekräftigte, dass die Bündelung von Leistungen ein ganz wichtiges Ziel der Kindergrundsicherung sei, denn das jetzige System funktioniere nicht so, wie es Kinder und Jugendliche eigentlich bräuchten. Sie appellierte an die Abgeordneten, in den Beratungen dafür zu sorgen, dass die Ungleichbehandlung von Familien mit viel Geld und jenen mit wenig Geld abgeschafft wird. Bernd Siggelkow, Vorstand der Kinderstiftung „Arche“, verwies darauf, dass es armen Kindern nicht nur an Geld mangele, sondern auch an Ressourcen, auf die sie zurückgreifen können, unter anderem auf ein ganz anders aufgestelltes Bildungssystem. Auch müsse sichergestellt werden, dass die Leistungen bei den Kindern direkt ankommen, lautete sein Appell an die Abgeordneten.

Quellen: Bundestag, Bundesregierung, FOKUS-Sozialrecht

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Kinderzusatzbetrag

Die neue Kindergrundsicherung ab 2025 wird aus drei Komponenten bestehen:

  • dem einkommensunabhängigen Kindergarantiebetrag für alle Kinder und Jugendliche, der dem heutigen Kindergeld entspricht,
  • dem einkommensabhängigen und altersgestaffelten Kinderzusatzbetrag, der den bisherigen Kinderzuschlag ablöst und die SGB-II- bzw. SGB XII-Leistungen weit überwiegend ersetzt, sowie
  • den Leistungen für Bildung und Teilhabe.

Was bedeutet Kinderzusatzbetrag?

Der Kinderzusatzbetrag als einkommensabhängige Komponente der Kindergrundsicherung deckt zusammen mit dem Kindergarantiebetrag und den Leistungen für Bildung und Teilhabe im Regelfall das Existenzminimum des Kindes.

Keine Mindesteinkommensgrenze

Um Kinder in Familien mit keinem oder geringem Einkommen besser zu erreichen, besteht, anders als beim Kinderzuschlag, für den Kinderzusatzbetrag weder eine Mindesteinkommensgrenze (derzeit 600 Euro brutto bei Alleinerziehenden; 900 Euro brutto bei Paarfamilien), noch muss die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II überwunden werden (Mit dem Bezug von Kinderzuschlag und ggf. Wohngeld muss bisher die Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II überwunden werden).

Dementsprechend wird der Kinderzusatzbetrag künftig für alle nach § 9 BKG anspruchsberechtigten Kinder gezahlt, deren Bedarf nicht aus eigenem Einkommen,
Elterneinkommen oder erheblichem Vermögen gedeckt werden kann. Damit werden
alle Kinder, die bisher ausschließlich SGB II-Leistungen beziehen, Anspruch auf den
Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung haben.

Unterhalt ist vorrangig

Grundlegende Anspruchsvoraussetzung für den Bezug des Kinderzusatzbetrages
ist der Bezug des Kindergarantiebetrages nach dem EStG oder nach dem BKG. Um
den Vorrang der Elternverantwortung vor staatlicher Sozialleistung sicherzustellen, sind private Unterhaltszahlungen oder hilfsweise die Unterhaltsvorschuss- und -ausfall-Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UhVorschG) vorrangig.

Anspruch haben die Kinder

Die Anspruchsinhaberschaft für den Kinderzusatzbetrag liegt bei den Kindern. Dieser wird bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Kindes gezahlt, solange für
das Kind der Kindergarantiebetrag bezogen wird. Schlechterstellungen gegenüber dem bisher Kinderzuschlag beziehenden Personenkreis sollen vermieden werden. Für Kinder, die im Hilfesystem des SGB XII sind, endet der Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, wie bisher beim Kinderzuschlag. Sie können dann die weiter Leistungen nach dem SGB XII erhalten.

Bewilligung für jeweils 6 Monate

Abweichend zum Bürgergeld wird der Kinderzusatzbetrag grundsätzlich abschließend aufgrund feststehendem Bemessungs- und Bewilligungszeitraum bewilligt. Bemessen wird der Kinderzusatzbetrag anhand eines festen sechsmonatigen Bemessungszeitraums und bewilligt für ebenfalls weitere sechs Monate.

Existenzminimumbericht als Grundlage

Der Kinderzusatzbetrag deckt eine Pauschale für Unterkunft und Heizung auf
Grundlage des jeweils maßgeblichen Existenzminimumberichts der Bundesregierung, für das Jahr 2024 zum Beispiel in Höhe von 125 Euro, sowie altersgestaffelte Regelbedarfe, soweit diese Leistungen nicht durch den Kindergarantiebetrag abgedeckt sind. Zusätzlich zum Kinderzusatzbetrag wird das Schulbedarfspaket als pauschalierte Leistung für Bildung und Teilhabe (von aktuell 174 Euro, anteilig auszuzahlen im August und im Februar) ausgezahlt.

