Informationswoche zum Betreuungsrecht in NRW gestartet

Vom 28. April bis 3. Mai 2025 findet in Nordrhein-Westfalen eine landesweite Informationswoche zum Betreuungsrecht statt. Organisiert wird die Aktion gemeinsam vom Ministerium der Justiz und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Ziel ist es, Bürgerinnen und Bürger über rechtliche Betreuung, Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen zu informieren und für die Bedeutung frühzeitiger Vorsorge zu sensibilisieren.

Insgesamt beteiligen sich 30 Amtsgerichte aus den Bezirken der Oberlandesgerichte Düsseldorf, Hamm und Köln an der Aktionswoche. Vor Ort werden Informationsstände, Fachvorträge, Podiumsdiskussionen und persönliche Beratungsgespräche angeboten. Dabei stehen Expertinnen und Experten aus Justiz, Betreuungsvereinen und Betreuungsbehörden zur Verfügung, um Fragen zu beantworten und Unterstützung anzubieten.

Staatssekretärin Dr. Daniela Brückner betont die Bedeutung rechtlicher Vorsorge: „Rechtliche Betreuung und Vorsorge helfen dabei, dass unsere Wünsche und Überzeugungen auch dann Gewicht haben, wenn wir selbst nicht mehr für uns sprechen können.“ Staatssekretär Matthias Heidmeier hebt hervor, dass die Informationswoche auch dazu dient, neue ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer zu gewinnen. Das Land unterstützt die Arbeit der Betreuungsvereine in diesem Jahr mit 10,5 Millionen Euro.

Weitere Informationen zur Informationswoche und den beteiligten Gerichten auf der Website des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW zu finden: Landesweite Informationswoche zum Betreuungsrecht – MAGS NRW

Familie darf zuviel gezahltes Bürgergeld behalten

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg – 3. Senat – hat mit Urteil vom 3. April 2025 (Az. L 3 AS 772/23) entschieden, dass eine dreiköpfige Familie Überzahlungen beim Bürgergeld nicht zurückerstatten muss, weil sie den Rechenfehler des Jobcenters nicht grob fahrlässig übersehen hat.

Sachverhalt

Die Familie erhielt seit Juli 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 19a SGB II). Für die Berechnung reichte sie den Arbeitsvertrag des Ehemanns (Verkäufer) ein, wonach er ab Februar 2021 monatlich 1 600 € netto verdienen sollte. Das Jobcenter rechnete irrtümlich mit 1 600 € brutto (statt netto), was einem Nettobetrag von 1 276,40 € entspricht. In den folgenden zehn Monaten wurden deshalb rund 3 000 € zu viel ausgezahlt. Mit Bescheid vom 31. Januar 2022 forderte das Jobcenter die zu viel gezahlten Leistungen zurück.

Vorinstanz

Das Sozialgericht (SG) Berlin hielt die Ehefrau, die das Verfahren für die Bedarfsgemeinschaft führte, für grob fahrlässig, weil sie den Fehler nicht erkannt habe. Es sprach dem Jobcenter daher einen Rückforderungsanspruch zu.

Rechtsgrundlage

Entscheidend ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X. Danach darf ein rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte schutzwürdig auf dessen Bestand vertraut hat. Vertrauen kann allerdings durch Kenntnis der Rechtswidrigkeit oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein.

Entscheidung des LSG

Das LSG betonte, dass bei komplizierten Berechnungen – wie bei Bescheiden zur Grundsicherung – von einem juristischen Laien nicht verlangt werden kann, jeden Detailfehler zu erkennen. Für grobe Fahrlässigkeit müssten Zweifel an der Rechtmäßigkeit so offenkundig sein, dass jeder Betroffene bei der Behörde nachfragen müsste. Die Klägerin habe plausibel dargestellt, dass ihr das Verständnis der Begriffe „Brutto“ und „Netto“ sowie die mehrzeilige Gesamteinkommensberechnung schwerfielen. Ein solcher Fehler sei nicht außergewöhnlich, sondern in dieser Konstellation nachvollziehbar und daher kein grob fahrlässiges Verhalten.

