Stärkung der Barrierefreiheit

Am 28.06.2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Mit dem BFSG soll die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in dem wichtigen Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie verbessert werden. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen, bestimmte Produkte und Dienstleistungen barrierefrei herzustellen bzw. zu erbringen. Darunter fallen unter anderem Mobiltelefone, Computer und Geldautomaten, aber auch Online-Shops, Bank- und Telekommunikationsdienstleistungen. Das Gesetz wurde schon vor vier Jahren verabschiedet, um den Unternehmen Zeit zur Umsetzung der Vorgaben zu lassen.

EU-Richtlinie wird umgesetzt

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) nennt rechtliche Vorgaben für die Barrierefreiheit bestimmter Produkte und Dienstleistungen, die von Verbraucherinnen und Verbrauchern genutzt werden. Mit dem Gesetz wird erstmals in Deutschland die private Wirtschaft zu Barrierefreiheit verpflichtet. Das BFSG setzt die Vorgaben aus der EU-Richtlinie 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen um, den sogenannten „European Accessibility Act“ (EAA).

Was ist barrierefrei?

Laut Definition § 3 Absatz 1 BFSG sind Produkte und Dienstleistungen „barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind“.

Anwendungsbereich

Unter das BFSG fallen nicht generell alle Produkte und Dienstleistungen für Verbraucherinnen und Verbraucher. Der Anwendungsbereich ist deckungsgleich mit der Richtlinie (EU) 2019/882, die das Gesetz umgesetzt hat. In § 1 Absatz 2 und 3 BFSG werden alle Produkte und Dienstleistungen genannt, die in den Anwendungsbereich fallen.

Produkte, die unter das BFSG fallen, sind unter anderem:

  • Computer, Notebooks, Tablets, Smartphones, Mobiltelefone
  • Selbstbedienungsterminals wie Geldautomaten, Fahrausweis- und Check-in-Automaten
  • Fernsehgeräte mit Internetzugang
  • E-Book-Lesegeräte
  • Router

Dienstleistungen, die unter das BFSG fallen, sind unter anderem:

  • Telekommunikationsdienste,
  • E-Books,
  • auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen (inklusive Apps) im überregionalen Personenverkehr,
  • Bankdienstleistungen,
  • Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr,
  • Personenbeförderungsdienste (für Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdienste nur interaktive Selbstbedienungsterminals)

Umsetzungsstand und weitere Informationen

Der aktuelle Wissensstand der Bundesfachstelle Barrierefreiheit über den Umsetzungsstand und viele weitere Details kann man auf der Webseite der Bundesfachstelle Barrierefreiheit nachlesen.

Quellen: BMAS, Bundesfachstelle Barrierefreiheit, FOKUS-Sozialrecht

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Gemeindepsychiatrische Basisversorgung für schwer Erkrankte

Schwer psychisch erkrankte Erwachsene brauchen ein höchst individuelles Versorgungsangebot, das immer wieder überprüft und angepasst werden muss. Ein solches Angebot hat ein Projekt mit Geldern des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erfolgreich erprobt: Multiprofessionelle aufsuchende Teams unterstützten die Betroffenen und ihre Familien. Sie klärten den Bedarf und vernetzten leistungsträgerübergreifend die Behandlung und Betreuung zu passgenauen Hilfen. Durch diese Form der intensiven Betreuung konnten die Betroffenen stärker befähigt werden, selbstständig und eigenverantwortlich zu leben. Der Innovationsausschuss hat sich dafür ausgesprochen, die Erkenntnisse für die Gesundheitsversorgung zu nutzen und verschiedene Bundesministerien sowie den G-BA gebeten, eine Integration zu prüfen.

Ein bis zwei Prozent Betroffene

Die Zahl der Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, die mit erheblichen Einschränkungen in verschiedenen Funktions- und Lebensbereichen einher gehen, wird aktuell auf ein bis zwei Prozent der Erwachsenen geschätzt. Im Rahmen des Projekts wurde die neue Versorgungsform der gemeindepsychiatrischen Basisversorgung in zwölf Modellregionen testweise aufgebaut: Schwer psychisch Erkrankte erhielten über 24 Monate hinweg bis zu zwei feste Bezugspersonen, die gemeinsam mit den Betroffenen einen individuellen Ziel-, Aktivitäts- und Krisenplan erstellten. Es wurden Netzwerkgespräche zwischen allen Beteiligten durchgeführt und eine Genesungsbegleitung angeboten. Ergänzend kam ein regional organisierter Krisendienst mit telefonischer Hotline und Ausweichwohnung hinzu. Grundlage dafür war eine Ermittlung des gesamten Behandlungsbedarfs, die eine Betreuung aus allen psychiatrischen und psychosozialen Leistungsbereichen einschloss.