Einkommen der Familiengemeinschaft

Der Kinderzusatzbetrag ist eine einkommensabhängige, existenzsichernde Leistung, die nur diejenigen Familien unterstützen soll, die sie benötigen. Bei der Berechnung der Höhe des Kinderzusatzbetrages sind Bedarfe und Einkommen der Familiengemeinschaft zu berücksichtigen. Dieser neu eingeführte Begriff der Familiengemeinschaft umfasst die Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Absatz 3 SGB II sowie die Einstandsgemeinschaft nach § 27 Absatz 2 Satz 2 und 3 SGB XII.

Zur Ermittlung des Einkommens der Eltern wird das Einkommen der Elternteile berücksichtigt, die mit dem Kind in einem Haushalt beziehungsweise in einer Familiengemeinschaft leben. Dazu gehört beispielsweise auch das Einkommen des Stiefelternteils. Das Einkommen eines nicht in der Familiengemeinschaft lebenden Elternteils ist dagegen bei der Berechnung des Kinderzusatzbetrages nicht zu berücksichtigen.

Einkommensbegriff des SGB II

Maßgeblich für die Berechnung des Einkommens ist wie bisher der Einkommensbegriff des SGB II. Dementsprechend mindert sich der Höchstbetrag des Kinderzusatzbetrages sowohl um das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen des Kindes als auch um das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen der Eltern.

Einkommen des Kindes (insbesondere private Unterhaltsleistungen sowie Unterhaltsvorschuss, aber auch Ausbildungsvergütungen und Erwerbseinkommen) wird grundsätzlich zu 45 Prozent berücksichtigt. Damit profitieren insbesondere kleine Kinder von Alleinerziehenden, die nach bisheriger Rechtslage Bürgergeld unter vollständiger Anrechnung von Unterhaltseinkommen oder Unterhaltsvorschuss beziehen, von der Kindergrundsicherung.

Steigendes Einkommen vermindert den Zusatzbeitrag

Die Höhe des Kinderzusatzbetrages wird, nach Abzug von etwaigem Kindeseinkommen, wenn der Bedarf der Eltern gedeckt ist, mit steigendem Einkommen gemindert bzw. abgeschmolzen. Das Erwerbseinkommen der Eltern wird mit einer Abschmelzrate von 45 Prozent berücksichtigt.

Für den Abschmelzpunkt, also die (Einkommens-) Grenze, ab der der Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung absinken soll, ist der elterliche Bedarf maßgeblich. Dieser richtet sich grundsätzlich nach den Regelungen des SGB II und setzt sich aus folgenden Einzelpositionen zusammen: Dem Regelbedarf (§ 20 SGB II), etwaigen Mehrbedarfen (§ 21 SGB II) und dem Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) der Eltern.

Wohnkostenanteile

Hinsichtlich des Bedarfs für Unterkunft und Heizung werden die über den pauschalen Wohnkostenanteil des Kindes auf Grundlage des Existenzminimumberichts der Bundesregierung (125 Euro ab 2024) hinausgehenden Wohnkosten der Familie über die Eltern abgedeckt. Dementsprechend wird beim Bürgergeld für die Eltern der im Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung enthaltene pauschale Wohnkostenanteil des Kindes in Abzug gebracht und darüberhinausgehende Wohnkosten bei dem Bedarf für Unterkunft und Heizung der Eltern berücksichtigt.

erhebliches Vermögen

Wie bisher beim Kinderzuschlag wird bei der Berechnung des Kinderzusatzbetrages
nur erhebliches Vermögen berücksichtigt.

Quellen: BMFSFJ, Bundestag, FOKS-Sozialrecht

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Kindergrundsicherung – der Check

Mit der Einführung der Kindergrundsicherung werden auch neue Begriffe eingeführt. Über die verschiedenen Formen von „Gemeinschaften“ berichteten wir Anfang Oktober 23. Das neue Gesetz (BKG) wird am 1. Januar 2025 das seit 1. Juli 1964 geltende Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ablösen. Die bei der Bundesanstalt für Arbeit angesiedelte „Familienkasse“, zuständig für die Auszahlung des Kindergelds, wird in „Familienservice“ umbenannt. Das Familienministerium begründet die Umbenennung damit, dass zukünftig die Beratung und Unterstützung von Kindern und Familien stärker in den Vordergrund treten soll. So wird – nach Einwilligung der Eltern – mit dem „Kindergrundsicherungs-Check“ automatisch geprüft, ob einem Kind der Kinderzusatzbetrag möglicherweise zusteht. In diesem Fall wird die Familie proaktiv durch den Familienservice informiert und auf die Möglichkeit der Antragstellung hingewiesen.

Kindergrundsicherungs-Check

Jedem Kind, beziehungsweise seinen Eltern steht der Kindergarantiebetrag zu in Höhe des bisherigen Kindergeldes. Darüber hinaus haben bedürftigere Kinder Anspruch auf einen Kinderzusatzbetrag.

