Verschärfung der Armut

Ende April veröffentlichte der Paritätische Gesamtverband seinen Armutsbericht 2025. Der Bericht hat den Anspruch, statistische Erkenntnisse zu Armut zu erfassen und einzuordnen.

Relativer Armutsbegriff

Die Armutsberichterstattung fokussiert sich hier auf den Aspekt relative Einkommensarmut. Der Paritätische folgt damit einer etablierten Konvention, was die Definition und die Berechnung von Armut anbelangt. In Abkehr von einem
sogenannten absoluten Armutsbegriff, der Armut an existenziellen Notlagen wie Obdachlosigkeit oder Nahrungsmangel festmacht, ist der in Wissenschaft und Politik etablierte Armutsbegriff ein relativer. Arm sind demnach alle, die über so geringe Mittel verfügen, „dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist“, wie es im entsprechenden Kommissionsbericht der EU von 1983 heißt.

Wesentliche Aussagen des Berichts

  • Von 2023 zu 2024 stieg nach MZ-SILC die Armutsquote in Deutschland um 1,1 Prozentpunkte. Demnach sind 15,5 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen.
  • 13 Millionen Menschen leben hierzulande unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt bewegt sich die Armut für ein reiches Land wie Deutschland auf einem viel zu hohem Niveau.
  • Die Armutsschwelle liegt aktuell bei Alleinlebenden bei 1.381 EUR im Monat, für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern (unter 14 Jahre) bei 2.900 EUR.
  • Die Armutsschwelle bezeichnet die oberste Einkommensgrenze, bis zu der Menschen als einkommensarm gelten. Diese Schwelle ist jedoch nicht mit der Summe gleichzusetzen, die einkommensarme Menschen tatsächlich im Schnitt im Monat zur Verfügung haben. Tatsächlich liegen viele Arme mit ihrem monatlichen Einkommen deutlich unterhalb dieser Schwelle. Das (äquivalenzgewichtete) Median-Einkommen der armen Menschen, also das mittlere Einkommen, wird für 2024 mit 1.099 EUR angegeben. Im Schnitt liegen arme Menschen mit ihrem monatlichen Einkommen 281 EUR unterhalb der Armutsschwelle.
  • Die Inflation führte zu einer Verschärfung der Armut: Gleicht man die Entwicklung der Median-Einkommen der Armen mit der Preisentwicklung ab, so zeigt sich, dass die Armen seit 2020 real noch ärmer geworden sind. 2020 verfügten die Armen noch im Schnitt über 981 EUR monatlich. 2024 entspricht das preisbereinigte Median-Einkommen der Einkommensarmen 921 EUR. Dabei wird zugrund gelegt, dass man sich in 2024 für einen Euro weniger kaufen kann als noch in 2020. Im Vergleich von 2020 zu 2024 haben kaufkraftbereinigt die Armen im Schnitt weniger zur Verfügung.
  • 5,2 Millionen Personen müssen in erheblicher materieller Entbehrung leben. Darunter befinden sich etwa 1,1 Million minderjährige Kinder und Jugendliche sowie 1,2 Millionen Vollzeiterwerbstätige.
  • Mindestlohn und Wohngeldreform wirken: Die Zahl der Erwerbsarbeitenden in Armut ist leicht zurückgegangen.
  • Die Schutzwirkung des Sozialstaates vor Armut hingegen schrumpft: 2021 konnte die Armutsquote durch die staatliche Umverteilung noch um 27,7 Prozentpunkte reduziert werden, 2024 dagegen nur noch um 25,1 Prozentpunkte. Daraus folgt, dass die Sozialleistungen deutlich erhöht werden müssen.

Lösungsvorschläge

Gegen Armut hilft in erster Linie mehr Geld, so das lapidare Fazit des Paritätischen. Neben der Verbesserung der finanziellen Lage der Erwerbstätigen stünden dem Sozialstaat in Deutschland zahlreiche Instrumente zur Verfügung, um die Einkommen von Rentner*innen, Studierenden und Erwerbslosen zu verbessern.