Studie zeigt Erfolge

Die begleitende wissenschaftliche Studie zeigte, dass sich aus Sicht der Teilnehmenden ihr Empowerment – im Sinne erweiterter Möglichkeiten für eine eigenständige Lebensweise – im Vergleich zur Kontrollgruppe verbesserte. Mit Ausnahme der erkrankungsbedingten Beeinträchtigungen stieg bei ihnen die Lebensqualität und die Zufriedenheit mit der psychiatrischen Behandlung. Aus der Befragung der Angehörigen ergab sich ein ähnliches Bild: Die Zufriedenheit mit der neuen Versorgungsform war auch aus ihrer Perspektive im Vergleich zur regelversorgten Kontrollgruppe höher, sie fühlten sich ebenfalls weniger belastet. Die Evaluation lieferte außerdem Informationen aus der Perspektive der Leistungserbringenden. Sie äußerten sich zu Projektende überwiegend positiv u. a. über die Erfahrung des vernetzten Ansatzes, zur Arbeitszufriedenheit sowie zu den Instrumenten der Qualitätssicherung. An der generellen positiven Empfehlung des Innovationsausschusses zur Überführung der Ergebnisse in die Versorgung ändern auch die Einschränkungen im Studiendesign nichts, das nicht völlig frei von Verzerrungen war.

Prüfung durch die Ministerien

Damit der leistungsträgerübergreifende Versorgungsansatz leichter umgesetzt werden kann, bedarf es aus Sicht des Innovationsausschusses gesetzlicher Anpassungen. Das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden gebeten zu prüfen, ob sie dahingehende rechtliche Anpassungen vorschlagen können. Alle angeschriebenen Adressaten müssen sich innerhalb von 12 Monaten zurückmelden und darüber informieren, wie mit den Ergebnissen umgegangen wurde. Diese Rückmeldungen werden auf der Website des Innovationsauschusses veröffentlicht.

Quelle: G-BA

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Wohnkostenlücke

Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt: Rund 70 Prozent der befragten SGB-II-Leistungsbeziehenden machen sich „etwas Sorgen“ oder „große Sorgen“, dass das Jobcenter nicht die vollen Kosten der Unterkunft übernimmt – und sie dadurch ihre Wohnung verlieren könnten. Darauf weist der aktuelle Tacheles-Newsletter hin.

Während die neue Bundesregierung bemüht ist, die Reform des SGB II wieder zurückzufahren und gleichzeitig die verfassungsrechtlich bedenklichen Sanktionen wieder auszuweiten, beschreibt die IAB-Untersuchung, was SGB II – Beziehende tatsächlich auf den Nägeln brennt.

Angemessenheitsgrenzen und Inflation

Die Wohnkostenlücke im SGB II entsteht im Wesentlichen durch ein Auseinanderdriften zwischen den tatsächlich zu zahlenden Mieten und den vom Jobcenter in „angemessener Höhe“ anerkannten Kosten (den so genannten Angemessenheitsgrenzen). Hinzu kommen regionale und strukturelle Faktoren:

  1. Steigende Mieten versus starre Obergrenzen
    Seit dem Beginn des Wohnungsbooms 2010 sind die Neuvertragsmieten in Deutschland im Schnitt inflationsbereinigt um etwa 4,2 % über 24 Monate gestiegen – in den sieben größten Städten sogar um 4,8 %. Die Jobcenter passen die Angemessenheitsgrenzen jedoch nur sukzessive an diesen Anstieg an, sodass viele Haushalte inzwischen oberhalb der festgelegten Mietobergrenzen wohnen und daher nur einen Teil ihrer tatsächlichen Kosten erstattet bekommen.
  2. Regionale Disparitäten
    Die Kosten der Unterkunft variieren stark: Im Großraum München liegen die durchschnittlichen KdU bei 609 EUR pro Bedarfsgemeinschaft, im ländlichen Raum zum Teil nur bei 243 EUR. Wo die Mietobergrenzen nicht mit der Marktentwicklung Schritt halten, kommt es entsprechend häufig zu Kürzungen.
  3. Zukünftige Mieterhöhungen und Haushaltsänderungen
    Selbst wenn die aktuelle Miete noch unter der Angemessenheitsgrenze liegt, können künftige Mieterhöhungen oder der Auszug eines weiteren Haushaltsmitglieds dazu führen, dass die Grenze überschritten wird. Dieses Risiko verstärkt die Unsicherheit und Sorge um den Verbleib in der Wohnung.
  4. Unzureichende Karenzregelung für Unterkunftskosten
    Obwohl mit dem Bürgergeld seit 2023 eine zwölfmonatige Karenzzeit eingeführt wurde, in der kalte Wohnkosten ohne Prüfung erstattet werden, betrifft dies nur die Anfangsphase des Leistungsbezugs und schließt Heizkosten aus. Langfristig bleibt damit eine Lücke bestehen, sobald die Karenzzeit endet.

Was wäre nötig?