Antrag erforderlich

Für den Kindergarantiebetrag und den Kinderzusatzbetrag müssen jeweils Anträge gestellt werden, da beide Leistungen das Existenzminimum des Kindes sichern sollen. Damit die Höhe der Leistung im Einzelfall und bedarfsgerecht berechnet werden kann, ist die Abfrage von Informationen nötig, die bei Behörden nicht erfasst sind und daher nicht automatisch verarbeitet werden können. Das sind insbesondere die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Kindesunterhaltszahlungen. Diese sind in der Regel nur den Familien bekannt, da beispielsweise Mietverträge und Kontoauszüge der Verwaltung nicht vorliegen.

Automatisierte Verfahren

Beim Antrag auf Kinderzusatzbetrag und im Kindergrundsicherungs-Check kommen jedoch automatisierte Verfahren zum Einsatz, die den Weg zur Leistung erleichtern.

Mit dem „Kindergrundsicherungs-Check“ prüft der Familienservice, ob Familien Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag haben könnten. Ist das der Fall, informiert der Familienservice proaktiv die Eltern und bietet an, sie zu beraten. Der Familienservice kann dafür eine Vorprüfung der Einkommenssituation und Bedarfe der Familiengemeinschaft vornehmen anhand der Daten, die digital vorliegen. Voraussetzung ist, dass die Familien dies ausdrücklich wünschen. Dieses Angebot sollen alle künftigen Kindergarantiebetragbeziehenden erhalten. Neuen Eltern wird der Check zudem im Antrag auf den Kindergarantiebetrag angeboten.

Beratungsangebot

Bei dem Check handelt es sich um ein Beratungsangebot. Er kann nicht die detaillierte Prüfung ersetzen, die bei einem Antrag notwendig ist. Der Check soll schnell und für die Bürgerinnen und Bürger einfach sein. Er wird deshalb aber nicht hundertprozentig genau sein können. Dies liegt unter anderem an folgenden Umständen:

  • Die für eine konkrete Berechnung erforderlichen Daten liegen nur teilweise digital vor. Es können aber nur solche Daten genutzt werden, die digital und abrufbar vorliegen.
  • Manche Einkommensdaten liegen zwar digital und in abrufbarer Form vor, sind aber nicht aktuell.
  • Dem Ergebnis des Checks liegt zudem stets die Annahme zugrunde, dass die Einkommens- und Bedarfsentwicklung bis zur Antragstellung unverändert bleibt. Für die konkrete Berechnung im Antragsverfahren müssen aber die aktuellen Daten aus dem gesetzlich festgelegten Bemessungszeitraum zugrunde gelegt werden. Daher können die bereits abgerufenen Daten aus dem Check nicht in den Antrag überführt werden.
  • Untypische Ereignisse bei der Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der Familiengemeinschaft können sich erheblich auf den Antrag auswirken, jedoch im Kindergrundsicherungs-Check nicht antizipiert werden.

Zum Antrag bewegen

Mithilfe von statistischen Annahmen soll der Check eine Aussage darüber treffen, ob ein Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag bestehen könnte oder nicht. So sollen Bürgerinnen und Bürger, bei denen ein Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegt, dazu bewegt werden, den Antrag zu stellen. Der genaue Anspruch kann dann nur im Antragsverfahren ermittelt werden.

Quelle: BMFSFJ

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„Gemeinschaften“ in der Kindergrundsicherung

Seit 27. September liegt die Kabinettsfassung der Kindergrundsicherung vor. Das Gesetzespaket verwirrt mit neuen und alten Begriffen von „Gemeinschaften“ ab 2025. Vielleicht gewöhnt man sich ja mit der Zeit auch daran. Folgende Gemeinschaften wird es in der Kindergrundsicherung, im SGB II und im SGB XII geben:

  • Bedarfsgemeinschaft (BG),
  • Haushaltsgemeinschaft (HG),
  • Einstandsgemeinschaft (EG) und
  • Familiengemeinschaft (FG).

Bedarfsgemeinschaft (BG)

Die BG kennen wir aus dem SGB II (§ 7 Abs.3). Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

  1. die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
  2. die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
  3. als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die Ehegatt*innen oder Lebenspartner*innen (wenn sie nicht dauerhaft getrennt leben) oder eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen,
  4. die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in der oben genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

Haushaltsgemeinschaft (HG)

Erwähnt wird die Haushaltsgemeinschaft im SGB II und SGB XII an mehreren Stellen, eine genaue Definition gab es aber bisher nicht. Das ändert sich mit dem neuen § 39 SGB XII.

Eine Haushaltsgemeinschaft bilden

  1. Ehegatten oder Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, die zusammenleben und für die deshalb die Regelbedarfsstufe 2 maßgeblich ist,
  2. unverheiratete Kinder mit der Regelbedarfsstufe 4, 5 oder 6, die zusammen mit den Eltern, einem Elternteil, Verwandten oder Verschwägerten leben.

