Verordnungsentwurf zur Eingliederungshilfe

Mit dem Bundesteilhabegesetz sollte schon vor einigen Jahren ein menschenrechtsorientierter Behinderungsbegriff im SGB IX verankert werden. Strittig ist seitdem, welche Formulierung den Kreis der bisher leistungsberechtigen Personen weder erweitert noch Personen ausschließt, die auf der Grundlage der bisherigen Formulierung Leistungen erhält. Nun liegt das Ergebnis einer Untersuchung (Vorabevaluation) vor, die den vorliegenden Verordnungentwurf auf diese Frage hin analysiert hat.

Arbeitsgruppe seit 2018

Die mit der Implementierung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) verbundene Frage nach dem künftigen leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe konnte bisher nicht abschließend geregelt werden. Das dazu zunächst mit Art. 25a BTHG verfolgte Konzept einer quantitativen Betrachtung der Teilhabeeinschränkungen in den Lebensbereichen der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) erwies sich nach einer
wissenschaftlichen Evaluation als nicht tragfähig. Daraufhin initiierte das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Herbst 2018 die partizipative Arbeitsgruppe „Leistungsberechtigter Personenkreis in der Eingliederungshilfe“ (AG LPE).

Kriterien für die Neudefinition

Die Hauptaufgabe dieser Arbeitsgruppe bestand darin, Kriterien für die Neudefinition des zukünftigen leistungsberechtigten Personenkreises in der Eingliederungshilfe gemäß SGB IX zu erarbeiten. In diesem Rahmen entwickelte die Arbeitsgruppe einen Vorschlag zur Überarbeitung von § 99 SGB IX und den Entwurf
einer neuen Verordnung, die den Zugang zu Leistungen konkretisiert.

VOLE

Der Verordnungsentwurf trägt den Titel „Verordnung über die Leistungsberechtigung in der Eingliederungshilfe“ (VOLE). Die Struktur der VOLE orientiert sich am Aufbau der bestehenden Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) und verwendet Formulierungen, die den Begrifflichkeiten der UN-BRK und der ICF entsprechen. Trotz intensiver Bemühungen konnte innerhalb der Arbeitsgruppe bis Ende September 2019 keine vollständige Einigung über den genauen Wortlaut der VOLE erzielt werden. Während § 99 SGB IX zum 1. Juli 2021 durch den Gesetzgeber entsprechend des Vorschlags der AG LPE angepasst wurde, soll die VOLE erst nach einer Vorabevaluation auf den Weg gebracht werden.

Untersuchung der Auswirkungen

Ziel der Vorabevaluation ist die Untersuchung der Auswirkungen der VOLE auf den
leistungsberechtigten Personenkreis in der Eingliederungshilfe. Insbesondere soll die VOLE gegenüber der bislang maßgeblichen EinglHV vor dem Hintergrund des Ziels bewertet werden, den Personenkreis dem Grunde nach unverändert zu lassen. Auf Grundlage der Ergebnisse des Forschungsvorhabens soll der Verordnungsgeber entscheiden können, in welcher Form er die vorgeschlagene VOLE umsetzen möchte.

Nach dem Ergebnis der juristischen Analyse haben sich die gesetzlichen Bestimmungen über den Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe seit 01.01.2005 im Grundsatz nicht verändert. Mit dem BTHG wurde in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zum 01.01.2018 eine neue Definition von Behinderung eingeführt, die sich an dem Verständnis der UN-BRK und der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO orientiert.

Entscheidend für das neue Begriffsverständnis ist, dass Behinderung erst in Wechselwirkung zwischen dem gesundheitlichen Problem einer Person und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht.

Anpassung an die UN-Behindertenrechtskonvention

Bei der neuen Definition von Behinderung handelt es sich um eine sprachliche Anpassung des § 2 SGB IX an die UN-BRK. Die Bestimmungen über die Leistungsvoraussetzungen in § 99 SGB IX haben sich mithin seit fast 20 Jahren inhaltlich nicht geändert. Geändert hat sich durch das BTHG die nunmehr an der UN-BRK und der ICF orientierte Legaldefinition der Personen, für die diese
Bestimmungen über die Leistungsvoraussetzungen Anwendung finden sollen. Die untergesetzlichen Rechtsverordnungen (EinglHV und VOLE) müssen diesem Recht folgen und sind bei ihrer Anwendung auch im Lichte dieser Bestimmungen auszulegen.