Um die Wohnkostenlücke zu verringern und die Wohnsicherheit von SGB-II-Empfänger*innen zu stärken, bieten sich verschiedene Ansätze an:

  1. Dynamische Anpassung der Angemessenheitsgrenzen
    Die Mietobergrenzen sollten in kürzeren Intervallen und stärker regional differenziert an die tatsächlichen Angebotsmieten angepasst werden. Eine schnellere Nachjustierung würde verhindern, dass wachsende Wohnkosten zu Kürzungen führen.
  2. Ausweitung und Automatisierung der Karenzzeit
    Die heutige Karenzzeit für kalte Wohnkosten könnte auf Heizkosten ausgeweitet und – abhängig von regionaler Marktlage – flexibel verlängert werden, um Betroffenen mehr Planungssicherheit zu geben.
  3. Stärkung des Wohngelds und des sozialen Wohnungsbaus
    Parallel zur Grundsicherung kann der Zugang zu Wohngeld erleichtert und das Wohngeldstärkungsgesetz weiterentwickelt werden. Auch der Bau bezahlbarer Sozialwohnungen muss deutlich ausgeweitet werden, um das Angebot an günstigen Wohnungen zu erhöhen.
  4. Rechtsschutz und Beratungsangebote in Jobcentern
    Viele Betroffene (45 %) tragen die Mehrkosten selbst, nur 22 % können beim Jobcenter erfolgreich höhere Kosten durchsetzen und 8 % gehen juristisch vor. Eine Verstärkung rechtlicher Beratungs- und Unterstützungsleistungen in den Jobcentern (z. B. durch Bürgergeldcoaches mit wohnungspolitischem Fachwissen) könnte helfen, Betroffenen zu ihrer vollen Kostenübernahme zu verhelfen.
  5. Wohnungssicherungskonzepte und Kooperationsmodelle
    Jobcenter, Kommunen und Wohnungsgesellschaften sollten eng zusammenarbeiten, um präventive Wohnungssicherungskonzepte zu entwickeln – von Frühwarnsystemen bei Mietrückständen bis zu dezentralen Case-Management-Teams, die bei drohender Wohnungslosigkeit schnell vermitteln.

Können die Sorgen gesenkt werden?

Durch diese Maßnahmen ließe sich die Kluft zwischen realen Mietkosten und den anerkannten Unterkunftskosten verkleinern, die Sorgen der Betroffenen deutlich senken und letztlich auch die Integration in den Arbeitsmarkt fördern. Die Erfolgsaussichten, dass vernünftige Lösungen umgesetzt werden, sind leider zur Zeit eher gering.

Quellen: tacheles e.V., IAB-Forum

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Mütterrente 2025

„Wir werden die Mütterrente mit drei Rentenpunkten für alle vollenden – unabhängig vom Geburtsjahr der Kinder –, um gleiche Wertschätzung und Anerkennung für alle Mütter zu gewährleisten.“

So steht es im Koalitionsvertrag. „Die Mütterrente vollenden“ bedeutet, dass künftig für jedes Kind, ob vor oder nach dem 1. Januar 1992 geboren, drei Rentenpunkte und damit 36 Kalendermonate Kindererziehungszeiten anerkannt werden sollen – auch für Kinder, die vor dem 1. Januar 1992 geboren wurden. Die Finanzierung soll aus Steuermitteln erfolgen, um die Rentenbeiträge nicht zusätzlich zu belasten.

Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung

Die sogenannte „Mütterrente“ hat sich in verschiedenen Stufen zu einer wichtigen sozialpolitischen Maßnahme zur Anerkennung von Kindererziehungsleistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung entwickelt.

1986 „Babyjahr“

Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten und zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S. 1450) führte Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm erstmals die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ein, die damlas noch in der „Reichsversicherungsordnung“ (RVO) geregelt war.

1992 – Einführung SGB VI

1992 löste das SGB VI den Teil der RVO ab, der die Rente regelte. Rechtsgrundlage ist seitdem § 56 SGB VI, wonach für jedes Kind in den ersten drei Lebensjahren rentenrechtliche Pflichtbeitragszeiten gewährt werden, allerdings nur für ab 1. Januar 1992 geborene Kinder. Für Kinder, die davor geboren wurden jedoch nur ein Jahr.

Mütterrente I – Reform 2014

Vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder bekamen historisch nur ein Jahr Kindererziehungszeit anerkannt (§ 56 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI; bis Juni 2014). Am 23. Mai 2014 beschloss der Bundestag im Rahmen des Rentenpakets, diese Zeiten auf zwei Jahre zu verdoppeln. Die Neuregelung trat zum 1. Juli 2014 in Kraft und gilt also für alle vor diesem Stichtag geborenen Kinder.

Mütterrente II – Erweiterung 2019

Um die noch verbleibende Ungleichbehandlung weiter zu verringern, wurde ab 1. Januar 2019 ein zusätzliches halbes Jahr angerechnet – insgesamt also bis zu zweieinhalb Jahre pro Kind. Diese „Mütterrente II“ findet ihre gesetzliche Grundlage weiterhin in § 56 SGB VI sowie ergänzend in § 249a SGB VI, der die Berechnung des pauschalen Zuschlags für Bestandsrentner regelt.

