Konjunkturpaket – Umsetzung

AM 3.6.2020 kündigte die Bundesregierung ein milliardenschweres Konjunkturpaket an. In der kommenden Woche sollen es in Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Am Montag geht es unter anderem um die Steuerentlastungen, Kinderbonus und den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, die der Bundesrat noch am gleichen Tag in einer Sondersitzung absegnen wird, damit die Änderungen pünktlich zum 1. Juli in Kraft treten können.

Das Bundeskabinett hat inzwischen mehrere arbeits- und sozialpolitische Maßnahmen aus dem Konjunkturpaket verabschiedet.

Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung verlängert

Der Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, der Hilfe zum Lebensunterhalt und zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie zur existenzsichernden Leistung nach dem Bundesversorgungsgesetz wurde bereits mit dem Sozialschutz-Paket I erleichtert. Ursprünglich waren diese Regelungen bis 30. Juni 2020 begrenzt. Doch die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind weiterhin erheblich. Deshalb hat das Bundeskabinett heute die entsprechenden Regelungen bis zum 30. September 2020 verlängert.

Die Erleichterungen in der Vereinfachter-Zugang-Verlängerungsverordnung (VZVV) betreffen insbesondere die befristete Vereinfachung der Vermögensprüfung, die befristete Anerkennung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie Vereinfachungen bei der Bewilligung einer vorläufigen Entscheidung. (siehe Corona-Rettungsschirm: Sozialschutz-Paket (1))

Die Erleichterungen in der Vereinfachter-Zugang-Verlängerungsverordnung (VZVV) betreffen

  • die befristete Vereinfachung der Vermögensprüfung,
  • die befristete Anerkennung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie
  • Vereinfachungen bei der Bewilligung einer vorläufigen Entscheidung.

Anpassungen für das Mittagessen

Auch die vorübergehenden Anpassungen für das Mittagessen sollen bis 30. September 2020 gelten. Dadurch müssen Schülerinnen und Schüler sowie Kinder aus einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege das sonst angebotene Mittagessen nicht gemeinschaftlich einnehmen, wenn die Einrichtung geschlossen ist. (siehe Zweites Sozialschutz-Paket)

Ebenso wurde heute die Regelung bis 30. September 2020 verlängert, dass für Menschen mit Behinderung weiterhin der Mehrbedarf zur Finanzierung der Mittagsverpflegung zur Verfügung steht, auch wenn das Mittagessen pandemiebedingt nicht in Werkstätten für behinderte Menschen und vergleichbaren tagesstrukturierenden Maßnahmen gemeinschaftlich eingenommen werden kann.

Ausgleich von Entgelteinbußen von Werkstattbeschäftigten

Mit der Vierten Verordnung zur Änderung der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung erhalten die Integrationsämter der Länder die Möglichkeit, aus den ihnen zustehenden Mitteln der Ausgleichsabgabe Leistungen an Werkstätten für behinderte Menschen zu erbringen, um Entgelteinbußen der dort beschäftigten Menschen mit Behinderungen auszugleichen. Der Bund leistet dazu einen Beitrag, in dem er den Ländern einmalig im Jahr 2020 10 Prozentpunkte mehr von der Ausgleichsabgabe überlässt.

Begründet wird dies damit, dass die Länder wegen der COVID-19-Pandemie für Einrichtungen der Behindertenhilfe vielfach Betretungsverbote und zum Teil auch Beschäftigungsverbote für Menschen mit Behinderungen nach dem Infektionsschutzgesetz ausgesprochen haben. Daher ist zu erwarten, dass sich diese Maßnahmen negativ auf das Arbeitsergebnis der Werkstätten für behinderte Menschen auswirken. § 12 der Werkstättenverordnung legt fest, dass die Werkstätten mindestens 70 Prozent ihres Arbeitsergebnisses in Form von Entgelten an die Beschäftigten auszahlen müssen. Ein über Monate hinweg niedriges Arbeitsergebnis der Werkstatt kann dazu führen, dass die Höhe der Arbeitsentgelte der Beschäftigten sinkt. Kurzarbeitergeld kommt für Menschen mit Behinderungen, die nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, nicht in Betracht, da die Betroffenen in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis stehen und in der Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei gestellt sind (§ 28 Absatz 1 Nummer 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III)). Gleichwohl sollen Entgelteinbußen der Werkstattbeschäftigten vermieden werden.

Quellen: BMAS, Bundestag, FOKUS-Sozialrecht

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Digitale-Familienleistungen-Gesetz

Das Bundeskabinett hat am 24.6. ein Gesetz auf den Weg gebracht, das es ermöglicht, fünf wichtige Familienleistungen in einem digitalen Kombiantrag zusammenzufassen. In einem Zuge können Eltern künftig die Geburtsurkunde – mit förmlicher Namensfestlegung und Geburtsanzeige – sowie Eltern- und Kindergeld beantragen. In der nächsten Stufe soll auch der Kinderzuschlag dazukommen.

Entscheidendes Element des Gesetzes ist die Regelung des elektronischen Datenaustausches. An vielen Stellen können Behörden notwendige Daten untereinander abrufen. Bürgerinnen und Bürger müssen künftig keine Nachweise mehr selbst einreichen. Die zuständigen Standesämter, Krankenkassen, Elterngeldstellen und die Deutsche Rentenversicherung werden zum elektronischen Datenaustausch auf Wunsch der Eltern ermächtigt. Damit entfallen mehrere Papiernachweispflichten für die Eltern. Doppeleingaben in verschiedenen Anträgen werden durch den digitalen Kombiantrag vermieden.

Umsetzung 2022

Spätestens 2022 sollen die Vorteile bundesweit allen Eltern zur Verfügung stehen. Ein erster Prototyp des Kombiantrags mit elektronischem Datenaustausch, die Anwendung ELFE (Einfach Leistungen für Eltern) soll noch in diesem Jahr in Bremen getestet werden.

Das Gesetz, das mehrere Verwaltungsebenen bei Bund und Ländern berührt, ist arbeitsteilig vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend entwickelt worden.