Personenkreis soll gleich bleiben

Die Vorabevaluation des Entwurfs der „Verordnung über den Leistungszugang in der
Eingliederungshilfe“ (VOLE) hatte das Ziel, vor Einführung einer neuen Verordnung zu erwartende Veränderungen hinsichtlich des leistungsberechtigten Personenkreises zu untersuchen. Insbesondere soll die VOLE gegenüber der bislang maßgeblichen Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) vor dem Hintergrund des Ziels bewertet werden, den Personenkreis dem Grunde nach unverändert zu lassen.

Keine Änderung bei körperlicher oder seelischer Behinderung

Die interdisziplinär angelegte Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) führte hierfür juristische, medizinische und ozialwissenschaftliche Analysen zusammen. Im Ergebnis wird konstatiert, dass bei Einführung der vorliegenden Fassung der §§ 2 und 4 VOLE weder eine Ausweitung noch eine Einschränkung des beschriebenen Personenkreises zu erwarten ist.

Ausgrenzung bei geistig Behinderten

Jedoch ist festzuhalten, dass die drei Formulierungsalternativen zu § 3 VOLE in
unterschiedlichem Umfang zu einer Ausgrenzung eines Teils des bisher von § 2 EinglHV erfassten Personenkreises führen. Damit die mit der Einführung der neuen medizinischen Oberbegriffe angestrebte Rechtsklarheit und einheitliche Rechtsanwendung erreicht werden kann, bedarf es laut Untersuchung einer Überarbeitung hinsichtlich der Verwendung medizinischer Begriffe.

Überarbeitung

Der Entwurf soll nun auf Grundlage der Forschungserbegnisse überarbeitet und erneut in der genannten Arbeitsgruppe besprochen werden.

Quellen: BMAS, Paritätischer Gesamtverband, FOKUS-Sozialrecht

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Teilhabestärkungsgesetz im Bundesrat

Nach dem Bundestag hat am 28. Mai 2021 auch der Bundesrat dem Teilhabestärkungsgesetz zugestimmt, um Teilhabechancen für Menschen mit Behinderungen in deren Alltag und Arbeitsleben zu verbessern.

Mehr zu den Inhalten des Gesetzes

Bundesrat will Kostenbeteiligung

Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme vom 26. März 2021, BR-Drucksache 129/21 (Beschluss) gefordert, Artikel 7 Nummer 15 des Teilhabstärkungsgesetzes (samt Folgeänderungen) zunächst aus dem Gesetz auszuklammern, da die Ausarbeitung der Rechtsverordnung, die zur Umsetzung des veränderten § 99 SGB IX erforderlich ist, noch aussteht. Diese Rechtsverordnung wird den leistungsberechtigten Personenkreis wesentlich bestimmen und sollte daher nicht losgelöst von der Gesetzesänderung betrachtet werden. Darauf hatten bereits die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder am 26. November 2020 einstimmig hingewiesen.
Der Bund hat sich entschieden, dieser Forderung der Länder nicht zu entsprechen. Da aber Kostenfolgen für Länder und Kommunen nicht überblickt werden können, solange der Inhalt der Rechtsverordnung zum leistungsberechtigten Personenkreis nicht feststeht, ist der Bund gefordert, etwaige Mehrkosten auszugleichen.

Arbeisgruppe „Leistungsberechtigter Personenkreis“

Der neue § 99 ist also in Kraft. Der Wortlaut entspricht dem Vorschlag der Arbeitsgruppe „Leistungsberechtigter Personenkreis“.