  • Kinderbezogene Leistungen müssten so ausgestaltet sein, dass keine Familie wegen ihrer Kinder in Armut leben muss.
  • Die gesetzliche Rentenversicherung müsse zukunftsfest und armutsvermeidend aufgestellt werden. Dazu bedürfe es einer perspektivischen Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent und einer armutsfesten Mindestrente.
  • Die Wohngeldreform der Ampelregierung im Jahr 2022 sei eine begrüßenswerte Verbesserung. Diese sei weiter auszubauen.
  • Die Grundsicherung in den verschiedenen Facetten (Bürgergeld, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Sozialhilfe und Asylbewerberleistungsgesetz) sei als nachrangiges System für die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zuständig. Die Regelleistungen deckten weiterhin nicht die zentralen Bedarfe. Um Armut zu vermeiden, müssten die Leistungen der Grundsicherung auf über 800 EUR angehoben werden.
  • Die Arbeitsförderung müsse ausgebaut werden, damit Erwerbslose bei der Arbeitssuche und -aufnahme besser unterstützt und qualifiziert werden können.
  • Die Einführung einer solidarischen Pflegevollversicherung müsse alle pflegebedingten Kosten übernehmen und den Trend steigender Kosten für die Pflegebedürftigen endlich stoppen.
  • Weiteren Reformbedarf gebe es auch beim BAföG. Die jüngsten Reformen hätten zwar die Leistung erhöht, aber die inflationsbedingten Preissteigerungen nicht ausgleichen können.

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, Statistisches Bundesamt, Europäische Gemeinschaften Kommission: Schlussbericht Der Kommission an Den Rat ÜBer Das Erste Programm von Modellvorhaben Und Modellstudien Zur BekäMpfung Der Armut. Komm.; 1983.

Abbildung: Fotolia_158866271_Subscription_XXL.jpg

Familie darf zuviel gezahltes Bürgergeld behalten

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg – 3. Senat – hat mit Urteil vom 3. April 2025 (Az. L 3 AS 772/23) entschieden, dass eine dreiköpfige Familie Überzahlungen beim Bürgergeld nicht zurückerstatten muss, weil sie den Rechenfehler des Jobcenters nicht grob fahrlässig übersehen hat.

Sachverhalt

Die Familie erhielt seit Juli 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 19a SGB II). Für die Berechnung reichte sie den Arbeitsvertrag des Ehemanns (Verkäufer) ein, wonach er ab Februar 2021 monatlich 1 600 € netto verdienen sollte. Das Jobcenter rechnete irrtümlich mit 1 600 € brutto (statt netto), was einem Nettobetrag von 1 276,40 € entspricht. In den folgenden zehn Monaten wurden deshalb rund 3 000 € zu viel ausgezahlt. Mit Bescheid vom 31. Januar 2022 forderte das Jobcenter die zu viel gezahlten Leistungen zurück.

Vorinstanz

Das Sozialgericht (SG) Berlin hielt die Ehefrau, die das Verfahren für die Bedarfsgemeinschaft führte, für grob fahrlässig, weil sie den Fehler nicht erkannt habe. Es sprach dem Jobcenter daher einen Rückforderungsanspruch zu.

Rechtsgrundlage

Entscheidend ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X. Danach darf ein rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte schutzwürdig auf dessen Bestand vertraut hat. Vertrauen kann allerdings durch Kenntnis der Rechtswidrigkeit oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein.

Entscheidung des LSG

Das LSG betonte, dass bei komplizierten Berechnungen – wie bei Bescheiden zur Grundsicherung – von einem juristischen Laien nicht verlangt werden kann, jeden Detailfehler zu erkennen. Für grobe Fahrlässigkeit müssten Zweifel an der Rechtmäßigkeit so offenkundig sein, dass jeder Betroffene bei der Behörde nachfragen müsste. Die Klägerin habe plausibel dargestellt, dass ihr das Verständnis der Begriffe „Brutto“ und „Netto“ sowie die mehrzeilige Gesamteinkommensberechnung schwerfielen. Ein solcher Fehler sei nicht außergewöhnlich, sondern in dieser Konstellation nachvollziehbar und daher kein grob fahrlässiges Verhalten.

Ergebnis

Mangels grober Fahrlässigkeit durfte das Jobcenter seinen fehlerhaften Bescheid nicht rückwirkend korrigieren. Die Familie muss die rund 3 000 € nicht zurückzahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; eine Revision zum Bundessozialgericht kann zugelassen werden

Quellen: Legal Tribune Online, Sozialgerichtsbarkeit Berlin-Brandenburg

Abbildung: AdobeStock_137361499.jpeg

Kampf gegen Infektionskrankheiten

Obwohl bei der Verwirklichung des Ziels 3.3 der nachhaltigen Entwicklung (SDG), die Epidemien von HIV, Tuberkulose (TB), Virushepatitis B und C sowie sexuell übertragbaren Infektionen (STI) bis 2030 zu beenden, Fortschritte erzielt wurden, ist die Europäische Union/Europäischer Wirtschaftsraum (EU/EWR) bei vielen Zielen vom Kurs abgekommen. Dies geht aus dem ersten Überwachungsbericht zu den SDGs hervor, der Mitte April 2025 vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) veröffentlicht wurde.

