Armutsbericht

Der Paritätische Gesamtverband hat Ende März einen neuen Armutsbericht veröffentlicht. Danach bleibt die Armut in Deutschland auf einem hohen Niveau. 16,8 Prozent der Bevölkerung lebten 2022 in Armut. 2019 waren es 15,9 Prozent.

Ergebnisse:

  • 16,8 Prozent der Menschen in Deutschland – oder 14,2 Millionen Menschen – müssen für das Jahr 2022 als einkommensarm bezeichnet werden. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein Rückgang um 0,1 Prozentpunkte zu verzeichnen. Der seit 2006 fast ungebrochene Trend zunehmender Armut ist damit für 2022 erst einmal gestoppt, allerdings nicht gedreht. Wir zählten zuletzt 2,7 Millionen mehr Arme als 16 Jahre zuvor.
  • Alleinerziehende und Haushalte mit drei und mehr Kindern haben die höchste Armutsbetroffenheit aller Haushalte. Auch Erwerbslose und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sowie Migrationshintergrund sind stark überproportional betroffen. Frauen weisen 2022 mit 17,8 Prozent eine deutlich höhere Armutsquote auf als Männer mit 15,8 Prozent. Besonders gravierend ist die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern bei älteren Personen ab 65 Jahren. Auch die Kinderarmut liegt auf einem erschreckend hohen Niveau: Deutlich mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Die Armut unter Selbstständigen ist nach einem deutlichen Anstieg während der Pandemie inzwischen wieder rückläufig.
  • Mehr als ein Viertel der 14,2 Millionen einkommensarmen Menschen ist erwerbstätig, ein weiteres knappes Viertel ist in Rente und mehr als ein Fünftel sind Kinder. Nur knapp fünf Prozent sind erwerbslos.
  • Die niedrigsten Armutsquoten haben Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg, die höchsten mit jeweils 19 Prozent und mehr das Saarland, Sachsen-Anhalt, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und – mit 29,1 Prozent ganz weit abgeschlagen – Bremen. Zwischen den Regionen einiger Flächenländer gibt es eine
    große Spreizung der Armutsbetroffenheit, insbesondere in Bayern, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Forderungen

  • Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf einen Stundenlohn von 15 Euro, um zumindest Vollzeiterwerbstätige aus der Armut herauszuführen und nach langjähriger Erwerbstätigkeit einen Rentenanspruch sicherzustellen, der im Alter über Grundsicherungsniveau liegt.
  • Einführung einer einkommens- und bedarfsorientierten Kindergrundsicherung, die in der Höhe zuverlässig vor Armut schützt.
  • Eine zukunftsorientierten Neuaufstellung der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Element einer armutsfesten Mindestrente und einer perspektivischen Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent. Hierzu ist die Rentenversicherung zu einer allgemeinen Bürgerversicherung umzubauen, in die alle, auch Selbständige und Beamte, mit allen Einkommen einzahlen.
  • Eine solidarische Pflegevollversicherung, die alle pflegebedingten Kosten übernimmt und den Trend steigender Kosten für Pflegebedürftige endlich stoppt. Fast ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Heimen ist auf Sozialhilfe angewiesen.
  • Einer konsequenten Mietpreisdämpfungspolitik, die auf Bundesebene den Weg für die Länder freimacht, einen Mietenstopp einzuführen oder aber die Mietpreisbremse deutlich nachzuschärfen. Es muss zudem sichergestellt werden, dass energetische Sanierungsmaßnahmen im Ergebnis mindestens warmmietenneutral sind.

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, FOKUS-Sozialrecht

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Mindestvergütung für Azubis ab 2024

Das Gesetz zur Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung sieht seit 1.1.2020 in § 17 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) eine Mindestausbildungsvergütung vor. Das Gesetz sieht keine Differenzierung zwischen betrieblicher und außerbetrieblicher Berufsausbildung vor. Die Mindestausbildungsvergütung gilt danach grundsätzlich auch für außerbetriebliche Berufsausbildungen.

