Verfahrenslotse

Mit dem Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen – KJSG vom 03.06.2021 (BGBl. I S. 1444) wurde zum 1.1.2024 der „Verfahrenslotse“ (§ 11b SGB VIII) eingeführt.

Was ist ein Verfahrenslotse?

Der Verfahrenslotse berät, unterstützt und begleitet junge Menschen im Alter von 0 bis 26 Jahren sowie deren Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigte bei

  • ersten auftretenden Schwierigkeiten durch eine potenzielle (drohende) Behinderung des Kindes,
  • der Antragstellung und Wahrnehmung von Leistungen der Eingliederungshilfe,
  • der Erschließung weiterer möglicher Hilfen und Ansprüche.

Die Beratung und Unterstützung durch den Verfahrenslotsen kann dabei sowohl vor der Beantragung möglicher Hilfen als auch während bereits gewährter bzw. laufender Hilfen in Anspruch genommen werden.

Eine weitere Aufgabe des Verfahrenslotse ist die Unterstützung der Kommunen bei der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen in ihre Zuständigkeit.

Rechtsanspruch und Kosten

Es besteht ein Rechtsanspruch auf eine unabhängige Beratung durch den Verfahrenslotsen. Das Beratungs- und Unterstützungsangebot des Verfahrenslotsen ist kostenfrei.

Überlegungen des Gesetzgebers zur Einführung eines Verfahrenslotsens

Junge Menschen mit (drohenden) Behinderungen und ihre Eltern oder Personensorge- und Erziehungsberechtigten stehen einem Sozialleistungssystem gegenüber, das durch eine Vielzahl von Leistungstatbeständen in unterschiedlichen Sozialgesetzen geprägt ist. Mit den im Bundesteilhabegesetzes (BTHG) getroffenen Regelungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Rehabilitationsträgern soll verhindert werden, dass Konflikte zwischen den Trägern der Kinder und Jugendhilfe und den Trägern der Eingliederungshilfe als Rehabilitationsträger bezüglich der Zuständigkeit für die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe zulasten der Betroffenen gehen.

schwierige Zuständigkeitsbestimmung

Wenn sich die Bedarfe des Kindes oder Jugendlichen nicht eindeutig einer bestimmten Behinderung zuordnen lassen oder gleichzeitig auch erzieherische Bedarfe vorliegen, ist eine Zuständigkeitsbestimmung schwierig. Eine Orientierung in dem nach unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen gegliederten, komplexen Sozialleistungssystem stellt daher für Kinder und Jugendliche mit (drohenden) Behinderungen und ihre Familien, die ohnehin im Alltag große Herausforderungen zu bewältigen haben, eine zusätzliche Belastung dar, bei deren Bewältigung sie eines Unterstützungsangebots im Hinblick auf die Geltendmachung ihrer Rechte bzw. Leistungsansprüche und damit ihren Zugang zur Leistungsgewährung bedürfen.

Vertrauensprobleme und Schwellenängste

Leistungsberechtigte haben oftmals Schwierigkeiten, im gegliederten Sozialleistungssystem die richtige Behörde zu finden. Es besteht bereits eine Vielzahl gesetzlicher und untergesetzlicher Regelungen zur Lösung dieser Zuständigkeits- und Kompetenzkonflikte. Aus der Perspektive der Leistungsberechtigten sind diese aber oftmals schwer nachzuvollziehen. Ferner stehen auch Akzeptanz- und Vertrauensprobleme sowie Schwellenängste einer wirksamen Vermittlung von Leistungen entgegen.

Hürden überwinden

Durch die Etablierung der Funktion des Verfahrenslotsen zur Begleitung und Unterstützung bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen der Eingliederungshilfe sollen diese Hürden überwunden und junge Menschen mit (drohenden) Behinderungen und ihre Familien, die dieses Angebot der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch nehmen wollen, deutlich entlastet werden.

Erweiterter Beratungsanspruch

Der Anspruch auf einen Verfahrenslotsen erweitert den Beratungsanspruch nach § 10a Abs. 1 und Abs. 2 SGB VIII und nimmt auf die fachlichen und verfahrensrechtlichen Herausforderungen aus dem Bereich der Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX und § 35a SGB VIII besondere Rücksicht. Zugleich wird durch dessen Etablierung die Bedeutung und Verantwortlichkeit des örtlichen Trägers der Jugendhilfe für die Einleitung des Veränderungsprozesses hin zur sogenannten „Inklusiven Lösung“ herausgestellt und durch personelle Ressourcen unterstützt.

spezifische Adressatgruppe

Der Verfahrenslotse ist in Abgrenzung zu Beratungsangeboten anderer Sozialleistungssysteme explizit auf die Perspektive der Bedarfslagen von Kindern und Jugendlichen spezialisiert. Inhaltlich unterscheidet er sich somit von bestehenden Angeboten durch die spezifische Ausrichtung auf die Adressatengruppe „junge Menschen mit Behinderungen und ihre Familien“. Zudem ist es die Aufgabe des Lotsen, diese Adressatengruppe durch das gesamte Verfahren – vom Antrag bis zum Abschluss der Leistungsgewährung – zu begleiten und damit eine zeitnahe und auf den individuellen Bedarf abgestimmte Leistungsgewährung zu begünstigen. Eine solche Begleitung ist bisher nicht vorgesehen. Der Verfahrenslotse wird auf Wunsch der Leistungsberechtigten tätig. Gesetzliche Beratungs- und Unterstützungspflichten der Sozialleistungsträger bleiben unberührt.

Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz

Mit dem geplanten Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz soll die Funktion des Verfahrenslotsen auf Leistungen zur Teilhabe im Sinne von § 4 SGB IX insgesamt bezogen werden. Auch die Umterstützungsfunktion des Verfahrenslotsen für die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe wird bestärkt: Er soll die Weiterentwicklung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe auf örtlicher Ebene insbesondere im Rahmen der Jugendhilfeplanung in Bezug auf die Gestaltung der Infrastruktur und Angebote vor Ort unterstützen.

Quellen: SOLEX, Stadt Wesseling, FOKUS-Sozialrecht, Bundestag

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Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz

Am 16.09.2024 wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) der Referentenentwurf zum Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz (IKJHG) veröffentlicht.

SGB VIII

Das Achte Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) richtet sich an alle jungen Menschen ausgehend von einem umfassenden Verständnis von Kinder- und Jugendhilfe. Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe ist es, zur Verwirklichung des Rechts eines jeden jungen Menschen auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit beizutragen (vgl. § 1 Absatz 1 SGB VIII). Sie ist damit das primär für ein gedeihliches Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen verantwortliche Sozialleistungssystem.

Anforderungen der UN-BRK

Mit Blick auf Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sind für die Umsetzung dieser Zielsetzung insbesondere die rechtlichen Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention an eine inklusive Gesellschaft und damit auch an ein inklusives Sozialleistungssystem maßgeblich. Die UN-BRK verlangt, alle staatlichen Maßnahmen an einer Inklusionsperspektive auszurichten, die keine Aussonderung akzeptiert.

Drei-Stufen-Plan zur Inklusion

Mit der Reform des SGB VIII, also der Kinder- und Jugenhilfe, sollen bis 2028 die Zuständigkeiten der Leistungen für junge Menschen mit Behinderungen unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII zusammengeführt werden. Dies wird als „Inklusive Lösung“ bezeichnet. (Siehe auch Beitrag vom 31. August 2021)

Wesentlicher Inhalt

Der jetzige Gesetzentwurf stellt die dritte Stufe des „Inklusionsplans“ dar und sieht im Wesentlichen Änderungen und Regelungen zu folgenden Punkten vor:

Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe

Der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung und der Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen werden als Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe zusammengeführt.

Verfahrenslotse

Durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) werden die Zuständigkeiten und die Regelungen zur Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit und ohne Behinderung in der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII 1) zusammengeführt. Seit dem 01.01.2024 wurde mit der zweiten Stufe des KJSG der Verfahrenslotse im § 10b SGB VIII eingeführt. Der Verfahrenslotse stellt die Schnittstelle zwischen Leistungsberechtigten und Leistungserbringer dar und soll beide im Sinne des KJSG unterstützen.

Die Expertise des Verfahrenslotsen soll weiterhin nutzbar gemacht werden, um
junge Menschen mit Behinderungen im Hinblick auf ihren Zugang zur Leistungsgewährung zu unterstützen.

Leistungserbringung

Der Anspruch auf Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe (§ 75 Absatz 2
SGB VIII), die Voraussetzung für eine auf Dauer angelegte Förderung ist, wird auf
juristische Personen und Personenvereinigungen erweitert, die mindestens drei
Jahre auf dem Gebiet der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen
mit Behinderungen tätig sind.

Regelung der Kostenheranziehung in einem inklusiven SGB VIII

Es werden einheitliche Regelungen zur Kostenheranziehung zu Leistungen im inklusiven SGB VIII getroffen. Diesen liegt als Prämisse zugrunde, dass Familien, deren Kinder sich über Tag oder über Tag und Nacht in einer Einrichtung oder Pflegefamilie aufhalten bzw. untergebracht sind, in einem bestimmten Umfang die Kosten für den Lebensunterhalt einsparen. Hieran orientiert sich die Höhe der Kostenbeiträge neben der Höhe des Einkommens der Eltern(-teile).

Ambulante Dienstleistungen werden demgegenüber ausnahmslos kostenbeitragsfrei gestellt, um die Teilhabe von jungen Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Nur bei bestimmten Sach-/ oder Geldleistungen soll ein Eigenanteil geleistet werden.

Gerichtsbarkeit

Für Angelegenheiten, die Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen
mit Behinderungen betreffen, wird der Rechtsweg an die Sozialgerichte eröffnet.

Stellungnahmen erwartet

Das BMFSFJ erwartet bis zum 2. Oktober Stellungnahmen zu dem Gesetzentwurf von den Fachverbänden.

Quelle: BMFSFJ, wikipedia, FOKUS-Sozialrecht

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Bundestag beschließt Berufsbildungsvalidierungs- und digitalisierungsgesetz (BVaDiG)

Inhalt des Gesetzes

Die Bundesregierung hat den Bundestag heute abschließend über das „Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz (BVaDiG) beraten lassen. Das Gesetz enthält unterschiedlichste Regelungen: Neben der Feststellung der individuellen beruflichen Handlungsfähigkeit unabhängig von einem formalen Berufsausbildungsabschluss (Validierung) und der Einführung von digitalen Dokumenten und Verfahren in der beruflichen Bildung (Digitalisierung) enthält der Gesetzesentwurf auch Regelungen zur Inklusion von Menschen mit Behinderung, zur Teilzeitausbildung und zum digitalen mobilen Ausbilden. Von den Änderungen betroffen sind das Berufsbildungsgesetz, das Registermodernisierungsgesetz, die Handwerksordnung und das Jugendarbeitsschutzgesetz.