Vermeidbare Krankheiten

„Europa braucht mutige, koordinierte Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Tests und Behandlung, um unsere SDG-Ziele für 2030 zu erreichen. Diese Krankheiten sind vermeidbar, ebenso wie die Belastung, die sie für Gesundheitssysteme, Patienten und ihre Familien bedeuten. Wir haben fünf Jahre Zeit zum Handeln; wir müssen sie nutzen“, sagte ECDC-Direktorin Pamela Rendi-Wagner.

Fortschritte bei der HIV-Testung und Behandlung

In der EU/EEA sind seit 2010 35 % weniger neue HIV-Infektionen gemeldet worden. Das Ziel für 2025 wird aber nicht erreicht. Es gibt gute Fortschritte bei der HIV-Testung und Behandlung. Aber es ist immer noch schwer, Menschen ohne Diagnose zu finden und sie zu versorgen. Die Nutzung von HIV-Vorbeugungsmitteln wie PrEP nimmt zu, aber es muss mehr davon gemacht werden. Seit 2015 hat es 35 % weniger Tuberkulose gegeben. Trotzdem werden weniger als 90 % der Tuberkulose-Erkrankungen behandelt, insbesondere bei arzneimittelresistenter Tuberkulose.

Todesfälle durch Hepatitis B und C

Virale Hepatitis B und C verursachen die meisten der jährlich fast 57 000 Todesfälle, die in der EU/im EWR auf AIDS, Tuberkulose und virale Hepatitis zurückzuführen sind. Bei Hepatitis B und C deuten die verfügbaren Informationen auf erhebliche Defizite bei der Erreichung der Test- und Behandlungsziele hin, und die Sterblichkeitsraten zeigen keine Anzeichen für einen Rückgang.

Sexuell übertragbaren Krankheiten

Die gemeldeten Fälle von sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis und Gonorrhöe nehmen in der gesamten EU/EWR zu und haben die höchsten Zahlen seit Beginn der Überwachung durch das ECDC im Jahr 2009 erreicht. Daten zur Test- und Behandlungsrate für STIs sind weitgehend nicht verfügbar, was das Gesamtbild erschwert.

Präventionsmaßnahmen ausweiten

Um die Ziele für 2030 zu erreichen, müssen Anstrengungen unternommen werden, um Präventionsmaßnahmen wie die PrEP für HIV, die Hepatitis-B-Impfung und Dienste zur Schadensbegrenzung für Menschen, die Drogen injizieren, auszuweiten und gleichzeitig den Gebrauch von Kondomen zu fördern. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, integrierte Testdienste für Mehrfachinfektionen in verschiedenen Umfeldern, einschließlich gemeindebasierter Tests, auszubauen, um Risikopersonen in einem früheren Stadium zu erreichen. Eine bessere Anbindung an die Versorgung und die Unterstützung der Therapietreue sind von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der individuellen Ergebnisse und die Verhinderung der Weiterübertragung, insbesondere bei Tuberkulose und Virushepatitis.

Verbesserung der Datenehebung

Eine Verbesserung der Qualität und Vollständigkeit der Überwachungs- und Kontrolldaten ist von entscheidender Bedeutung, ebenso wie die Erhebung von Daten, die sich auf die am stärksten von diesen Infektionen betroffenen Bevölkerungsgruppen beziehen. Um die Sterblichkeit durch vermeidbare Krankheiten zu senken, sind nachhaltige Anstrengungen erforderlich, und die Verbesserung der Verfügbarkeit und Qualität von Überwachungsdaten ist von grundlegender Bedeutung, um die Fortschritte genau zu verfolgen.

Quellen: UN, wikipedia, EU-European Centre for Disease Prevention and Control, Tagesschau

Abbildung: Von Samynandpartners – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46989619 Europa_building_February_2016.jpg

Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen ab Juli 2025

Die Pfändungsfreigrenzen nach § 850c ZPO maßgebenden Beträge ändern sich jedes Jahr entsprechend der Entwicklung des steuerlichen Grundfreibetrags nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes. Bis zum 1.7.2021 geschah dies nur alle zwei Jahre. Der nun jährliche Rhythmus wird damit begründet, dass vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens der dafür höhere Verwaltungsaufwand von immer geringerer Bedeutung sei.

Die jährliche Erhöhung wird jeweils in einer eigenen Bekanntmachung  veröffentlicht. Zu verwenden sind die Freigrenzen, die sich aus der jeweiligen Bekanntmachung ergeben.

Pfändungsfreibetrag und Unterhaltsfreibeträge

Die Pfändungsfreigrenze steigt zum 1. Juli 2025 auf 1.555,00 Euro (aktuell 1.491,75 Euro).