Umsetzung noch 2025?

Ob die Mütterrente III tatsächlich gesetzlich umgesetzt wird, ist aktuell noch nicht absehbar. Kritik an der Einführung der Mütterrente III kommt von mehreren Seiten. Insbesondere wird die Finanzierung kritisiert, welche jährlich mit fünf Milliarden Euro zu Buche schlagen würde.

Wenn die parlamentarischen Beratungen zur Mütterrente noch im Jahr 2025 abgeschlossen würden, müssten die Rentenversicherungsträger von Amts wegen entsprechende Neuberechnungen vornehmen.

Nicht nur für Mütter

Die Mütterrente hat ihre Bezeichnung deshalb bekommen, da von den (erweiterten) Kindererziehungszeiten in erster Linie Mütter profitieren. Dennoch können auch Väter von den Leistungsverbesserungen profitieren, welche mit der Mütterrente I und Mütterrente II umgesetzt wurden, wenn diese die Kinder erzogen und die Kindererziehungszeit in ihrem Rentenversicherungskonto erhalten haben.

Quellen: Koalitionsvertrag 2025, sozialversicherung-kompetent.de, FOKUS-Sozialrecht, wikipedia

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Digitale Gesundheitsanwendungen: „ernüchternd“

Der jüngste Bericht des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) über die Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) 2024 liegt als Unterrichtung (21/110) der Bundesregierung vor. Zum vierten Mal berichtet der Verband über die Versorgung mit DiGAs, die seit September 2020 flächendeckend als Leistung der GKV zur Verfügung stehen.

Seit vier Jahren im GKV-Leistungskatalog

Nach vier Jahren falle die Bilanz ernüchternd aus. Das Verfahren zur Implementierung der DiGA in den GKV-Leistungskatalog habe sich aus Sicht der Beitragszahler nicht bewährt, heißt es im Vorwort des Berichts.

Zwar bestehe durch DiGAs ein großes Potenzial für eine verbesserte gesundheitliche Versorgung, jedoch könne im Rahmen des Bewertungsverfahrens der Nutzen der meisten DiGAs zunächst nicht belegt werden. Die Erprobungs- und Preismechanismen führten in vielen Fällen zu unnötigen Mehrkosten. Dies könne in Zeiten einer historisch defizitären Finanzsituation der GKV kein gangbarer Weg sein.

Wenige DiGas sind nützlich

Von den 68 DiGAs, die bis Ende 2024 in das Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgenommen wurden, hätten lediglich zwölf ihren Nutzen von Beginn an nachweisen können, heißt es in dem Bericht weiter.

Zudem stünden Preise und Nutzen in keinem angemessenen Verhältnis. Die meisten Hersteller stellten einen Antrag auf vorläufige Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis für eine zunächst einjährige Erprobung. Im ersten Jahr der Aufnahme in das Verzeichnis könnten die Hersteller den Preis selbst bestimmen. Der höchste Herstellerpreis habe bislang bei 2.077 Euro gelegen, der durchschnittliche Herstellerpreis bei 541 Euro. Der durchschnittliche Herstellerpreis für 2024 lag demnach bei 585 Euro.

Solidargemeinschaft belastet

Bei Aussichten auf eine erfolgreiche DiGA-Nutzenbewertung bestehe die Möglichkeit, die Erprobung auf ein zweites Jahr zu verlängern. Bei einem erfolgreichem Verfahren gelte der verhandelte Preis rückwirkend ab dem zweiten Jahr. Dies führe bei Insolvenzen der Hersteller zu offenen Forderungen der GKV, die sich bislang auf annähernd 20 Millionen Euro summiert hätten.

Die derzeit gültigen Regelungen bereiteten den Herstellern das Geschenk eines hohen Preises zulasten der Solidargemeinschaft, obwohl der Nutzen gering, wenn überhaupt gegeben sei. Der Verband forderte den Gesetzgeber auf, diesen Missstand zu beseitigen.

234 Millionen Euro

Bis 31. Dezember 2024 wurden dem Bericht zufolge insgesamt mehr als eine Million DiGAs ärztlich verordnet oder von den Krankenkassen genehmigt, die Leistungsausgaben der GKV für DiGA lagen bei 234 Millionen Euro. Am häufigsten werden DiGAs zur Behandlung von psychischen Erkrankungen in Anspruch genommen (30 Prozent), bei Stoffwechselkrankheiten (28 Prozent) und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (16 Prozent).