Ergebnis

Mangels grober Fahrlässigkeit durfte das Jobcenter seinen fehlerhaften Bescheid nicht rückwirkend korrigieren. Die Familie muss die rund 3 000 € nicht zurückzahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; eine Revision zum Bundessozialgericht kann zugelassen werden

Quellen: Legal Tribune Online, Sozialgerichtsbarkeit Berlin-Brandenburg

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Begrenzung des Betreuerverschuldens: BGH konkretisiert Zurechnungsvoraussetzungen

Mit seiner aktuellen Entscheidung vom 22. Januar 2025 (XII ZB 450/23) hat der Bundesgerichtshof wichtige Leitlinien zur Zurechnung von Betreuerverschulden bei gerichtlichen Verfahren (hier: Wiedereinsetzungsantrag) formuliert.

Sachverhalt:
Eine Mutter wurde durch das Amtsgericht zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Gegen den entsprechenden Beschluss wurde Beschwerde erst verspätet eingelegt. Im Wiedereinsetzungsantrag berief sich die Mutter auf das Versäumnis ihres im laufenden Verfahren bestellten Betreuers, der den Beschluss erhalten, jedoch nicht weitergeleitet oder reagiert hatte.

Entscheidung des BGH:
Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass das Verschulden eines Betreuers dem betreuten Beteiligten nur dann gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 51 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden kann, wenn der Betreuer als gesetzlicher Vertreter in das Verfahren eintritt und es für den Beteiligten als dessen gesetzlicher Vertreter (fort-)führt. Dies war im vorliegenden Fall nicht gegeben: Der Betreuer hatte sich weder durch eigene Anträge noch durch inhaltliche Stellungnahmen aktiv am Verfahren beteiligt. Eine bloße Anwesenheit oder Unterstützungsleistung in der Verhandlung reicht für eine Zurechnung nicht aus.

Folge:
Da kein zurechenbares Verschulden vorlag, wurde der Mutter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Zugleich hob der BGH die ablehnende Entscheidung des OLG Hamm auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück.

Bedeutung für die Betreuerpraxis

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer genauen Prüfung, ob ein Betreuer tatsächlich als gesetzlicher Verfahrensvertreter agiert hat. Erst dann ist sein Verhalten dem betreuten Beteiligten zuzurechnen.

Das Urteil hat damit eine Signalwirkung zum Thema „Verschulden des Betreuers“, weil es die Voraussetzungen dafür klar und einengend definiert, unter denen das Verhalten eines Betreuers in Gerichtsverfahren der betreuten Person zugerechnet werden darf.

  1. Keine automatische Zurechnung des Betreuerverhaltens
    Der BGH betont: Das Verhalten eines Betreuers kann nicht automatisch der betreuten Person zugerechnet werden. Entscheidend ist, ob der Betreuer das gerichtliche Verfahren aktiv als gesetzlicher Vertreter führt. Hat er das Verfahren lediglich „begleitet“, aber keine Verantwortung übernommen, liegt kein zurechenbares Verschulden vor.
  2. Hohe Anforderungen an die „Verfahrensführung“
    Es genügt nicht, wenn der Betreuer z. B. bei einer mündlichen Verhandlung anwesend ist oder im Hintergrund unterstützt. Es muss feststehen, dass er im Namen der betreuten Person Anträge stellt oder Erklärungen abgibt – also das Verfahren tatsächlich führt.
  3. Stärkung des effektiven Rechtsschutzes
    Diese Auslegung schützt betreute Personen davor, ihre Rechte zu verlieren, nur weil ein Betreuer passiv bleibt oder Fehler macht, ohne sich offiziell ins Verfahren einzubringen. Das stärkt den verfassungsrechtlich garantierten Zugang zum Gericht und das Vertrauen in das Betreuungsrecht.

Abbildung: fotalia – Picasa

Kampf gegen Infektionskrankheiten

Obwohl bei der Verwirklichung des Ziels 3.3 der nachhaltigen Entwicklung (SDG), die Epidemien von HIV, Tuberkulose (TB), Virushepatitis B und C sowie sexuell übertragbaren Infektionen (STI) bis 2030 zu beenden, Fortschritte erzielt wurden, ist die Europäische Union/Europäischer Wirtschaftsraum (EU/EWR) bei vielen Zielen vom Kurs abgekommen. Dies geht aus dem ersten Überwachungsbericht zu den SDGs hervor, der Mitte April 2025 vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) veröffentlicht wurde.