Der pfändungsfreie Sockelfreibetrag für den Schuldner kann im Einzelfall aufgestockt werden. So können auch Freibeträge gewährt werden, wenn der Schuldner einer oder mehreren Personen Unterhalt gewährt. Der pfändungsfreie Betrag erhöht sich in diesem Fall zum 1.7.2025:

  • für die erste Person, der Unterhalt gewährt wird, um 585,23 EUR, (aktuell 561,43 Euro)
  • für die zweite bis fünfte Person, der Unterhalt gewährt wird, um 326,04 EUR, (aktuell 312,78 Euro).

Pfändungsschutz, grundsätzliches

Die Leistung des Sozialstaates besteht nicht nur darin, dem bedürftigen Bürger Geld- oder Sachleistungen zu gewähren, sondern diese Leistungen, die in der Regel gerade ein Existenzminimum sichern, vor dem Zugriff Dritter zu schützen. Dies stellt u.a. der Pfändungsschutz sicher.

Arbeitseinkommen ist grundsätzlich pfändbar; dies gilt auch für Hinterbliebenenbezüge und Renten. Eine ganze Reihe von Einkommensarten sind jedoch unpfändbar. Mehr dazu in SOLEX.

Übersichtstabelle

Der Verein Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Hamburg e.V. hat dazu eine Übersichtstabelle erstellt.

Quellen: Bundesanzeiger, Schuldnerberatung Hamburg, SOLEX

Abbildung: AdobeStock_45632710.jpeg

Qualitätsempfehlungen für Frauenhäuser

Die Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) hat im März 2025 ihre „Qualitätsempfehlungen für Frauenhäuser“ überarbeitet und aktualisiert. Sie richten sich an Betreiber*innen von Schutzeinrichtungen in Deutschland und dienen als Orientierungsrahmen für

  • Zugang und Aufnahme: 24‑Stunden‑Erreichbarkeit, selbstkostenfreie und niederschwellige Aufnahme unabhängig von Herkunft, Religion oder Aufenthaltsstatus,
  • Schutzniveau und räumliche Ausstattung: Separate Räume für Frauen und ihre Kinder, ausreichende Privatsphäre, sichere Tür‑ und Fensterverriegelungen, Barrierefreiheit,
  • Personelle Ressourcen und Qualifikation: Fach‑ und Zusatzpersonal (z. B. Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen), regelmäßige Fort‑ und Weiterbildungen, Supervision,
  • Kindgerechte Angebote: Eigene Spiel‑ und Rückzugsbereiche für Kinder, psychosoziale Begleitung, altersgerechte Gruppenarbeit,
  • Vernetzung und Partizipation: Kooperation mit Beratungsstellen, Polizei, Justiz, Gesundheits‑ und Jugendhilfe sowie Einbindung von Bewohnerinnen in die Konzeptentwicklung.

Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen

Die Qualitätsempfehlungen berücksichtigen aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und internationale Vorgaben wie die Istanbul-Konvention. Sie bieten eine Orientierung für den Aufbau neuer Schutzeinrichtungen und die Weiterentwicklung bestehender Angebote. Die Qualitätsempfehlungen wurden in enger Zusammenarbeit mit Fachkräften aus Frauenhäusern und Wohlfahrtsverbänden erarbeitet.

Istanbul-Konvention

Die „Istanbul‑Konvention“ ist der offizielle Titel des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, das am 11. Mai 2011 in Istanbul unterzeichnet wurde. Wesentliche Punkte sind:

  • Definition von Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und Diskriminierungsform (Art. 3)
  • Prävention (z. B. öffentliche Kampagnen, Schulungen für Fachkräfte)
  • Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen (insb. Frauenhäuser, Beratungsstellen, Hotlines)
  • Strafverfolgung und effektive Rechtsdurchsetzung
  • Koordination der Maßnahmen auf allen staatlichen Ebenen und unabhängige Evaluierung durch das Expert*innengremium GREVIO.

Rechtlicher Rahmen

In Deutschland ist die Istanbul‑Konvention seit Februar 2018 geltendes Recht. Sie verpflichtet Bund, Länder und Kommunen zur Bereitstellung und Finanzierung von Schutzeinrichtungen und Beratungsangeboten, zur Schulung von Fachpersonal und zur fortlaufenden Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen.

Die Konvention liefert den rechtlichen Rahmen der Qualitätsempfehlungen für Frauenhäuser. Sie macht nachhaltige Finanzierung, barrierefreien Zugang und fachliche Standards zu verbindlichen Vorgaben. Durch die verbindliche Evaluierung (GREVIO‑Berichte) wird die Umsetzung kontinuierlich kontrolliert und weiterentwickelt.

Quellen: Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK), Paritätischer Gesamtverband, Schweizerische Menschenrechtsinstitution SMRI, FOKUS-Sozialrecht

Abbildung: seminar_kinder-inklusion_AdobeStock_275230287_600x600@2x.j

Pandemie-Abkommen

Fünf Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie haben sich die Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation auf einen Pandemie-Vertrag geeinigt.