Nur außerhalb der Tarifbindung

Die Regelung gilt nur für Ausbildungsverträge, die außerhalb der Tarifbindung liegen. Sie gilt nicht für Berufe, die über das jeweilige Landesrecht geregelt sind, zum Beispiel Erzieher, und ebenso wenig für die reglementierten Berufe im Gesundheitswesen, zum Beispiel Physiotherapeut, Logopäde oder Ergotherapeut.

Höhe und Anpassung

Die Höhe der Mindestvergütung wird zum 1. Januar eines jeden Jahres, erstmals zum 1. Januar 2024, fortgeschrieben. Die Fortschreibung entspricht dem rechnerischen Mittel der jährlichen Bundesstatistik über die bei Vertragsabschluss vereinbarte Vergütung für jedes Ausbildungsjahr im Vergleich der beiden dem Jahr der Bekanntgabe vorausgegangenen Kalenderjahre.

Bekanntmachung

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung gibt jeweils spätestens bis zum 1. November eines jeden Kalenderjahres die Höhe der Mindestvergütung, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend ist, im Bundesgesetzblatt bekannt. Für das Jahr 2024 erschien die Bekanntmachung am 18.10.2023 im Bundesgesetzblatt.

Mindestvergütung 2024

Die Mindestvergütung für Auszubildende beträgt demnach ab 1.Januar 2024:

  • im ersten Ausbildungsjahr 649 Euro (2023: 620 Euro)
  • im zweiten Ausbildungsjahr 766 Euro (2023: 732 Euro)
  • im dritten Ausbildungsjahr 876 Euro (2023: 837 Euro)
  • im vierten Ausbildungsjahr 909 Euro (2023: 868 Euro).

Quellen: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bundesgesetzblatt, FOKUS-Sozialrecht

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Beschluss der Mindestlohnkomission

Die Mindestlohnkommission hat in ihrer Sitzung vom 26. Juni 2023 mit Mehrheit, aber gegen die Stimmen der Arbeitnehmerseite einen Vermittlungsvorschlag der Vorsitzenden beschlossen. Gleiches gilt für die Begründung, die ebenfalls gegen die Stimmen der Arbeitnehmerseite zustande gekommen ist. Die Gewerkschaften geben deshalb eine eigene Stellungnahme ab.

Beschlossen wurde, den gesetzlichen Mindestlohn in folgenden Stufen zu erhöhen:

  • zum 01.01.2024 auf 12,41 Euro,
  • zum 01.01.2025 auf 12,82 Euro,

jeweils brutto je Zeitstunde.

Begründung

In der Begründung verweist die Mehrheit der Kommission auf die die Anhebung des Mindestlohns von 10,45 Euro auf 12 Euro brutto je Zeitstunde durch den Deutschen Bundestag im Oktober 2022. Dadurch sei das regelmäßige Anpassungsverfahren durch die Mindestlohnkommission nach § 9 MiLoG vorübergehend ausgesetzt gewesen. Das scheint eine Mehrheit der Komission immer noch zu wurmen, daher tun sie nun so, als hätte es die Anhebung auf 12 Euro nicht gegeben. Damit betrüge die jetzige – reguläre – Erhöhung durch die Kommission fast 2 Euro. Dies sei bei der jetzigen Wirtschaftslage trotz hoher Inflation ausreichend und dürfte die Wirtschaft nicht zu sehr belasten. Das klingt schon fast wie eine Trotzreaktion der Kommission, die sich wohl übergangen gefühlt hat.

Existenzminimum

Dass die letztjährige Erhöhung durch den Bundestag angesichts der gestiegenen Energie und Lebensmittelpreise mehr als gerechtfertigt war, scheint nicht zu interessieren. Auch nicht, dass erst bei einem Mindestlohn ab etwa 14 Euro nach 40 Jahren Arbeit eine Rente in Höhe des Existenzminimums erreicht würde, wird weiter ignoriert.

