Armutsbericht

Der Paritätische Gesamtverband hat Ende März einen neuen Armutsbericht veröffentlicht. Danach bleibt die Armut in Deutschland auf einem hohen Niveau. 16,8 Prozent der Bevölkerung lebten 2022 in Armut. 2019 waren es 15,9 Prozent.

Ergebnisse:

  • 16,8 Prozent der Menschen in Deutschland – oder 14,2 Millionen Menschen – müssen für das Jahr 2022 als einkommensarm bezeichnet werden. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein Rückgang um 0,1 Prozentpunkte zu verzeichnen. Der seit 2006 fast ungebrochene Trend zunehmender Armut ist damit für 2022 erst einmal gestoppt, allerdings nicht gedreht. Wir zählten zuletzt 2,7 Millionen mehr Arme als 16 Jahre zuvor.
  • Alleinerziehende und Haushalte mit drei und mehr Kindern haben die höchste Armutsbetroffenheit aller Haushalte. Auch Erwerbslose und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sowie Migrationshintergrund sind stark überproportional betroffen. Frauen weisen 2022 mit 17,8 Prozent eine deutlich höhere Armutsquote auf als Männer mit 15,8 Prozent. Besonders gravierend ist die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern bei älteren Personen ab 65 Jahren. Auch die Kinderarmut liegt auf einem erschreckend hohen Niveau: Deutlich mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Die Armut unter Selbstständigen ist nach einem deutlichen Anstieg während der Pandemie inzwischen wieder rückläufig.
  • Mehr als ein Viertel der 14,2 Millionen einkommensarmen Menschen ist erwerbstätig, ein weiteres knappes Viertel ist in Rente und mehr als ein Fünftel sind Kinder. Nur knapp fünf Prozent sind erwerbslos.
  • Die niedrigsten Armutsquoten haben Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg, die höchsten mit jeweils 19 Prozent und mehr das Saarland, Sachsen-Anhalt, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und – mit 29,1 Prozent ganz weit abgeschlagen – Bremen. Zwischen den Regionen einiger Flächenländer gibt es eine
    große Spreizung der Armutsbetroffenheit, insbesondere in Bayern, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Forderungen

  • Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf einen Stundenlohn von 15 Euro, um zumindest Vollzeiterwerbstätige aus der Armut herauszuführen und nach langjähriger Erwerbstätigkeit einen Rentenanspruch sicherzustellen, der im Alter über Grundsicherungsniveau liegt.
  • Einführung einer einkommens- und bedarfsorientierten Kindergrundsicherung, die in der Höhe zuverlässig vor Armut schützt.
  • Eine zukunftsorientierten Neuaufstellung der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Element einer armutsfesten Mindestrente und einer perspektivischen Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent. Hierzu ist die Rentenversicherung zu einer allgemeinen Bürgerversicherung umzubauen, in die alle, auch Selbständige und Beamte, mit allen Einkommen einzahlen.
  • Eine solidarische Pflegevollversicherung, die alle pflegebedingten Kosten übernimmt und den Trend steigender Kosten für Pflegebedürftige endlich stoppt. Fast ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Heimen ist auf Sozialhilfe angewiesen.
  • Einer konsequenten Mietpreisdämpfungspolitik, die auf Bundesebene den Weg für die Länder freimacht, einen Mietenstopp einzuführen oder aber die Mietpreisbremse deutlich nachzuschärfen. Es muss zudem sichergestellt werden, dass energetische Sanierungsmaßnahmen im Ergebnis mindestens warmmietenneutral sind.

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, FOKUS-Sozialrecht

Abbildung: Fotolia_158866271_Subscription_XXL.jpg

Armuts- und Reichtumsbericht

Das Bundeskabinett hat den Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht (6. ARB) beschlossen. Damit kommt die Bundesregierung dem Auftrag des Deutschen Bundestags nach, in jeder Legislaturperiode einen Bericht über die Entwicklung von Armut und Reichtum vorzulegen.

Stabile soziale Lage

Das Bundesarbeitsministerium schreibt dazu, der Bericht zeige, dass der überwiegende Teil der Menschen in stabilen sozialen Lagen lebe. Es bestünden gute Aufstiegschancen aus der Mitte nach Oben. Problematisch sei die Verfestigung in den unteren sozialen Lagen, aus denen es im Zeitablauf immer weniger Personen gelungen sei, aufzusteigen.