Stärkere globale Gesundheitsarchitektur

Die COVID-19-Pandemie hat die erheblichen Schwachstellen der globalen Gesundheitssicherheit offengelegt und die Notwendigkeit einer besser koordinierten internationalen Reaktion auf Pandemien deutlich gemacht. Das Pandemieabkommen ist ein Versuch, diese Schwächen anzugehen und eine stärkere globale Gesundheitsarchitektur für zukünftige Pandemien aufzubauen. Das Abkommen wird offiziell als „International Treaty on Pandemic Prevention, Preparedness and Response“ oder „Pandemic Treaty“ bezeichnet.

„Die Nationen der Welt haben heute in Genf Geschichte geschrieben“, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus laut einem Bericht der Tagesschau. Nach gut drei Jahren und zuletzt nächtelangen Diskussionen in Genf stimmten die Unterhändler einem Vertragstext zu. Er soll beim Jahrestreffen der 194 Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Mai in Genf verabschiedet werden.

Ziele und Verpflichtungen

Zu den Hauptzielen gehören die

  • Verbesserung der Pandemieprävention,
  • die Gewährleistung einer schnelleren und besser koordinierten Reaktion sowie
  • die Förderung eines gerechten Zugangs zu medizinischen Gegenmaßnahmen.

Zu den wichtigsten vorgeschlagenen Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten gehören

  • die Stärkung der nationalen Gesundheitssysteme,
  • die Verbesserung der Überwachung,
  • der Austausch von Daten über Krankheitserreger und
  • die Förderung des Technologietransfers.

Das Abkommen sieht Mechanismen für die Umsetzung und Überwachung vor, wobei die WHO eine zentrale koordinierende Rolle spielt.

Kontroversen

Die Verhandlungen waren von Kontroversen geprägt, insbesondere in Bezug auf Fragen der nationalen Souveränität, des Technologietransfers, der Finanzierung und der Rolle der WHO. So gab es hierzulande Verschwörungsgläubige, die der WHO eine „Machtergreifung“ unterstellten und es mit einer Petition sogar in den Petitionsausschuss schafften.

Gerechte Verteilung von Ressourcen

Bei erfolgreicher Ratifizierung und Umsetzung hat das Pandemieabkommen das Potenzial, die globale Vorbereitung und Reaktion auf zukünftige Pandemien erheblich zu verbessern. Es könnte eine stärkere internationale Zusammenarbeit fördern, die gerechte Verteilung von Ressourcen verbessern und die Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme weltweit stärken.

Die Wirksamkeit des Abkommens wird jedoch vom Engagement der Mitgliedstaaten für ihre Verpflichtungen und der Beilegung der laufenden Kontroversen abhängen. Es bleiben Herausforderungen bei der Erzielung eines Konsenses in wichtigen Fragen und der Sicherstellung einer breiten Ratifizierung und effektiven Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Die sich entwickelnde geopolitische Landschaft und mögliche Verschiebungen der nationalen Prioritäten könnten ebenfalls die Zukunft des Abkommens beeinflussen. So ist die USA mittlerweile aus der WHO ausgetreten.

Inkrafttreten

Der Vertrag gilt erst nach der Ratififzierung der Parlamente in den Mitgliedstaaten in den Staaten, die ihn ratifiziert haben. Er tritt in Kraft, wenn 60 Länder ihn ratifiziert haben. In Artikel 24 des Vertrags ist ausdrücklich geregelt, dass die WHO oder ihr Generaldirektor keine innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Maßnahmen anordnen. Sie kann keine Reisebeschränkungen verhängen, Impfungen erzwingen oder Lockdowns anordnen.

Quellen: WHO, Tagesschau

Abbildung: pixabay.com corona-5209152_1280.jpg

Gesundheitliche Risiken durch Mobilfunk?

Im Jahr 2002 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung beauftragt, regelmäßig über die aktuellen Forschungsergebnisse in Bezug auf Emissionsminderungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktechnologie und Forschungsergebnisse in Bezug auf entsprechende gesundheitliche Auswirkungen zu berichten (Bundestagsdrucksachen 14/8584 und 14/9144). Mit dem vorliegenden Bericht kommt die Bundesregierung diesem Auftrag nunmehr zum elften Mal nach. Der Berichtszeitraum erstreckt sich vom 1. September 2022 bis zum 31. August 2024.

