Vorschläge zur Reform der Krankenversicherung

In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses über einen Antrag (21/344) der Linksfraktion für eine gerechte Finanzierung der Krankenversicherung haben Gesundheitsfachleute Vorschläge für kurzfristige und langfristige Reformen in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) erörtert.

Zu hohe Zahl an Krankenhausbehandlungen und Arztbesuchen?

Der Sozialökonom Simon Reif von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erklärte, es gebe eine Reihe von Möglichkeiten, die Ausgaben zu senken, und nannte die hohe Zahl an Krankenhausbehandlungen und Arztbesuchen. Mit einer besseren Versorgungssteuerung und -planung ließen sich Kosten einsparen, und Patienten würden von weniger Über- und Fehlversorgung profitieren. Eine Dynamisierung des Bundeszuschusses an die GKV hält Reif für den falschen Weg. Das würde die Anreize zum wirtschaftlichen Handeln der GKV mindern.

Höhere Beitragsbelastungen

Richard Ochmann vom IGES-Institut für Gesundheits- und Sozialforschung verwies auf Projektionen seines Hauses, wonach die Beitragsbelastungen in den kommenden Jahren erheblich zunehmen werden. Daher seien Reformen nötig, die der Ausgabenentwicklung von Kranken- und Pflegeversicherung entgegenwirken. Mit der Krankenhausreform (Qualitätsorientierung) und der geplanten Notfallreform (Bedarfsorientierung) sei ein wichtiger Grundstein gelegt. Auch das geplante Primärarztsystem gehe grundsätzlich in die richtige Richtung.

Selbstbeteiligung von Patienten?

Strukturreformen forderte auch Christian Karagiannidis von der Universität Witten/Herdecke. Nötig sei eine bessere Steuerungsfunktion im System, sagte er und sprach sich für eine Selbstbeteiligung von Patienten aus. Diese könne ganz unterschiedlich und sozialverträglich ausgestaltet werden. Zu empfehlen sei das niederländische System. Dort liege der Satz derzeit bei 385 Euro pro Jahr. Erst ab diesem Betrag trete die Krankenversicherung in Kraft.

Finanzierungspflichten des Bundes

Ilias Essaidada vom Sozialverband VdK wies Forderungen nach mehr Eigenverantwortung zurück. Das schüre Angst unter den Versicherten, insbesondere unter Rentnern, und schädige das Vertrauen in den Sozialstaat. Er forderte stattdessen den Bund auf, seinen Finanzierungspflichten stärker nachzukommen. Der Bund müsse seinen Zuschuss zur GKV deutlich erhöhen. Die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und der Versicherungspflichtgrenze wäre ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung.

Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel?

Antje Kapinsky vom Verband der Ersatzkassen (vdek) sagte mit Blick auf die Expertenkommissionen für GKV und SPV: „Es liegen genügend Ideen auf dem Tisch, sodass man sofort loslegen könnte.“ Zwar würden aufgrund der aktuellen Finanzentwicklung schnell wirksame Sofortmaßnahmen benötigt, langfristig seien jedoch strukturelle Änderungen erforderlich. Kurzfristig sei die Anhebung des Herstellerrabatts für Arzneimittel denkbar sowie eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent.

Quelle: Bundestag

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So geht es nicht weiter

Europaweit gab es 2024 62.775 Hitzetote. Davon in Deutschland 6.282. Dies geht aus einer Studie des Instituto de Salud Global Barcelona (ISGlobal), veröffentlicht in „Nature Medicine„, hervor.

Hitzebedingte Übersterblichkeit

Das Forschungsteam analysierte Daten aus 654 Regionen in 32 Ländern und berechnete mithilfe epidemiologischer Modelle die hitzebedingte Übersterblichkeit. Dafür nutzte es tagesgenaue Temperatur- und Sterberegister, die präzisere Schätzungen ermöglichen als frühere Berechnungen auf Wochenbasis. Frauen waren dabei deutlich stärker gefährdet: Den Berechnungen zufolge lag die Zahl der hitzebedingten Todesfälle im Sommer 2024 bei Frauen um 46,7 Prozent höher als bei Männern. Besonders betroffen waren auch Personen über 75 Jahren, deren geschätzte Sterblichkeitsrate mehr als dreimal so hoch war als in allen anderen Altersgruppen zusammengerechnet.