Keine Haushaltsgemeinschaft liegt vor

  • bei Erwachsenen, die nicht Ehegatten oder Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft sind, auch wenn sie zusammenleben und für die deshalb die Regelbedarfsstufe 1 maßgeblich ist,
  • bei einer Person, die bei ihren Eltern oder einem Elternteil lebt und
    schwanger ist oder ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des
    sechsten Lebensjahres betreut oder
  • bei Personen, die in der Eingliederungshilfe leistungsberechtigt (§
    99 SGB IX) oder pflegebedürftig sind (§ 61a SGB XII) und von Eltern, einem Elternteil, Verwandten oder Verschwägerten betreut werden; dies gilt auch, wenn die genannten Voraussetzungen einzutreten drohen und das gemeinsame Wohnen im Wesentlichen zu dem Zweck der Sicherstellung der Hilfe und Versorgung erfolgt.

Einstandsgemeinschaft (EG)

Der Begriff „Einstandsgemeinschaft“ begegnet uns bisher nur in Gerichtsurteilen, so etwa im Bundesverfassungsgerichtsurteil zu gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften von 2002. Mit dem Begriff wird etwa die Besonderheit verwandschaftlicher Beziehung beschrieben.

Ab 2025 wird es aber in § 27 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB XII erstmals eine gesetzliche Definition geben. Danach bilden Ehegatten oder Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft sowie deren zur Haushaltsgemeinschaft gehörende minderjährige, unverheiratete Kinder eine Einstandsgemeinschaft. Sie ist folglich Teilmenge einer Haushaltsgemeinschaft.

Familiengemeinschaft (FG)

Dieser Begriff wird mit der Kindergrundsicherung neu eingeführt und zwar in den Begriffsbestimmungen im § 2 BKG. Kurz und knapp gehören danach zu einer Familiengemeinschaft im Sinne dieses Gesetzes alle Personen, die eine Bedrafsgemeinschaft bilden und alle Personen, die eine Einstandsgemeinschaft bilden.

Eine Familiengemeinschaft besteht damit nur, wenn mindestens zwei Personen eine Bedarfs- oder Einstandsgemeinschaft bilden. Ein Kind, welches beispielsweise alleine eine eigene Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Absatz 3 SGB II bildet, kann hingegen kein Mitglied einer Familiengemeinschaft sein.

Das sieht ganz einfach aus. In der weiteren Gesetzesbegründung zu § 2 schafft es das Familienministerium aber, die Verwirrung wieder auf den üblichen Stand zu heben: „Eine eigene Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II bilden Kinder, die allein oder nur mit ihrem Geschwisterkind, mit den Großeltern oder mit einem Stiefelternteil ohne die leiblichen Eltern zusammenleben. In diesen Fällen wird keine Bedarfsgemeinschaft und damit eine Familiengemeinschaft mit den anderen Personen gebildet. Leistungsberechtigte minderjährige Kinder, die ohne Eltern oder einen Elternteil im Haushalt ihrer Großeltern oder anderen nahestehenden Verwandten leben, bilden zwar eine Haushaltsgemeinschaft nach § 39 SGB XII, sind aber keine Einstandsgemeinschaft nach dem § 27 Absatz 2 Satz 2 und 3 SGB XII und bilden damit keine Familiengemeinschaft.“

Wie gesagt, vielleicht gewöhnt man sich ja mit der Zeit daran.

Quellen: BMFSFJ, portal-sozialpolitik.de

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Arme Kinder bleiben arm

Mit der Einführung der Kindergrundsicherung sollen bessere Chancen für Kinder und Jugendliche geschaffen, mehr Familien und ihre Kinder mit Unterstützungsbedarf erreicht sowie Kinderarmut wirksam bekämpft werden; auch durch verbesserte Zugänge zu den Leistungen für Familien bzw. zu Information und Beratung. Die Kindergrundsicherung soll einfach und digital beantragbar sein. Anspruchsberechtigte sollen so wenig Nachweise wie möglich selbst beibringen müssen. So steht es im Referentenentwurf von Familienministerin Paus vom 30.8.2023.

Leistungen zusammenführen

Um diese Ziele zu erreichen, sollen die bisherigen finanziellen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zusammengeführt werden. Die Kindergrundsicherung besteht daher aus drei Bestandteilen:

  • dem einkommensunabhängigen Kindergarantiebetrag für alle Kinder und Jugendlichen, der das Kindergeld ablöst,
  • dem einkommensabhängigen und altersgestaffelten Kinderzusatzbetrag, der insbesondere den Kinderzuschlag ablöst, sowie
  • den Leistungen für Bildung und Teilhabe.

Reiche bleiben reich

Nicht in die Kindergrundsicherung integriert wird der Steuerfreibetrag für Kinder und Jugendliche. Die finanzielle Besserstellung von Familien mit besonders hohen Einkommen bleibt bereits im Ansatz außen vor.