Forderung nach Ergänzungen

Der VDK begrüßt das Gesetz, fordert aber, dass Eltern auch andere Leistungen, wie den Unterhaltsvorschuss oder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, schnell und unbürokratisch online beantragen können.

Familien müssen sich immer noch jede Leistung, die auch noch miteinander verrechnet werden, bei einer anderen Behörde genehmigen lassen. Der VDK fordert daher, dass

  • eine Stelle alle Familienleistungen gewährt,
  • die Beantragung weitgehend entbürokratisiert wird,
  • barrierefreie Online-Beantragung ermöglicht wird,
  • optional Leichte Sprache verwendet werden kann und
  • weiterhin Beantragung in Papierform möglich bleibt.

Quellen: BMI, VDK

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Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung im Krankenhaus

Wenn geistig oder mehrfachbehinderte Menschen ins Krankenhaus müssen, wegen einer akuten Erkrankungoder einer geplanten Operation, ist es für die Betroffenen oft sehr beängstigend und bedrohlich. Zu krankheitsbedingten Symptomen, wie z.B. Schmerz oder Atemnot, kommt die Unsicherheit einer fremden Umgebung. Nicht nur die Betroffenen, auch ihre Begleiter, Betreuer und Angehörigen sorgen sich, ob die erforderlichen Hilfestellungen, die der behinderte Mensch im Alltag benötigt, auch im Krankenhaus im notwendigen
Umfang erbracht werden können. Dazu kommen oft Verständnisschwierigkeiten oder Kommunikationsbarrieren. Ärzte und Pflegepersonal sind in der Regel nicht geschult für den Umgang mit Patienten mit spezifischen Behinderungen und stehen zudem unter hohem zeitlichen Druck. So bleiben schwierige
Situationen nicht aus. Oft werden nötige Hilfestellungen bei Hygiene oder der Nahrungsaufnahme nicht erbracht. Manchmal können wichtige Untersuchungen oder Behandlungen nicht durchgeführt werden. Patienten werden einfach entlassen, weil das Krankenhauspersonal, mit ihnen nicht zurecht kommt, obwohl es medizinisch nicht geboten wäre.

Vielfach liegt es an den Angehörigen, sich um die Versorgung dieser Menschen im Krankenhaus zu kümmern, ohne dass es in irgendeiner Form vergütet würde. Oder die Mitarbeiter einer betreuten Wohngemeinschaft oder einer besonderen Wohnform übernehmen die Aufgaben mit der Folge, dass den anderen Mitbewohnern dieser Einrichtungen die ihnen zustehende Betreuungszeit verloren geht.

In § 11 Abs. 3 SGB V ist zwar die medizinisch notwendige Mitaufnahme einer Begleitperson im Krankenhaus geregelt. Es werden in diesem Zusammenhang aber nur die Kosten für Unterkunft und Verpflegung der Begleitperson erstattet.

Leistungen der Sozialen Teilhabe im Krankenhaus?

Ziele der Leistungen sind die Befähigung und Unterstützung der Leistungsberechtigten bei einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum und in ihrem Sozialraum.
Ob der Sozialraum auch das Krankenhaus umfasst, in der eventuell notwendige Behandlungen durchgeführt werden müssen, ist nicht festgelegt. Die aufgezählten Leistungen, die unter Soziale teilhabe fallen, sind nicht abschließend. Andere könnten noch dazu kommen.

Assistenz im Krankenhaus

Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung greifen das Thema Assistenz für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung im Krankenhaus mit hoher Dringlichkeit daher erneut auf. Unabhängig von der Notwendigkeit, die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung nach den Vorgaben des Art. 25 UN-Behindertenrechtskonvention weiterzuentwickeln, ist es dringend erforderlich, für die notwendige Assistenz im Krankenhaus sowie in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen verlässliche rechtliche Grundlagen zu schaffen.

Die Fachverbände für Menschen mit Behinderung fordern vom Bundesgesetzgeber, die soziale Assistenz für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung im Krankenhaus sowie in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen als Leistung der Eingliederungshilfe durch eine geeignete Regelung im SGB IX sicherzustellen.

Sie schlagen daher vor, die Liste der Leistungen zur sozialen Teilhabe in § 113 Abs. 2 Ziffern 1-9 SGB IX um eine Ziffer 10 „Assistenz im Krankenhaus sowie in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen“ zu ergänzen. Damit wäre ein potenzieller Leistungsanspruch auf Assistenz in diesen Einrichtungen grundsätzlich formuliert.

Persönliches Budget

Bisher gibt es nur im Rahmen des persönlichen Budgets die Möglichkeit, dass Menschen mit Behinderung ihre Helfer im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses selbst einstellen, um ihre Pflege und andere Verrichtungen des täglichen Lebens als Arbeitgeber selbstbestimmt zu organisieren (sog. Persönliche Assistenz, siehe auch § 63b Abs. 4 SGB XII). Damit die kontinuierliche Spezialpflege auch bei einem Krankenhausaufenthalt gesichert ist, dürfen diese Assistenzpflegekräfte auch mit ins Krankenhaus genommen werden, soweit dies aus medizinischen Gründen notwendig ist. Die Kosten für Übernachtung und Verpflegung werden übernommen.

Quellen: Lebenshilfe, Fachverbände für Menschen mit Behinderung, SOLEX

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Wann zahlt die Kasse Corona-Tests?

Dies regelt eine Verordnung, die am 9. Juni im Bundesanzeiger erschienen ist,aber rückwirkend zu 14.Mai 2020 gilt. Die Grundlage für die Verordnung hat der Gesetzgeber im Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite gelegt. Die Verordnung definiert in welchen Fällen die Krankenkassen für die Tests auf das Coronavirus auch bei Personen, die keine Symptome aufweisen oder nicht GKV versichert sind, aufkommen müssen.