Armutsquote kaum verändert

Nachdem die Armut in Deutschland lange Zeit zunahm, hat sie sich mittlerweile um 16 Prozent der Bevölkerung eingependelt. Dabei gibt es allerdings unterschiedliche Befunde zur Entwicklung seit 2014. Einigen Statistiken zufolge sinkt die Armutsquote, ein anderer Indikator weist aufwärts. 

Dass die Armut seit dem Jahr 2000 zunahm, lag unter anderem an den Hartz-Gesetzen. Die Trendwende basiert nicht zuletzt auf der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. 

Arm und reich

Auch die Kluft zwischen arm und reich ist gewaltig. So besitzen 1 Prozent der Deutschen 35 Prozent des privaten Vermögens. Das sind 3,6 Billionen Euro. Zum Vergleich: Finanzminister Scholz schätzt die Folgekosten der Corona-Pandemie auf 1,5 Billionen Euro.

Pandemie-Folgen

Hinsichtlich der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie deuten die vorliegenden Befragungs- bzw. erste Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Sozialschutzpakete bislang negative Verteilungseffekte weitgehend vermieden haben und durch die Regelungen des Kurzarbeitergeldes die Beschäftigung gesichert werden konnte. Langfristig gilt es aber, die Bereiche Bildung und Betreuung besonders im Blick zu behalten, da sich hier in den Belastungen sozioökonomische Unterschiede gezeigt haben.

Überprüfen und Anregen

Der Bericht dient dazu, die Lebenslagen der Bürgerinnen und Bürger zu analysieren, die Wirksamkeit der bisherigen Politikansätze zu überprüfen und neue Maßnahmen anzuregen. Die soziale Lage in Deutschland wird dafür ausführlich beschrieben. Zugrunde liegen die vorliegenden Statistiken und eigens für den Bericht in Auftrag gegebene Forschungsvorhaben. Die aktuellen Daten bewertet der Bericht mit Blick auf die Entwicklung der sozialen Aufstiegschancen und Abstiegsrisiken innerhalb der Biographie und – soweit möglich – auch im Vergleich zu früheren Alterskohorten und Generationen.

Quelle: BMAS, Frankfurter Rundschau

Abbildung: pixabay.com hobo-531201_1280.jpg

Gegen Armut hilft Geld

Das ist der Titel der aktuellen Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu Armutssituation in Deutschland. Danach hat die Armutsquote 2019 in Deutschland mit 15,9 Prozent, das sind 13,2 Millionen Menschen einen Höchststand seit der Wiedervereinigung erreicht. In der Studie wird weiter darauf hingewiesen, dass alles darauf hindeute, dass die Auswirkungen der Corona-Krise Armut und soziale Ungleichheit noch einmal spürbar verschärfen werden.

Große Unterschiede gibt es zwischen den einzelnen Bundesländern. So ist die Armutsquote in den südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg mit 11,9 und 12,3 Prozent mit Abstand am geringsten. Schlusslicht ist Nordrheinwestfalen mit 19,5 Prozent.

Das höchste Armutsrisiko haben nach wie vor Arbeitslose (57,9 Prozent), Alleinerziehende (42,7 Prozent), kinderreiche Familien (30,9 Prozent), Menschen mit niedriger Qualifikation (41,7 Prozent) und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (35,2 Prozent). Bezeichnend ist, dass die Armutsquote bei all diesen ohnehin seit Jahren besonders armutsbetroffenen Gruppen von 2018 auf 2019 noch einmal zugenommen hat.

Die mit Abstand stärkste Zunahme des Armutsrisikos zeigt im längerfristigen Vergleich die Gruppe der Rentner*innen und Pensionär*innen. Unter ihnen wuchs die Armutsquote seit 2006 um 66 Prozent. Aus einer eher geringen wurde mit 17,1 Prozent eine deutlich überdurchschnittliche Armutsquote.

Datenquelle

Die Armutsquoten, mit denen in diesem Bericht gearbeitet werden, beruhen auf dem sogenannten Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes. Der Mikrozensus ist die mit Abstand valideste Datengrundlage zur Berechnung von Armutsquoten in Deutschland. Beim Mikrozensus (kleine Volkszählung) wird nach einer Zufallsstichprobe jährlich etwa ein Prozent aller Haushalte in Deutschland befragt. 2019 waren das fast 380.000 Haushalte mit rund 750.000 Personen.