Die globale Durchschnittstemperatur lag 2024 bei 1,55 Grad über dem vorindustriellen Niveau von 1850 bis 1900. Europa erwärmt sich doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt.

Weniger Geld für Umwelt- und Klimaschutz

Mittlerweile in Deutschland: Klimaschutz „wird überbewertet“; Gaskraftwerke werden ausgebaut; Im Bundeshaushalt werden das Geld für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen gekürzt. Weiterhin gibt das Umweltministerium mehr als die Hälfte seines Etats für die Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle aus.

Für die Förderung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sind wie im letzten Jahr knapp 39 Millionen eingeplant.

Auch die Ausgaben für den Naturschutz sollen sinken. Die Bundesregierung plant für 2026 mit Gesamtausgaben in Höhe von rund 199,67 Millionen Euro, das sind 650.000 Euro weniger als im laufenden Jahr.

Zum Stand der Dinge empfehle ich das Video von Harald Lesch mit dem Titel: „So geht es nicht weiter„.

Quellen: Bundestag, Spektrum, Nature Medicine, Harald Lesch

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Verbraucherzentrale zu IGeL-Angeboten

Im Mai 2023 berichteten wir hier umfassend über IGel. Das sind Selbstzahlerleistungen beim Arzt, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Es gibt unterschiedliche Gründe, warum die gesetzlichen Krankenkassen manche Leistungen nicht zahlen. Beispielsweise, weil keine medizinische Notwendigkeit besteht oder weil die Wirksamkeit dieser Leistungen nicht ausreichend wissenschaftlich belegt ist. Trotzdem werden den Patienten in den Arztpraxen oftmals solche Leistungen dringend empfohlen.

IGeL-Monitor

Einen guten Überblick bietet nach wie vor der IGeL-Monitor des Medizinischen Dienstes Bund. Hier werden die Leistungen wissenschaftlich fundiert bewertet, um Versicherte in die Lage zu versetzen, sich gut informiert für oder gegen eine IGeL zu entscheiden.

Besserer Schutz für Patient:innen

Nun hat der Bundesverband Verbraucherzentrale weitere Probleme bei den Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) aufgezeigt und fordert den Gesetzgeber auf, Patient:innen bei Selbstzahlerleistungen besser zu schützen.

Es geht um Medizinische Leistungen, die grundsätzlich von der GKV übernommen werden, aber von Ärzt:innen als Privatleistung angeboten werden. Der Grund ist, dass die KV die Leistungen nur übernimmt, wenn die jeweiligen Fachärzte dafür eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) haben. Um diese Genehmigung zu bekommen, müssen die Ärztinnen und Ärzte unter anderem an entsprechenden Fortbildungen teilnehmen. Nur mit der Fortbildung darf die Leistung über die Gesetzliche Krankenkasse abgerechnet werden. Die Facharztpraxen können sie aber trotzdem als IGeL anbieten. Dies betrifft zum Beispiel Hautkrebsscreenings und Mammosonografien.

Ergebnisbericht

Die Verbraucherzentrale hat zwischen März 2024 und Juni 2025 583 Meldungen von Verbrauchern zu diesem Thema bekommen, ausgewertet und jetzt in einem Ergebnisbericht veröffentlicht. Auch correctiv berichtet darüber

In den Meldungen geht es beispielsweise darum, dass die Bestimmung des Vitamin-D-Werts privat gezahlt werden musste, obwohl eine chronische Erkrankung vorlag, für deren Behandlung eine regelmäßige Bestimmung dieses Wertes essenziell ist. Auch zur Fachrichtung Gynäkologie gab es Rückmeldungen: Verbraucher:innen schildern, dass sie für Ultraschalluntersuchungen zahlen sollten, obwohl Schmerzen bestanden oder relevante Vorbefunde vorlagen. Die Zuzahlungen wurden von den Ärzt:innen unter anderem damit begründet, dass die Krankenkassen Rückforderungen stellen können – etwa wenn die Praxis angeblich zu viele Leistungen erbracht habe.