Nicht nachweisbar

Ein kausaler Zusammenhang zwischen Beschwerden elektrosensibler Personen und der nicht-thermischen Wirkung hochfrequenter elektromagnetischer Felder lässt sich weiterhin nicht nachweisen. Das schreibt das Bundesumweltministerium mit Verweis auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in ihrem elften Bericht über Forschungsergebnisse in Bezug auf die Emissionsminderungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktechnologie und in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen in der Unterrichtung, die am 14.4.25 dem Bundestag vorgelegt wurde.

Keine Langzeitrisiken

Das Fazit des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms (2002 bis 2008) sei nach wie vor gültig, heißt es darin. Es gebe keinen Anlass, die Schutzwirkung der bestehenden Grenzwerte in Zweifel zu ziehen. Auch hinsichtlich möglicher Langzeitrisiken bei intensiver Handynutzung hätten sich die wissenschaftlichen Unsicherheiten weiter verringert: Kürzlich veröffentlichte Ergebnisse aus lang angelegten Bevölkerungsbeobachtungsstudien an Kindern und Erwachsenen sprächen gegen ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Krebserkrankungen, schreibt die Bundesregierung.

Weitere Beobachtung

Mit der fünften Mobilfunkgeneration 5G hätten Sorgen über eine höhere Belastung durch elektromagnetische Felder in Teilen der Bevölkerung zugenommen. Bisherige Messungen zeigten aber, dass sich die Belastung seit der Einführung von 5G „nicht wesentlich“ verstärkt habe. Ob der fortdauernde Netzausbau zu einer insgesamt höheren Beeinträchtigung der Bevölkerung führe, werde weiterhin beobachtet.

Bericht alle zwei Jahre

Der Bundestag hatte die Bundesregierung 2002 beauftragt, alle zwei Jahre über Emissionsminderungsmöglichkeiten der Mobilfunktechnologie und über Forschungsergebnisse zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen aufgrund der Abstrahlung elektromagnetischer Wellen durch Mobilfunk zu berichten.

Quelle: Bundestag

Abbildung: AdobeStock_137361499.jpeg

Koalitionsvertrag: Frühstart-Rente

Der Koalitionsvertrag steht. In der Öffentlichkeit hat er keine Begeisterungsstürme ausgelöst. Tatsächlich liest sich das Papier wie ein zaghaftes „Noch gehts uns ja gut, also keine Experimente“. Es wird so getan, als sei die Klimakrise ein Problem unter vielen, dass mit mehr Gaskraftwerken und der berüchtigten „Technologieoffenheit“ zu lösen sei. Der gefühlten Bedrohungslage im Land und der schlechten wirtschaftlichen Lage will die Koalition mit den Rezepten von ganz rechts beikommen und macht die Ärmsten im Land dafür verantwortlich: Bürgergeld rückabwickeln, härtere Gangart gegen Migranten und Flüchtlinge aus der Ukraine weniger unterstützen.

Bei den Sozialversicherungen und deren Reform- und Finanzierungsbedarf wird es wohl weiter bei kleinteiliger Bastelei bleiben, nur in der Rentenversicherung taucht etwas neues auf: die „Frühstart-Rente“.

„Frühstart-Rente“

Die CDU-SPD-Koalition präsentiert mit der sogenannten „Frühstart-Rente“ einen neuartigen Ansatz, der bereits in jungen Jahren die Weichen für die private Altersvorsorge stellen soll. (Koalitonsvertrag, Seite 19)

Die „Frühstart-Rente“ ist ein staatlich gefördertes privates Altersvorsorgemodell, dessen Initiierung bereits im Kindesalter vorgesehen ist. Dieses Konzept ist primär eine Initiative der CDU, die nun im Koalitionsvertrag mit der SPD ihren Niederschlag gefunden hat. Zielgruppe sind Kinder im Alter von sechs bis einschließlich achtzehn Jahren, die eine Bildungseinrichtung in Deutschland besuchen. Der Staat plant, monatlich zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot für jedes anspruchsberechtigte Kind einzuzahlen. Nach Erreichen des 18. Lebensjahres besteht die Option, dass die jungen Erwachsenen bis zum Renteneintrittsalter private Zuzahlungen in dieses Depot leisten können, wobei möglicherweise jährliche Höchstbeträge festgelegt werden. Die Erträge, die in diesem Depot erwirtschaftet werden, sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei bleiben. Das angesparte Kapital ist vor staatlichem Zugriff geschützt und soll erst mit dem Erreichen der regulären Altersgrenze ausgezahlt werden. Die geplante Einführung soll zum 1. Januar 2026 erfolgen.