Quellen: Bundestag, Gkv-Spitzenverband, FOKUS-Sozialrecht

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Pflegeversicherung: „Gemeinsamer Jahresbetrag“

Ab dem 1. Juli 2025 wird in der sozialen Pflegeversicherung erstmals ein einheitlicher „Gemeinsamer Jahresbetrag“ für Verhinderungs‑ und Kurzzeitpflege eingeführt. Dieser neue Gesamtleistungsbetrag beträgt jährlich 3 539 Euro und entspricht der bisherigen Summenhöchstgrenze aus Verhinderungspflege (1 685 Euro) und Kurzzeitpflege (1 854 Euro)

Rechtliche Grundlagen

Die Einführung des Gemeinsamen Jahresbetrags erfolgt durch das Pflegeunterstützungs‑ und Entlastungsleistungs‑Weiterentwicklungsgesetz (PUEG). Gleichzeitig wurde im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) ein neuer § 42a verankert. Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren mit Pflegegrad 4 oder 5 galt das gemeinsame Jahresbudget bereits zum 1. Januar 2024 in leicht abweichender Höhe (3 386 €). Eine weitere Anpassung des Betrags ist zum 1. Januar 2028 geplant, gekoppelt an die durchschnittliche Kerninflation der Vorjahre.

Wesentliche Änderungen

  • Die neuen Regelungen gelten für alle pflegebedürftigen Personen, die zu Hause versorgt werden und mindestens Pflegegrad 2 haben.
  • Die „Vorpflegezeit“ im Umfang von sechs Monaten häuslicher Pflege vor erstmaliger Antragstellung von Verhinderungspflege entfällt.
  • Die Pflegekasse übernimmt die nachgewiesenen Kosten einer Ersatzpflege für bis zu acht Wochen je Kalenderjahr.
  • Gesetzlich wird klargestellt, dass Verhinderungspflege vorher nicht beantragt werden muss.
  • Die Höhe der Erstattung beträgt pro Kalenderjahr maximal 3.539 Euro (Gemeinsamer Jahresbetrag für Kurzzeit- und Verhinderungspflege).
  • Bei Ersatzpflege durch Personen, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grad verwandt oder verschwägert sind oder mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt leben, darf die Pflegekasse die Erstattung bis zur Höhe des zweifachen Pflegegeldbetrages erstatten plus ggf. nachgewiesen zusätzliche Aufwendungen wie z. B. Verdienstausfall und Fahrkosten. Maximal erstattet die Pflegekasse pro Kalenderjahr insgesamt – also zweifacher Pflegegeldbetrag plus nachgewiesene Aufwendungen – einen Betrag bis zu 3.539 Euro (Gemeinsamer Jahresbetrag für Kurzzeit- und Verhinderungspflege).
  • Nach Abschluss der jeweiligen Verhinderungspflege müssen (professionelle) Leistungserbringer dem Pflegebedürftigen unverzüglich eine schriftliche Übersicht über die dafür angefallenen Aufwendungen übermitteln oder aushändigen.

Fazit

Der gemeinsame Jahresbetrag ab 1. Juli 2025 soll mehr Flexibilität schaffen und bürokratische Hürden für Pflegebedürftige und Angehörige reduzieren. Durch die Zusammenlegung der bisherigen Budgets könnten Mittel künftig besser ausgeschöpft werden, ohne dass Gelder durch starre Trennungen verloren gehen. Insbesondere Wegfall der Vorpflegezeit und vereinfachte Anrechnung könnten eine verbesserte Planbarkeit bei akuten Betreuungsbedarfen bringen.

Quellen: FOKUS-Sozialrecht, AOK, SOLEX

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BSG schließt Regelungslücke

Am 19. September 2024 hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Revisionsverfahren B 9 SB 2/23 R entschieden, dass die Klägerin Anspruch auf Erstattung des von ihr für eine Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen gezahlten Eigenanteils in Höhe von 91 Euro hat. Das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen‑Bremen vom 28. September 2023 wurde aufgehoben, und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 24. Juni 2022 zurückgewiesen.

Hilfe zur Pflege

Die 1940 geborene Klägerin ist schwerbehindert (GdB 90) mit dem Merkzeichen G und lebt in einer stationären Pflegeeinrichtung. Sie bezieht nach § 65 SGB XII ausschließlich Hilfe zur Pflege, nicht jedoch laufende Leistungen zum Lebensunterhalt aus dem Dritten oder Vierten Kapitel des SGB XII, da sie über eigenes Renteneinkommen verfügt. Im Juli 2021 wurde ihr Antrag auf eine kostenlose Wertmarke zur Nutzung des ÖPNV abgelehnt, da sie nach Auffassung der Behörde nicht zu dem im Gesetz genannten Personenkreis gehöre. Die Heimkosten wurden teilweise vom Sozialhilfeträger übernommen; die Wertmarke in Höhe von 91 Euro bezahlte die Klägerin selbst mithilfe eines Darlehens.

Nicht im Kreis der Anspruchsberechtigten

Das Sozialgericht Braunschweig gab der Klage statt und verurteilte den Beklagten zur Erstattung. Auf die Berufung des Beklagten setzte das Landessozialgericht die Kostenregelung außer Kraft mit der Begründung, § 228 Abs. 4 Nr. 2 SGB IX erfasse nur Bezieher laufender Leistungen zum Lebensunterhalt nach den Kapiteln III und IV des SGB XII. Die Klägerin falle als ausschließliche Bezieherin von Hilfe zur Pflege nicht in den Kreis der Anspruchsberechtigten.