bürokratische Hürden

Verbraucher:innen, die sich gegen unzulässige Abrechnungen oder fragwürdige Selbstzahlerforderungen zur Wehr setzen möchten, benötigen zunächst fundiertes Wissen über Zuständigkeiten und Ansprechpartner im Gesundheitssystem. Besteht aus Sicht der Patient:innen ein Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten, sind die Möglichkeiten, bestehendes Recht individuell durchzusetzen, jedoch durch bürokratische Hürden begrenzt. Außerdem besteht die Sorge, dass bei Beschwerden, das Vertrauensverhältnis zu behandelnden Ärzt:innen belastet werden. Ein Arztwechsel ist zudem insbesondere in ländlichen Regionen oder bei Fachärzt:innen mitunter nur schwer möglich. Teils längere Wartezeiten und mangelnde Verfügbarkeit freier Termine erschweren den Zugang zusätzlich.

Forderungen

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert deswegen

  • IGeL sollten nur in gesonderten IGeL-Sprechstunden, klar getrennt von den GKV-Sprechstundenzeiten, verkauft werden dürfen.
  • Der Gesetzgeber muss Vertragsärzt:innen verpflichten, genehmigungspflichtige Leistungen als Kassenleistung anzubieten, wenn die grundsätzlichen arzttypischen Voraussetzungen dafür vorliegen.
  • Ärzt:innen dürfen etwa nicht bewusst Fortbildungen versäumen, um Leistungen privat erbringen zu können.
  • Für das Anbieten von IGeL ist ein einheitlicher Muster-Behandlungsvertrag einzuführen und verpflichtend einzusetzen.
  • Sämtliche IGeL-Verkäufe sind den Kassenärztlichen Vereinigungen zu melden und zu veröffentlichen.
  • Standardisierte, evidenzbasierte Gesundheitsinformationen zu IGeL-Angeboten sind von den Ärzt:innen verpflichtend den Patient:innen mitzugeben.
  • Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen sind bereits vielfach vorhanden, zum Beispiel im IGeL-Monitor des Medizinischen Dienstes Bund. Diese sollten in der elektronischen Patientenakte (ePA) und in der Praxissoftware integriert werden.

Quellen: FOKUS-Sozialrecht, IGel-Monitor, Bundesverband Verbraucherzentrale, correctiv,

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Kabinett beschließt Steuererleichterungen

Die Bundesregierung hat das Steueränderungsgesetz 2025 beschlossen. Es enthält mehrere wichtige Einzelmaßnahmen, mit denen das Ehrenamt gestärkt werden soll. Außerdem wird die Pendlerpauschale zum 1. Januar 2026 dauerhaft auf 38 Cent ab dem ersten Kilometer erhöht. 

Pendlerpauschale

Wer täglich pendelt, so die Bundesregierung, profitiere damit deutlich stärker als zuvor – das sorge auch für mehr Gerechtigkeit zwischen Stadt und Land. Und es bedeute eine spürbare Entlastung gerade für Leistungsträger im ländlichen Raum.

Außerdem erhielten Steuerpflichtige mit geringen Einkünften auch nach 2026 weiterhin die Mobilitätsprämie.

gerecht und umweltfreundlich?

Ob die Pendlerpauschale besonders gerecht und umweltfreundlich ist, ist umstritten. Verkehrsforscher Helmut Holzapfel meint dazu in der Frankfurter Rundschau vom 8. August 2025, dass mit der Pendlerpauschale die soziale Schieflage verstärkt würde. Denn der damit verbundene Steuernachlass von zusätzlich rund zwei Milliarden Euro pro Jahr entlaste wieder vor allem die Reichen im Land, Haushalte mit wenig Einkommen bekämen kaum etwas.

Reiche profitieren

Menschen mit hohen Einkommen, so der Verkehrswissenschaftler, bekämen derzeit durch die Pauschale im Schnitt 539 Euro im Jahr erstattet, Menschen mit geringem Einkommen 196 Euro. Verkehrswissenschaftliche Daten zeigten, dass vor allem Gutbetuchte weite Wege zur Arbeitsstätte zurücklegten. Die Hälfte der zusätzlichen zwei Milliarden, also eine Milliarde, fließe daher an die reichsten zehn Prozent unseres Landes, an das unterste Zehntel der Einkommenspyramide gingen nur 71 Millionen. Die Geschichte mit der schlecht bezahlten, autofahrenden Krankenschwester, die entlastet werden soll, sei völliger Unsinn.