Vermeidbare Krankheiten

„Europa braucht mutige, koordinierte Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Tests und Behandlung, um unsere SDG-Ziele für 2030 zu erreichen. Diese Krankheiten sind vermeidbar, ebenso wie die Belastung, die sie für Gesundheitssysteme, Patienten und ihre Familien bedeuten. Wir haben fünf Jahre Zeit zum Handeln; wir müssen sie nutzen“, sagte ECDC-Direktorin Pamela Rendi-Wagner.

Fortschritte bei der HIV-Testung und Behandlung

In der EU/EEA sind seit 2010 35 % weniger neue HIV-Infektionen gemeldet worden. Das Ziel für 2025 wird aber nicht erreicht. Es gibt gute Fortschritte bei der HIV-Testung und Behandlung. Aber es ist immer noch schwer, Menschen ohne Diagnose zu finden und sie zu versorgen. Die Nutzung von HIV-Vorbeugungsmitteln wie PrEP nimmt zu, aber es muss mehr davon gemacht werden. Seit 2015 hat es 35 % weniger Tuberkulose gegeben. Trotzdem werden weniger als 90 % der Tuberkulose-Erkrankungen behandelt, insbesondere bei arzneimittelresistenter Tuberkulose.

Todesfälle durch Hepatitis B und C

Virale Hepatitis B und C verursachen die meisten der jährlich fast 57 000 Todesfälle, die in der EU/im EWR auf AIDS, Tuberkulose und virale Hepatitis zurückzuführen sind. Bei Hepatitis B und C deuten die verfügbaren Informationen auf erhebliche Defizite bei der Erreichung der Test- und Behandlungsziele hin, und die Sterblichkeitsraten zeigen keine Anzeichen für einen Rückgang.

Sexuell übertragbaren Krankheiten

Die gemeldeten Fälle von sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis und Gonorrhöe nehmen in der gesamten EU/EWR zu und haben die höchsten Zahlen seit Beginn der Überwachung durch das ECDC im Jahr 2009 erreicht. Daten zur Test- und Behandlungsrate für STIs sind weitgehend nicht verfügbar, was das Gesamtbild erschwert.

Präventionsmaßnahmen ausweiten

Um die Ziele für 2030 zu erreichen, müssen Anstrengungen unternommen werden, um Präventionsmaßnahmen wie die PrEP für HIV, die Hepatitis-B-Impfung und Dienste zur Schadensbegrenzung für Menschen, die Drogen injizieren, auszuweiten und gleichzeitig den Gebrauch von Kondomen zu fördern. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, integrierte Testdienste für Mehrfachinfektionen in verschiedenen Umfeldern, einschließlich gemeindebasierter Tests, auszubauen, um Risikopersonen in einem früheren Stadium zu erreichen. Eine bessere Anbindung an die Versorgung und die Unterstützung der Therapietreue sind von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der individuellen Ergebnisse und die Verhinderung der Weiterübertragung, insbesondere bei Tuberkulose und Virushepatitis.

Verbesserung der Datenehebung

Eine Verbesserung der Qualität und Vollständigkeit der Überwachungs- und Kontrolldaten ist von entscheidender Bedeutung, ebenso wie die Erhebung von Daten, die sich auf die am stärksten von diesen Infektionen betroffenen Bevölkerungsgruppen beziehen. Um die Sterblichkeit durch vermeidbare Krankheiten zu senken, sind nachhaltige Anstrengungen erforderlich, und die Verbesserung der Verfügbarkeit und Qualität von Überwachungsdaten ist von grundlegender Bedeutung, um die Fortschritte genau zu verfolgen.