Verordnungsermächtigung im § 20i Absatz 3 SGB V

Durch die Gesetzesänderung wird in Satz 2 eine zusätzliche Verordnungsermächtigung zugunsten des Bundesministeriums für Gesundheit geschaffen. Hiernach kann das BMG ohne Zustimmung des Bundesrates festlegen, dass die gesetzliche Krankenversicherung für ihre Versicherten in Bezug auf bevölkerungsmedizinisch relevante übertragbare Krankheiten Testungen auf eine Infektion oder Immunität leisten muss. Mit dieser Maßnahme wird sichergestellt, dass auch dann Testungen von der GKV übernommen werden, wenn keine Symptome für COVID-19 vorhanden sind. Dies entspricht der verbreiteten Forderung der Wissenschaft nach repräsentativen bevölkerungsmedizinischen Tests.

Zudem besteht durch die Verordnung die Möglichkeit, Personen zu testen, bei denen eine hohe Gefahr besteht, dass sie oder andere Personen in ihrem Umfeld bei einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besonders gefährdet wären. Zu dem Personenkreis der besonders Gefährdeten gehören insbesondere ältere Menschen mit Vorerkrankungen. Vor allem pflegebedürftige Menschen, die in stationären Pflegeeinrichtungen leben, aber auch solche, die ambulant von einem Pflegedienst gepflegt, betreut oder behandelt werden, sind besonders vulnerabel für schwere Krankheitsverläufe oder Todesfälle, so dass die Verordnung insbesondere diese Klientel umfasst.

Entsprechendes gilt für mögliche Tests auf Immunität in Bezug zu COVID-19, sobald vom Standpunkt der medizinischen Wissenschaft sichergestellt ist, dass eine Immunität gegen COVID-19 für einen längeren Zeitraum möglich und eine gleichzeitige Ansteckungsfähigkeit ausgeschlossen ist.

Auslegungshilfe des BMG

Das Bundesministerium für Gesundheit hat eine Auslegungshilfe zur Verordnung erstellt.
Für die in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtung tätigen Personen sowie der pflegebedürftigen Menschen, die gepflegt, betreut oder behandelt werden, sind vor allem die §§ 1 bis 5 der Verordnung relevant, so dass diese Auslegungshilfe diese Paragraphen erläutert und beispielhaft konkretisiert. Hier eine kurze Zusammenfassung:

§ 1 Anspruch

Die Verordnung regelt den Anspruch auf Leistungen der Labordiagnostik. Es ist vorgesehen, dass in bestimmten Fällen bei vom öffentlichen Gesundheitsdienst veranlassten Testungen zum Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 die Leistungen der Labordiagnostik von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden, und zwar sowohl für Versicherte der GKV als auch für Personen, die nicht in der GKV versichert sind.

§ 2 Testungen von Kontaktpersonen

Als Kontaktpersonen gelten

  1. Personen, die insgesamt entweder mindestens 15 Minuten ununterbrochen direkten Kontakt mit einer infizierten Person hatten,
  2. Personen, die im selben Haushalt wie eine infizierte Person leben oder gelebt haben,
  3. Personen, die die Pflege, Betreuung und Behandlung übernehmen, sowie für Personen, die gepflegt, betreut oder behandelt werden.

§ 3 Testungen von Personen im Rahmen der Bekämpfung von Ausbrüchen

Wird z. B. in einer stationären Pflegeeinrichtung ein COVID-19-Fall laborbestätigt diagnostiziert, dann ist bei Testungen nach § 3 kein direkter Kontakt zu dieser laborbestätigt infizierten Person erforderlich, um umfangreiche Testungen in dieser Einrichtung zu veranlassen.

§ 4 Testungen zur Verhütung der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2

Testungen sind auch dann in Einrichtungen und Unternehmen, selbst wenn in diesen kein Coronavirus SARS-CoV-2 Fall vorliegt. Ausdrücklich geht es darum, dass bei einem Wechsel in eine neue Versorgungsform Testungen durchgeführt werden. Für in Pflegeeinrichtungen Beschäftigte, die die Pflege, Betreuung, Behandlung oder Unterstützung vulnerabler Personen übernehmen, besteht ebenfalls die Möglichkeit zur Testung.

§ 5 Umfang der Testungen

  • Personen, die Kontakt zu einer laborbestätigt infizierten Person hatten,
  • Personen, die z. B. in einer Einrichtung leben, in der ein laborbestätigt diagnostizierter Fall aufgetreten ist, sowie
  • Personen, die z. B. neu in einer stationären Pflegeeinrichtung aufgenommen werden,

haben Anspruch darauf, bis zu zwei Mal getestet zu werden.

Eine ausführliche Beschreibung und Auslegung der Verordnung findet man auch bei den Fachinfos des  Paritätischen Gesamtverbands.

Außerkrafttreten

Die Verordnung tritt mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Trageweite (§5 Abs. 1 Satz 2 IfSG) außer Kraft, ansonsten spätestens am 31.3.2021.

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, BMG, FOKUS-Sozialrecht

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Selbstbestimmungsgesetz

Am kommenden Freitag wird im Bundestag der Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes (SelbstBestG) beraten. Der Gesetzentwurf stammt von der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen.

Verfassungswidrig

Das Transsexuellengesetz ist mittlerweile 40 Jahre alt. Seitdem hat das Bundesverfassungsgericht einzelne Vorschriften des Gesetzes bereits sechs Mal für verfassungswidrig erklärt.

  • Beschluss vom 16. März 1982 – 1 BvR 983/81,
  • Beschluss vom 26. Januar 1993 – 1 BvL 38, 40, 43/92,
  • Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvL 3/03,
  • Beschluss vom 18. Juli 2006 – 1 BvL 1 und 12/04,
  • Beschluss vom 27. Mai 2008 – 1 BvL 10/05,
  • Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3295/07.