Arme bleiben arm

Die bestehenden Leistungen werden nicht angehoben. Partielle Leistungsverbesserungen werden durch Leistungseinschränkungen wieder kompensiert. So werden die Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche geringfügig modifiziert; dafür aber im Gegensatz der Sofortzuschlag von 20 Euro gestrichen. Im Ergebnis bleiben die Leistungen auf demselben Niveau. Ohne höhere Leistungen bleiben arme Kinder arme Kinder. Denn: Gegen Armut hilft Geld. So der Paritätische Gesamtverband in einer Stellungnahme. Weiter kritisiert der Paritätische, dass zahlreiche Kinder und Jugendliche aus der Kindergrundsicherung ausgeschlossen sind; dies gilt insbesondere für Geflüchtete und Kinder in Haushalten mit prekären Aufenthaltsrechten. Aus Paritätischer Sicht verpasse die Bundesregierung mit dem vorliegenden Referentenentwurf eine historische Chance und werde dem Begriff einer Kindergrundsicherung nicht gerecht.

Beispiel-Berechnungen

Der Verein Tacheles e.v. hat schon verschiedene Berechnungen angestellt, die er in seiner Stellungnahme veröffentlicht.

Aus den verschiedenen Berechnungen ergebe sich, dass nur für die höher verdienenden Familien, die sich sowieso an der Grenze der Hilfebedürftigkeit befinden, die Regelungen der Kindergrundsicherung ein Plus ergeben, während sich für die ärmsten Familien keine Verbesserungen ergäben.

Sinkendes Leistungsniveau

Für einige Gruppen ergäbe sich durch die Neuregelungen sogar ein sinkendes Leistungsniveau. Das könnten Kinder in temporären Bedarfsgemeinschaften sein, Studierende, die im Haushalt der Eltern leben oder Kinder, deren Eltern einen akuten Einkommensverlust hinnehmen müssen.

Eltern von Kindern mit Mehrbedarfen haben nun einen höheren Aufwand entsprechende Leistungen zu realisieren. Einmalleistungen und Erstausstattungen sind für die Kinder nicht mehr verfügbar.

Nicht für alle Kinder

Entgegen der Ankündigung der Bundesregierung sei die Kindergrundsicherung keine Leistung für alle Kinder in Deutschland. Vielmehr blieben viele Kinder ohne deutsche Staatsangehörigkeit ausgeschlossen, wenn ihre Eltern den falschen Aufenthaltsstatus haben. Dies betreffe vor allem Kinder, deren Eltern eine Aufenthaltsgestattung, eine Duldung oder bestimmte Aufenthaltserlaubnisse besitzen, sowie in bestimmten Fällen EU-Bürger*innen. Diese im Kern rassistisch motivierten Exklusionsmechanismen und Ungleichbehandlungen sollen fortgeführt und im Ergebnis sogar ausgeweitet werden. Es werde in Deutschland stärker als zuvor ein Mehrklassensystem von Kindern geben.

Quelle: Bundesregierung, Tacheles e.V., Paritätischer Gesamtverband

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Vergleichszahlen zur Kindergrundsicherung

Zu dem Kompromiss bei der Kindergrundsicherung ist mittlerweile in sämtlichen Medien alles gesagt. Für die Sozialverbände ist das Ergebnis enttäuschend. Empfehlungen der Wissenschaft wurden nicht beachtet. Die Grünen gratulieren sich pflichtschuldig und mit kaum zu verleugnendem schlechten Gewissen gegenseitig, die FDP darf sich als Sieger fühlen und endlich den „Sozialklimbim“ hinter sich lassen.

Statt noch einmal Inhalte, Kritiken und Statements zu wiederholen hier nur einige Zahlen:

Von Armut betroffene Kinder und Jugendliche im Alter von unter 18 Jahren:
2,8 Millionen

Kosten Kindergrundsicherung:
2,4 Milliarden

Wachstumschancengesetz:
6 Milliarden

Umweltschädliche Subventionen in Deutschland
65,425 Milliarden

Nettogewinn RWE 2022:
3,2 Milliarden

Gewinne Ölkonzerne 1. Halbjahr 2023:
Exxon 19.3 Milliarden Dollar, Chevron 12,6 Milliarden, Shell 11,9 Milliarden

Subventionen für fossile Brennstoffe G20-Länder im Jahr 2022:
967 Milliarden Dollar

Geschätzte Vermögen:
Klaus-Michael Kühne (Kühne + Nagel) 35,6 Milliarden Dollar
Dieter Schwarz (Kaufland/Lidl) 49,3 Milliarden Dollar
Jeff Bezos (Amazon) 155,9 Milliarden Dollar
Elon Musk (Tesla) 244,2 Milliarden Dollar

Quellen: taz, wikipedia, Süddeutsche, Umweltbundesamt, onvista, statista, Guardian, Paritätischer Gesamtverband, DIW, twitter

Abbildung: privat

Keine Kindergrundsicherung ist zu teuer

Die Kindergrundsicherung, so wie die Familienministerin sie will, sei zu teuer, so des Finanzmisnisters Kurzfassung seiner Blockade der Umsetzung eines wichtigen Punktes im Koalitionsvertrag.

