Mit dem Gesetz zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-IPReG) überführte der Gesetzgeber die bisherigen Regelungen zum ambulanten intensivpflegerischen Versorgungsbedarf in einen neuen Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege (§ 37c SGB V). Ziel ist es, die individuelle bedarfsgerechte Versorgung zu stärken. Zudem soll besser gegen kriminelle Geschäftspraktiken im Bereich der außerklinischen Intensivpflege vorgegangen werden können. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte den Auftrag, noch im Oktober diesen Jahres eine Richtlinie zur außerklinischen Intensivpflege (AKI-RL) vorzulegen. Diese Richtlinie hat der G-BA am Freitag, 19.11.2021 mit ein paar Wochen Verspätung veröffentlicht.
Turbulentes Gesetzgebungsverfahren
Das Gesetzgebungsverfahren zum IPReG war begleitet von Protesten und Petitionen, vor allem von betroffenen Personen, die vor allem gegen drohende Fremdbestimmung kämpften, vor allem in der Frage, ob der Medizinische Dienst Patienten gegen ihren Willen in stationäre Behandlung einweisen könne. Trotz mehrmaliger Veränderung des Gesetzes wurde dies nicht zur Zufriedenheit der Betroffenen gelöst.
Vor über einem Jahr gab es hier einen Artikel über den Beginn der Beratungen des G-BA mit Links zu sämtlichen Beiträgen zu dem Gesetzgebungsverfahren. |
Betroffen sind etwa 25.000 Menschen
Vorsichtigen Schätzungen zufolge sind in Deutschland etwa 25.000 Menschen auf eine künstliche Beatmung angewiesen. An der Versorgung der Patienten sind außer Ärzten zumeist spezialisierte ambulante Pflegedienste, Therapeuten, Medizinprodukte-Dienstleister und teils auch Krankenhäuser beteiligt. Die Situation von intensivpflegebedürftigen Patienten war auch wegen Berichten über „Abrechnungsbetrug und kriminelle Fehlleistungen“ in sogenannten Beatmungs-Wohngemeinschaften in den Fokus von Politik und Gesellschaft gerückt.
Die Richtlinie
Der G-BA listet in seiner Richtlinie zur außerklinischen Intensivpflege (AKI-RL) eine Auswahl von Therapieleistungen auf, die verordnet werden können, konkretisiert, welche Voraussetzungen dabei gelten und wie die Zusammenarbeit der verschiedenen betreuenden Berufsgruppen koordiniert werden soll. Eine wesentliche Neuerung im Vergleich zum bisherigen Leistungsanspruch besteht darin, dass bei beatmungspflichtig eingestuften Patientinnen und Patienten sehr frühzeitig und regelmäßig überprüft wird, ob eine Entwöhnung von der Beatmung in Frage kommt.
Telemedizinische Einschätzung möglich
Vorgabe des G-BA ist es, dass das Entwöhnungspotenzial nicht vorrangig in Kliniken, sondern dort erhoben wird, wo die Patientinnen und Patienten versorgt werden. Ist dies nicht möglich, weil dafür zum Beispiel vor Ort qualifizierte Ärztinnen und Ärzte fehlen, und ist auch ein Transport zu Spezialisten den Betroffenen nicht zuzumuten, kann eine telemedizinische Einschätzung erfolgen.
Vier Jahre nach dem Inkrafttreten evaluiert der G-BA, wie die Richtlinie umgesetzt wird und wie sie sich auf die Versorgung auswirkt.
Hürden für die häusliche Versorgung vermeiden
Dazu Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA: „Gesetzlich neu festgelegt ist auch, dass der Medizinische Dienst mindestens einmal im Jahr die Versorgung in der Umgebung überprüft, in der die Patienten versorgt werden. Einerseits soll dies eine gute Betreuung sicherstellen, andererseits löst es aber bei vielen Betroffenen und ihren Familien, die bereits eine sehr gut funktionierende Versorgung erleben, Ängste aus, nicht mehr selbst ihr Lebensumfeld bestimmen zu können. Hier sollte der Gesetzgeber genau beobachten, ob er mit seinen strikten Vorgaben, die der G-BA zu beachten hatte, nicht ungewollt Hürden für eine funktionierende und gute Versorgung in der Häuslichkeit aufgebaut hat. Er müsste dann gegebenenfalls auch aktiv werden und das Gesetz ändern. Im Zuge der von uns beschlossenen sehr kurzfristigen Evaluation haben wir auch für den Gesetzgeber die Chance geschaffen, eventuelle Fehlentwicklungen und Beeinträchtigungen selbstbestimmter Lebensführung, die niemand möchte, schnell zu erkennen.“
In der Pressemitteilung des G-BA wird ausführlich auf folgende Fragen eingegangen:
- Was leistet die außerklinische Intensivpflege?
- Wie wird die außerklinische Intensivpflege verordnet und koordiniert?
- Wie gelingt der Übergang aus der stationären in die außerklinische Versorgung?
Zeitplan
Sofern das Bundesministerium für Gesundheit keine rechtlichen Einwände hat, wird die neue Richtlinie im Bundesanzeiger veröffentlicht und tritt einen Tag später in Kraft. Aufgrund der dann erst beginnenden Arbeit an den Rahmenempfehlungen und den sich anschließenden Vertragsverhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und spezialisierten Leistungserbringern wird eine Verordnung jedoch erst ab dem 1. Januar 2023 möglich sein. Bis zu diesem Zeitpunkt gelten unverändert die bisherigen Verordnungsmöglichkeiten, die bei einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege bestehen. Sie sind in der Häusliche Krankenpflege-Richtlinie des G-BA (HKP-RL) geregelt. Dort hat der G-BA per heutigem Beschluss eine Übergangsregelung eingefügt, wonach vor dem 1. Januar 2023 nach den Regelungen der HKP-RL ausgestellte Verordnungen über den 1. Januar 2023 hinaus weiter gelten. Sie verlieren erst ab dem 31. Oktober 2023 ihre Gültigkeit.
Quellen: G-BA, aerzteblatt.de, FOKUS-Sozialrecht;
Mehr zur Außerklinischen Intensivpflege auch in SOLEX.
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