Auch weitere Vorschriften des TSG stehen verfassungsrechtlich in der Kritik, wie der psycho-pathologisierende Begutachtungszwang.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Oktober 2017 den Gesetzgeber dazu aufgefordert, bis Ende 2018 eine Neuregelung des Personenstandsrechts auf den Weg zu bringen, eine dritte Option beim Geschlechtseintrag einzuführen oder gänzlich auf einen Geschlechtseintrag zu verzichten (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2017, 1 BvR 2019/16). In seiner Urteilsbegründung wird die Selbstbestimmung als Persönlichkeitsrecht eines Menschen klar in den Vordergrund gestellt.

Änderung des Personenstandsgesetzes

Mit der Änderung des Personenstandsgesetzes zum 1. Januar 2019 hat der Deutsche Bundestag auf den Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes reagiert und eine dritte Option beim Geschlechtseintrag („divers“) geschaffen. Das beschlossene Gesetz wurde allerdings von den Verbänden und der Fachöffentlichkeit als ambitionslos und bevormundend kritisiert.

Geltende Regelung

Das noch geltende Transsexuellengesetz regelt, wie Menschen, die trans sind, in Deutschland ihren Vornamen und Geschlechts­eintrag in ihrer Geburts­urkunde und im Pass ändern können. Dazu ist ein Verfahren bei einem Amtsgericht erforderlich. Gerichte  bestellen zwei unabhängige Gutachter*innen. Die Gutachten sollen belegen, dass die antragstellende Person tatsächlich trans ist und, so will es das Gesetz, dass sich das Geschlecht der Person auch nicht mehr ändern wird.

Begutachtete Personen werden häufig gezwungen, sich auszuziehen, obwohl die Begutachtenden für eine anatomische Begutachtung weder bestellt noch qualifiziert sind. Häufig werden auch Fragen über Unterwäsche, sexuelle Orientierung, gemochte und praktizierte Sexualität oder sexuelle Phantasien gestellt.

Das ganze Verfahren ist durch die verpflichtenden Gutachten nicht nur aufwendig und bürokratisch, sondern auch sehr teuer. Laut Gesetz muss der Antragsteller oder die Antragstellerin sich dem anderen Geschlecht als zugehörig empfinden und seit „mindestens drei Jahren unter dem Zwang“ stehen, „ihren Vorstellungen entsprechend zu leben“ (§ 8 Transsexuellengesetz). Die weiteren Voraussetzungen des § 8, (Dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit, die äußeren Geschlechtsmerkmale verändernder operativer Eingriff) wurden vom BVerfG kassiert.

Operationen an Kindern

Des Weiteren werden in Deutschland an intergeschlechtlichen Kindern immer noch genitalverändernde Operationen vorgenommen, die medizinisch nicht not-wendig sind. Betroffene und ihre Verbände sowie nationale, europäische und internationale Organisationen kritisieren diese Praxis seit Jahren und fordern die Einführung eines Verbots genitalverändernder Operationen im Kindesalter.

Inhalt des Gesetzentwurfs

Das Transsexuellengesetz wird durch das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Im § 45b des Personenstandsgesetzes wird im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts klargestellt, dass alle Menschen eine Erklärung zur Geschlechtsangabe und Vornamensführung bei einem Standesamt abgeben können.

Zudem

  • verbietet das Selbstbestimmungsgesetz genitalverändernde chirurgische Eingriffe bei Kindern,
  • statuiert einen Anspruch auf Achtung des Selbstbestimmungsrechts bei Gesundheitsleistungen,
  • konkretisiert das Offenbarungsverbot und sanktioniert die Verstöße dagegen,
  • verpflichtet Bund, Länder und Kommunen zum Ausbau der bisherigen Beratungsangebote und
  • führt eine Regelung für trans- und intergeschlechtliche Eltern ein.

Somit wird dem Selbstbestimmungsrecht und den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung getragen.

 

Quellen: https://allegutendinge.jetzt, Bundestageu-schwerbehinderung.eu

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Diskussionen um Hartz IV – Überblick

Turnusmäßig alle fünf Jahre, das nächste Mal also 2022, wird durch die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die alle fünf Jahre vom Statistischen Bundesamt durchgeführt wird, die Regelbedarfsermittlung für das SGB II und das SGB XII neu bestimmt. Die Debatte um Änderungen am System der Grundsicherung oder gar dessen Abschaffung findet derzeit über alle Parteigrenzen hinweg. Nicht nur wegen der besonderen Erfordernisse während der Corona-Pandemie, werden von den Sozialverbänden, Gewerkschaften und Betroffenen massive Aufstockungen bis hin zum Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert.

Regelsätze zu niedrig

Der Partätische Gesamtverband veröffentlichte das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage. Danach gehen 80 Prozent der Bevölkerung nicht davon aus, dass die in Hartz IV und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vorgesehenen Regelsätze ausreichen, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Der Betrag, der im Durchschnitt zur Deckung des täglichen Lebensunterhalts eines Erwachsenen (ohne Wohnkosten) als nötig erachtet wird, liegt mit 728 Euro pro Monat um fast 70 Prozent über dem, was einem alleinlebenden Grundsicherungsbezieher derzeit tatsächlich regierungsamtlich zugestanden wird (432 Euro).

Anpassung der Hinzuverdienstregeln

Der Bundesrat setzt sich für attraktivere Hinzuverdienstmöglichkeiten von Hartz IV-Empfängerinnen und Empfänger ein. In einer am 5. Juni 2020 gefassten Entschließung plädiert er dafür, die geltenden Regelungen anzupassen, damit sich eine Beschäftigung für die Betroffenen mehr auszahlt.

Konkret fordert die Länderkammer, die Einkommensanrechnung so zu ändern, dass die Motivation steigt, eine existenzsichernde Beschäftigung aufzunehmen. Wegen der hohen Transferentzugsrate führe das derzeitige System dazu, dass die Beschäftigten im Niedriglohnsektor verharrten. Faktisch finanziere der Staat auf diese Weise mittelbar den Niedriglohnsektor. Tatsächlich müsse es aber darum gehen, dass die Betroffen motiviert werden, ihren Lebensunterhalt unabhängig von Transferleistungen zu bestreiten.