Quellen: UN, wikipedia, EU-European Centre for Disease Prevention and Control, Tagesschau

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Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen ab Juli 2025

Die Pfändungsfreigrenzen nach § 850c ZPO maßgebenden Beträge ändern sich jedes Jahr entsprechend der Entwicklung des steuerlichen Grundfreibetrags nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes. Bis zum 1.7.2021 geschah dies nur alle zwei Jahre. Der nun jährliche Rhythmus wird damit begründet, dass vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens der dafür höhere Verwaltungsaufwand von immer geringerer Bedeutung sei.

Die jährliche Erhöhung wird jeweils in einer eigenen Bekanntmachung  veröffentlicht. Zu verwenden sind die Freigrenzen, die sich aus der jeweiligen Bekanntmachung ergeben.

Pfändungsfreibetrag und Unterhaltsfreibeträge

Die Pfändungsfreigrenze steigt zum 1. Juli 2025 auf 1.555,00 Euro (aktuell 1.491,75 Euro).

Der pfändungsfreie Sockelfreibetrag für den Schuldner kann im Einzelfall aufgestockt werden. So können auch Freibeträge gewährt werden, wenn der Schuldner einer oder mehreren Personen Unterhalt gewährt. Der pfändungsfreie Betrag erhöht sich in diesem Fall zum 1.7.2025:

  • für die erste Person, der Unterhalt gewährt wird, um 585,23 EUR, (aktuell 561,43 Euro)
  • für die zweite bis fünfte Person, der Unterhalt gewährt wird, um 326,04 EUR, (aktuell 312,78 Euro).

Pfändungsschutz, grundsätzliches

Die Leistung des Sozialstaates besteht nicht nur darin, dem bedürftigen Bürger Geld- oder Sachleistungen zu gewähren, sondern diese Leistungen, die in der Regel gerade ein Existenzminimum sichern, vor dem Zugriff Dritter zu schützen. Dies stellt u.a. der Pfändungsschutz sicher.

Arbeitseinkommen ist grundsätzlich pfändbar; dies gilt auch für Hinterbliebenenbezüge und Renten. Eine ganze Reihe von Einkommensarten sind jedoch unpfändbar. Mehr dazu in SOLEX.

Übersichtstabelle

Der Verein Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Hamburg e.V. hat dazu eine Übersichtstabelle erstellt.

Quellen: Bundesanzeiger, Schuldnerberatung Hamburg, SOLEX

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Qualitätsempfehlungen für Frauenhäuser

Die Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) hat im März 2025 ihre „Qualitätsempfehlungen für Frauenhäuser“ überarbeitet und aktualisiert. Sie richten sich an Betreiber*innen von Schutzeinrichtungen in Deutschland und dienen als Orientierungsrahmen für

  • Zugang und Aufnahme: 24‑Stunden‑Erreichbarkeit, selbstkostenfreie und niederschwellige Aufnahme unabhängig von Herkunft, Religion oder Aufenthaltsstatus,
  • Schutzniveau und räumliche Ausstattung: Separate Räume für Frauen und ihre Kinder, ausreichende Privatsphäre, sichere Tür‑ und Fensterverriegelungen, Barrierefreiheit,
  • Personelle Ressourcen und Qualifikation: Fach‑ und Zusatzpersonal (z. B. Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen), regelmäßige Fort‑ und Weiterbildungen, Supervision,
  • Kindgerechte Angebote: Eigene Spiel‑ und Rückzugsbereiche für Kinder, psychosoziale Begleitung, altersgerechte Gruppenarbeit,
  • Vernetzung und Partizipation: Kooperation mit Beratungsstellen, Polizei, Justiz, Gesundheits‑ und Jugendhilfe sowie Einbindung von Bewohnerinnen in die Konzeptentwicklung.

Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen

Die Qualitätsempfehlungen berücksichtigen aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und internationale Vorgaben wie die Istanbul-Konvention. Sie bieten eine Orientierung für den Aufbau neuer Schutzeinrichtungen und die Weiterentwicklung bestehender Angebote. Die Qualitätsempfehlungen wurden in enger Zusammenarbeit mit Fachkräften aus Frauenhäusern und Wohlfahrtsverbänden erarbeitet.