Validierung der individuellen beruflichen Handlungsfähigkeit

Die „Validierung der individuellen beruflichen Handlungsfähigkeit“ bezieht sich auf ein Verfahren, bei dem die beruflichen Kompetenzen einer Person, die unabhängig von einem formalen Berufsausbildungsabschluss erworben wurden, festgestellt und bescheinigt werden. Dieses Verfahren ermöglicht es, die individuelle berufliche Handlungsfähigkeit einer Person zu dokumentieren und mit den Anforderungen eines bestimmten Berufs zu vergleichen. Durch die Validierung können berufliche Kompetenzen sichtbar gemacht und anerkannt werden, auch wenn sie nicht durch eine formale Ausbildung erworben wurden. Mit diesem Gesetz öffnet sich schließlich auch für solche Personen, die auf alternativen Wegen ihre Fähigkeiten erworben haben, der Zugang zu Weiter- und Fortbildung.

Inklusion von Menschen mit Behinderung

Der geplante neue § 50d BBiG regelt spezielle Regeln für Menschen mit Behinderungen, die Schwierigkeiten haben, ihre beruflichen Fähigkeiten vollständig nachzuweisen. Diese Regeln sollen sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen trotz ihrer Einschränkungen fair behandelt werden. Es wird anerkannt, dass ihre Fähigkeiten möglicherweise nicht genau mit den Anforderungen eines bestimmten Berufs übereinstimmen, aber dennoch ihre individuellen Stärken und Fähigkeiten berücksichtigt werden. Es gibt auch klare Anweisungen, wie ihre Fähigkeiten bewertet werden sollen, auch wenn sie spezielle Unterstützung oder spezielle Arbeitsplätze benötigen. Diese Regeln sollen sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Chancen haben, ihre beruflichen Fähigkeiten zu zeigen und erfolgreich in ihrem Beruf zu sein. So soll beispielsweise die individuelle berufliche Handlungsfähigkeit am Maßstab eines Referenzberufs auch dann festgestellt und bescheinigt werden, wenn sie nicht vollständig vergleichbar mit der für den Referenzberuf erforderlichen Handlungsfähigkeit ist.

Teilzeitausbildungen

Im Gesetzentwurf werden verschiedene Änderungen bezüglich der Teilzeitausbildung vorgeschlagen, um die Flexibilität und Attraktivität dieses Ausbildungsmodells zu erhöhen. Beispielsweise soll ein Kürzungsmechanismus eingeführt werden, der es ermöglicht, die Ausbildungsdauer für Teilzeitauszubildende zu verkürzen, insbesondere für leistungsstarke Auszubildende mit bestimmten Qualifikationen oder Verpflichtungen wie einem dualen Studium oder Familien- bzw. Pflegeaufgaben. Auch soll eine automatische Verlängerung der Ausbildungsdauer möglich sein, wenn dies aufgrund der reduzierten wöchentlichen Arbeitszeit nötig ist. Auch soll ein effizienterer Ausbildungs- und Prüfungsablauf ermöglicht werden.

Neue Regelungen zur Digitalisierung

Im Gesetzentwurf BVaDiG werden verschiedene Neuerungen im Bereich der Digitalisierung in der beruflichen Bildung vorgeschlagen. Darunter die praxisgerechte digitale Abfassung von Ausbildungsverträgen, die Einführung medienbruchfreier digitaler Prozesse, Ermöglichung digitaler Dokumente und Verfahren und neue Rahmenbedingungen zum digitalen mobilen Ausbilden.

Digitales mobiles Ausbilden

Beim digitalen mobilen Ausbilden werden Ausbildungsinhalte ohne gleichzeitige Anwesenheit von Lehrlingen (Auszubildenden) und Ausbildern am gleichen Ort vermittelt. Laut Gesetzentwurf sollen dafür geeignete Informationsmittel, Orte, Inhalte und Qualitätsstandards festgelegt werden.

So geht’s weiter

Die meisten Regelungen zum Feststellungsverfahren sollen ab dem 1. Januar 2025 gelten. Um die Umsetzung zu erleichtern, kann die dem Verfahren zugrundeliegende Verordnung bereits zum 01. August 2024 in Kraft treten. Bisher sind 16 Berufe von der Validierung betroffen, etwa 300 weitere würden dafür in Frage kommen. Das Gesetz wird nun dem Bundesrat zur Abstimmung vorgelegt. Ein Inkrafttreten des Gesetztes ab ersten August ist auch bei einer Annahme des Gesetztes durch den Bundesrat wohl eher unwahrscheinlich.

Quellen: bundestag.de (176. Sitzung des Bundestages), Gesetzentwurf eines Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetzes (BVaDiG), bmbf.de (Bundesministerium für Bildung und Forschung). 

WfbM, Entgelt, Alternativen

Eine Studie zum Entgelt und zu Alternativen in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen zeigt, dass eine Reform zur Gleichstellung dringend nötig ist.