Pauschale erhöht den CO2-Ausstoß

Helmut Holzapfel fordert die Abschaffung der Pauschale, Dies sei auch vom Bundesrechnungshof und von internationalen Organisationen wie der OECD empfohlen. Die Abschaffung würde nach Berechnungen des Umweltbundesamts bis zum Jahr 2030 eine Treibhausgas-Minderung von rund zwei Millionen Tonnen CO2 bringen. Durch die jetzt geplante Aufstockung der Pauschale werde sich der CO2-Ausstoß bis 2035, wie man grob abschätzen könne, genau um diesen Betrag erhöhen.

Ehrenamt

Die Bundesregierung hat nun eine Reihe an Änderungen zum Gemeinnützigkeitsrecht umgesetzt. Damit will sie das Ehrenamt weiter stärken und Anreize schaffen, sich stärker bürgerschaftlich zu engagieren. Die Maßnahmen bringen insbesondere Vereinfachungen für Steuerpflichtige und Verwaltung mit sich. Vorgesehen sind unter anderem:

  • Anhebung der Freigrenze für den steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb auf 50.000 Euro
  • Anhebung der Übungsleiter- und Ehrenamtspauschale auf 3.300 Euro bzw. 960 Euro
  • Anhebung der Freigrenze bei der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung auf 100.000 Euro
  • Verzicht auf eine Sphärenzuordnung von Einnahmen, bei Körperschaften mit Einnahmen unter 50.000 Euro
  • E-Sport bezeichnet den organisierten, wettbewerbsorientierten Wettkampf mit Computerspielen. Dieser wird nun als gemeinnützig behandelt.

Quellen: Bundeskabinett, wikipedia, Frankfurter Rundschau, Stiftung Deutsches Ehrenamt

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Ende des Verrechnungsschecks

Eine wesentliche Veränderung im System der Sozialleistungsauszahlung steht bevor: Die Barauszahlung von Renten und anderen Leistungen mittels Zahlungsanweisung zur Verrechnung (ZzV) wird zum 31. Dezember 2025 vollständig eingestellt. Die Postbank und die Deutsche Post AG haben angekündigt, den Service ersatzlos einzustellen. Diese Umstellung betrifft nicht nur Rentenempfänger, sondern auch Bezieher von Bürgergeld, Grundsicherung und in Einzelfällen auch Arbeitslosengeld oder Kindergeld.

Rechtsgrundlage ist das geplante „Gesetz zur Anpassung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze“. Über dieses Gesetzesvorhaben berichteten wir hier schon einmal im Zusammenhang mit der Einführung von Fallmanagement in der Rentenversicherung.

bisher: Wahlrecht

Die bisherige Rechtslage sah vor, dass Personen, die eine Sozialleistung empfangen, die Übermittlung der Geldleistung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verlangen können. Sie haben ein Wahlrecht, müssen im Gegenzug aber in der Regel die Kosten für die Übermittlung auf ein Konto tragen, die sich anstelle der kostenfreien Überweisung ergeben. Hintergrund ist der nach dem Zahlungskontengesetz grundsätzlich bestehende Anspruch auf ein Basiskonto für jeden Verbraucher, der es nicht rechtfertigt, dass die Kosten der Übermittlung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt bei den Sozialleistungsträgern und damit der Solidargemeinschaft verbleiben.

Lediglich soweit der Person, die Sozialleistungen empfängt, unverschuldet die Eröffnung eines Kontos nicht möglich ist, sollen ihr zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Kosten für die Übermittlung der Geldleistung an den Wohnsitz beziehungsweise Ort des gewöhnlichen Aufenthalts nicht auferlegt werden. Als ein bedeutender und kostengünstiger Weg der Übermittlung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt wurde bisher die ZzV (Verrechnungsscheck) eingesetzt. Diese Möglichkeit entfällt Ende 2025. Ein vergleichbares Produkt ist auf dem Markt derzeit nicht zu finden.

Wegfall des Wahlrechts

Vor diesem Hintergrund wird angesichts des Wegfalls der ZzV das Wahlrecht künftig abgeschafft. Personen, die Sozialleistungen empfangen, steht somit im Regelfall nur noch die kostenfreie Überweisung auf das Konto zur Verfügung. Sie können dabei weiterhin auch das Konto eines Dritten, zum Beispiel einer Vertrauensperson oder eines Wohlfahrtsverbandes, angeben.