Keine Veränderung des Personenkreises

Nach intensiven Erörterungen im Gesetzgebungsverfahren des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) wurde mit Artikel 25a BTHG für § 99 SGB IX eine Regelung zur Neudefinition des leistungsberechtigten Personenkreises in der Eingliederungshilfe (SGB IX Teil 2) aufgenommen, die durch ein späteres Bundesgesetz konkretisiert und zum 1. Januar 2023 in Kraft gesetzt werden sollte. Zuvor sollte durch eine wissenschaftliche Untersuchung und eine modellhafte Erprobung der Regelung u. a. ihre Vereinbarkeit mit dem übergeordneten gesetzgeberischen Ziel – keine Veränderung des leistungsberechtigten Personenkreises – überprüft werden. Da die in den Jahren 2017 und 2018 durchgeführte wissenschaftliche Untersuchung zu dem Ergebnis geführt hat, dass die im BTHG vorgesehene Regelung zu einer Veränderung des leistungsberechtigten Personenkreises führen würde, ist dieses Konzept hinfällig.

Angleichung an UN-BRK und ICF

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2018 einen partizipativen Beteiligungsprozess initiiert, um ein alternatives Konzept zu Artikel 25a § 99 BTHG zu entwickeln. Die sich in diesem Rahmen gebildete Arbeitsgruppe „Leistungsberechtigter Personenkreis“ hat sich 2019 auf ein Konzept verständigt, wonach die Kriterien für die Berechtigung zu Leistungen der Eingliederungshilfe durch Orientierung an den Begrifflichkeiten der UN-BRK und der ICF angepasst werden sollen. In diesem Konzept ist – wie im alten Recht der Eingliederungshilfe – neben einer gesetzlichen Regelung eine diese Regelung konkretisierende Rechtsverordnung vorgesehen. Der von der Arbeitsgruppe ausgearbeitete Vorschlag der gesetzlichen Regelung wird nun umgesetzt.

Ziel der Arbeitsgruppe

Ziel der Arbeitsgruppe war es, dass sich Vertreterinnen und Vertreter der Menschen mit Behinderungen, der kommunalen Leistungsträger, der Leistungserbringer und der Länder sowie Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und Praxis auf die Grundzüge eines Modells zur Ausgestaltung des leistungsberechtigten Personenkreises verständigen. 

Die konkreten Vorschläge zur künftigen Ausgestaltung der Regelungen des Leistungszugangs stehen vor dem Hintergrund, dass sich der leistungsberechtigte Personenkreis in der Eingliederungshilfe nicht verändern soll.

Zentrale Ergebnisse

  • Die Kriterien für den Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe werden so angepasst, dass sie sich an den Begrifflichkeiten der UN-BRK und der ICF orientieren.
  • Neben der gesetzlichen Regelung im künftigen § 99 SGB IX wird es eine konkretisierende Rechtsverordnung geben.
  • Für einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe ist auch künftig das Vorliegen einer Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX nicht ausreichend. Zusätzlich muss ein weiteres Kriterium erfüllt sein.
  • Der Begriff der „wesentlichen“ Behinderung, der für einen Zugang zu Eingliederungshilfeleistungen erforderlich ist, wird künftig legal in § 99 Abs. 1 SGB IX definiert.
  • Liegt keine „wesentliche“ Behinderung vor, können Personen mit einer anderen geistigen, seelischen, körperlichen oder Sinnesbehinderung auch künftig Leistungen der Eingliederungshilfe im Ermessensweg erhalten.
  • Entscheidend für das Vorliegen einer „wesentlichen“ Behinderung ist, dass die Beeinträchtigung in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren zu einer wesentlichen Einschränkung der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft führt, statt, wie in den bisherigen Regelungen formuliert, zur Einschränkung der Teilhabefähigkeit.

Nächstes Ziel: Verordnung

Eine vollständige Einigung des Verordnungstextes konnte im Rahmen der Arbeitsgruppe nicht mehr erreicht werden. Zur Klärung der verbliebenen offenen Fragen soll ein Folgeprozess stattfinden.

Umfassende Berichterstattung zum Bundesteilhabegestz und dessen Umsetzung finden Sie hier.

Quellen: Bundesrat, FOKUS-Sozialrecht, umsetzungsbegleitung-bthg.de

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Verbesserungen durch das Teilhabestärkungsgesetz?