Weit unter Mindestlohn

Die schlechte Bezahlung weit unter dem Mindestlohn und die geringe Vermittlungsquote von behinderten Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch Werkstätten für behinderte Menschen wird schon seit vielen Jahren kritisiert. Eine aktuell vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlichte Studie zeigt nach Ansicht des Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter NETZWERK ARTIKEL 3 den dringenden Handlungsbedarf in diesem Bereich. „Im Jahr 2021 betrug das Durchschnittsentgelt in Werkstätten für behinderte Menschen gerade einmal 226 Euro pro Monat. Zudem kommen die Werkstätten ihrem Vermittlungsauftrag auf den allgemeinen Arbeitsmarkt so gut wie nicht nach. 2019 wurden von den ca. 300.000 Werkstattbeschäftigten gerade einmal 0,35 Prozent auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt“, kritisiert Prof. Dr. Sigrid Arnade vom Vorstand des NETZWERK ARTIKEL 3.

Forderung: Reform in Richtung Inklusion

„Schaut man sich die Studie einmal genauer an, so wird deutlich, dass 49 Prozent der Beschäftigten in Werkstätten 2021 sogar weniger als 150 Euro pro Monat für ihre Arbeit bekamen. In Verbindung mit den geringen Vermittlungsquoten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist dies ein Skandal, zumal jährlich ca. fünf Milliarden Euro aus öffentlichen Geldern in das System der Werkstätten für behinderte Menschen an Zuschüssen gezahlt werden. Dieses Geld kann viel besser im Sinne eines inklusiven Arbeitsmarktes, wie zum Beispiel durch die Förderung von Budgets für Arbeit bei regulären Arbeitgebern, eingesetzt werden. Daher fordern wir die Bundes- und Landesregierungen auf, endlich die Weichen für die Beschäftigung behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu stellen und das bestehende System grundlegend in Richtung Inklusion zu reformieren“, erklärte Prof. Dr. Sigrid Arnade.

Transparenzpflicht

Vor allem müsse aber endlich eine Transparenzpflicht für alle Werkstätten für behinderte Menschen eingeführt werden, so dass diese ihre Jahresabschlüsse, das gezahlte Durchschnittsentgelt für behinderte Beschäftigte, die Vergütung von Geschäftsführung und Betreuungspersonen sowie die Vermittlungsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in einer verständlichen Form veröffentlichen müssen. „Ärgerlich ist, dass nur 42 Prozent der Werkstattleitungen an der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebenen Befragung mitgewirkt haben. Das zeigt, dass vielen Werkstattleitungen die Entlohnung ihrer behinderten Beschäftigten und mögliche Alternativen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anscheinend nicht so wichtig sind,“ kritisiert Prof. Dr. Sigrid Arnade.

Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

Rückenwind für eine ernstzunehmende Reform erwartet das NETZWERK ARTIKEL 3 u.a. von den Abschließenden Bemerkungen des Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zur Staatenprüfung Deutschlands in Sachen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. In dem Dokument, das am 8. September 2023 veröffentlicht wurde, zeigt sich der Ausschuss u.a. besorgt über die hohe Zahl behinderter Menschen, die in Deutschland in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten und die geringe Vermittlungsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Ausschuss schlägt daher die Entwicklung eines Aktionsplans zur Vermittlung behinderter Menschen von Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt mit einem konkreten Zeitplan, entsprechenden Ressourcen und der konsequenten Partizipation von Organisationen von Menschen mit Behinderungen vor.

Quelle: Pressemitteilung des NETZWERK ARTIKEL 3 – Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V. vom 14.09.2023, BMAS, United Nations, FOKUS-Sozialrecht

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Umsetzung der UN-Behinderten­rechts­konvention

Die UN-Behindertenrechtskonvention stellt verfahrensmäßige Anforderungen an die Umsetzung auf der innerstaatlichen Ebene. Drei verschiedene innerstaatliche Stellen sollen nach Artikel 33 der UN-BRK für eine Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sorgen:

  • die Staatliche Anlaufstelle (Focal Point) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
  • die Unabhängige Stelle (Monitoring-Stelle): Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) und
  • die Staatliche Koordinierungsstelle: Sie ist bei der/dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen angesiedelt.

Anhörung zum Stand der Umsetzung

Am 29. und 30. August 2023 fand in Genf vor dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Fachausschuss) die Anhörung zum Stand der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland statt.

Vorreiter Deutschland?

In der Anhörung sei deutlich geworden, so das BMAS in einer Presseerklärung, dass Deutschland seit der letzten Staatenprüfung 2015 viel auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft erreicht hat. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wurde ausdrücklich für das besondere Engagement bei der Umsetzung der UN-BRK gelobt. Zudem wurde mehrfach die Vorreiterrolle Deutschlands unter den Vertragsstaaten angesprochen, insbesondere bei Menschenrechten und Diversität.

Menschenrechte jetzt!

Am 20. Juli 2023 hat die Monitoring-Stelle ihren Parallelbericht auf Englisch beim Ausschuss eingereicht. Die deutschen Versionen des Parallelberichts in schwerer und Leichter sowie Gebärdensprache wurden am 15. August 2023 veröffentlicht. „Menschenrechte jetzt!“ lautet der Titel des Parallelberichts eines Bündnisses deutscher Nichtregierungsorganisationen. Dem Bündnis gehören 37 Organisationen an, koordiniert vom Deutschen Behindertenrat (DBR).