Istanbul-Konvention

Die „Istanbul‑Konvention“ ist der offizielle Titel des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, das am 11. Mai 2011 in Istanbul unterzeichnet wurde. Wesentliche Punkte sind:

  • Definition von Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und Diskriminierungsform (Art. 3)
  • Prävention (z. B. öffentliche Kampagnen, Schulungen für Fachkräfte)
  • Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen (insb. Frauenhäuser, Beratungsstellen, Hotlines)
  • Strafverfolgung und effektive Rechtsdurchsetzung
  • Koordination der Maßnahmen auf allen staatlichen Ebenen und unabhängige Evaluierung durch das Expert*innengremium GREVIO.

Rechtlicher Rahmen

In Deutschland ist die Istanbul‑Konvention seit Februar 2018 geltendes Recht. Sie verpflichtet Bund, Länder und Kommunen zur Bereitstellung und Finanzierung von Schutzeinrichtungen und Beratungsangeboten, zur Schulung von Fachpersonal und zur fortlaufenden Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen.

Die Konvention liefert den rechtlichen Rahmen der Qualitätsempfehlungen für Frauenhäuser. Sie macht nachhaltige Finanzierung, barrierefreien Zugang und fachliche Standards zu verbindlichen Vorgaben. Durch die verbindliche Evaluierung (GREVIO‑Berichte) wird die Umsetzung kontinuierlich kontrolliert und weiterentwickelt.

Quellen: Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK), Paritätischer Gesamtverband, Schweizerische Menschenrechtsinstitution SMRI, FOKUS-Sozialrecht

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Klare Regeln für Zwangsbehandlungen außerhalb von Krankenhäusern

Der Betreuungsgerichtstag e. V. (BGT) hat ein Thesenpapier zur geplanten Neuregelung ärztlicher Zwangsmaßnahmen nach § 1832 BGB vorgelegt. Anlass ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. November 2024, das den bisherigen sogenannten Krankenhausvorbehalt in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat. Der BGT begrüßt die geforderte gesetzliche Nachbesserung, warnt aber zugleich vor vorschnellen Lockerungen.

Hintergrund: Krankenhauspflicht nicht mehr ausnahmslos zulässig

Laut Bundesverfassungsgericht darf eine Zwangsbehandlung nicht mehr grundsätzlich nur in einem Krankenhaus erfolgen, wenn dies im Einzelfall unverhältnismäßig wäre. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, bis Ende 2026 eine verfassungskonforme Lösung zu schaffen.

BGT: Drei zentrale Forderungen für die Neuregelung

Der BGT fordert in seinem Papier:

  1. Verfassungskonforme Ausnahmeregelung: Eine Ausnahme vom Krankenhausvorbehalt soll nur dann möglich sein, wenn eine Verlegung in ein Krankenhaus aus subjektiven Gründen unzumutbar ist und die alternative Einrichtung nahezu den medizinischen Standard eines Krankenhauses erfüllt.
  2. Ultima-ratio-Prinzip stärken: Zwangsmaßnahmen dürfen nur als letztes Mittel („ultima ratio“) angewendet werden. Die gesetzlichen und verfahrensrechtlichen Vorgaben sollen laut BGT verschärft werden, um dies in der Praxis konsequenter sicherzustellen.
  3. Keine einstweilige Genehmigung für Ausnahmen: Die Ausnahme vom Krankenhausvorbehalt dürfe nicht im Eilverfahren (einstweilige Anordnung) zugelassen werden. Eine solche Entscheidung erfordere laut BGT eine gründliche Prüfung im Hauptverfahren.

Ablehnung weitergehender Ambulantisierung

Der BGT lehnt eine generelle Verlagerung von Zwangsbehandlungen in den ambulanten Bereich strikt ab. Voraussetzung für Ausnahmen sei, dass der sogenannte Krankenhausstandard am alternativen Ort gewährleistet ist – auch was Vorbereitung und Nachsorge betrifft.

Einheitliche Regelung auch für Bevollmächtigte

Auch wenn eine Zwangsmaßnahme mit Einwilligung eines Bevollmächtigten erfolgt, sollen laut BGT die gleichen strengen Anforderungen gelten – inklusive der ausdrücklichen und schriftlichen Erteilung der Vollmacht.