Zu Begründung der Entschließung verweist der Bundesrat auf Zahlen des Münchner-Ifo-Instituts, die die bremsende Wirkung der geltenden Hinzuverdienstregelungen belegen. Danach wird der Verdienst oberhalb eines Freibetrages von 100 Euro bis zur Grenze von 1000 Euro zu 80 Prozent auf die Hartz-IV-Leistung angerechnet. Bei einem Erwerbseinkommen zwischen 1000 und 1200 Euro gilt eine Anrechnungsquote von 90 Prozent. Laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit bezogen im vergangenen Jahr über eine Million Menschen Hartz-IV und gingen einer Beschäftigung nach.

Erwerbszuschuss

Schon Ende 2018 veröffentlichte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) einen Vorschlag zur Einführung eines Erwerbszuschusses.

Der Reformvorschlag sieht eine umfassende Neugestaltung des Transfersystems vor. Demnach würde ein Erwerbszuschuss eingeführt, der sich bei der Bedürftigkeitsprüfung und der Transferhöhe weitestgehend an den Bedingungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende orientiert. Für Erwerbstätige ab einem bestimmten Erwerbseinkommen würde er Grundsicherung, Wohngeld und Kinderzuschlag ersetzen, aber weiterhin im Bereich der Grundsicherung administriert werden.

Der Transfer zielt darauf ab, mehr Anreize für eine Erwerbstätigkeit mit höheren Wochenarbeitszeiten zu schaffen. Dazu würden die Hinzuverdienstmöglichkeiten in der Grundsicherung bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen eingeschränkt. Im Gegenzug würde die Transferentzugsrate bei Verdiensten oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze oder bei Bezug des Erwerbzuschusses großzügiger ausgestaltet als bisher.

Konkret ist eine Reduzierung des bisherigen Freibetrags von 100 auf 50 Euro und eine Transferentzugsrate von 90 Prozent für Einkommen größer als 50 und kleiner als 450 Euro (bisher 80 Prozent ab 100 Euro) in der Grundsicherung vorgesehen. Ab einem Bruttoeinkommen von mehr als 450 Euro würde die Transferentzugsrate hingegen nur noch 60 Prozent (bisher 80 bis 90 Prozent) betragen. Die Vollanrechnung (100 Prozent) des Hinzuverdienstes bei hohen Einkommen würde komplett abgeschafft.

Bedingungsloses Grundeinkommen

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein Einkommen für alle Menschen,

  • das Existenz sichernd ist und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht,
  • auf das ein individuellen Rechtsanspruch besteht,
  • das ohne Bedürftigkeitsprüfung und
  • ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen

garantiert wird.

Das Grundeinkommen soll dazu beitragen, Armut und soziale Notlagen zu beseitigen, den individuellen Freiheitsspielraum zu vergrößern sowie die Ent­wick­lungs­chancen jedes Einzelnen und die soziale und kulturelle Situation im Gemein­wesen nachhaltig zu verbessern.

Es gibt eine große Bandbreite über die Ausgestaltung und die Rahmenbedingungen eines BGE. Einen Überblick dazu bietet die Webseite Grundeinkommen.de.

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, Bundesrat, IAB, grundeinkommen.de

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Wie Herr Scheuer Seenotrettung verhindern will

Eine kleine Änderung in der Schiffssicherheitsverordnung, nämlich das Ersetzen des Begriffs „Freizeit“ durch den Begriff „Erholung“ hat weitreichende Folgen, die Menschenleben kosten kann.
Die dadurch entstehenden Änderungen der Sicherheitsanforderungen für zumindest ein Schiff der Hilfsorganisation „Mission Lifeline“ verhindert das Auslaufen des Schiffes „Rise Above“, das die Organisation Ende 2019 von der Bundeswehr gekauft hat. Man kann also der Bundesregierung nun nicht nur unterlassene Hilfeleistung im Mittelmeer vorwerfen, sondern aktive stattliche Verhinderung der Seenotrettung.

Der Hintergrund

Im April 2019 untersagte die „Berufsgenossenschaft Verkehr“ als zuständige Behörde das Auslaufen der „Mare Liberum“. Sie stützte ihr Verbot auf die vorgesehene Verwendung als Seenotrettungsschiff: Weil das Boot nicht für „Sport- und Freizeitzwecke“ eingesetzt werde, brauche es ein Schiffssicherheitszeugnis. Da Sicherheitszeugnisse nur für Schiffe zu beruflichen Zwecken erforderlich waren, aber nicht für Boote zu „Sport- und Freizeitzwecken“, konnten die Eigner keines vorweisen. Der Verein „Mare Liberum“ klagte gegen die Festhalteverfügung und bekam im September 2019 recht. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg entschied, „Freizeit“ könne „der Erholung von den Anstrengungen beruflicher oder sonstiger Verpflichtungen dienen, ist aber nicht darauf beschränkt. Sie erfasst zudem der persönlichen Entfaltung dienende kommunikative, kulturelle, politische und sportliche Tätigkeiten, was gemeinnützige und humanitäre Tätigkeiten ohne weiteres einschließt“ (OVG Hamburg, Beschluss vom 5.9.2019, 3 Bs 124/19, S.9f.). Das Oberverwaltungsgericht stellte also fest, dass Seenotrettungsmissionen auch mit Sportbooten und Kleinfahrzeugen ohne Sicherheitszeugnis zulässig sind.

In der Freizeit nur Erholung

Das zuständige Bundesverkehrsministerium ersetzte Anfang März in der Schiffssicherheitsverordnung die Formulierung „Sport- und Freizeitzwecke“ durch „Sport- und Erholungszwecke“ (Bundesgesetzblatt I 2020, 412). Daher müssen jetzt Boote, die zwar nicht beruflichen Zwecken, aber auch nicht Sport und Erholung dienen, nun doch ein Schiffssicherheitszeugnis vorlegen, weil nun andere Aktivitäten in der Freizeit, außer Erholung ausgeschlossen sind.