Stellungnahme der Arbeitnehmerseite in der Mindestlohnkommission

Die Arbeitnehmerseite der Mindestlohnkommission konnte aus folgenden Gründen dem Vermittlungsvorschlag der Vorsitzenden nicht zustimmen:

  1. Um den vom Mindestlohngesetz geforderten Mindestschutz und einen Ausgleich der
    Inflation zum Erhalt der Kaufkraft für die untersten Einkommensbezieher*innen zu gewährleisten, hätte nach Ansicht der Vertreterinnen der Gewerkschaften der Mindestlohn deutlich, zumindest auf 13,50 Euro steigen müssen. Die Arbeitgeber und die Vorsitzende der Kommission haben sich dem verweigert.
  2. Die Gewerkschaften kritisieren zudem, dass die Arbeitgeber als Basis für die nächste
    Erhöhung nicht den aktuell geltenden Mindestlohn von 12 Euro zur Grundlage
    nehmen, sondern den vom Gesetzgeber abgelösten, zuvor geltenden Mindestlohn in
    Höhe von 10,45 Euro als Ausgangspunkt genommen haben. Dies missachtet die Intention des Gesetzgebers, der bereits vor dem sprunghaften Anstieg der Inflation den Mindestschutz der Beschäftigten mit der Anhebung auf 12 Euro gewährleisten wollte. Diesem Willen des Gesetzgebers werden die nun beschlossenen Erhöhungsschritte nicht gerecht.
  3. Spätestens bis Ende 2024 muss die EU-Mindestlohnrichtlinie in nationales Recht
    umgesetzt werden, wonach die Mindestlöhne in der Europäischen Union mindestens
    60 Prozent des Medianlohns von Vollzeitbeschäftigten erreichen sollen. Dies würde
    einem Mindestlohn in Höhe von mindestens 14 Euro entsprechen.

Ein schlechter Scherz

In einer ersten Stellungnahme zeigte sich der Sozialverband VdK zutiefst enttäuscht. Die Erhöhung sei angesichts der Inflation ein schlechter Scherz. Mindestens 14 Euro hätte es gebraucht, um die Menschen, die zu den untersten Einkommensgruppen gehören, spürbar zu entlasten.

Quellen: Mindestlohnkommission, VdK

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Mindestlohn und Praktikum

Im Mindestlohngesetz ist im § 22 unter der Überschrift „Persönlicher Anwendungsbereich“ festgeschrieben, dass jemand, der ein Praktikum absolviert grundsätzlich Anspruch auf einen Mindestlohn hat. Als Praktikant*innen gelten Personen, die eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben, ohne dass es sich um eine Berufsausbildung handelt.

kein Mindestlohn während einer Ausbildung

Dementsprechend haben Personen, die Praktika ausüben, die zu einer Berufsausbildung gehören, keinen Anspruch auch Mindestlohn:

  • Praktika, die verpflichtend im Rahmen einer Schul-, Ausbildungs- oder Prüfungsordnung geleistet werden,
  • Berufspraktika.

Nicht unter das Mindestlohngesetz fallen außerdem

  • Praktika von bis zu sechs Wochen Dauer zur Orientierung für die Wahl einer Ausbildung oder eines Studiums,
  • Praktika von bis zu sechs Wochen, welches während der Ausbildung geleistet wird und inhaltlichen Bezug zur Ausbildung aufweist, wenn nicht bereits zuvor ein solches Praktikum bei demselben Ausbildenden geleistet wurde.

Nicht unter den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen zudem Praktikantinnen und Praktikanten, die an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a SGB III teilnehmen.

BAG-Entscheidung

Nicht ausdrücklich im Gesetz erwähnt werden verpflichtende Vorpraktika vor Studienbeginn. Darüber musste das Bundesarbeitsgericht am 19. Januar 2022 entscheiden.