Morgen, also am 22.4.2021, wird das Teilhabestärkungsgesetz abschließend im Bundestag beraten. Über den Inhalt und die Ziele des Gesetzes berichteten wir im Januar. In der vergangenen Woche gab es dazu die Anhörungen von Experten und Fachverbänden.

Dabei wurde deutlich, dass die im Gesetz vorgesehenen Änderungen im Wesentlichen unterstützt werden. Kritisiert wurde aber, dass einige Schlechterstellungen von Menschen mit Behinderungen bestehen bleiben und die Chance verpasst wurde, die Gleichstellung voranzubringen.

Umsetzung der UN-BRK

Begrüßt auch im Sinne der Umsetzung UN-Behindertenrechtskonvention werden folgende Vorhaben:

  1. Die Aufnahme des Themas Schutz vor Gewalt für behinderte Mädchen und Frauen. Finanzierung und konkrete Strategien müssen noch geklärt werden.
  2. Die Aufnahme Digitaler Gesundheitsanwendungen in den Leistungskatalog.
  3. Die Ausweitung des Budgets für Ausbildung.
  4. Die Abkehr von der bisherigen diskriminierenden Sprachregelung bei der neuen Regelung der Leistungsberechtigung.
  5. Die Änderung des BGG im Hinblick auf die Verpflichtung auch der Privatwirtschaft, Assistenzhunde zu akzeptieren.

Was fehlt?

Wunsch und Wahlrecht

Mit dem BTHG wurden Leistungen der Assistenz für diejenigen, deren Kostenträger die Eingliederungshilfe ist, unter eine Prüfung der „Angemessenheit“ und damit unter Kostenvorbehalt gestellt (§ 104 Abs. 2 SGB IX). Diese Abschwächung des allgemein geltenden Wunsch- und Wahlrechts (§ 8 SGB IX) muss beendet werden. Die freie Wahl der Wohnform ist grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

„Zwangs-Poolen“

Leistungen, die gemeinsam an mehrere Leistungsberechtigte erbracht werden, bezeichnet man auch als Poolen von Leistungen. Das Poolen kann auf Wunsch des Leistungsnehmers geschehen, aber auch gegen seinen Willen, wenn das Poolen für ihn zumutbar ist. Das „Zwangs-Poolen“ ist allerdings rechtlich umstritten. Der Gesetzgeber argumentiert mit der Wirtschaftlichkeit, die Gegner sehen darin Unvereinbarkeiten mit der Behindertenrechtskonvention und dem Grundgesetz. Die gemeinsame Leistungserbringung darf möglich und in Einzelfällen sogar gewollt sein, aber nur, sofern dies dem Wunsch der Betroffenen entspricht. Die gemeinsame Leistungserbringung muss daher – zumindest für den Bereich der Persönlichen Assistenz – unter dem Zustimmungsvorbehalt der Leistungsberechtigten stehen.

Ehrenamt

Die Ausübung eines Ehrenamtes wird durch § 78 Abs. 5 SGB IX unzulässig eingeschränkt. Danach solle die notwendige Unterstützung für die Ausübung eines Ehrenamtes „vorrangig im Rahmen familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher oder ähnlich persönlicher Beziehungen erbracht werden“. Schon die Grünen forderten im November 2018 eine Abschaffung des Absatzes 5. In der Stellungnahme der Selbsthilfe-Initiative Ability Watch wird zumindest die Streichung der Einschränkung „soweit die Unterstützung nicht zumutbar unentgeltlich erbracht werden kann“ gefordert.

Anrechnung von Einkommen und Vermögen

Die UN-BRK fordert die gleichberechtigte Partizipation von Menschen mit Behinderung und damit die Möglichkeit, den gleichen Lebensstandard zu erreichen wie Menschen ohne Behinderung. Behinderungsbedingte Unterstützungsleistungen müssen entsprechend gestaltet sein. Damit verbietet sich auch jede Anrechnung von Einkommen und Vermögen für den Erhalt von Teilhabeleistungen, da diese zu einer Verringerung des Lebensstandards im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung führt. Nancy Poser von Ability Watch dazu: „Dass der Gesetzgeber gleichwohl auch im Entwurf des Teilhabestärkungsgesetzes erneut die Abschaffung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen nicht angeht, scheint einzig in der überkommenden Vorstellung begründet, dass Teilhabeleistungen kein Nachteilsausgleich sondern Teil einer Sozialhilfe seien, für deren Empfang man arm zu sein hat.“

