Bezahlkarten und andere Abschreckungen

Mittlerweile dürfte allen klar geworden sein, dass die breite Mehrheit in Deutschland rechtsradikale und rechtspopulistische Politik ablehnt. Alle Vertreter der demokratischen Parteien begrüßen das ausdrücklich. Die Politik, die sie umsetzen, folgt allerdings den Erzählungen vom rechten Rand.

Offenbar scheint Deutschlands größtes Problem nicht etwa die drohende Klimakatastrophe oder die immer größere Kluft zwischen arm und reich zu sein, sondern die schier unfassbare Zahl von Flüchtlingen. 2023 wurden jeweils 240 Deutsche von einem Flüchtling umzingelt.

Warum fliehen Menschen?

Lösungen sind einerseits „Abschiebungen in großem Stil“ und andererseits muss man den Flüchtlingen das Leben hier möglichst unerträglich machen. Dabei soll die Bezahlkarte helfen. Grundlage dafür das Märchen von den Pullfaktoren. Danach sitzen in den Ländern der dritten Welt potenteille Flüchtlinge gemütlich während eines Krieges in ihren Bunkern oder etwa bei Umweltkatastrophen auf den Dächern ihrer Häuser und beratschlagen, wohin sie denn fliehen wollen. Und weil jemand weiß, dass es in Deutschland massenhaft Geld für Flüchtlinge gibt, wollen natürlich alle nach Deutschland. Nun ist aber jemand darunter, der von den drohenden Bezahlkarten gehört hat. Also wollen die Flüchtlinge doch lieber nach Italien oder sie geben den Fluchtgedanken auf und lassen sich umbringen.

Urteil des Verfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat schon 2012 der Politik ins Stammbuch geschrieben, dass ein menschenwürdigen Existenzminimums für jeden Menschen gewährleitet sein muss und erklärt, dass die Menschenwürde nicht »aus migrationspolitischen Gründen relativiert« werden dürfe (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). Wie das aber gerade durch die Einführung einer Bezahlkarte konterkariert wird, hat Pro Asyl in einem Appell an die Bundesländer eindrücklich beschrieben.

Beispiele:

Keine Überweisungen: Die Bezahlkarte ist nicht mit einem Bankkonto verknüpft, eine Überweisungsmöglichkeit soll explizit ausgeschlossen sein. Überweisungen sind heutzutage aber unentbehrlich – etwa für einen Handyvertrag, für den Abschluss einer Haftpflichtversicherung oder manche kleine Einkäufe im Internet. Geflüchtete müssen insbesondere die Raten für ihre dringend benötigten Rechtsbeistände per Überweisung bezahlen können.

Beschränkung von Bargeld: Die Länder haben sich nicht einmal auf einen relevanten Mindestbetrag verständigt, der von den Betroffenen in bar abgehoben werden kann. Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in bestimmten Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse fehlt. Beim Gemeindefest oder in der Schulcaféteria kann man mit der Bezahlkarte nichts kaufen.

Regionale Beschränkung: Die Bezahlkarte kann so eingestellt werden, dass sie nur innerhalb eines bestimmten Postleitzahlenbereichs funktioniert. Die regionale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken: Wer Verwandte oder Freund*innen besucht oder einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er*sie nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.

Verwaltungsaufwand senken?

Ein Argument der Länder bei der Einigung auf gemeinsame Standards für eine Bezahlkarte ist, dass der Verwaltungsaufwand damit gesenkt werde. Das ist allerdings höchst umstritten. Der Städtetag zeigte sich skeptisch, Sozialwissenschaftler Marcus Engler betont in der Tagesschau, dass es auf die Ausgestaltung der Bezahlkarte ankommt. Er hält übrigens das Argument, Fluchtanreize ließen sich durch niedrigere Sozialleistungen senken, für nicht belegt.

Auslandsüberweisungen stoppen?

Dazu Pro Asyl: „Eine weitere Begründung für die Bezahlkarte lautet: Man wolle den Transfer von Geld unterbinden – wahlweise zu den Heimatfamilien oder zu Schleppern. Dabei wird übersehen: Bereits heute erhalten Geflüchtete, besonders in der Anfangszeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, vor allem Sachleistungen und nur einen sehr geringen Geldbetrag. Die Idee, von den geringen Asylbewerberleistungen könnte noch Geld in die Herkunftsländer geschickt werden, ist völlig realitätsfern.“

Quellen: Pro Asyl, FOKUS-Sozialrecht, Hessische Staatskanzlei, Deutschlandfunk, Taggesschau
Alles Wissenswerte zur Bezahlkarte im Artikel von Netzpolitik.org vom 24.01.2024

Abbildung: pixabay.com lifebuoy-4148444_1280.jpg

Populismus – wer kann es am besten?

In der Frage, wie man mit Menschen umgeht, die vor Krieg, Verfolgung und Elend gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, überschlagen sich gerade alle Parteien mit rechtspopulistischen Vorschlägen in der Hoffnung, den einen oder anderen Wähler davon abzuhalten, auch rechtspopulistisch zu wählen.

Wie immer wird das keinen davon abhalten, AFD zu wählen. Im Gegenteil, ihre menschenverachtenden Positionen werden dadurch geadelt, dass andere sie nachplappern. Ich erspare mir hier weitere Faktenchecks – die gibt es überall zu lesen – die belegen, welchen Unsinn beziehungsweise welche Lügen vor allem von CDU-Seite verbreitet werden.

Sachleistungen?

Auch die Forderung nach Sachleistungen, das wissen wir seit den 90er Jahren, sind schwachsinnig, bürokratischer Unsinn und diskriminierend. Aus gutem Grund haben fast alle Kommunen und Länder die Sachleistungen als nicht zielführend eingestellt, obwohl sie rein rechtlich weiter möglich sind.

Europa schottet sich weiter ab

Der europäische Kompromiss zur Asylfrage mit der sogenannten Krisenverordnung erlaubt nun bei einem besonders starken Anstieg der Migration, dass der Zeitraum verlängert werden kann, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. EU-Staaten können den Schutzstatus nun auf ein zweifelhaft niedriges Niveau absenken.

Pullfaktoren?

Tatsache ist, dass die Erzählungen von Pullfaktoren wissenschaftlich widerlegt sind. Kein Mensch flieht vor Hunger, Krieg und Extremklima, um sich in Deutschland die Zähne zu sanieren. Auch wird die Aussicht auf Sach-, statt Geldleistungen keinen davon abhalten, zu versuchen, sein Leben zu retten.

Warum ist es nicht möglich, die Kommunen kurzfristig so auszustatten, dass Flüchtlinge gut untergebracht werden und Integrationschancen bekommen? Warum ist es nicht möglich, den krisengeschüttelten Ländern vor Ort bei der Überwindung von Krieg und Katastrophen zu helfen, so dass möglichst viele gar nicht fliehen müssen? Ach ja, die Schuldenbremse….

Quellen:

Abbildung: pixabay.com city-736807_1280.jp