Exklusion statt Inklusion

Die Hauptkritik des Bündnisses: Deutschland ist noch weit von einer umfassenden Umsetzung der UN-BRK entfernt. Nach wie vor ist Exklusion statt Inklusion für behinderte Menschen an der Tagesordnung. Zudem werden private Anbieter von Waren und Dienstleistungen immer noch nicht durchgehend zur Barrierefreiheit und zu angemessenen Vorkehrungen verpflichtet; an einer umfassenden Gewaltschutzstrategie zum Schutz von behinderten Mädchen und Frauen fehlt es ebenso, und selbst die schon lange geforderten Partizipationsstandards sind nicht in Sicht.

Quellen: BMAS, Kobinet, Deutscher Behindertenrat, Behindertenbeauftragter, Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR)

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Inklusiver Arbeitsmarkt im Bundesrat

Der Bundestag hat beschlossen, den inklusiven Arbeitsmarkt stärker zu fördern. Ausführlich hatten wir im Januar über den Entwurf berichtet Der Bundesrat stimmt am 12. Mai 2023 über die Änderungen im Sozialrecht ab. Sie bedürfen der Zustimmung der Länderkammer, um in Kraft treten zu können.

Das Gesetz zielt darauf ab, mehr Menschen mit Behinderungen in reguläre Arbeit zu bringen, mehr Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Arbeit zu halten und zielgenauere Unterstützung für Menschen mit Schwerbehinderung zu ermöglichen.

Höhere Ausgleichsabgabe

Dies soll unter anderem durch die Erhöhung der Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber erreicht werden, die trotz Beschäftigungspflicht keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Für kleinere Arbeitgeber sind wie bisher Sonderregelungen vorgesehen.

Schon bislang müssen Arbeitgeber auf wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Diese Regelung gilt für Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen. Für jeden nicht mit einem schwerbehinderten Menschen besetzten Pflichtarbeitsplatz wird eine Ausgleichsabgabe fällig: 140 Euro bei einer Beschäftigungsquote von 3 bis 5 Prozent, 245 Euro bei einer Beschäftigungsquote von 2 bis weniger als 3 Prozent und 360 Euro bei einer Beschäftigungsquote von weniger als 2 Prozent. Das Gesetz sieht eine neue vierte Staffel vor: Liegt die Beschäftigungsquote bei 0 Prozent, sind 720 Euro zu zahlen.

Zu viele Arbeitgeber beschäftigten keine Schwerbehinderten

Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass noch immer etwa 45.000 beschäftigungspflichtige Arbeitgeber – rund ein Viertel – keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigten. Diese Arbeitgeber sollen eine höhere Ausgleichsabgabe zahlen als diejenigen Arbeitgeber, die wenigstens in geringem Maße schwerbehinderte Menschen beschäftigen.

Weitere Neuerungen

Die Mittel aus der Ausgleichsabgabe sollen sich künftig auf die Förderung der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt konzentrieren.

Für Anspruchsleistungen des Integrationsamtes wird eine Genehmigungsfiktion nach sechs Wochen eingeführt, um die Bewilligungsverfahren zu beschleunigen.

Die Deckelung für den Lohnkostenzuschuss beim Budget für Arbeit wird aufgehoben, dadurch soll sichergestellt werden, dass auch nach Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro bundesweit der maximale Lohnkostenzuschuss – soweit nach den Umständen des Einzelfalls erforderlich – gewährt werden kann.

Außerdem richtet das Gesetz den Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizinische Begutachtung neu aus.

Quelle: Bundesrat

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Inklusion einfach machen

Seit 15. März 2023 bietet Aktion Mensch ein Förderprogramm für inklusive Projekte an („Inklusion einfach machen“). Es handelt sich um eine Neuauflage eines zwischen Mai 2018 und Mai 2020 schon einmal angebotenen Förderprogramms. Es zeichnet sich vor allem durch attraktive Konditionen wie etwa einen geringen Eigenanteil aus.

Ziele

Ziel ist es

  • weitere Chancen für inklusive Begegnungen zu schaffen und damit Inklusion erfahr- und erlebbar zu machen,
  • kommunikative und bauliche Barrieren sichtbar zu machen und abzubauen,
  • Empowerment von Menschen mit Behinderungen zu fördern,
  • Selbstbestimmtheit und Souveränität zu ermöglichen und zu stärken und
  • Lernprozesse anzustoßen, neue Ideen auszuprobieren, neue Wege zu gehen und Erfahrungen in der partizipativen Arbeit zu gewinnen.

Zielgruppen

Die Aktion Mensch fördert zusätzliche inklusive Angebote für:

• Menschen mit Behinderung
• Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 27 Jahre
• Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten.

Förderhöhe

An Personal-, Honorar-, Sachkosten und Investitionen beteiligt sich die
Aktion Mensch mit einem Fördersatz von bis zu 95 Prozent, die Zuschussobergrenze für diese Kosten beträgt 60.000 Euro. Ergänzend können jeweils
Zuschüsse für die Kosten zur Herstellung von Barrierefreiheit, partizipativer
Arbeit sowie eine Pauschale zur Beschäftigung von Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung beantragt werden. Der Höchstzuschuss für ein
Projekt inklusive dieser Zuschüsse und der Pauschale beträgt 90.000 Euro
für die gesamte Laufzeit.

Aktion Mensch

Aktion Mensch unterstützt Projekte freier, gemeinnütziger Organisationen, nicht aber einzelne Personen oder öffentliche Einrichtungen. Über die eingereichten Anträge entscheidet das Kuratorium auf der Grundlage der Aktion-Mensch-Förderrichtlinien, die auf dem Portal des Vereins veröffentlicht sind. Bei der Auswahl der Förderanträge achtet das Gremium darauf, dass es sich um Konzepte handelt, die einen innovativen Ansatz wählen und dazu beitragen, Inklusion im Alltag umzusetzen. Dabei werden Anträge im Bereich der Behinderten-, aber auch der Kinder- und Jugendhilfe berücksichtigt.