Assistenz im Krankenhaus

In der Anhörung forderte unter anderem der VDK nachdrücklich, die Finanzierung des Assistenzbedarfs im Krankenhaus endlich zu regeln. VdK-Präsidentin Verena Bentele dazu: „Aus unseren Beratungen wissen wir, dass Menschen mit Demenz im Krankenhaus ohne Begleitung nur schwer zurechtkommen. Wenn sie keine vertraute Person bei sich haben, können sie den Ärzten oft nicht folgen. Sie wissen dann nicht, welche Medikamente sie einnehmen sollen und warum eine Behandlung durchgeführt wird. Für Menschen mit Behinderungen oder für alte Menschen mit Demenz ist eine Begleitung im Krankenhaus der Schlüssel, um gesund zu werden. Dafür braucht es endlich eine gesetzliche Regelung. Die Betroffenen dürfen nicht länger von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen werden, weil niemand die Kosten für ihre Assistenz übernehmen will. Eingliederungshilfe und Krankenkassen schieben sich seit Jahren die Verantwortung zu. Die Leidtragenden sind vor allem Menschen mit Demenz oder mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen.“

Schon im Mai 2020 forderten die Fachverbände für Menschen mit Behinderung vom Bundesgesetzgeber, die soziale Assistenz für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung im Krankenhaus sowie in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen als Leistung der Eingliederungshilfe durch eine geeignete Regelung im SGB IX sicherzustellen. Die Fachverbände schlagen vor, die Liste der Leistungen zur sozialen Teilhabe in § 113 Abs. 2 Ziffern 1-9 SGB IX um eine Ziffer 10 „Assistenz im Krankenhaus sowie in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen“ zu ergänzen.

Ausgerechnet die AfD hat in einem Zusatzantrag zum Gesetzentwurf diesen Punkt aufgegriffen und fordert wortgleich eben diese Gesetzesänderung. Falls es tatsächlich zu der Ergänzung im Gesetz kommen sollte, wird es der AfD aber nicht gelingen, dies als „ihren Erfolg“ darzustellen.

Schwammige Rechtsbegriffe

Mit dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung zahlreiche Änderungen im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) umsetzen, die den Alltag von Menschen mit Behinderungen erleichtern sollen. So soll beispielsweise geregelt werden, dass Menschen mit Behinderung der Zutritt nicht wegen einer Begleitung durch einen Assistenz- oder Blindenführhund verweigert werden darf.

Viele Organisationen und Vereine kritisieren dabei jedoch schwammige Rechtsbegriffe und befürchten, dass Menschen mit Behinderung auch weiterhin selber beweisen müssten, dass sie beim Besuch von Geschäften oder Einrichtungen auf die Begleitung ihres Assistenzhundes angewiesen sind. Befürchtet wird zudem, dass sich Nachteile für Menschen in Begleitung von Blindenführhunden ergeben werden, sofern Blindenführhunde, wie vorgesehen, keine Assistenzhunde nach dem BGG sein sollen. Mit der Unterscheidung zwischen Assistenz- und Blindenführhunden würde der Sonderstatus des Blindenführhundes zementiert, was dazu führen könnte, dass Assistenzhunde „nachhaltig von der Finanzierung durch Sozialleistungsträger ausgeschlossen bleiben“, schreibt etwa der Verein Associata-Assistenzhunde in seiner Stellungnahme für den Gesetzentwurf. Auch die Allianz für Assistenzhunde fragt in ihrer Stellungnahme: „Warum müssen Halter*innen von Nicht-Blindenführhunden mit hohen Kosten kämpfen, während Blindenführhund-Teams gefördert werden?“

Bundesrat

Sollte das Teilhabestärkungsgesetz im Bundestag verabschiedet werden, muss es noch im Bundesrat bestätigt werden. Auf der Tagesordnung der nächsten Bundesratssitzung ist es aber noch nicht aufgeführt. Es kann also noch Juni werden, bis das Gesetz endgültig verabschiedet wird. Geplant ist das Inkrafttreten zum 1.1.2022, teilweise aber schon direkt nach Verkündung des Gesetzes (Gewaltschutz, Digitale Gesundheitsanwendungen, Ausweitung des Budgets für Ausbildung).