Der Fall

Eine angehende Medizinstudentin absolvierte von Mai bis November 2019 ein Praktikum auf der Krankenpflegestation eines Krankenhauses. Die Zahlung einer Vergütung wurde nicht vereinbart. Dem Arbeitgeber war bekannt, dass sie beabsichtigte, sich an einer privaten, staatlich anerkannten Universität um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben. Für diesen Studiengang ist laut Studienordnung vorher ein sechsmonatiger Krankenpflegedienst als Zugangsvoraussetzung abzuleisten. Die Studentin verlangte nun rückwirkend eine Bezahlung nach Mindestlohn für ihre Arbeit während des Praktikums.

kein Anspruch

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass verpflichtende Vorpraktika unter die Praktika fallen, die verpflichtend im Rahmen einer Schul-, Ausbildungs- oder Prüfungsordnung geleistet werden müssen. Daher bestehe kein Anspruch auf Mindestlohn. Im vorliegenden Fall war es aus Sicht des BAG unerheblich, dass die Studienordnung von einer privaten Universität erlassen wurde, da diese staatlich anerkannt sei.

Quelle: BAG, Haufe, SOLEX, FOKUS-Sozialrecht

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Minijobgrenze steigt

Mitte 2020 gab es in Deutschland etwa 7 Millionen Menschen, die einen Minijob ausübten. Die Mehrzahl davon waren Frauen. In der Reinigungsbranche arbeiten etwa 1,1 Millionen Minijobber*innen. Sie verdienen im Höchstfall 450 Euro im Monat. Die soziale Absicherung ist eher mäßig bis schlecht. Viele Minijobs verdrängen reguläre Arbeitsplätze, weil oftmals für Arbeitgeber das Anbieten von Minijobs attraktiver ist als das Einrichten regulärer Arbeitsplätze.

Immer weniger Stunden bis zur Obergrenze

Seit 2015 müssen auch Minijobber mindestens den gesetzlichen Mindestlohn bekommen. Der Mindestlohn damals betrug 8,50 Euro. Im Laufe der Jahre stieg der Mindestlohn an, die Minijobgrenze aber blieb. Das bedeutete, dass Minijobber immer weniger Stunden brauchten, um an die Obergrenze von 450 Euro zu stoßen:

JahrHöhe (in EUR)Stunden (pro Monat)
20158,5052,9
20178,8450,9
20199,1949,0
20209,3548,1
1.1.20219,5047,4
1.7.20219,6046,9
1.1.20229,8245,8
1.7.202210,4543,1

Ziel: 10-Stunden-Woche

Mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro würden ab Oktober 2022 schon 37,5 Monatsstunden reichen, um auf 450 Euro zu kommen. Deswegen plant das BMAS eine gleichzeitige Erhöhung der Minijobgrenze auf 520 Euro. Das bedeutet, dass dann 43,3 Stunden, also ziemlich genau eine 10-Stunden-Woche, reichen, um die Obergrenze zu erreichen, also in etwa so viel wie im Juli 2022, aber weniger als Anfang 2022. Um auf die 52,9 Stunden wie 2015 zu kommen, bräuchte es eine Obergrenze von 635 Euro.

Auch Midijobs betroffen

Gleichzeitig, so der Plan, wird auch die Obergrenze für Midijobs von 1300 Euro auf 1600 Euro steigen. In diesem Übergangsbereich (früher: Gleitzone) steigt der Arbeitnehmerbeitrag für die Sozialversicherung von ca. 10 % linear auf den vollen Anteil von ca. 20 % an. Der Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung bleibt unverändert bei ca. 20 %.

Dynamisierung

Zu vermuten ist, dass die Obergrenze für Minijob und Übergangsbereich an die Höhe des Mindestlohns gekoppelt und damit dynamisiert wird.

Damit würde eine Vorgabe des Koalitionsvertrags erfüllt: „Bei den Mini- und Midi-Jobs werden wir Verbesserungen vornehmen: Hürden, die eine Aufnahme versicherungspflichtiger Beschäftigung erschweren, wollen wir abbauen. Wir erhöhen die Midi-JobGrenze auf 1.600 Euro. Künftig orientiert sich die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen. Sie wird dementsprechend mit Anhebung des Mindestlohns auf 520 Euro erhöht. Gleichzeitig werden wir verhindern, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen werden. Die Einhaltung des geltenden Arbeitsrechts bei Mini-Jobs werden wir stärker kontrollieren.

Abbau von Hürden?