Daraufhin forderte Anfang April die „Berufsgenossenschaft Verkehr“ dem Verein Mission Lifeline ein Schiffssicherheitszeugnis nach dem auch für die Berufsschifffahrt geltenden Recht. Mission Lifeline hat ihr Schiff gerade für die Seeotrettung umgerüstet. Für das neue Sicherheitszeugnis bedarf es nun einer weiteren zeitaufwendigen und teuren Umrüstung.

Das Seeaufgabengesetz

Die Änderung der Schiffssicherheitsverordnung beruht auf der Ermächtigungsgrundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Seeaufgabengesetzes. Danach kann das Bundesverkehrsministerium „zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Seeverkehrs, zur Abwehr von Gefahren für die Meeresumwelt, zur Verhütung von der Seeschifffahrt ausgehender schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und zur Gewährleistung eines sicheren, effizienten und gefahrlosen Schiffsbetriebs“ Rechtsverordnungen über Sicherheitsanforderungen erlassen. Die Sicherheitsanforderungen dürfen aber nur der Abwehr von Gefahren für die Besatzung, für andere Schiffe oder die Meeresumwelt dienen. Andere Zwecke sind sachfremd und nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Daher ist klar: Das Verkehrsministerium darf Schiffe nicht strenger behandeln, nur weil sie zu humanitären Seenotrettungsmissionen verwendet werden.

Sind Rettungsschiffe generell gefährlicher als Sportboote?

Bisher ist nicht bekannt geworden, dass humanitäre Seenotrettungsboote Seeunfälle verursacht hätten. Der Einsatz der vom Rettungsschiff ablegenden Schlauchboote, die die in Seenot befindlichen Menschen in den seeuntauglichen Rubberboats aufnehmen, ist gefährlich für die Besatzung, nicht aber der Aufenthalt auf dem Rettungsschiff selbst. Das Leben der Geretteten und der Besatzung an Bord eines Rettungsschiffs kann durch Überfüllung gefährdet werden, wenn Malta und Italien ihre Häfen schließen. Das hat aber nichts mit der Schiffssicherheit zu tun.
Dass es Andreas Scheuer gerade um die Verhinderung von Seenotrettung überhaupt geht, beweist die ausdrückliche Einbeziehung bloßer Beobachtungsmissionen in die Neuregelung. Die Verwendung von Booten zu Sportzwecken ist keineswegs generell ungefährlicher. Motorbootrennen, Hochseeangeln oder Segelyachten sind für Besatzungen und andere Schiffe durchaus riskanter als umgebaute Fischkutter oder Torpedofangboote der Bundeswehr wie die „Rise Above“ von Mission Lifeline.

Sterben-Lassen als Flüchtlingspolitik

Während die EU im Rettungsgebiet vor der libyschen Küste ihre eigenen Schiffe zurückzieht, zieht Deutschland zu Hause alle Register, um private Rettungsmissionen mit rechtlichen Tricks zu verhindern.

Laut „Seebrücke„, eine weitere internationale Bewegung zur Rettung Schiffbrüchiger, sind auch die Schiffe von Mare Liberum und Resqship betroffen.
Seebrücke verurteilt dieses offensichtlich politische Manöver und fordert, dass Minister Scheuer sofort dafür sorgt, dass diese Verordnungen zurückgenommen werden und die Hilfsorganisationen ohne Verfolgung und Schikane ihrer lebensrettenden Arbeit nachgehen können.

Quellen: Rechtsanwalt Johannes Lichdi auf Mission Lifeline, Seebrücke

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Gerade ist dazu auch ein Bericht im Spiegel erschienen.

Sonderregelungen bei Verordnung von Arzneimitteln und ambulanten SGB V-Leistungen

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat im Zusammenhang mit der Pandemie mit SARS-CoV-2 Ende März 2020 zeitlich befristete Sonderregelungen getroffen. Diese wurden Ende Mai 2020 zum großen Teil bis zum 30. Juni verlängert.

Die weiterhin befristet geltenden Sonderregelungen oder deren Aufhebung betreffen folgende Richtlinien bzw. Regelungen:

Verordnung von Arzneimitteln

Das Ausstellen einer neuen Verordnung von Arzneimitteln durch Arztpraxen ist weiterhin, befristet bis zum 30. Juni 2020, nach telefonischer Anamnese möglich, sofern die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt sich nach persönlicher ärztlicher Einschätzung vom Zustand der oder des Versicherten durch eingehende Befragung überzeugen kann. Dabei kann das Arzneimittelrezept auch postalisch übermittelt werden.

Für die Verordnungsmöglichkeiten von Krankenhäusern bei der Entlassung einer Patientin oder eines Patienten gelten weiterhin die flexibilisierten Regelungen, solange die epidemische Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag festgestellt ist.

Verordnung von ambulanten Leistungen durch Krankenhäuser einschließlich der Feststellung von Arbeitsunfähigkeit

Krankenhausärztinnen und -ärzte können im Rahmen des sogenannten Entlassmanagements weiterhin nicht nur für eine Dauer von bis zu 7 Tagen, sondern bis zu 14 Tagen nach Entlassung aus dem Krankenhaus häusliche Krankenpflege, Spezialisierte ambulante Palliativversorgung, Soziotherapie, Heil- und Hilfsmittel verordnen sowie eine Arbeitsunfähigkeit feststellen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn das zusätzliche Aufsuchen einer Arztpraxis vermieden werden soll und solange die epidemische Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag festgestellt ist.

Fristenregelungen und Vorgaben bei der Verordnung ambulanter Leistungen

Die Richtlinien des G-BA enthalten Fristen zur Gültigkeit von Verordnungen oder Angaben dazu, bis wann eine Verordnung zur Genehmigung bei der Krankenkasse vorgelegt werden muss. In folgenden Bereichen haben sich die Fristen oder Vorgaben verlängert oder wurden ganz ausgesetzt:

Die Vorgaben, in welchem Zeitraum Verordnungen von Heil- und Hilfsmitteln ihre Gültigkeit verlieren, bleiben vorübergehend ausgesetzt.