Finanziert wird Aktion Mensch durch ihre Soziallotterie, an der sich regelmäßig 4,6 Millionen Menschen beteiligen. Dadurch können monatlich bis zu 1000 Projekte für Menschen mit Behinderung, Kinder und Jugendliche unterstützt werden.

Spielfilm als gefördertes Beispiel-Projekt

Ein Beispiel für ein von der Aktion Mensch unterstütztes erfolgreiches Projekt ist der Spielfilm „Wenn das Licht den Schatten umarmt“. Der Film wurde von Bewohnern und Begleitern eines Wohnhauses für Menschen mit geistiger Behinderung in Eitorf entwickelt, gedreht und hatte im letzten Herbst Premiere. Über das zwei Jahre dauernde Projekt wurde im 2-Wochen-Rythmus in Blog-Beiträgen berichtet. Inzwischen läuft schon ein Nachfolgeprojekt unter dem Titel „Lichtblicke“, ebenfalls gefördert von Aktion Mensch.

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, Aktion Mensch, Weltverrücker e.V.

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Gesetzentwurf zum Inklusiven Arbeitsmarkt

Will man eine inklusive Gesellschaft, dann gehört die Teilhabe am Arbeitsmarkt vorangig dazu. Eine Teilhabe am Arbeitsleben führt besonders bei Menschen mit Behinderungen auch zu sozialer Teilhabe und zur Teilhabe an Bildung. Ziel des Gesetzesvorhabens des Bundesarbeitsminiseriums (BMAS) ist daher ein offener, inklusiver und zugänglicher Arbeitsmarkt, in dem Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt und selbstbestimmt am Arbeitsleben teilhaben können. Jegliche Form der Diskriminierung aufgrund von Behinderung im Zusammenhang mit einer Beschäftigung ist abzubauen.

Ziele

Die Maßnahmen des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts zielen deshalb darauf ab,

  • mehr Menschen mit Behinderungen in reguläre Arbeit zu bringen,
  • mehr Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Arbeit zu halten und
  • eine zielgenauere Unterstützung für Menschen mit Schwerbehinderung zu ermöglichen.

Wesentliche Inhalte des Entwurfs:

Einführung einer vierten Staffel bei der Ausgleichsabgabe:
Für beschäftigungspflichtige Arbeitgeber, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, soll bei der Ausgleichsabgabe eine vierte Staffel eingeführt werden, um die Antriebsfunktion der Ausgleichsabgabe zu verstärken. Für die betreffenden Arbeitgeber soll die Ausgleichsabgabe erhöht werden. Für kleinere Arbeitgeber mit weniger als 60 beziehungsweise weniger als 40 zu berücksichtigenden Arbeitsplätzen sollen wie bisher Sonderregelungen gelten, die geringere Beträge der Ausgleichsabgabe vorsehen. Die vierte Staffel soll mit Wirkung vom 1. Januar 2024 eingeführt werden. Sie ist dann erstmals zum 31. März 2025 zu zahlen, wenn die Ausgleichsabgabe für das Jahr 2024 fällig wird. Bei diesem Vorhaben handelt es sich um eine Vorgabe des Koalitionsvertrages.

Aufhebung der Bußgeldvorschrift des § 238 Absatz 1 Nummer 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX):
Ein Verstoß gegen die Beschäftigungspflicht kann derzeit – zusätzlich zur Ausgleichsabgabe – mit einem Bußgeld bis zu 10 000 Euro geahndet werden. Wenn die Arbeitgeber, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, künftig eine erhöhte Ausgleichsabgabe zu zahlen haben, erscheint es nicht mehr angemessen, die Nicht-Beschäftigung zusätzlich auch noch mit einem Bußgeld zu sanktionieren. Die Vorschrift soll deshalb aufgehoben werden.

Vollständige Verwendung der Mittel der Ausgleichsabgabe zur Unterstützung und Förderung der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt:
Die in der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung vorgesehene Möglichkeit, Mittel der Ausgleichsabgabe nachrangig auch für Einrichtungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben – insbesondere für Werkstätten für behinderte Menschen – zu verwenden, soll gestrichen werden. Auch bei diesem Vorhaben handelt es sich um eine Vorgabe des Koalitionsvertrages.
Vorhaben zur Förderung der Ausbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sollen zukünftig auch dann aus dem Ausgleichsfonds förderfähig sein, wenn die Zielgruppe über keine anerkannte Schwerbehinderung verfügt, jedoch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhält.

Genehmigungsfiktion für Anspruchsleistungen des Integrationsamtes:
Zur Sicherstellung eines zeitnahen Abschlusses des Bewilligungsverfahrens der Integrationsämter wird für Leistungen, auf die ein Anspruch besteht (Arbeitsassistenz und Berufsbegleitung im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung), eine Genehmigungsfiktion nach Ablauf von sechs Wochen eingeführt. Bei dem Vorhaben handelt es sich um eine Vorgabe des Koalitionsvertrages.