Die Härtefallregelung bleibt allerdings erhalten, sodass auch in Zukunft der Anspruch auf die Geldleistung insgesamt ohne Kostenlast für die Personen, die Sozialleistungen empfangen, geltend gemacht werden kann, wenn sie nachweisen, dass ihnen die Einrichtung eines Kontos bei einem Geldinstitut ohne eigenes Verschulden nicht möglich ist.

Einzelfallprüfung bei Härtefällen

Die Anerkennung eines solchen Härtefalls erfordert wie bisher eine Einzelfallprüfung, in welcher die konkret zumutbaren Bemühungen um eine Kontoeröffnung im Rahmen einer Gesamtabwägung den geltend gemachten Hinderungsgründen (zum Beispiel persönliche Lebensumstände, gesund-
heitliche Einschränkungen, Mobilitätseinschränkungen, unzureichende Infrastruktur) gegenüberzustellen sind. Die Geldleistung wird bei einem Härtefall wie nach geltender Rechtslage auf anderem Weg als durch Zahlung auf ein Konto nach dem Zahlungskontengesetz kostenfrei an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt der Person, die Sozialleistungen empfängt, übermittelt.

Entsprechendes gilt für die zweite Ausnahme in Fällen, in denen Leistungen im Einzelfall keinen Aufschub dulden, etwa wenn die Geldleistung durch Überweisung auf ein Konto zur Beseitigung des existenzsichernden Leistungsbedarfs nicht rechtzeitig bei der Person, die Sozialleistungen empfängt, Empfänger ankommt. Dies sind im Regelfall daher wie bisher nicht die auf Dauer angelegten (beitragsfinanzierten) Versicherungsleistungen, sondern Leistungen, die sich auf Grund einer konkreten Bedürftigkeitssituation ergeben, aber nicht durch Überweisung auf ein (bestehendes) Konto erfüllt werden können. Geldleistungen zum Beispiel per Barcode oder Viacash sowie Auszahlungen über Kassenautomaten bei den Leistungsträgern bleiben daher auch künftig in den beiden genannten Ausnahmen möglich.

Renten gehen ausschließlich aufs Konto

Abweichend hiervon sieht der geänderte § 118 SGB VI vor, dass die Auszahlung von Rentenleistungen zukünftig ausschließlich auf ein Konto bei einem Kreditinstitut erfolgt.

keine Zahlen über die Anzahl der Betroffenen

Obwohl ein gesetzlicher Anspruch auf ein Basiskonto besteht, wird dieser Anspruch in der Praxis durch hohe, unangemessene Gebühren und bürokratische Hürden konterkariert. Das Fehlen von genauen statistischen Daten über die betroffene Gruppe – geschätzt ein Prozent der Bedarfsgemeinschaften – erschwert zudem die zielgerichtete Gestaltung von Lösungen. Immerhin hat das BMAS in einem Rundschreiben klargestellt, dass die zuständigen Stellen in den Sozialämtern und Jobcentern weiterhin Möglichkeiten vorhält, mit denen jeder Anspruchberechtigte an sein Geld kommt.

Quelle: BMAS, tacheles, Bundestag, FOKUS-Sozialrecht

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Bürgergeld und Sozialhilfe 2026

Das Bundeskabinett hat am 10.9.2025 der Festsetzung der Regelbedarfe im Bürgergeld und der Sozialhilfe für das Jahr 2026 zugestimmt. Nach der jetzt vorgelegten Fortschreibungs-Verordnung sollen die Leistungsbeziehenden von Lebensunterhaltsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung nach SGB II) und nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe nach SGB XII) im Jahr 2026 Regelbedarfe in derselben Höhe wie in den Jahren 2024 und 2025 erhalten.

Tabelle

Regelbedarfsstufe 1563 Euro
Regelbedarfsstufe 2506 Euro
Regelbedarfsstufe 3451 Euro
Regelbedarfsstufe 4471 Euro
Regelbedarfsstufe 5390 Euro
Regelbedarfsstufe 6357 Euro

Der Bundesrat muss der Verordnung noch zustimmen, vorgesehener Termin ist der 17. Oktober 2025.