Quellen: Bundestag, Bundesrat, ability watch, VDK, Neues Deutschland, FOKUS-Sozialrecht – Artikelserie zum BTHG

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Bundesteilhabegesetz (Teil 19) – Gesamtplanung

Dem Gesamtplan in der Eingliederungshilfe wird im Kontext einer personenorientierten Leistungserbringung eine Schlüsselfunktion zugesprochen. Das Gesamtplanverfahren stärkt auch die Teilhabe der Leistungsberechtigten am Verfahren insgesamt. Allerdings ist das Verfahren sehr kompliziert und komplex. Um wirklich gegenüber dem Leistungsträgern und Leistungserbringern eine, auf dem Papier vorhandene, gleichberechtigte Position zu erhalten, bedarf es viel Kenntnis, Energie und Selbstbewusstsein der Leistungsberechtigten, ihrer Vertrauenspersonen und ihrer gesetzlichen Vertreter. Bei der Beteiligung mehrerer Rehabilitationsträger ist auch die notwendige Transparenz nur schwer zu erreichen. Deswegen ist eine gute Beratung um so wichtiger.

Rechtsgrundlagen sind die §§ 117 bis 122 SGB IX

Gesamtplanverfahren

§ 117 SGB IX

Das Gesamtplanverfahren ist nach folgenden Maßstäben durchzuführen:

  1. Information und Beratung, Beteiligung des Leistungsberechtigten
    Im Vorfeld des Verfahrens haben Betroffene einen Anspruch auf Information und Beratung. Der Träger der Eingliederungshilfe ist nach § 106 SGB IX zur umfassenden und kostenfreien Beratung und Unterstützung verpflichtet. Außerdem stehen das Beratungsangebot der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabe-Beratungsstellen (EUTB) nach § 32 SGB IX zur Verfügung. Über die Möglichkeit, sich bei der EUTB und bei staatlichen Stellen beraten zu lassen, müssen Leistungsträger und Leistungserbringer informieren.
  2. Dokumentation der Wünsche des Leistungsberechtigten zu Ziel und Art der Leistungen
  3. Bei der Durchführung des Gesamtplan Verfahrens müssen folgende Kriterien beachtet werden:
    transparent: Das Verfahren soll so gestaltet werden, dass alle Beteiligten, vor allem aber der Leistungsberechtigte unter Berücksichtigung seiner kommunikativen Fähigkeiten, Ziel, Ablauf und Hintergrund des Gesamtplanverfahrens nachvollziehen  können.
    trägerübergreifend: Die Bedarfsermittlung darf sich nicht nur auf die Teilhabeaspekte beschränken, die mithilfe von Eingliederungshilfeleistungen voraussichtlich überwunden werden können, sondern hat die Bedarfe einer Person ganzheitlich auf der Basis des bio-psycho-sozialen Modells der ICF zu erfassen.
    interdisziplinär: Am Gesamtplanverfahren sind die fachlichen Disziplinen zu beteiligen, die die für die Ermittlung und Feststellung des Bedarfs notwendige Fachkompetenz mitbringen.
    konsensorientiert: Bestehen unterschiedliche Auffassungen zum Bedarf oder über Ziel, Art und Umfang der Leistungen, so hat der Träger der Eingliederungshilfe darauf hinzuwirken, dass eine konsentierte Entscheidung unter Beteiligung der leistungsberechtigten Person erreicht wird. Hierzu eignet sich etwa die Gesamtplan-/Teilhabeplankonferenz.
    individuell: Das Gesamtplanverfahren ist auf die individuellen Bedarfe des Menschen mit Behinderungen ausgerichtet. Es erfolgt personenzentriert.
    lebensweltbezogen: Die konkreten und individuellen Alltagsbezüge (familiäre und andere soziale Beziehungen, individuelle Lebensbedingungen, Alltagserfahrungen und Hintergründe) sind zu berücksichtigen.
    sozialraumorientiert: Der Sozialraum und seine Ressourcen sind bei der Bedarfsermittlung und -feststellung zu berücksichtigen, sowohl in der Form der Barrieren, die ein Sozialraum beinhalten kann als auch in seinen Förderfaktoren.
    zielorientiert: Ziele können sowohl Förderziele als auch Erhaltungsziele sein. Diese Ziele können in einer Teilhabezielvereinbarung vereinbart werden.
  4. Ermittlung des individuellen Bedarfes,
  5. Durchführung einer Gesamtplankonferenz,
  6. Abstimmung der Leistungen nach Inhalt, Umfang und Dauer in einer Gesamtplankonferenz unter Beteiligung betroffener Leistungsträger.