Folgekosten des Nichtstuns

Nun stellt sich raus, dank einer vom DIW veröffentlichen Studie, keine Grundsicherung ist viel teurer. Während die FDP sich noch empört darüber zeigt, dass die Familienministerin ein Gesetz zur Unternehmenssteuersenkung blockiere, wohl wissend, dass sie selber in den letzten Monaten eine ganze Reihe dringender Klimaschutzgesetze blockiert, torpediert und verwässert haben, stellt sich wieder mal heraus, dass Nichtstun in gesellschafts- und umweltpolitischen Fagen ungleich höhere Folgekosten bringen wird. Auch das Märchen, die Familienministerin habe kein Konzept, wird durch stänige Wiederholung nicht wahrer. (siehe hier und hier)

Bei der Bekämpfung der Klimakatastrophe ist das allen mittlerweile klar. Leider gibt es auch in der Ampelkoalition noch einflussreiche Politiker, die weiter Politik im Sinne der Fossilindustrie machen.

Zentrales Vorhaben

Die Kindergrundsicherung ist nach dem Koalitionsvertrag eines der zentralen familien- und sozialpolitischen Vorhaben in dieser Legislaturperiode, um bessere Chancen für Kinder und Jugendliche zu schaffen: Zum einen durch die Bündelung sozial- und familienpolitischer Leistungen und zum anderen durch eine Erhöhung des Grundbedarfs.

Studie im Auftrag der Diakonie

Die Diakonie Deutschland hat am Freitag in Berlin eine Kurzexpertise vorgestellt, die zur Versachlichung der Debatte beitragen soll. Die Kurzexpertise, die DIW Econ, eine Beratungstochter des DIW Berlin, im Auftrag der Diakonie Deutschland erstellt hat, stellt umfassend das Ausmaß der Kinderarmut in Deutschland dar und erörtert die gesellschaftlichen Folgekosten in den Bereichen Gesundheit, Bildung und soziale Teilhabe. Darüber hinaus zeigt die Kurzexpertise auf, welche Effekte eine Erhöhung der monetären Hilfen für Kinder in armen Haushalten auf das Armutsrisiko der Betroffenen hätte.

Die von Familienministerin Lisa Paus anfangs genannten zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung hält die Diakonie Deutschland für nicht ausreichend. Notwendig wären mindestens 20 Milliarden Euro. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten vergangener und aktueller Kinderarmut in Deutschland schätzt eine aktuelle OECD-Studie (Clarke et al 2022) auf jährlich etwa 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Das ist etwa der zehnfache Betrag: 110 bis 120 Milliarden Euro.

Kernaussagen der Studie:

  • Zwischen 2010 und 2021 stieg der Anteil von Kindern, die von Einkommensarmut betroffen sind, von 18,2% auf 20,8 %. Der Bevölkerungsdurchschnitt lag 2021 bei 16,6%.
  • Schon vor dem sprunghaften Anstieg der Inflation war mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland gefährdet, aktuell ist nach den Daten des Statistischen Bundesamtes knapp jedes vierte Kind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
  • In zwei Dritteln der EU-Staaten ist der Anteil der armutsgefährdeten Kinder geringer als in Deutschland.
  • Knapp 2 Mio. (1,9 Mio.) Kinder unter 18 Jahren leben nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit in Bedarfsgemeinschaften mit Bürgergeld-Bezug, davon mehr als die Hälfte in Haushalten von Alleinerziehenden (zu 95 Prozent Frauen).
  • Bei der Diskussion um die Kindergrundsicherung dürfen nicht nur die Kosten für den Bundeshaushalt Maßstab sein. Vielmehr müssen auch die insgesamt mit Kinderarmut verbundenen gesamtgesellschaftlichen Kosten und die finanzielle Belastung für den Staat durch die entsprechende Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung berücksichtigt werden.
  • Insbesondere lassen sich zwei Folgekosten von Kinderarmut feststellen: Erstens erhöhte öffentliche Ausgaben für Gesundheitsversorgung sowie höhere Auszahlungen in den Sozialversicherungssystemen; zweitens ist der Wert der entgangenen wirtschaftlichen Aktivität und der geringeren Produktivität ein wichtiger Faktor.
  • Die in der DIW-Studie herausgestellten Zusammenhänge zwischen Kinderarmut und ihren Auswirkungen auf Gesundheit, Bildung und soziale Teilhabe lassen darauf schließen, dass die Kosten für den Staat in den sozialen Sicherungssystemen erheblich sind.
  • Eine aktuelle OECD-Studie schätzt die gesellschaftlichen Gesamtkosten durch vergangene und aktuelle Kinderarmut in Deutschland auf jährlich etwa 3,4 Prozent des BIP, dies sind über 100 Milliarden Euro.
  • Investitionen in Kinder zahlen sich langfristig aus und führen zu erheblichen Einsparungen bei den sonst entstehenden gesellschaftlichen Folgekosten.
  • Durch gezielte Investitionen in die Gesundheitsversorgung, Bildung und soziale Unterstützung von Kindern können langfristige Vorteile erzielt werden. Gesunde und gut ausgebildete Kinder haben deutlich bessere Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben mit höherem Einkommen und einer geringeren Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung.
  • Die DIW-Kurzexpertise zeigt, dass die geltenden familien- und sozialpolitischen Regelungen ein massives soziales Ungleichgewicht haben. Kinderarmut kann nur dann wirksam bekämpft und verhindert werden, wenn die Kindergrundsicherung entsprechend ausgestattet wird und existenzsichernd ist.
  • In der DIW-Studie werden verschiedene Szenarien der Kindergrundsicherung auf ihre Einkommenseffekte untersucht. Von der Einführung einer Kindergrundsicherung profitieren die besonders von Armut betroffenen Alleinerziehendenhaushalte und Paare mit mindestens drei Kindern am stärksten – dabei umso mehr, je stärker der Fokus auf einer Erhöhung des Existenzminimums liegt und nicht nur auf einer reinen Verwaltungsvereinfachung.