Trotzdem werden beim Mikrozensus relevante Gruppen nicht erfasst. Personen ohne Wohnung (Obdachlose) etwa haben im Mikrozensus keine Erfassungschance. Personen in Gemeinschaftsunterkünften werden zwar im Mikrozensus erfasst. Bei der Berechnung der Armutsquoten werden alle Personen gezählt werden, die in Haushalten leben, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte beträgt. Entsprechende Werte für Personen in Gemeinschaftsunterkünften liegen jedoch nicht vor.

Damit werden Hunderttausende von wohnungslosen Menschen, über 800.000 pflegebedürftigen Menschen in Heimen, von denen mehr als jede*r Dritte davon auf Sozialhilfe angewiesen, die über 200.000 behinderten Menschen in besonderen Wohnformen oder auch die vielen Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften nicht berücksichtigt.

Relative Armut

Das Statistische Bundesamt und auch der Armutsbericht folgen einer bereits über 30 Jahre alten EU-Konvention, was die Definition und die Berechnung von Armut anbelangt. In Abkehr von einem sogenannten absoluten Armutsbegriff, der Armut an existenziellen Notlagen wie Obdachlosigkeit oder Nahrungsmangel festmacht, ist der Armutsbegriff der EU ein relativer. Arm sind demnach alle, die über so geringe Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist.

Nach dieser EU-Konvention ist derjenige einkommensarm, der mit seinem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Dabei handelt es sich um das gesamte Nettoeinkommen des Haushaltes inklusive Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, anderer Transferleistungen oder sonstiger Zuwendungen.

Beim mittleren Einkommen handelt es sich nicht um das geläufige Durchschnittseinkommen. Dieses wird ermittelt, indem man alle Haushaltseinkommen addiert und die Summe dann durch die Anzahl der Haushalte teilt (arithmetisches Mittel). Es wird stattdessen der sogenannte Median, der mittlere Wert, errechnet: Alle Haushalte werden nach ihrem Einkommen der Reihe nach geordnet, wobei das Einkommen des Haushalts in der Mitte der Reihe den Mittelwert bzw. Median darstellt.

Beispiel Median – arithmetisches Mittel

100.000100.000
2.4002.400
2.3002.300
2.3002.300
2.1002.100
Median: 2.300arithmetrisches Mittel: 21.820

Äquivalenzeinkommen

Um Haushalte unterschiedlicher Größe in ihrem Einkommen und in ihren Bedarfen vergleichbar zu machen, wird das sogenannte Pro-Kopf-Haushaltsäquivalenzeinkommen ermittelt. Dabei wird das Gesamteinkommen eines Haushalts nicht einfach durch die Zahl der Haushaltsmitglieder geteilt, um das ProKopf-Einkommen zu ermitteln, es wird vielmehr jedem Haushaltsmitglied eine Äquivalenzziffer zugeordnet.

Das erste erwachsene Haushaltsmitglied bekommt eine 1, alle weiteren Haushaltsmitglieder ab vierzehn Jahren eine 0,5 und unter vierzehn Jahren eine 0,3. Beträgt das Haushaltseinkommen eines Paares mit zwei Kindern unter 14 Jahren 4.000 Euro, ist das so gewichtete ProKopf-Einkommen also nicht etwa
4.000 : 4 = 1.000 Euro, sondern
4.000 : (1 + 0,5 + 0,3 + 0,3) = 1.905 Euro.

Damit soll der Annahme Rechnung getragen werden, dass Mehrpersonenhaushalte günstiger haushalten können als Singles und dass Kinder angeblich keine so hohen Bedarfe haben wie Erwachsene oder Jugendliche.

Armutsschwelle

Damit ist die Armutsschwelle im Jahr 2019 je nach Haushaltsgröße bei

  • einem Single bei 1.074 Euro,
  • einer Alleinerziehenden mit einem kleinen Kind bei 1.396 Euro,
  • einem Paarhaushalt mit zwei kleinen Kindern bei 2.256 Euro.

Lösungsvorschläge

Der Paritätische Wohlfahrftsverband schlägt, um der wachsenden Armut entgegen zu steuern, vor

  • eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze in Hartz IV und der Altersgrundsicherung (nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle auf mindestens 644 Euro),
  • die Einführung einer Kindergrundsicherung sowie
  • Reformen von Arbeitslosen- und Rentenversicherung.

Quelle: Paritätischer Wohlfahrtsverband, Statistisches Bundesamt

Abbildung: Fotolia_158866271_Subscription_XXL.jpg