Evaluation zeigt Umsetzungsdefizite

Ein vom Justizministerium beauftragter Evaluationsbericht habe gezeigt, dass die bestehenden gesetzlichen Anforderungen in der Praxis häufig unzureichend geprüft würden. Der BGT fordert daher eine Überarbeitung auch der organisatorischen und verfahrensrechtlichen Vorschriften, um Grundrechte besser zu schützen.

Das Thesenpapier kann auf den Seiten des BGT nachgelesen werden: Mediendatenbank BGT .

Pandemie-Abkommen

Fünf Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie haben sich die Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation auf einen Pandemie-Vertrag geeinigt.

Stärkere globale Gesundheitsarchitektur

Die COVID-19-Pandemie hat die erheblichen Schwachstellen der globalen Gesundheitssicherheit offengelegt und die Notwendigkeit einer besser koordinierten internationalen Reaktion auf Pandemien deutlich gemacht. Das Pandemieabkommen ist ein Versuch, diese Schwächen anzugehen und eine stärkere globale Gesundheitsarchitektur für zukünftige Pandemien aufzubauen. Das Abkommen wird offiziell als „International Treaty on Pandemic Prevention, Preparedness and Response“ oder „Pandemic Treaty“ bezeichnet.

„Die Nationen der Welt haben heute in Genf Geschichte geschrieben“, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus laut einem Bericht der Tagesschau. Nach gut drei Jahren und zuletzt nächtelangen Diskussionen in Genf stimmten die Unterhändler einem Vertragstext zu. Er soll beim Jahrestreffen der 194 Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Mai in Genf verabschiedet werden.

Ziele und Verpflichtungen

Zu den Hauptzielen gehören die

  • Verbesserung der Pandemieprävention,
  • die Gewährleistung einer schnelleren und besser koordinierten Reaktion sowie
  • die Förderung eines gerechten Zugangs zu medizinischen Gegenmaßnahmen.

Zu den wichtigsten vorgeschlagenen Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten gehören

  • die Stärkung der nationalen Gesundheitssysteme,
  • die Verbesserung der Überwachung,
  • der Austausch von Daten über Krankheitserreger und
  • die Förderung des Technologietransfers.

Das Abkommen sieht Mechanismen für die Umsetzung und Überwachung vor, wobei die WHO eine zentrale koordinierende Rolle spielt.

Kontroversen

Die Verhandlungen waren von Kontroversen geprägt, insbesondere in Bezug auf Fragen der nationalen Souveränität, des Technologietransfers, der Finanzierung und der Rolle der WHO. So gab es hierzulande Verschwörungsgläubige, die der WHO eine „Machtergreifung“ unterstellten und es mit einer Petition sogar in den Petitionsausschuss schafften.

Gerechte Verteilung von Ressourcen

Bei erfolgreicher Ratifizierung und Umsetzung hat das Pandemieabkommen das Potenzial, die globale Vorbereitung und Reaktion auf zukünftige Pandemien erheblich zu verbessern. Es könnte eine stärkere internationale Zusammenarbeit fördern, die gerechte Verteilung von Ressourcen verbessern und die Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme weltweit stärken.

Die Wirksamkeit des Abkommens wird jedoch vom Engagement der Mitgliedstaaten für ihre Verpflichtungen und der Beilegung der laufenden Kontroversen abhängen. Es bleiben Herausforderungen bei der Erzielung eines Konsenses in wichtigen Fragen und der Sicherstellung einer breiten Ratifizierung und effektiven Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Die sich entwickelnde geopolitische Landschaft und mögliche Verschiebungen der nationalen Prioritäten könnten ebenfalls die Zukunft des Abkommens beeinflussen. So ist die USA mittlerweile aus der WHO ausgetreten.

Inkrafttreten

Der Vertrag gilt erst nach der Ratififzierung der Parlamente in den Mitgliedstaaten in den Staaten, die ihn ratifiziert haben. Er tritt in Kraft, wenn 60 Länder ihn ratifiziert haben. In Artikel 24 des Vertrags ist ausdrücklich geregelt, dass die WHO oder ihr Generaldirektor keine innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Maßnahmen anordnen. Sie kann keine Reisebeschränkungen verhängen, Impfungen erzwingen oder Lockdowns anordnen.