Nachtrag

Von Kinderarmut seien vor allem Familien betroffen, die seit 2015 nach Deutschland eingewandert seien, sagte der FDP-Politiker am 20.8. im „Bericht aus Berlin“. Ob er damit ein paar AFD-Stimmen holen will, um die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen? Das wird nicht gelingen. Die Leute, die er damit gewinnen will, wählen erfahrungsgemäß immer das Original.

Quellen: DIW, Diakonie, Tagesschau, FOKUS-Sozialrecht

Abbildung:  pixabay.com children-593313_1280.jpg

Warten auf die Kindergrundsicherung

Angesichts des Stillstands bei der Ausarbeitung einer armutsfesten Kindergrundsicherung fordert ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus Sozial-, Wohlfahrts-, Verbraucher- und Kinderschutzverbänden sowie Jugendorganisationen und Gewerkschaften Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auf, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Neudefinition des Existenzminimums für Kinder anzugehen und so den Weg freizumachen für eine Kindergrundsicherung, die vor Armut schützt.

Unterstützer

Arbeiter-Samariter-Bund, Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze, Bundesforum Männer, Bundesverband für Kindertagespflege, Der Paritätische Gesamtverband, Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie, Deutscher Bundesjugendring, Deutscher Kinderschutzbund, Deutsches Jugendherbergswerk, Deutsches Kinderhilfswerk, Diakonie Deutschland, foodwatch Deutschland, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Grüne Jugend, Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen, pro familia, Sanktionsfrei, Save the Children, SOS Kinderdorf, SOVD Sozialverband Deutschland, Tafel Deutschland, Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Verband berufstätiger Mütter, Verband bi-nationaler Familien und Partnerschaften, Volkssolidarität Bundesverband, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Zukunftsforum Familie.

Das Existenzminimum abdecken

„Die Kindergrundsicherung wird sich schlussendlich daran messen lassen müssen, ob sie in der Leistungshöhe das soziokulturelle Existenzminimum der Kinder tatsächlich abdeckt und sie damit vor Armut schützt“, heißt es in einem gemeinsamen Aufruf. „Mit Ausnahme einiger deskriptiv-unverbindlicher Papiere seien jedoch keinerlei Bemühungen des Arbeitsministeriums erkennbar, seiner Verpflichtung nachzukommen, das kindliche Existenzminimum neu zu definieren.“ Weiter mahnen die Verbände in dem Appell: „Es wäre nicht hinnehmbar, wenn die für die Kindergrundsicherung entscheidende Frage des ‚Was und wieviel braucht ein Kind‘ auf die lange Bank geschoben und das Projekt damit zum Scheitern gebracht würde.“

Die Minister und die Hausaufgaben

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischer Gesamtverbandes: „Wenn Hubertus Heil seine Hausaufgaben nicht macht und Christian Lindner die Mittel blockiert, droht nichts weniger als das Scheitern der Kindergrundsicherung. Die Folgen müssten Millionen von Kindern in Armut tragen, denen dringend nötige Hilfe verweigert würde. Ein weiterer Stillstand wäre ein unbegreifliches politisches Versagen. Schon jetzt zeichnet sich ein weiterer Anstieg der Kinderarmut ab. Bei allen politisch Verantwortlichen müssten die Alarmglocken angehen.“

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, tacheles e.V.

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Wie vermeidet man die Kindergrundsicherung?

Im Hinblick auf die Pläne der Familienministerin Paus, die sich anschickt, die im Koalitionsvertrag angekündigte und versprochene Kindergrundsicherung umzusetzen, rumort es gewaltig in der Porsche-Partei. Wie kann man das verhindern?