Allerdings kann von einem „Abbau von Hürden bei der Aufnahme versicherungspflichtiger Beschäftigung“ nicht wirklich die Rede sein kann, solange so ein bürokratisches Berechnungsmonster weiter existiert.

Gewerkschafts-Forderungen

Die Gewerkschaften fordern schon länger für Minijobber*innen einen besseren Schutz vor Arbeitslosigkeit und Anspruch auf Krankengeld. Auch müsse der Minijob mehr für die Rente bringen. Daher sollten Minijobs ausnahmslos rentenversicherungspflichtig werden. Der DGB will, dass hier der volle Sozialversicherungsbeitrag durch den Arbeitgeber übernommen wird. Arbeitnehmer können dann mit steigendem Bruttolohn schrittweise bis zur Parität an der Finanzierung beteiligt werden. Nur so könnten Hürden für die Aufnahme versicherungspflichtiger Beschäftigung abgebaut werden und verhindert werden, dass Minijobs weiterhin zur Teilzeit- und Armutsfalle für Frauen würden.

Erster Anlauf schon 2019

Einen Anlauf zur Anhebung und Dynamisierung der Minijob-Grenze war schon 2019 im Gespräch. Damals gab es dazu Länderinitiativen und sogar ein Eckpunktepapier des damaligen Wirtschaftsministers Altmeier im Rahmen des Bürokratieentlastungsgesetzes.

Quellen: SOLEX, RND FOKUS-Sozialrecht

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12 Euro Mindestlohn

Dies sieht ein Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministers ab dem 1. Oktober 2022 vor. Damit soll ein zentrales Wahlkampfversprechen der SPD eingelöst werden, das auch im Koalitionsvertrag vereinbart wurde.

Evaluation 2020

Schon Ende 2020 stellte die im Mindestlohngesetz geforderte Evaluation fest, dass die Rechengröße, an der sich die Höhe des Mindestlohns bisher orientiert, nämlich die Pfändungsfreigrenze für einen Ein-Personen-Haushalt, für viele Lebenswirklichkeiten unzureichend ist. Der Bericht erläutert, dass andere Rechengrößen eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns erforderten. So betrug der zum Zeitpunkt der Evaluation (2020) erforderliche Mindestlohn,

  • gemessen an der Pfändungsfreigrenze: 9,78 Euro,
  • gemessen am Ausscheiden aus dem SGB II-Bezug (Alleinerziehend, 1 Kind):
    14,14 Euro,
  • gemessen an der Europäischen Sozialcharta (60% des arithmetischen Mittels von Vollzeitbeschäftigten): 12,07 Euro,
  • gemessen an der Rente über Grundsicherungsniveau: 13,36 Euro

Der Mindestlohn lag damals bei 9,35 Euro und stieg zum 1.1.2021 auf 9,50 Euro. Seit 1.1.2022 beträgt er 9,82 Euro, die nächste geplante Erhöhung am 1.7.2022 bringt ihn auf 10,45 Euro.

Nach der Erhöhung erst mal Pause?

Nun soll er also im Oktober 2022 auf 12 Euro steigen. Das ist – gemessen an einer Reihe von Bezugswerten aus dem Exaluationsbericht 2020 – immer noch recht mager. In den Meldungen der Presse über die geplante Erhöhung heißt es übereinstimmend, dass die darauf folgende Anpassung zum 1.1.2024 geschehen soll, was bedeutet, dass sich 15 Monate lang – trotz Inflation – an der Höhe nichts ändern würde.

Bisher gab die Mindestlohnkommission alle zwei Jahre ihre Empfehlung über die Anpassung des Mindestlohns heraus, zuletzt 2020 für die Jahre 2021 und 2022. Eigentlich wäre die nächste Empfehlung der Mindestlohnkommission also noch in diesem Jahr für die Jahre 2023 und 2024 fällig. Das soll offensichtlich aber 2022 nicht geschehen. Auf den offiziellen Gesetzentwurf und die Begründung kann man also gespannt sein.