Im Bereich der häuslichen Krankenpflege können weiterhin, befristet bis zum 30. Juni 2020, Folgeverordnungen für bis zu 14 Tage rückwirkend verordnet werden, wenn aufgrund der Ausbreitung von COVID-19 eine vorherige Verordnung durch die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt zur Sicherung einer Anschlussversorgung nicht möglich war. Auch die Begründung der Notwendigkeit bei einer längerfristigen Folgeverordnung von häuslicher Krankenpflege und die 3-Tages-Frist zur Ausstellung der Folgeverordnung bleiben ausgesetzt.

Zusätzlich bestehen bleibt bis 30. Juni 2020 die Regelung, dass die Frist zur Vorlage von Verordnungen häuslicher Krankenpflege bei der Krankenkasse von 3 Tage auf 10 Tage verlängert wird. Dies gilt auch für Verordnungen der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung sowie der Soziotherapie.

Nicht verlängert wird die Aussetzung der Beschränkung der Dauer der Erstverordnung von häuslicher Krankenpflege auf im Regelfall bis zu 14 Tage. Sie läuft zum 31. Mai 2020 aus.

Folgeverordnung von ambulanten Leistungen auch nach telefonischer Anamnese möglich

Ärztinnen und Ärzte können Folgeverordnungen auch nach telefonischer Anamnese für häusliche Krankenpflege, für zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel, Krankentransporte und Krankenfahrten sowie Heilmittel (letztere auch durch Zahnärztinnen und Zahnärzte) ausstellen. Voraussetzung ist, dass bereits zuvor aufgrund derselben Erkrankung eine unmittelbare persönliche Untersuchung durch die Ärztin oder den Arzt erfolgt ist. Die Verordnung kann dann postalisch an die Versicherte oder den Versicherten übermittelt werden.

Genehmigung von Verordnungen für Krankentransport

Krankentransportfahrten zu nicht aufschiebbaren zwingend notwendigen ambulanten Behandlungen von nachweislich an COVID-19-Erkrankten oder von Versicherten, die aufgrund einer behördlichen Anordnung unter Quarantäne stehen, bedürfen weiterhin nicht der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse.

Nicht verlängert wird die Erweiterung der Fristen für die Verordnung von Fahrten zu einer vor- oder nachstationären Behandlung. Sie lief zum 31. Mai 2020 aus.

Quellen: G-BA, FOKUS-Sozialrecht

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Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket

Am 3.6.2020 haben sich die Regierungsparteien auf ein Konjunkturpaket geeinigt, das auch in einigen Bereichen das Sozialleistungsrecht bzw. wichtige Bereiche der Sozialberatung betrifft. (Vereinbarung im Wortlaut) Dieses Konjunkturpaket muss noch in Gesetzesform gegossen werden – dies soll noch vor der parlamentarischen Sommerpause geschehen. Wichtige Neuerungen:

Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge
Durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie steigen die Ausgaben in allen Sozialversicherungen. Um eine dadurch bedingte Steigerung der Lohnnebenkosten zu verhindern, sollen die Sozialversicherungsbeiträge bei maximal 40 % stabilisiert werden. Darüber hinaus gehender Finanzbedarfe werden aus dem Bundeshaushalt jedenfalls bis zum Jahr 2021 („Sozialgarantie 2021“) gedeckt.

Kurzarbeitergeld
Vorlage einer „im Lichte der pandemischen Lage“ neuen, „verlässlichen“ Regelung für den Bezug von Kurzarbeitergeld ab dem 1.1.2021 schon im September 2020.

Grundsicherung für Arbeitsuchende
Verlängerung des vereinfachten Zugangs in die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bis zum 30.9.2020 (aktuell bis 30.6.2020). Dazu gehören die Regelungen aus dem ersten Sozialschutzpaket. Unter anderem die befristete Aussetzung der Berücksichtigung von Vermögen, die befristete Anerkennung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung als angemessen und Erleichterungen bei der Berücksichtigung von Einkommen in Fällen einer vorläufigen Entscheidung.

Kinderbonus
Einmaliger Kinderbonus von 300 Euro pro Kind für jedes kindergeldberechtigtes Kind; dieser Bonus wird mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag vergleichbar dem Kindergeld verrechnet. Er wird nicht auf die Grundsicherung angerechnet.

Entlastungsbetrag für Alleinerziehende
Anhebung des einkommensteuerrechtlichen Entlastungsbetrags für Alleinerziehende von derzeit 1.908 Euro auf 4.000 Euro für die Jahre 2020 und 2021 zur Kompensation des höheren Betreuungsaufwands in Zeiten von Corona. Voraussetzung ist, dass die alleinerziehende Person mit einem minderjährigen Kind in einem gemeinsamen Haushalt als Hauptwohnsitz lebt. In diesem Haushalt darf keine weitere Person leben, die sich an der Haushaltsführung beteiligt. Für jedes weitere Kind erhöht sich der Entlastungsbetrag wie bisher um weitere 240 Euro.

Prämie für Ausbildungsangebot
Prämienzahlung für ein Ausbildungsplatzangebot für kleine und mittlere Unternehmen in 2020: für jeden neu geschlossenen Ausbildungsvertrag eine einmalige Prämie in Höhe von 2.000 Euro, für zusätzlichen Ausbildungsverträge je 3.000 Euro (Auszahlung der Prämien nach Ende der Probezeit).

„Sozial und Mobil“
Für Soziale Dienste wird ein auf die Jahre 2020 und 2021 befristetes Flottenaustauschprogramm „Sozial & Mobil“ aufgelegt, um Elektromobilität im Stadtverkehr zu fördern und die gemeinnützigen Träger bei der Flottenumrüstung zu unterstützen.

Überbrückungshilfen bei Umsatzausfall
Zur Sicherung der Existenz von kleinen und mittelständischen Unternehmen wird für Corona-bedingten Umsatzausfall ein Programm für Überbrückungshilfen aufgelegt. Das Volumen des Programms wird auf maximal 25 Mrd. Euro festgelegt. Die Überbrückungshilfe wird für die Monate Juni bis August gewährt. Angesprochen sind hier unter anderem als Sozialunternehmen geführte Übernachtungsstätten wie Jugendherbergen, Schullandheime, Träger von Jugendeinrichtungen des internationalen Jugendaustauschs und  Einrichtungen der Behindertenhilfe.