Kein Konzept – oder doch?

Zum Glück sitzt ja im Finanzministerium der Vorsitzende der besagten Partei, also an einem ziemlich langen Hebel. Nachdem er zunächst bemängelte, es gäbe kein Konzept, benutzte er das Konzept, um auszurechnen, dass die Kindergrundsicherung ja nicht so viel kosten würde, weil sie mittels Digitalisierung vorhandene Leistungen ja nur bündeln würde. Er vergaß dabei zu erwähnen, dass es zum Konzept der Kindergrundsicherung gehört, dass alle Anspruchsberechtigten die Leistungen auch bekommen sollen. Das scheiterte in vielen Fällen an den komplizierten Antragsverfahren und bürokratischen Hindernissen, die ein Großteil der Eltern bis jetzt davon abhielt, die Leistungen überhaupt zu beantragen. Weil geplant ist, dass alle Leistungen in Zukunft automatisch zu den Berechtigten gelangen, würde dies allein schon mehrere Milliarden kosten, die der Bund bisher aufgrund der Kompliziertheit der Verfahren eingespart hat.

Diffamierungen und falsche Rechnungen

Zweiter Schritt der Kampagne: Wir unterstellen den Leistungsempfängern einfach asoziales Verhalten. Schließlich weiß man ja, dass „Eltern das zusätzliche Geld einfach für ihre eigenen Bedürfnisse wie beispielsweise Alkohol oder Zigaretten verwenden.“ So Lindners Parteikollege Markus Herbrand – finanzpolitischer Sprecher und Obmann im Finanzausschuss für die FDP-Bundestagsfraktion in der „Wirtschaftswoche“ am 5. März 2023.

In dem gleichen Artikel lobt Herr Herbrand seine Regierung, weil sie ja „ärmeren Familien mit der Kindergelderhöhung, den höheren Regelsätzen in SGB II und XII, dem Kindersofortzuschlag und einem erhöhten Kinderzuschlag zusätzlich bis zu 116 Euro im Monat und pro Kind zur Verfügung stellen würde.“ Weil das so toll klingt, erwähnt er nicht, dass Kindergeld auf den Regelbedarf des Kindes (Kinderregelsatz) in voller Höhe angerechnet wird, eine Erhöhung des Kindergeldes für Kinder im Bezug von Bürgergeld (SGB II) bzw. Sozialhilfe (SGB XII) also gar nichts bringt. Außerdem verschweigt er, dass ein Anspruch auf Kinderzuschlag die Überwindung bzw. Vermeidung von Hilfebedürftigkeit nach SGB II voraussetzt, der gleichzeitige Bezug von Bürgergeld und Kinderzuschlag daher nicht möglich ist. Die „116 Euro“ sind also kompletter Unsinn.

Kinderarmut bekämpfen

Blöd für die FDP ist nur, dass sämtliche Sozialverbände und Gewerkschaften auf eine schnelle Einführung der Kindergrundsicherung drängen, und zwar nicht nur ein Umbasteln der bisherigen Leistungen, sondern grade für die immer stärker von Armut bedrohten Kinder eine deutliche Erhöhung der Leistungen.

Initiative im Bundesrat

Auch im Bundesrat brachte das Saarland am 3. März 2023 einen Entschließungsantrag ein, zur umgehenden Einführung der Kindergrundsicherung. Darin heißt es, der Bundesrat stelle mit Sorge fest, dass mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut aufwachse. Dabei drücke sich Kinderarmut nicht nur durch einen Mangel an finanziellen Mitteln, sondern auch durch Benachteiligungen im Bildungs- und Gesundheitssystem, bei der Wohnsituation oder bei der gesellschaftlichen Teilhabe aus. Der Bundesrat begrüße daher das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Vorhaben der Bundesregierung, eine Kindergrundsicherung einzuführen, um Familien zu stärken, Kinderarmut zu bekämpfen und Chancengleichheit für alle Kinder zu gewährleisten.

Eine Kindergrundsicherung könne die Position von Kindern nachhaltig stärken. Mit der entsprechenden Ausgestaltung könnten Kinder, insbesondere auch aus den Rechtskreisen des SGB II und des SGB XII, eine individuelle und bedarfsgerechte Hilfestellung erhalten, um ihre Lebenssituation substanziell zu verbessern. Wenn der Garantiebetrag nicht mit dem Einkommen der Eltern verrechnet werde, würden Kinder nicht nur als Teil einer Bedarfsgemeinschaft, sondern auch als Individuen anerkannt. Der ergänzende einkommensunabhängige Zusatzbetrag könnte zielgenau die Kinder und Jugendlichen erreichen, die am meisten Unterstützung benötigen. Hierfür müssten ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.

Quellen: Zeit, Wirtschaftswoche, Tagesschau, FOKUS-Sozialrecht, Bundesrat

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