Quellen: Tagesschau, ZEIT, Vorwärts, SOLEX

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Entlohnung in der WfbM

Eines der Wahlkampfthemen ist eine Erhöhung des Mindestlohns. In diesem Zusammenhang taucht auch die Frage auf, ob nicht auch Beschäftigte in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung Anspruch auf Zahlung des Mindestlohs haben.

Behindertenrechtskonvention

Beschäftigte in den Werkstätten verdienen oft nur 180 bis 230 Euro im Monat. Das ist aber nicht der einzige Kritikpunkt an den Werkstätten. Ausgehend von der UN-Behindertenrechtskonvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat, bemängeln sie, dass Behindertenwerkstätten im Widerspruch zu dem in der UN-BRK garantierten Recht auf Arbeit stünden. Die alternativlose Arbeit in WfbM sei meist nicht frei gewählt und die Beschäftigten könnten ihren Lebensunterhalt damit nicht bestreiten. Sie seien auf staatliche Unterstützung angewiesen. Im Jahr 2015 empfahl daher der Fachausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die Werkstätten in der Bundesrepublik schrittweise abzuschaffen.

Artikel 27

Artikel 27 Absatz 1 der UN-BRK lautet: „Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.

Nicht vergleichbar

Befürworter der WfbM führen dagegen an, dass ein Vergleich zwischen Werkstattbeschäftigten und Arbeitnehmern aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zielführend sei. Man müsse die Komplexität des Systems verstehen und dürfe das Bild nicht verzerren. Werkstätten würden aber nicht dem Mindestlohngesetz unterliegen, weil deren Beschäftigte keine Arbeitnehmer seien. Das Arbeitsentgelt „besteht aus einem Grundbetrag in Höhe eines Ausbildungsgeldes, das die Bundesagentur für Arbeit leistet, und einem leistungsangemessenem Steigerungsbetrag. Hinzu kommt ein öffentlich finanziertes Arbeitsförderungsgeld.

Unterstützungsangebote

In einer Behindertenwerkstatt stehe nicht die reine Erwerbsarbeit im Vordergrund. Sie biete zusätzlich pflegerische Unterstützung, Ergo- und Physiotherapie, Logopädie sowie Angebote aus dem Sport- und Kulturbereich – auch während der Arbeitszeit.

Außerdem sei der allgemeine Arbeitsmarkt in seiner jetzigen Form sei nicht in der Lage, alle Menschen mit Behinderungen aufzunehmen. 

Rechtslage

Laut § 221 SGB IX stehen Menschen mit Behinderung im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten  in einem „arbeitnehmerähnlichen“ Rechtsverhältnis.

Das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis bedeutet, dass arbeitsrechtliche und arbeitsschutzrechtliche Grundsätze angewandt werden müssen, insbesondere arbeitsrechtliche Grundsätze und Vorschriften über:

  • Arbeitszeit,
  • Urlaub,
  • Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen,
  • Erziehungsurlaub (Elternzeit) und Mutterschutz,
  • Persönlichkeitsschutz und
  • Haftungsbeschränkung.

Der Inhalt des arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses wird unter Berücksichtigung des zwischen den Menschen mit Behinderung und dem Rehabilitationsträger bestehenden Sozialleistungsverhältnisses durch Werkstattverträge zwischen den Menschen mit Behinderung und dem Träger der Werkstatt näher geregelt.

Arbeitsentgelt

Die Werkstätten zahlen aus ihrem Arbeitsergebnis an die im Arbeitsbereich beschäftigten Menschen mit Behinderung ein Arbeitsentgelt, das sich aus einem Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes, das die Bundesagentur für Arbeit nach den für sie geltenden Vorschriften Menschen mit Behinderung im Berufsbildungsbereich leistet, und einem leistungsangemessenen Steigerungsbetrag zusammensetzt. Der Steigerungsbetrag bemisst sich nach der individuellen Arbeitsleistung der Menschen mit Behinderung, insbesondere unter Berücksichtigung von Arbeitsmenge und Arbeitsgüte.