Gesetzlich festgelegter Fortschreibungsmechanismus

Die Fortschreibung der Regelbedarfe erfolgt in zwei Schritten:

  • Im ersten Schritt erfolgt eine „Basisfortschreibung“ mittels Mischindex bestehend zu 70 Prozent aus der durchschnittlichen Entwicklung der regelbedarfsrelevanten Preise und zu 30 Prozent aus der durchschnittlichen Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter. Der Mischindex wird für den 12-Monats-Zeitraum von Juli bis Juni bestimmt. Ausgangspunkt der Fortschreibung ist das Ergebnis der Basisfortschreibung aus dem Vorjahr, nicht die aktuell geltenden Euro-Beträge der Regelbedarfsstufen.
  • Im zweiten Schritt wird durch eine „ergänzende Fortschreibung“ das Ergebnis der Basisfortschreibung durch die regelbedarfsrelevante Preisentwicklung des zweiten Quartals (von April bis Juni) fortgeschrieben und auf volle Euro gerundet.

Der gesetzlich festgelegte Fortschreibungsmechanismus führt zum 1. Januar 2026 aufgrund der Anwendung einer Besitzschutzregelung zu keiner Veränderung der Regelbedarfshöhen. Dies ergibt sich wie folgt:

Ausgangspunkt ist nicht der geltende Betrag von 563 Euro, sondern das Ergebnis der Basisfortschreibung zum 1. Januar 2025. Dies sind für alleinlebende, volljährige Personen mit der Regelbedarfsstufe 1 (RBS 1) 535,50 Euro. Auf den Betrag von 535,50 Euro ist bei der Fortschreibung zum 1. Januar 2026 die Basisfortschreibung mit dem Mischindex anzuwenden. Die Basisfortschreibung erfolgt mit 2,25 Prozent. Der sich aus der Basisfortschreibung ergebende Betrag von 547,55 Euro ist dann mit der Veränderungsrate der ergänzenden Fortschreibung fortzuschreiben. Aufgrund sehr niedriger Preisanstiege im zweiten Quartal 2025 beträgt diese 1,8 Prozent. Rechnerisch ergibt sich so für die RBS 1 ein Wert von 557 Euro, also weniger als der geltende Betrag von 563 Euro. Aufgrund des gesetzlichen Besitzschutzes bleiben die Regelbedarfe daher zum 1. Januar 2026 gegenüber 2025 unverändert – für die RBS 1 gelten also die 563 Euro auch für 2026.

Neuermittlung der Regelbedarfe im nächsten Jahr

Die geltende Fortschreibungsregelung wird voraussichtlich letztmalig angewendet. Für das kommende Jahr steht eine gesetzliche Neuermittlung der Regelbedarfe an. In diesem Gesetzgebungsverfahren wird in Umsetzung des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD auch über die künftige Ausgestaltung der jährlichen Fortschreibung zu entscheiden sein.

Quelle: Bundeskabinett

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Beitragsbemessungsgrenzen 2026

Wie jedes Jahr wird die Ankündigung der neuen Zahlen über die Rechengrößen in der Sozialversicherung mit großem Getöse in der Öffentlichkeit diskutiert, als stecke eine politische Absicht dahinter, die man noch schnell in die eine oder andere Richtung verändern könne. Ähnlich wie bei der Ankündigung, das Bürgergeld auch 2026 nicht zu erhöhen, sind die Zahlen aber nur die Folge der gesetzlich vorgeschriebenen Berechnungsgrundlagen.

Rechtsgrundlage

Nach den gesetzlichen Vorgaben sind die maßgebenden Werte der Rechengrößen der Sozialversicherung für jedes Kalenderjahr fortzuschreiben. Mit dem jetzt bekannt gewordenen Verordnungsentwurf des Bundesarbeitsministeriums sollen die neuen Werte der Rechengrößen der Sozialversicherung insbesondere für das Jahr 2026 festgelegt werden. Bei den Rechengrößen der Sozialversicherung handelt es sich um relevante Kenngrößen der Sozialversicherung für das Versicherungs-, Beitrags- und Leistungsrecht, wie zum Beispiel die Beitragsbemessungsgrenzen der gesetzlichen Rentenversicherung und die Jahresarbeitsentgeltgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung.