digitale Antwort auf das traditionelle Sparbuch

Der monatliche Beitrag des Staates beträgt zehn Euro für jedes anspruchsberechtigte Kind. Die staatlichen Einzahlungen erfolgen für den Zeitraum vom sechsten bis zum achtzehnten Lebensjahr , wobei der Besuch einer deutschen Bildungseinrichtung Voraussetzung ist. Der angesparte Betrag kann ab dem 18. Lebensjahr bis zum Renteneintritt durch private Einzahlungen aufgestockt werden, wobei ein jährlicher Höchstbetrag vorgesehen sein könnte. Die Erträge aus dem Depot sind bis zum Rentenbeginn steuerfrei, die Auszahlung im Rentenalter unterliegt dann der Besteuerung. Das angesparte Kapital ist vor staatlichem Zugriff geschützt und wird erst mit Erreichen der regulären Altersgrenze ausgezahlt. Die Union sieht in diesem Konzept eine digitale Antwort auf das traditionelle Sparbuch, wobei Kinder möglicherweise über eine App den Stand ihrer „Frühstart-Rente“ verfolgen können. Es kursieren Beispielrechnungen, dass bei einer angenommenen jährlichen Rendite von sechs Prozent die staatlichen Einzahlungen bis zum 18. Lebensjahr auf 2.100 Euro anwachsen könnten. Ohne weitere Einzahlungen würde sich dieser Betrag bis zum Renteneintritt mit 67 Jahren auf etwa 36.000 Euro erhöhen. Bei fortgesetzten privaten Einzahlungen wären deutlich höhere Summen möglich.

Kritik

Kritik kommt hingegen von sozialen Organisationen wie dem Paritätischen Gesamtverband, der die „Frühstart-Rente“ als staatlich finanzierten Einstieg in die Privatisierung der Altersvorsorge und als Wette auf eine ferne Zukunft betrachtet. Expertenberechnungen, wie sie beispielsweise auf Focus.de zitiert werden, zeigen, dass selbst bei einer angenommenen jährlichen Rendite von fünf Prozent die staatlichen Beiträge nach 45 Jahren nur etwa 12.600 Euro betragen könnten, was von einigen als „putzig“ bezeichnet wird. Es wird die geringe Höhe der monatlichen Einzahlung von zehn Euro bemängelt, die bestenfalls als symbolischer Betrag angesehen wird. Skeptis wird hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen ohne erhebliche private Zuzahlungen geäußert. Der AfW Bundesverband Finanzdienstleistung sieht zwar ein richtiges Signal, hält den Betrag jedoch für eher symbolisch und betont die entscheidende Rolle der konkreten Ausgestaltung, insbesondere hinsichtlich der Produktauswahl und der Beratung. Es gibt außerdem Bedenken hinsichtlich des ambitionierten Zeitplans für die Umsetzung zum 1. Januar 2026, da noch kein Gesetzentwurf vorliege.

Quellen: RND.de, Das Investment, Spiegel: Koalitionsvertrag, AfW Bundesverband Finanzdienstleistungen,

Abbildung: AdobeStock_132940134-scaled.jpeg

Berufskrankheit

Zum Versicherungsfall in der Unfallversicherung zählt die Berufskrankheit. (§ 9 SGB VII). Welche Erkrankungen zu den Berufskrankheiten zählen, ist im Regelfall durch Rechtsverordnung der Bundesregierung festgelegt. Darüber hinaus steht den Berufsgenossenschaften eine Einzelfallentscheidung über neu auftretende – von der Rechtsverordnung noch nicht erfasste – Berufskrankheiten zu.

Anerkennungsfähige Berufskrankheiten

Ursache dafür können verschiedenste gesundheitsschädliche Einwirkungen sein. Insbesondere kommen bestimmte Chemikalien, physikalische Einwirkungen wie Druck, Vibrationen oder das Tragen schwerer Lasten und Arbeiten unter Lärm oder Staub in Betracht. Nicht jede Erkrankung kann aber als Berufskrankheit anerkannt werden. Als Berufskrankheit kommen nur solche Erkrankungen in Frage, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht werden. Diesen Einwirkungen müssen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sein. Die derzeit anerkennungsfähigen Berufskrankheiten sind in der Anlage 1 zur BKV zu finden.

BKV-Änderungsverordnung

Die Bunderegierung hat eine Ergänzung der Berufskrankheiten-Verordnung um drei weitere Berufskrankheiten beschlossen, der der Bundesrat Mitte Februar zugestimmt hat. Die Verordnung trat am 1. April 2025 in Kraft.

Dabei handelt es sich um folgende Erkrankungen:

  • Schädigung der Rotatorenmanschette der Schulter durch eine langjährige und intensive Belastung;
  • chronische obstruktive Bronchitis einschließlich Emphysem durch langjährige Einwirkung von Quarzstaub;
  • Gonarthrose bei professionellen Fußballspielerinnen und Fußballspielern.