Vertrauensperson

Auf Verlangen des Leistungsberechtigten kann eine Person ihres Vertrauens am Gesamtplanverfahren beteiligt werden. Dies kann insbesondere auch ein ihn beratender anderer Mensch mit Behinderung oder eine von den Leistungsträgern so weit wie möglich unabhängige Beratungsinstanz sein.

Anhaltspunkte für Pflegebedürftigkeit

Wenn Anhaltspunkte für eine Pflegebedürftigkeit vorliegen, muss die zuständige Pflegekasse mit Zustimmung des Leistungsberechtigten informiert und am Gesamtplanverfahren beteiligt werden, soweit dies für die Feststellung der Leistungen der Eingliederungshilfe erforderlich ist. Die Pflegekasse ist im Rahmen des Gesamtplanverfahrens nicht wie ein Rehabilitationsträger oder entsprechende andere Leistungsträger beteiligt, sondern wird beratend mit einbezogen.

Anhaltspunkte für einen Bedarf an notwendigem Lebensunterhalt

Wenn Anhaltspunkte für einen Bedarf an notwendigem Lebensunterhalt vorliegen, ist der Träger dieser Leistungen mit Zustimmung des Leistungsberechtigten zu informieren und am Gesamtplanverfahren zu beteiligen.

Instrumente der Bedarfsermittlung

§ 118 SGB IX

Die Bedarfsermittlung ist unverzichtbarer Baustein des Gesamtplanverfahrens und damit die grundlegende Voraussetzung für die Planung der Leistungen. An die Bedarfsermittlung werden hohe fachliche Anforderungen gestellt.

Vorgabe des Gesetzgebers an die Instrumente der Bedarfsermittlung ist die ICF-Orientierung. Außerdem müssen die Kriterien des § 13 SGB IX (Instrumente zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs), genügen. Dazu muss zumindest erfasst werden,

  • ob eine Behinderung vorliegt oder einzutreten droht,
  • welche Auswirkung die Behinderung auf die Teilhabe der Leistungsberechtigten hat,
  • welche Ziele mit Leistungen zur Teilhabe erreicht werden sollen,
  • welche Leistungen im Rahmen einer Prognose zur Erreichung der Ziele voraussichtlich erfolgreich sind.

Die Instrumente haben die Beschreibung einer nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Aktivität und Teilhabe in den folgenden Lebensbereichen vorzusehen:

  1. Lernen und Wissensanwendung,
  2. Allgemeine Aufgaben und Anforderungen,
  3. Kommunikation,
  4. Mobilität,
  5. Selbstversorgung,
  6. häusliches Leben,
  7. interpersonelle Interaktionen und Beziehungen,
  8. bedeutende Lebensbereiche und
  9. Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben.