Die an Maßnahmen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich teilnehmenden behinderten Menschen erhalten Lohnersatzleistungen von den zuständigen Rehabilitationsträgern, soweit die Bundesagentur für Arbeit zuständig ist, i. d. R. Ausbildungsgeld 

Arbeitergebnis

Bei der Ermittlung des Arbeitsergebnisses der Werkstatt nach § 12 Absatz 4 der Werkstättenverordnung werden die Auswirkungen der Vergütungen auf die Höhe des Arbeitsergebnisses dargestellt. Das Arbeitsergebnis der Werkstatt darf nicht zur Minderung der Vergütungen nach Absatz 3 verwendet werden. Verluste aus den Vergütungsvereinbarung (können beispielsweise entstehen, wenn etwa tarifliche Erhöhungen im Vereinbarungszeitraum höher ausfallen als in der Vergütungsvereinbarung prognostiziert) dürfen nicht aus dem Arbeitsergebnis gedeckt werden. Erzielte Überschüsse aus den Vergütungsvereinbarungen fließen dagegen in das Arbeitsergebnis ein und müssen in dem in § 12 Abs. 5 Werkstättenverordnung (WVO) vorgeschriebenen Umfang auch für die Entlohnung der behinderten Menschen verwendet werden. Das bedeutet, dass das Arbeitsentgelt zwar angehoben werden darf, aber es darf nicht gekürzt werden.

Grundbetrag

Die Zahlung eines Grundbetrages in Höhe des Ausbildungsgeldes stellt sicher, dass die im Arbeitsbereich beschäftigten behinderten Menschen kein geringeres Arbeitsentgelt erhalten als den Betrag, den die überwiegende Zahl der behinderten Menschen in der Zeit der Maßnahme im Berufsbildungsbereich zuletzt erhalten hat.

Das Ausbildungsgeld nach § 125 SGB III wurde zum 1.8.2019 auf 117 EUR und zum 1.8.2020 auf 119 EUR monatlich erhöht.

Um eine finanzielle Überforderung der Werkstätten zu vermeiden wurde mit § 241 Abs. 9 SGB IX eine Übergangslösung geschaffen, durch die der Grundbetrag erst zum 1.1.2023 wieder die gleiche Höhe wie das Ausbildungsgeld erreicht.

Grundbetrag abHöhe mindestens
1. August 201980 EUR
1. Januar 202089 EUR
1. Januar 202199 EUR
1. Januar 2022109 EUR
1. Januar 2023119 EUR

Je nach wirtschaftlicher Situation der Werkstätten kann die Erhöhung des Grundbetrags dazu führen, dass der Steigerungsbetrag für leitungsstärkere Menschen in den Werkstätten geringer ausfällt.

Arbeitsgericht zum Mindestlohn

Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 19.6.2015: „Der gesetzliche Mindestlohn soll Arbeitnehmer vor Niedriglöhnen schützen und existenzsichernde Arbeitsentgelte sichern. Das setzt allerdings reguläre Austauschverhältnisse zwischen Arbeitsleistung und Entgelt voraus und umfasst nicht sozialstaatliche und sozialversicherungsrechtliche Aufgaben zur Teilhabe von schwerbehinderten Menschen am Arbeitsleben. Da für ein Werkstattverhältnis die soziale Betreuung und Anleitung von entscheidender Bedeutung ist, muss dieser Aspekt der angemessenen Vergütung für schwerbehinderte Menschen in Werkstätten berücksichtigt werden. Hierfür sind die Regeln für eine zweipolige Bewertung (Arbeit gegen Vergütung) nicht geeignet. Der Umstand, dass der Beschäftigte ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringt, ist kein Kennzeichen für ein Arbeitsverhältnis, sondern Aufnahmevoraussetzung für die Werkstatt nach § 219 Abs. 2 SGB IX“

Forderungen

Behindertenverbände fordern eine umfassende Reform des „Systems“ der Behindertenwerkstätten. Zum einen die Umsetzung der UN-BRK. Außerdem müssten Behindertenwerkstätten endlich konsequent an ihrem Hauptauftrag, Werkstattbeschäftigte langfristig in Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bringen, gemessen werden. Eine umfassende Darstellung des Werkstatt-Systems hat das Projekt JOBinklusive auf seiner Homepage zusammengestellt.