BSG erkennt Regelungslücke

Das BSG sah den Erstattungsanspruch als öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nach § 228 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 SGB IX (in der ab 1.1.2018 geltenden Fassung) anwendbar. Zwar nenne der Gesetzeswortlaut nur „laufende Leistungen zum Lebensunterhalt“ nach den Kapiteln III und IV des SGB XII als Tatbestandsvoraussetzung. Jedoch sei die Norm analogiefähig, weil durch den Systemwechsel von 2005 im SGB IX eine planwidrige Regelungslücke entstanden sei: Heimbewohner, die Hilfe zur Pflege bezögen, wurden ungewollt von der Befreiungstatbestandsregelung ausgenommen.

Analogieschluss

Das BSG stellte klar, dass für die Anspruchsvoraussetzungen die Zugehörigkeit zum Existenzsicherungssystem der Sozialhilfe genügt – unabhängig davon, ob die Hilfebedürftigkeit durch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts oder durch Hilfe zur Pflege gedeckt wird. Insbesondere bei Heimbewohnern mit einem Anspruch auf Hilfe zur Pflege nach § 65 SGB XII sei eine analoge Anwendung gerechtfertigt, da keine gesetzgeberische Absicht erkennbar sei, diese besonders hilfebedürftige Gruppe auszuschließen, und kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung vorliege.

Revision begründet

Die Revision der Klägerin war zulässig und begründet. Das Bundessozialgericht hat das LSG-Urteil aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, die 91 Euro zu erstatten. Mit diesem Urteil schließt das BSG eine Lücke im systematischen Schutz schwerbehinderter Heimbewohner und stellt deren Gleichbehandlung sicher.

Quellen: Bundessozialgericht, SOLEX, Walhalla-Verlag, Beraterbrief Pflege, Ausgabe 2025/08

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Verschärfung der Armut

Ende April veröffentlichte der Paritätische Gesamtverband seinen Armutsbericht 2025. Der Bericht hat den Anspruch, statistische Erkenntnisse zu Armut zu erfassen und einzuordnen.

Relativer Armutsbegriff

Die Armutsberichterstattung fokussiert sich hier auf den Aspekt relative Einkommensarmut. Der Paritätische folgt damit einer etablierten Konvention, was die Definition und die Berechnung von Armut anbelangt. In Abkehr von einem
sogenannten absoluten Armutsbegriff, der Armut an existenziellen Notlagen wie Obdachlosigkeit oder Nahrungsmangel festmacht, ist der in Wissenschaft und Politik etablierte Armutsbegriff ein relativer. Arm sind demnach alle, die über so geringe Mittel verfügen, „dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist“, wie es im entsprechenden Kommissionsbericht der EU von 1983 heißt.

Wesentliche Aussagen des Berichts

  • Von 2023 zu 2024 stieg nach MZ-SILC die Armutsquote in Deutschland um 1,1 Prozentpunkte. Demnach sind 15,5 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen.
  • 13 Millionen Menschen leben hierzulande unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt bewegt sich die Armut für ein reiches Land wie Deutschland auf einem viel zu hohem Niveau.
  • Die Armutsschwelle liegt aktuell bei Alleinlebenden bei 1.381 EUR im Monat, für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern (unter 14 Jahre) bei 2.900 EUR.
  • Die Armutsschwelle bezeichnet die oberste Einkommensgrenze, bis zu der Menschen als einkommensarm gelten. Diese Schwelle ist jedoch nicht mit der Summe gleichzusetzen, die einkommensarme Menschen tatsächlich im Schnitt im Monat zur Verfügung haben. Tatsächlich liegen viele Arme mit ihrem monatlichen Einkommen deutlich unterhalb dieser Schwelle. Das (äquivalenzgewichtete) Median-Einkommen der armen Menschen, also das mittlere Einkommen, wird für 2024 mit 1.099 EUR angegeben. Im Schnitt liegen arme Menschen mit ihrem monatlichen Einkommen 281 EUR unterhalb der Armutsschwelle.
  • Die Inflation führte zu einer Verschärfung der Armut: Gleicht man die Entwicklung der Median-Einkommen der Armen mit der Preisentwicklung ab, so zeigt sich, dass die Armen seit 2020 real noch ärmer geworden sind. 2020 verfügten die Armen noch im Schnitt über 981 EUR monatlich. 2024 entspricht das preisbereinigte Median-Einkommen der Einkommensarmen 921 EUR. Dabei wird zugrund gelegt, dass man sich in 2024 für einen Euro weniger kaufen kann als noch in 2020. Im Vergleich von 2020 zu 2024 haben kaufkraftbereinigt die Armen im Schnitt weniger zur Verfügung.
  • 5,2 Millionen Personen müssen in erheblicher materieller Entbehrung leben. Darunter befinden sich etwa 1,1 Million minderjährige Kinder und Jugendliche sowie 1,2 Millionen Vollzeiterwerbstätige.
  • Mindestlohn und Wohngeldreform wirken: Die Zahl der Erwerbsarbeitenden in Armut ist leicht zurückgegangen.
  • Die Schutzwirkung des Sozialstaates vor Armut hingegen schrumpft: 2021 konnte die Armutsquote durch die staatliche Umverteilung noch um 27,7 Prozentpunkte reduziert werden, 2024 dagegen nur noch um 25,1 Prozentpunkte. Daraus folgt, dass die Sozialleistungen deutlich erhöht werden müssen.