Quellen: WHO, Tagesschau

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Gesundheitliche Risiken durch Mobilfunk?

Im Jahr 2002 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung beauftragt, regelmäßig über die aktuellen Forschungsergebnisse in Bezug auf Emissionsminderungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktechnologie und Forschungsergebnisse in Bezug auf entsprechende gesundheitliche Auswirkungen zu berichten (Bundestagsdrucksachen 14/8584 und 14/9144). Mit dem vorliegenden Bericht kommt die Bundesregierung diesem Auftrag nunmehr zum elften Mal nach. Der Berichtszeitraum erstreckt sich vom 1. September 2022 bis zum 31. August 2024.

Nicht nachweisbar

Ein kausaler Zusammenhang zwischen Beschwerden elektrosensibler Personen und der nicht-thermischen Wirkung hochfrequenter elektromagnetischer Felder lässt sich weiterhin nicht nachweisen. Das schreibt das Bundesumweltministerium mit Verweis auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in ihrem elften Bericht über Forschungsergebnisse in Bezug auf die Emissionsminderungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktechnologie und in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen in der Unterrichtung, die am 14.4.25 dem Bundestag vorgelegt wurde.

Keine Langzeitrisiken

Das Fazit des Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms (2002 bis 2008) sei nach wie vor gültig, heißt es darin. Es gebe keinen Anlass, die Schutzwirkung der bestehenden Grenzwerte in Zweifel zu ziehen. Auch hinsichtlich möglicher Langzeitrisiken bei intensiver Handynutzung hätten sich die wissenschaftlichen Unsicherheiten weiter verringert: Kürzlich veröffentlichte Ergebnisse aus lang angelegten Bevölkerungsbeobachtungsstudien an Kindern und Erwachsenen sprächen gegen ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Krebserkrankungen, schreibt die Bundesregierung.

Weitere Beobachtung

Mit der fünften Mobilfunkgeneration 5G hätten Sorgen über eine höhere Belastung durch elektromagnetische Felder in Teilen der Bevölkerung zugenommen. Bisherige Messungen zeigten aber, dass sich die Belastung seit der Einführung von 5G „nicht wesentlich“ verstärkt habe. Ob der fortdauernde Netzausbau zu einer insgesamt höheren Beeinträchtigung der Bevölkerung führe, werde weiterhin beobachtet.

Bericht alle zwei Jahre

Der Bundestag hatte die Bundesregierung 2002 beauftragt, alle zwei Jahre über Emissionsminderungsmöglichkeiten der Mobilfunktechnologie und über Forschungsergebnisse zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen aufgrund der Abstrahlung elektromagnetischer Wellen durch Mobilfunk zu berichten.

Quelle: Bundestag

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Koalitionsvertrag: Frühstart-Rente

Der Koalitionsvertrag steht. In der Öffentlichkeit hat er keine Begeisterungsstürme ausgelöst. Tatsächlich liest sich das Papier wie ein zaghaftes „Noch gehts uns ja gut, also keine Experimente“. Es wird so getan, als sei die Klimakrise ein Problem unter vielen, dass mit mehr Gaskraftwerken und der berüchtigten „Technologieoffenheit“ zu lösen sei. Der gefühlten Bedrohungslage im Land und der schlechten wirtschaftlichen Lage will die Koalition mit den Rezepten von ganz rechts beikommen und macht die Ärmsten im Land dafür verantwortlich: Bürgergeld rückabwickeln, härtere Gangart gegen Migranten und Flüchtlinge aus der Ukraine weniger unterstützen.

Bei den Sozialversicherungen und deren Reform- und Finanzierungsbedarf wird es wohl weiter bei kleinteiliger Bastelei bleiben, nur in der Rentenversicherung taucht etwas neues auf: die „Frühstart-Rente“.