Antragsberechtigt sind Unternehmen, deren Umsätze Corona-bedingt in April und Mai 2020 um mindestens 60 % gegenüber April und Mai 2019 rückgängig gewesen sind und deren Umsatzrückgänge in den Monaten Juni bis August 2020 um mindestens 50 % fortdauern.
Bei Unternehmen, die nach April 2019 gegründet worden sind, sind die Monate November und Dezember 2019 heranzuziehen. Erstattet werden bis zu 50 % der fixen Betriebskosten bei einem Umsatzrückgang von mindestens 50 % gegenüber Vorjahresmonat. Bei einem Umsatzrückgang von mehr als 70 % können bis zu 80 % der fixen Betriebskosten erstattet werden. Der maximale Erstattungsbetrag beträgt 150.000 Euro für drei Monate. Bei Unternehmen bis zu fünf Beschäftigten soll der Erstattungsbetrag 9.000 Euro, bei Unternehmen bis 10 Beschäftigten 15.000 Euro nur in begründeten Ausnahmefällen übersteigen.

Geltend gemachte Umsatzrückgänge und fixe Betriebskosten sind durch einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer in geeigneter Weise zu prüfen und zu bestätigen. Überzahlungen sind zu erstatten.

Die Antragsfristen enden jeweils spätestens am 31.8.2020 und die Auszahlungsfristen am 30.11.2020.

Quelle: Bundesregierung

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SGB IV: Modernisierung der gemeinsamen sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben

Das Vierte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) kommt in der alltäglichen Berichterstattung über Sozialgesetzgebung, Sozialleistungen und Sozialrecht eher selten vor.

Dabei enthält es die gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung in Deutschland. Das SGB IV regelt neben dem Recht des Gesamtsozialversicherungsbeitrags sowie der Definitionen sozialversicherungsrechtlicher Grundbegriffe vor allem die Verfassung der Sozialversicherungsträger (Organisation, Sozialversicherungswahlen, Haushalts- und Rechnungswesen). Die Sozialversicherung ist ein Versicherungssystem, bei dem die versicherten Risiken (etwa Krankheit, Mutterschaft,  Pflegebedürftigkeit,  Arbeitsunfall, Berufskrankheit, Arbeitslosigkeit, Erwerbsminderung, Alter und Tod) gemeinsam von allen Versicherten getragen werden.

Nicht zum Regelungsbereich des SGB IV gehören die Teile des Sozialrechts, die nicht den Charakter einer Versicherung tragen, sondern als Leistungen staatlicher Fürsorge oder sozialer Hilfen bzw. Förderung aus Steuermitteln finanziert werden (etwa Sozialhilfe – SGB XII, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – SGB IX, Kinder- und Jugendhilfe – SGB VIII).

SGB IV – Änderung

Am 5. Juni soll der Bundesrat einer Änderung des SGB IV zustimmen. Mit dem Gesetz soll das Recht der Sozialversicherungen an Anforderungen aus der Praxis angepasst werden; Vorgaben der Rechtsprechung und Beschlüsse des Rechnungsprüfungsausschusses werden ebenfalls umgesetzt. Schließlich sollen die Möglichkeiten der Digitalisierung auch in diesem Bereich stärker genutzt
werden.

Wesentliche Änderungen sind:

  • Verbesserung der bestehenden Verfahren in der Sozialversicherung
    Neue Regelungen zum Datenaustausch und zur elektronischen Antragstellung beziehungsweise Übermittlung von Bescheinigungen sollen das Verfahren effizienter machen. Dabei soll die Übermittlung von Sozialdaten in weiteren Ausnahmefällen erleichtert und deren Zweckbindung gelockert werden. Die notwendige Beiladung mitbetroffener Sozialversicherungsträger in sozialgerichtlichen Verfahren wird in eine Beiladung auf Antrag umgewandelt.
  • Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts in der gesetzlichen Unfallversicherung
    Hierzu sollen der Unterlassungszwang entfallen und die Individualprävention gestärkt, der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten sowie Beweiserleichterungen rechtlich verankert werden. Darüber hinaus ist vorgesehen, die gesetzlichen Regeln zur rückwirkenden Anerkennung von Bestandsfällen und zur erhöhten Transparenz in der Berufskrankheitenforschung weiterzuentwickeln.
  • Schließen von Lücken im Leistungsrecht
    Dabei geht es um punktuelle Regelungen, wie zum Beispiel die Anerkennung von Beschäftigungszeiten bei internationalen Organisationen im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung, die Ausstellung eines Nachweises der Rentenberechtigung direkt mit Rentenbeginn und die Gewährung von Zuschlägen im Rahmen der Witwen- und Witwerrente für im Ausland erbrachte Erziehungszeiten.
  • Schließen des Dienstordnungsrechts
    Das Dienstordnungsrecht soll in seinem letzten Anwendungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung zu Anfang des Jahres 2023 geschlossen werden. Dabei handelt es sich um eine Sonderform der Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst, insbesondere im Bereich der Sozialversicherungsträger. Das Dienstverhältnis beruht auf einem privatrechtlichen Arbeitsvertrag, der durch eine Dienstordnung konkretisiert wird und sich in weiten Teilen (insbesondere hinsichtlich Vergütung und Alterssicherung) an den beamtenrechtlichen Bestimmungen orientiert.
  • Bessere Absicherung der Pensionskassen im Betriebsrentengesetz.
    Ab 2022 sollen auch von Firmen Pensionskassen durchgeführte Betriebsrenten unter den Schutz des Pensionssicherungsvereins gestellt werden; damit der Alterssicherungsanspruch auch bei einer Insolvenz der Pensionskasse gesichert bleibe.

Quelle: Bundesrat, Wikipedia

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