Aufhebung der Deckelung beim Budget für Arbeit:
Beim Budget für Arbeit ist der vom Leistungsträger zu erstattende Lohnkostenzuschuss nach aktueller Rechtslage auf 40 Prozent der Bezugsgröße begrenzt. Durch die Abschaffung der Deckelung wird sichergestellt, dass auch nach Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro bundesweit der maximale Lohnkostenzuschuss – soweit nach den Umständen des Einzelfalls erforderlich – gewährt werden kann.

Aufgabenschärfung Inklusionsbetriebe:
Inklusionsbetriebe sind selbst Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts, die wirtschaftlich agieren und sich wie andere Unternehmen am Markt behaupten müssen. Sie können deshalb nicht länger dazu verpflichtet sein, ihre eigenen Beschäftigten an andere Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu vermitteln. Die aus der Zeit temporär angelegter Integrationsprojekte stammende Formulierung ist deshalb zu streichen.

Neuausrichtung des Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizin:
Um Betroffene als Expertinnen und Experten in eigener Sache besser bei der Arbeit des „Ärztlichen Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizin“ zu berücksichtigen, soll dieser zu einem „Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizinische Begutachtung“ weiterentwickelt und im SGB IX geregelt werden (heute in der VersMedV). Künftig sollen die Verbände für Menschen mit Behinderungen, die Länder sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales je sieben Mitglieder benennen, darunter jeweils mindestens vier Ärztinnen oder Ärzte, die versorgungsmedizinisch oder wissenschaftlich besonders qualifiziert sind. Daneben können und sollen aber auch Sachverständige mit einer anderen Kompetenz (z. B. aus dem Gebiet der Sozial- oder Arbeitswissenschaft, der Teilhabeforschung oder der Disability Studies) benannt werden. Die Zusammensetzung des Beirates folgt damit nicht mehr einem rein medizinisch orientierten Verständnis von Behinderung, sondern einem teilhabeorientierten und ganzheitlichen Ansatz.

Beitrags- und Zuschussregelungen für Mitglieder von Solidargemeinschaften bei Hilfebedürftigkeit und bei Arbeitslosigkeit:
Die teilweise seit Langem bestehenden Solidargemeinschaften bieten ein alternatives Konzept der gemeinschaftlichen Absicherung in Krankheitsfällen an. Bislang war eine Übernahme der Beiträge zur Solidargemeinschaft oder ein Zuschuss zu diesen Beiträgen im Fall der Hilfebedürftigkeit sowie bei Arbeitslosigkeit rechtlich nicht möglich. Künftig sollen entsprechende Zuschusszahlungen sowie die Anerkennung als Bedarfe im Falle der Hilfebedürftigkeit beziehungsweise die Übernahme der Beiträge beim Bezug von Arbeitslosengeld möglich sein. Sie erhalten zur Sicherstellung ihrer Absicherung im Krankheitsfall als Bestandteil des nach dem Sozialstaatsprinzip zu gewährenden Existenzminimums ebenfalls, wie auch die privat krankenversicherten Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherungsleistungen, einen Beitragszuschuss nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) oder die Möglichkeit, die Aufwendungen für die Mitgliedschaft in einer Solidargemeinschaft als Bedarf nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu berücksichtigen.

Inkrafttreten

Das Gesetz soll im Wesentlichen zum 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Quelle: BMAS

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Drei-Stufen-Plan zur Inklusion

Mit der Reform des SGB VIII, also der Kinder- und Jugenhilfe, sollen bis 2028 die Zuständigkeiten der Leistungen für junge Menschen mit Behinderungen unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII zusammengeführt werden. Dies wird als „Inklusive Lösung“ bezeichnet.

Debatte sei 2012

Die Diskussion um eine Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle jungen Menschen, ob mit oder ohne Behinderung wird eigentlich schon seit Einführung des SGB VIII im Jahr 2012 geführt. Auf dem Weg zu einem inklusiven Leistungssystem ist man seitdem noch nicht vorangekommen.

Nach langer Debatte und mehreren vergeblichen Anläufen soll dies nun das im Juni verabschiedetete „Kinder- und Jugendstärkungsgesetz“ (KSJG) richten. Das KSJG beschreibt einen Fahrplan, wie die Inklusive Lösung bis 2028 zu erreichen ist.

Warum Inklusive Lösung?

Inklusion beinhaltet das Wahrnehmen und Anerkennen unterschiedlicher Bedürfnisse, die aus vielfältigen Lebenskontexten entstehen. Gesellschaftliche und staatliche Aufgabe ist es, dabei Teilhabebarrieren, soziale Ausgrenzungen und strukturelle Benachteiligungen abzubauen. Diese können schon allein durch die bestehende Zuständigkeeitsspaltung zwischen der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung im SGB IX und der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit seelischer Behinderung im SGB VIII entstehen.

Wer ist betroffen?

360 000 Kinder und Jugendliche haben eine seelische, geistige oder körperliche Behinderung. Bisher ist die Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII nur für Leistungen der Eingliederungshilfe für rund 100 000 Kinder mit einer seelischen Behinderung zuständig. Ca. 260 000 Kinder mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung sind dem Träger der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX zugewiesen (vgl. BT-Drs. 19/26107, S. 42).