„Wie-Berufskrankheiten“

Mit der Erweiterung der Liste der Berufskrankheiten wird Rechtssicherheit über die jeweiligen Anerkennungsvoraussetzungen der Erkrankungen geschaffen. Die neuen Berufskrankheiten folgen den Empfehlungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Um den Zeitraum zwischen der jeweiligen wissenschaftlichen Empfehlung des ÄSVB und dem Inkrafttreten der Ergänzung der Berufskrankheiten-Verordnung zu überbrücken, konnten die Erkrankungen bislang als sogenannte „Wie-Berufskrankheiten“ nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch anerkannt werden.

Betroffenen stehen sowohl bei „Wie-Berufskrankheiten“ als auch bei Berufskrankheiten, die in die Berufskrankheiten-Verordnung aufgenommen wurden, die gleichen Leistungen zu. Dabei handelt es sich z.B. um den Anspruch auf Heilbehandlung und Rehabilitation durch die gesetzliche Unfallversicherung. Bei Arbeitsunfähigkeit oder dauerhafter Erwerbsminderung können auch Ansprüche auf Geldleistungen bestehen.

Meldung an den zuständigen Unfallversicherungsträger

Ärztinnen und Ärzte haben bei Verdacht auf eine der jeweiligen Krankheiten eine Meldung an den zuständigen Unfallversicherungsträger zu erstatten. Auch die Betroffenen können sich jederzeit dort melden.

Die Aufnahme der Erkrankung „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ in die Berufskrankheiten-Verordnung ist aktuell noch nicht möglich, weil der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten hierzu noch Rückfragen klärt. Da auch diese Erkrankung bereits als sogenannte „Wie-Berufskrankheit“ anerkannt werden kann, führt dies nicht zu Nachteilen für die Betroffenen.

Quellen: BMAS, SOLEX

Abbildung: pixabay.com man-597178_1280.jpg

Leistungen bei CFS-Syndrom

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat in einem Schnellverfahren einem Patienten mit Chronischem Fatigue-Syndrom (CFS) eine weitere Therapie ermöglicht, obwohl die Therapie eher experimentell ist und nicht dem medizinischem Standard entspricht.

Unsicherheiten in Diagnose und Therapie

Das Chronische Fatigue-Syndrom (CFS) ist eine Erkrankung mit vielen Unsicherheiten in der Diagnose und Therapie. Wie trotz fehlender Behandlungsstandards zumindest eine vorläufige Versorgung möglich ist, hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in einer aktuellen Entscheidung aufgezeigt.

Eilverfahren

Ausgangspunkt war ein Eilverfahren eines 58-jährigen Mannes aus der Region Hannover, der durch zahlreiche Erkrankungen schwerbehindert und pflegebedürftig ist. Bei ihm besteht ein fortschreitendes CFS mit längeren Phasen der Rollstuhlpflichtigkeit.

Hochdosierte Immunglobuline

In der Vergangenheit beantragte er bei seiner Krankenkasse zahlreiche, teils experimentelle Therapien, die zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führten. Zuletzt bewilligte das LSG ihm einen Therapieversuch mit hochdosierten Immunglobulinen. Die Krankenkasse übernahm sodann die Kosten für insgesamt sechs Behandlungszyklen, lehnte aber die Kostenübernahme für eine weitere Verordnung ab.

Dauertherapie abgelehnt

Der Mann begehrte jedoch eine Dauertherapie und wies darauf hin, dass bei ihm keine therapeutischen Alternativen bestünden. Der bisherige klinische Verlauf der Behandlung mit Immunglobulinen sei erfolgreich gewesen und solle aus Sicht der behandelnden Ärzte fortgeführt werden.

Ausnahmevorschrift für Schwerstkranke

Das LSG hat die Kasse vorläufig zu einem weiteren Therapieversuch von sechs Zyklen verpflichtet. Es hat sich dabei auf eine Ausnahmevorschrift für Schwerstkranke gestützt. Auch wenn das Erkrankungsbild des CFS diagnostisch und therapeutisch nicht gesichert sei und keine evidenzbasierte Behandlung existiere, komme eine weitere Behandlung auf Grundlage einer Mindest-Evidenz in Betracht. Maßgeblich hierfür sei, dass die behandelnden Ärzte eine positive Wirkung des ersten Behandlungsansatzes bestätigt hätten. Es hätten sich signifikante Verbesserungen und ein gesteigertes Gehvermögen gezeigt. Diese Stabilisierung sei auf Grundlage einer individualbasierten Betrachtung nur durch eine Fortsetzung der Therapie aufrechtzuerhalten. Eine Dauertherapie lasse sich aktuell jedoch nicht begründen.

Quellen: wikipedia, LSG Niedersachsen-Bremen

Abbildung: pixabay.com LongCOVID.jpg