Quellen: RND, JOBinklusive, SOLEX

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Mindestlohn auf 12 Euro?

Seit 1.1.2021 beträgt der Mindestlohn 9,50 Euro in der Stunde. Geplant und im Mindestlohngesetz bzw. in der Dritten Mindestlohnanpassungsverordnung (MiLoV3) festgelegt sind weitere Erhöhungen alle halbe Jahre:

• zum 01.07.2021: 9,60 Euro
• zum 01.01.2022: 9,82 Euro
• zum 01.07.2022: 10,45 Euro.

Eckpunkte

Bereits Ende 2018 schrieb Finanzminister Olaf Scholz in der Bild-Zeitung: „Ich finde, dass 12 Euro Mindestlohn angemessen sind. Am Lohn sollten Unternehmen nicht sparen.“ Nun hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zusammen mit dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) ein Eckpunktepapier vorgelegt, wie der Mindestlohn weiterentwickelt werden kann. Der Mindestlohn soll im Jahr 2022 auf mindestens 12 Euro ansteigen.

Median statt arithmetisches Mittel

Das Mindestlohngesetz soll dafür geändert werden. Dort soll künftig bei der Anpassungsentscheidung der Mindestlohnkommission der Medianlohn stärker berücksichtigt werden. Wenn der Medianlohn statt des Durchschnittslohns für die Berechnungen herangezogen wird, würde der Mindestlohn stärker an die allgemeine Lohnentwicklung gekoppelt und damit höher ausfallen. Im Gegensatz zum arithmetischen Mittel der Löhne teilt der Medianlohn die Verteilung genau in der Mitte: Die eine Hälfte der Beschäftigten erhält geringere, die andere Hälfte höhere Löhne. Mit dem Bezug zum Medianlohn soll sichergestellt werden, dass der Mindestlohn nicht bei jeder Erhöhung automatisch zu einer Erhöhung des Bezugspunktes führt, wie dies beim arithmetischen Mittel der Fall wäre.

Kommission hat sich bewährt

Das Eckpunktepapier bestätigt, dass sich die Anpassung des Mindestlohns durch eine Kommission sachnaher Sozialpartner grundsätzlich bewährt habe. Sie solle deshalb für die Anpassung des Mindestlohns zuständig bleiben. Allerdings habe die Evaluation gezeigt, dass in wirtschaftlich guten Zeiten Spielräume für eine stärkere Anhebung des Mindestlohns nicht genutzt worden seien. Es sei eine Frage der gesellschaftlichen Teilhabe, dass auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zum Mindestlohn beschäftigt werden, an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung partizipieren.

Living Wage

Der Mindestlohn solle deshalb in Richtung eines echten, auf Teilhabe gerichteten „Living Wage“*) fortentwickelt und damit der Erwerbsarmut entgegenwirkt werden. Richtig sei, dass Armut bzw. gesellschaftliche Teilhabe von einer Vielzahl von Faktoren abhängen. Richtig sei aber auch, dass für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer regelmäßig die Vergütungshöhe maßgeblich dafür ist, inwieweit gesellschaftliche Teilhabe möglich ist.

Armutsgefährdung berücksichtigen

Der in in § 9 Absatz 2 Mindestlohngesetz (MiLoG) vorgesehene Prüfkatalog soll daher präzisiert und ergänzt werden. Die Mindestlohnkommission soll im Rahmen des Prüfkriteriums „angemessener Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ auch den Gesichtspunkt der Armutsgefährdung maßgeblich berücksichtigen. Von einer Armutsgefährdung soll regelmäßig bei einem auf Vollzeitbasis erzielten Arbeitsentgelt unterhalb der Schwelle von 60 Prozent des Medianlohns ausgegangen werden.

*) Living Wage: Laut Wikipedia ein Familieneinkommen bzw. ein Lohn in der Höhe, das nicht das bloße physische Überleben, sondern die Existenz einschließlich sozialer und kultureller Teilhabe sichert.

Quelle: BMAS, FOKUS-Sozialrecht

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