Um die maßgebenden Werte der Rechengrößen der Sozialversicherung für das Jahr 2026 zu bestimmen, werden die Werte für das Jahr 2025 mit der Veränderungsrate der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (Lohnzuwachsrate) im Jahr 2024 fortgeschrieben. Die gesamtdeutsche Lohnzuwachsrate im Jahr 2024 beträgt 5,16 Prozent. Für die Bestimmung des (endgültigen) Durchschnittsentgelts für das Jahr 2024 ist nach den gesetzlichen Vorschriften die Lohnzuwachsrate im Jahr 2024 für die alten Länder in Höhe von 5,26 Prozent maßgebend.

Daraus ergeben sich folgende Werte:

MonatJahr
Beitragsbemessungsgrenze: allgemeine Rentenversicherung8.450 €101.400 €
Beitragsbemessungsgrenze: knappschaftliche RV10.400 €124.800 €
Beitragsbemessungsgrenze: Arbeitslosenversicherung8.450 €101.400 €
Versicherungspflichtgrenze: Kranken- u. Pflegeversicherung6.450 €77.400 €
Beitragsbemessungsgrenze: Kranken- u. Pflegeversicherung5.812,50 €69.750 €
Bezugsgröße in der Sozialversicherung3.955 €47.460 €
vorläufiges Durchschnittsentgelt/Jahr in der Rentenversicherung für 2026
51.944 €
endgültiges Durchschnittsentgelt 2024 in der Rentenversicherung
47.085 €

Quelle: BMAS

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Internationale Gesundheitsvorschriften

Die Bundesregierung will mit einem Gesetzentwurf (21/1508) die Voraussetzungen für die völkerrechtliche Bindung Deutschlands an die von der 77. Weltgesundheitsversammlung angenommenen Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) schaffen. Die Änderungen treten am 19. September 2025 völkerrechtlich in Kraft und erfordern innerstaatlich ein Vertragsgesetz.

Begriffe und Aufgaben

Die am 1. Juni 2024 angenommenen Änderungen der IGV beinhalten den Angaben zufolge unter anderem die Einführung des Begriffs „pandemische Notlage“. Außerdem werden die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“ als Grundsätze der IGV aufgenommen.

Pandemische Notlage

  • Pandemische Notlage bedeutet eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite, die von einer übertragbaren Krankheit verursacht wird und
  • die eine weitreichende geographische Ausdehnung auf mehrere Staaten und innerhalb dieser Staaten aufweist oder bei der ein hohes Risiko dafür besteht,
  • die die Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen hinsichtlich der Reaktion auf die Notlage in diesen Staaten übersteigt oder bei der ein hohes Risiko dafür besteht,
  • die schwere soziale und/oder wirtschaftliche Störungen, einschließlich der Störung des internationalen Verkehrs und Handels, verursacht oder bei der ein hohes Risiko dafür besteht, und
  • die schnelles, gerechtes und verstärktes koordiniertes internationales Handeln mit ressortübergreifenden und gesamtgesellschaftlichen Ansätzen erfordert.

Informationspflicht und abgestimmte Gesundheitsmaßnahmen

Ferner umfassen die Änderungen ein Gebot für Vertragsstaaten, bei unklaren Ereignissen betreffend die öffentliche Gesundheit die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu informieren und sich mit ihr rechtzeitig über geeignete Gesundheitsmaßnahmen abzustimmen.

Schutz der Bevölkerung

Die Änderungen ermöglichten es der WHO und den Vertragsstaaten, schneller und effizienter auf Gefahren für die öffentliche Gesundheit zu reagieren und die Bevölkerung zu schützen, heißt es im Gesetzentwurf.

Am nicht verpflichtenden Charakter der Empfehlungen der Generaldirektorin bzw. des Generaldirektors der WHO im Falle einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite ändert sich nichts. Die nationale Souveränität bleibt von den Beschlüssen unberührt, so das Bundesgesundheitsministerium.

Quellen: Bundestag, BMG, FOKUS-Sozialrecht vom 16. April 2025

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Betriebsrentenstärkungsgesetz

Mit dem „Zweiten Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze“ sollen gute Betriebsrenten eine noch höhere Verbreitung finden. Dazu werden die Rahmenbedingungen für deren weiterhin freiwilligen Auf- und Ausbau im Arbeits-, Finanzaufsichts- und Steuerrecht verbessert. Außerdem werden mit dem Gesetz weitere Sozialgesetze punktuell geändert.