Lösungsvorschläge

Gegen Armut hilft in erster Linie mehr Geld, so das lapidare Fazit des Paritätischen. Neben der Verbesserung der finanziellen Lage der Erwerbstätigen stünden dem Sozialstaat in Deutschland zahlreiche Instrumente zur Verfügung, um die Einkommen von Rentner*innen, Studierenden und Erwerbslosen zu verbessern.

  • Kinderbezogene Leistungen müssten so ausgestaltet sein, dass keine Familie wegen ihrer Kinder in Armut leben muss.
  • Die gesetzliche Rentenversicherung müsse zukunftsfest und armutsvermeidend aufgestellt werden. Dazu bedürfe es einer perspektivischen Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent und einer armutsfesten Mindestrente.
  • Die Wohngeldreform der Ampelregierung im Jahr 2022 sei eine begrüßenswerte Verbesserung. Diese sei weiter auszubauen.
  • Die Grundsicherung in den verschiedenen Facetten (Bürgergeld, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Sozialhilfe und Asylbewerberleistungsgesetz) sei als nachrangiges System für die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zuständig. Die Regelleistungen deckten weiterhin nicht die zentralen Bedarfe. Um Armut zu vermeiden, müssten die Leistungen der Grundsicherung auf über 800 EUR angehoben werden.
  • Die Arbeitsförderung müsse ausgebaut werden, damit Erwerbslose bei der Arbeitssuche und -aufnahme besser unterstützt und qualifiziert werden können.
  • Die Einführung einer solidarischen Pflegevollversicherung müsse alle pflegebedingten Kosten übernehmen und den Trend steigender Kosten für die Pflegebedürftigen endlich stoppen.
  • Weiteren Reformbedarf gebe es auch beim BAföG. Die jüngsten Reformen hätten zwar die Leistung erhöht, aber die inflationsbedingten Preissteigerungen nicht ausgleichen können.

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, Statistisches Bundesamt, Europäische Gemeinschaften Kommission: Schlussbericht Der Kommission an Den Rat ÜBer Das Erste Programm von Modellvorhaben Und Modellstudien Zur BekäMpfung Der Armut. Komm.; 1983.

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Familie darf zuviel gezahltes Bürgergeld behalten

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg – 3. Senat – hat mit Urteil vom 3. April 2025 (Az. L 3 AS 772/23) entschieden, dass eine dreiköpfige Familie Überzahlungen beim Bürgergeld nicht zurückerstatten muss, weil sie den Rechenfehler des Jobcenters nicht grob fahrlässig übersehen hat.

Sachverhalt

Die Familie erhielt seit Juli 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 19a SGB II). Für die Berechnung reichte sie den Arbeitsvertrag des Ehemanns (Verkäufer) ein, wonach er ab Februar 2021 monatlich 1 600 € netto verdienen sollte. Das Jobcenter rechnete irrtümlich mit 1 600 € brutto (statt netto), was einem Nettobetrag von 1 276,40 € entspricht. In den folgenden zehn Monaten wurden deshalb rund 3 000 € zu viel ausgezahlt. Mit Bescheid vom 31. Januar 2022 forderte das Jobcenter die zu viel gezahlten Leistungen zurück.

Vorinstanz

Das Sozialgericht (SG) Berlin hielt die Ehefrau, die das Verfahren für die Bedarfsgemeinschaft führte, für grob fahrlässig, weil sie den Fehler nicht erkannt habe. Es sprach dem Jobcenter daher einen Rückforderungsanspruch zu.

Rechtsgrundlage

Entscheidend ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X. Danach darf ein rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte schutzwürdig auf dessen Bestand vertraut hat. Vertrauen kann allerdings durch Kenntnis der Rechtswidrigkeit oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein.

Entscheidung des LSG

Das LSG betonte, dass bei komplizierten Berechnungen – wie bei Bescheiden zur Grundsicherung – von einem juristischen Laien nicht verlangt werden kann, jeden Detailfehler zu erkennen. Für grobe Fahrlässigkeit müssten Zweifel an der Rechtmäßigkeit so offenkundig sein, dass jeder Betroffene bei der Behörde nachfragen müsste. Die Klägerin habe plausibel dargestellt, dass ihr das Verständnis der Begriffe „Brutto“ und „Netto“ sowie die mehrzeilige Gesamteinkommensberechnung schwerfielen. Ein solcher Fehler sei nicht außergewöhnlich, sondern in dieser Konstellation nachvollziehbar und daher kein grob fahrlässiges Verhalten.