„Frühstart-Rente“

Die CDU-SPD-Koalition präsentiert mit der sogenannten „Frühstart-Rente“ einen neuartigen Ansatz, der bereits in jungen Jahren die Weichen für die private Altersvorsorge stellen soll. (Koalitonsvertrag, Seite 19)

Die „Frühstart-Rente“ ist ein staatlich gefördertes privates Altersvorsorgemodell, dessen Initiierung bereits im Kindesalter vorgesehen ist. Dieses Konzept ist primär eine Initiative der CDU, die nun im Koalitionsvertrag mit der SPD ihren Niederschlag gefunden hat. Zielgruppe sind Kinder im Alter von sechs bis einschließlich achtzehn Jahren, die eine Bildungseinrichtung in Deutschland besuchen. Der Staat plant, monatlich zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot für jedes anspruchsberechtigte Kind einzuzahlen. Nach Erreichen des 18. Lebensjahres besteht die Option, dass die jungen Erwachsenen bis zum Renteneintrittsalter private Zuzahlungen in dieses Depot leisten können, wobei möglicherweise jährliche Höchstbeträge festgelegt werden. Die Erträge, die in diesem Depot erwirtschaftet werden, sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei bleiben. Das angesparte Kapital ist vor staatlichem Zugriff geschützt und soll erst mit dem Erreichen der regulären Altersgrenze ausgezahlt werden. Die geplante Einführung soll zum 1. Januar 2026 erfolgen.

digitale Antwort auf das traditionelle Sparbuch

Der monatliche Beitrag des Staates beträgt zehn Euro für jedes anspruchsberechtigte Kind. Die staatlichen Einzahlungen erfolgen für den Zeitraum vom sechsten bis zum achtzehnten Lebensjahr , wobei der Besuch einer deutschen Bildungseinrichtung Voraussetzung ist. Der angesparte Betrag kann ab dem 18. Lebensjahr bis zum Renteneintritt durch private Einzahlungen aufgestockt werden, wobei ein jährlicher Höchstbetrag vorgesehen sein könnte. Die Erträge aus dem Depot sind bis zum Rentenbeginn steuerfrei, die Auszahlung im Rentenalter unterliegt dann der Besteuerung. Das angesparte Kapital ist vor staatlichem Zugriff geschützt und wird erst mit Erreichen der regulären Altersgrenze ausgezahlt. Die Union sieht in diesem Konzept eine digitale Antwort auf das traditionelle Sparbuch, wobei Kinder möglicherweise über eine App den Stand ihrer „Frühstart-Rente“ verfolgen können. Es kursieren Beispielrechnungen, dass bei einer angenommenen jährlichen Rendite von sechs Prozent die staatlichen Einzahlungen bis zum 18. Lebensjahr auf 2.100 Euro anwachsen könnten. Ohne weitere Einzahlungen würde sich dieser Betrag bis zum Renteneintritt mit 67 Jahren auf etwa 36.000 Euro erhöhen. Bei fortgesetzten privaten Einzahlungen wären deutlich höhere Summen möglich.

Kritik

Kritik kommt hingegen von sozialen Organisationen wie dem Paritätischen Gesamtverband, der die „Frühstart-Rente“ als staatlich finanzierten Einstieg in die Privatisierung der Altersvorsorge und als Wette auf eine ferne Zukunft betrachtet. Expertenberechnungen, wie sie beispielsweise auf Focus.de zitiert werden, zeigen, dass selbst bei einer angenommenen jährlichen Rendite von fünf Prozent die staatlichen Beiträge nach 45 Jahren nur etwa 12.600 Euro betragen könnten, was von einigen als „putzig“ bezeichnet wird. Es wird die geringe Höhe der monatlichen Einzahlung von zehn Euro bemängelt, die bestenfalls als symbolischer Betrag angesehen wird. Skeptis wird hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen ohne erhebliche private Zuzahlungen geäußert. Der AfW Bundesverband Finanzdienstleistung sieht zwar ein richtiges Signal, hält den Betrag jedoch für eher symbolisch und betont die entscheidende Rolle der konkreten Ausgestaltung, insbesondere hinsichtlich der Produktauswahl und der Beratung. Es gibt außerdem Bedenken hinsichtlich des ambitionierten Zeitplans für die Umsetzung zum 1. Januar 2026, da noch kein Gesetzentwurf vorliege.

Quellen: RND.de, Das Investment, Spiegel: Koalitionsvertrag, AfW Bundesverband Finanzdienstleistungen,

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