Neuauflage aus der Ampelzeit

Dieses Gesetzgebungsverfahren konnte in der 20. Legislaturperiode (Ampel) nicht abgeschlossen werden. Der Gesetzentwurf ist daher nicht in Kraft getreten. In der laufenden 21. Legislaturperiode steht das Vorhaben nun erneut auf der Tagesordnung.

Mit diesem Gesetz soll der rechtliche Rahmen für eine weiterhin grundsätzlich freiwillige betriebliche Altersversorgung „zielgerichtet“ fortentwickelt werden. In den letzten Jahren deutlich gewordene Verbreitungshindernisse sollen beseitigt und neue Anreize gesetzt werden, damit in möglichst vielen Unternehmen gute Betriebsrenten selbstverständlich und zum festen Bestandteil der Altersvorsorge der Beschäftigten werden.

Schwerpunkte

Schwerpunkte des Gesetzes sind dabei Verbesserungen im Arbeits-, Finanzaufsichts- und Steuerrecht.

  • Im Arbeitsrecht wird u. a. das 2018 eingeführte und auf Tarifvertrag beruhende Sozialpartnermodell weiterentwickelt. Insbesondere werden neue Möglichkeiten eröffnet, damit auch nichttarifgebundene und damit häufig kleinere Unternehmen und ihre Beschäftigten an dieser Form einfacher, effizienter und sicherer Betriebsrenten teilnehmen können. Außerdem wird das Arbeitsrecht im Hinblick auf eine möglichst hohe Verbreitungswirkung punktuell modifiziert.
  • Die Einführung von Opting-Out-Systemen zur automatischen Entgeltumwandlung auf Betriebsebene wird erleichtert.
  • Das Abfindungsrecht wird flexibler gestaltet. Der vorzeitige Bezug von Betriebsrenten wird an das neue Hinzuverdienstrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst.

Entbürokratisierung

Mit diesen Maßnahmen verbunden ist eine erhebliche Vereinfachung und Entbürokratisierung der betrieblichen Altersversorgung.

Quelle: BMAS

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Bürgergeld um 10% kürzen?

Die Regierungspartei CDU will auf keinen Fall an den fossilen Subventionen von jährlich über 65 Millarden Euro etwas ändern (im Gegenteil), ebensowenig wagt sie sich an eine Vermögenssteuer oder an eine Änderung bei der Erbschaftssteuer. Stattdessen behauptet Kanzler Merz, dass beim Bürgergeld 10 Prozent Einsparungen ja wohl machbar seien.

Papier aus Würzburg

Wie das hinzukriegen sei, ist im Beschlusspapier der Klausurtagung von CDU/CSU und SPD vom 29.8.2025 nachzulesen. Das Bürgergeld soll zu einer „neuen Grundsicherung“ umgearbeitet werden. Dabei soll gelten:

  • Rechte und Pflichten sollen klarer und verbindlich geregelt werden.
  • Jobcenter erhalten mehr Mittel.
  • Jede arbeitslose Person soll ein individuelles Angebot an Beratung, Unterstützung und Vermittlung erhalten.
  • Der Passiv-Aktiv-Transfer wird gesetzlich verankert und ausgeweitet.
  • Vorrang der Vermittlung für alle, die arbeiten können.
  • Bei Vermittlungshemmnissen: Qualifizierung, Gesundheitsförderung und Reha.
  • Mitwirkungspflichten und Sanktionen sollen schneller und einfacher durchgesetzt werden.
  • Wiederholte Ablehnung zumutbarer Arbeit = kompletter Leistungsentzug.
  • Besondere Situation von Menschen mit psychischen Erkrankungen soll berücksichtigt werden.
  • Schonvermögen wird an die „Lebensleistung“ gekoppelt – Karenzzeit entfällt.
  • Bei unverhältnismäßig hohen Unterkunftskosten entfällt die Karenzzeit ebenfalls.

Vorgaben von Verfassungsgericht

Wie das alles mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum (2010) und zu Sanktionen (2019) in Übereinstimmung gebracht werden soll, ist aber noch offen.

Quellen: Germanwatch, Harald Thome (Beschlusspapier), Caritas, FOKUS-Sozialrecht

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