Ergebnis

Mangels grober Fahrlässigkeit durfte das Jobcenter seinen fehlerhaften Bescheid nicht rückwirkend korrigieren. Die Familie muss die rund 3 000 € nicht zurückzahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; eine Revision zum Bundessozialgericht kann zugelassen werden

Quellen: Legal Tribune Online, Sozialgerichtsbarkeit Berlin-Brandenburg

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Kampf gegen Infektionskrankheiten

Obwohl bei der Verwirklichung des Ziels 3.3 der nachhaltigen Entwicklung (SDG), die Epidemien von HIV, Tuberkulose (TB), Virushepatitis B und C sowie sexuell übertragbaren Infektionen (STI) bis 2030 zu beenden, Fortschritte erzielt wurden, ist die Europäische Union/Europäischer Wirtschaftsraum (EU/EWR) bei vielen Zielen vom Kurs abgekommen. Dies geht aus dem ersten Überwachungsbericht zu den SDGs hervor, der Mitte April 2025 vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) veröffentlicht wurde.

Vermeidbare Krankheiten

„Europa braucht mutige, koordinierte Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Tests und Behandlung, um unsere SDG-Ziele für 2030 zu erreichen. Diese Krankheiten sind vermeidbar, ebenso wie die Belastung, die sie für Gesundheitssysteme, Patienten und ihre Familien bedeuten. Wir haben fünf Jahre Zeit zum Handeln; wir müssen sie nutzen“, sagte ECDC-Direktorin Pamela Rendi-Wagner.

Fortschritte bei der HIV-Testung und Behandlung

In der EU/EEA sind seit 2010 35 % weniger neue HIV-Infektionen gemeldet worden. Das Ziel für 2025 wird aber nicht erreicht. Es gibt gute Fortschritte bei der HIV-Testung und Behandlung. Aber es ist immer noch schwer, Menschen ohne Diagnose zu finden und sie zu versorgen. Die Nutzung von HIV-Vorbeugungsmitteln wie PrEP nimmt zu, aber es muss mehr davon gemacht werden. Seit 2015 hat es 35 % weniger Tuberkulose gegeben. Trotzdem werden weniger als 90 % der Tuberkulose-Erkrankungen behandelt, insbesondere bei arzneimittelresistenter Tuberkulose.

Todesfälle durch Hepatitis B und C

Virale Hepatitis B und C verursachen die meisten der jährlich fast 57 000 Todesfälle, die in der EU/im EWR auf AIDS, Tuberkulose und virale Hepatitis zurückzuführen sind. Bei Hepatitis B und C deuten die verfügbaren Informationen auf erhebliche Defizite bei der Erreichung der Test- und Behandlungsziele hin, und die Sterblichkeitsraten zeigen keine Anzeichen für einen Rückgang.

Sexuell übertragbaren Krankheiten

Die gemeldeten Fälle von sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis und Gonorrhöe nehmen in der gesamten EU/EWR zu und haben die höchsten Zahlen seit Beginn der Überwachung durch das ECDC im Jahr 2009 erreicht. Daten zur Test- und Behandlungsrate für STIs sind weitgehend nicht verfügbar, was das Gesamtbild erschwert.

Präventionsmaßnahmen ausweiten

Um die Ziele für 2030 zu erreichen, müssen Anstrengungen unternommen werden, um Präventionsmaßnahmen wie die PrEP für HIV, die Hepatitis-B-Impfung und Dienste zur Schadensbegrenzung für Menschen, die Drogen injizieren, auszuweiten und gleichzeitig den Gebrauch von Kondomen zu fördern. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, integrierte Testdienste für Mehrfachinfektionen in verschiedenen Umfeldern, einschließlich gemeindebasierter Tests, auszubauen, um Risikopersonen in einem früheren Stadium zu erreichen. Eine bessere Anbindung an die Versorgung und die Unterstützung der Therapietreue sind von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der individuellen Ergebnisse und die Verhinderung der Weiterübertragung, insbesondere bei Tuberkulose und Virushepatitis.

Verbesserung der Datenehebung

Eine Verbesserung der Qualität und Vollständigkeit der Überwachungs- und Kontrolldaten ist von entscheidender Bedeutung, ebenso wie die Erhebung von Daten, die sich auf die am stärksten von diesen Infektionen betroffenen Bevölkerungsgruppen beziehen. Um die Sterblichkeit durch vermeidbare Krankheiten zu senken, sind nachhaltige Anstrengungen erforderlich, und die Verbesserung der Verfügbarkeit und Qualität von Überwachungsdaten ist von grundlegender Bedeutung, um die Fortschritte genau zu verfolgen.

Quellen: UN, wikipedia, EU-European Centre for Disease Prevention and Control, Tagesschau

Abbildung: Von Samynandpartners – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46989619 Europa_building_February_2016.jpg