Die erste Stufe

Die erste Stufe sieht die Gestaltung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe und die Bereinigung der insbesondere zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe bestehenden Schnittstellen vor. Diese Regelungen traten unmittelbar am Tag nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft und umfassen insbesondere:

  • Verankerung des Leitgedankens der Inklusion auf Grundlage der VN-BRK bezogen auf die Kinder- und Jugendhilfe insgesamt und in ihren jeweiligen Aufgabenbereichen,
  • Weiterentwicklung der inklusiven Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege,
  • Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger beim Zuständigkeitsübergang,
  • Beratung zu Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie zur Orientierung an den Schnittstellen zu anderen Leistungssystemen
  • fallbezogene Zusammenarbeit im Teilhabe-, Gesamt- und Hilfeplanverfahren.

Die zweite Stufe

Die zweite Stufe sieht die Einführung der Funktion eines „Verfahrenslotsen“ beim Jugendamt im Jahr 2024 vor (vgl. § 10b SGB VIII, gültig ab 1.1.2024). Eltern und andere Erziehungsberechtigte sowie junge Menschen bekommen somit einen verbindlichen Ansprechpartner und werden von einer einzigen Stelle durch das gesamte Verfahren begleitet. Möglich ist aber auch, dass Modellprojekte in den Bundesländern bereits jetzt weitergeführt werden bzw. Bundesländer Verfahrenslotsen bereits früher einführen.

Einen Zwischenschritt bei der Umsetzung der zweiten Stufe markiert die Verkündung eines Bundesgesetzes bis spätestens 01.01.2027. Es muss (mindestens)

  • konkrete Regelungen zum leistungsberechtigten Personenkreis,
  • zu Art und Umfang der Leistung,
  • zum Verfahrensrecht und zur Kostenbeteiligung enthalten.

Grundlagen für die Ausgestaltung dieses Bundesgesetzes sollen die Ergebnisse einer prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung und einer (wissenschaftlichen) Umsetzungsbegleitung sein. Wenn es dieses Bundesgesetz bis zum 01.01.2027 gibt, kann die dritte Stufe verwirklicht werden.

Die dritte Stufe

Sie sieht die Übernahme der vorrangigen Zuständigkeit des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe für Leistungen der Eingliederungshilfe auch an junge Menschen mit (drohenden) körperlichen oder geistigen Behinderungen, die nach derzeitiger Rechtslage Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) Teil 2 erhalten, im Jahr 2028 vor.

Quellen: Bundestag, SOLEX, Walhalla Fachredaktion Kinder- und Jugendstärkungsgesetz: Weiterentwicklung des SGB VIII

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Dritter Teilhabebericht

Am Freitag, den 30. April 2021, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) den Dritten Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen veröffentlicht. Mit dem Teilhabebericht geht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der Frage nach, wie Menschen mit Beeinträchtigungen in ihrer sozialen Teilhabe gefördert oder beeinträchtigt werden. Der Bericht zeigt, wie sich die Teilhabe von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen unterscheidet und welche Entwicklungen im Zeitlauf zu beobachten sind.

Positive Ergebnisse:

  • Die Arbeitslosenquote von Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung ist von 2015 bis 2019 um 13 Prozent gesunken.
  • Die Wahlbeteiligung von Menschen mit Behinderungen ist von 78,2 Prozent im Jahr 2013 auf 84,2 Prozent im Jahr 2017 gestiegen.
  • Mehr Menschen als zuvor leben in ambulant betreuten Wohnformen.
  • Es wurden viele Verbesserungen im öffentlichen Personenverkehr erzielt.

Nachholbedarf bei der Inklusion

  • Die soziale Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist nach wie vor eingeschränkt.
  • 33 Prozent der Menschen mit Beeinträchtigungen leben allein, bei Menschen ohne Beeinträchtigungen beträgt dieser Anteil lediglich 18 Prozent.
  • Einsam fühlen sich 33 Prozent der Menschen mit Beeinträchtigungen; bei Menschen ohne Beeinträchtigungen sind dies nur 16 Prozent.
  • Auch bei der Bildung und Ausbildung von Menschen mit Behinderungen fehlen nach wie vor wichtige Inklusionsfortschritte.

Auswirkungen der Corona-Pandemie

Im dritten Teilhabebericht konnten Entwicklungen über einen Zeitraum von mehr als acht Jahren miteinander verglichen werden. Erstmals fließen auch Erkenntnisse aus der noch bis Ende 2021 laufenden, vom BMAS beauftragten Repräsentativbefragung von Menschen mit Behinderungen mit ein. Besonders hervorzuheben ist, dass dieser 800 Seiten starke Bericht bereits erste Daten und Erkenntnisse über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Menschen mit Beeinträchtigungen beinhaltet.

Grundlage für Verbesserungen

Der Bericht erschien 2013 zum ersten Mal und muss seitdem einmal in jeder Wahlperiode veröffentlicht werden.

Anhand der Daten des Teilhabeberichtes werden Politik, Verwaltung und Gesellschaft in die Lage versetzt, Fortschritte bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu beurteilen. Auf dieser Grundlage sollen dann geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen ergriffen werden.

Der Teilhabebericht in verschiedenen Formaten

Auf der Website des BMAS steht der Dritte Teilhabebericht zum Download zur Verfügung – als PDF-Datei sowie in weiteren barrierefreien Formaten: in Leichter Sprache und in Deutscher Gebärdensprache. Eine gedruckte Version in Braille sowie der Bericht als Hörbuch können bestellt werden.

Hier finden Sie die direkten Links zu den verschiedenen Versionen:

Quelle: BMAS, Kobinet-Nachrichten.org, Bundesfachstelle Barrierefreiheit, AWO

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