Gesamtplankonferenz

§ 119 SGB IX

Der Träger der Eingliederungshilfe kann mit Zustimmung des Leistungsberechtigten eine Gesamtplankonferenz durchführen, um die Leistungen für Leistungsberechtigte sicherzustellen. Diese kann als zweiter Schritt eine unvollständige Bedarfsermittlung ergänzen. Eine Gesamtplankonferenz sollte angestrebt werden, wenn trotz sorgfältiger und umfassender Bedarfsermittlung über das Bedarfsermittlungsinstrument weiterhin unterschiedliche Auffassungen zum Bedarf bestehen. Bei komplexen Fallkonstellationen dient sie der schnelleren Klärung des Sachverhaltes. Wenn der maßgebliche Sachverhalt schriftlich ermittelt werden kann oder der Aufwand für die Durchführung sowie Vor- und Nachbereitung einer Gesamtplankonferenz in keinem angemessenen Verhältnis zum Umfang der beantragten Leistung steht, kann von einer Gesamtplankonferenz abgesehen werden.

Wird eine Gesamtplankonferenz durchgeführt, beraten der Träger der Eingliederungshilfe, der Leistungsberechtigte und sonstige beteiligte Leistungsträger gemeinsam auf Grundlage der Ergebnisse der Bedarfsermittlung nach § 118 SGB IX. Inhalte sind insbesondere:

  1. die Stellungnahmen der beteiligten Leistungsträger und die gutachterliche Stellungnahme des Leistungserbringers bei Beendigung der Leistung zur beruflichen Bildung in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen nach § 57 SGB IX,
  2. die Wünsche des Leistungsberechtigten,
  3. den Beratungs- und Unterstützungsbedarf,
  4. die Erbringung der Leistungen.
  5. Barbetrag
    Das Ergebnis über die Beratung des Barmittelanteils ist verpflichtender Bestandteil des Gesamtplanes (siehe § 121 Abs.4 Nr.6 SGB IX). Im Bereich der besonderen Wohnform ist dieser im Gesamtplan dokumentierte Barmittelanteil dann auch als verbindlich bei dem zwischen Leistungsberechtigten und Leistungserbringer abzuschließendem Vertrag anzusehen und entsprechend zu berücksichtigen. (Dazu siehe auch Bundesteilhabegesetz (Teil 14) – Trennung der Leistungen (2))

Ziel der Gesamtplankonferenz ist es, die Leistungsträger in die Lage zu versetzen ein tragfähiges Beratungsergebnis bezüglich der festzustellenden Leistung zu erzielen.

Bedarfe von Müttern und Vätern mit Behinderungen

Die Bedarfe von Müttern und Vätern mit Behinderungen im Kontext der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder sind vielfältig und können hinsichtlich ihres Abstimmungsbedarfes komplex sein. Neben Leistungen von vorrangigen Leistungsträgern sind auch die mögliche Unterstützung aus dem familiären, freundschaftlichen oder nachbarschaftlichen Umfeld möglich oder die Unterstützung im Rahmen eines Ehrenamtes in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund ist für diese Fälle mit Zustimmung der Leistungsberechtigten eine Gesamtplankonferenz unter Beteiligung der genannten Leistungsträger, Stellen bzw. Personen aus dem familiären, freundschaftlichen oder nachbarschaftlichen Umfeld durchzuführen.

Feststellung der Leistungen – Verwaltungsakt

§ 120 SGB IX

Auf Grundlage der Beratung in der Gesamtplankonferenz nach § 119 SGB IX werden die Leistungen abgestimmt, ein Gesamtplan erstellt und auf dessen Grundlage der Verwaltungsakt erlassen. Der individuelle Bedarf von Menschen mit Behinderung zur Erzielung gleichberechtigter Teilhabe wird damit abschließend ermittelt und die Leistungen zur Bedarfsdeckung innerhalb von zwei Monaten nach Antragseingang, nach den für die beteiligten Träger geltenden Leistungsgesetzen festgestellt. Es kann sich hierbei auch um Teilbedarfslagen handeln. Die Feststellung der Leistungen (§ 120 SGB IX) ist Teil des Verwaltungsverfahrens und bildet den Abschluss des Prüfungs- und Abwägungsprozesses des Leistungsträgers über die erforderlichen Leistungen. Der Leistungsträger der Eingliederungshilfe stellt fest, welche Leistungen zur Deckung des ermittelten Bedarfes erforderlich sind. Sofern mehrere Rehabilitationsträger beteiligt sind, haben diese die Leistungen im Teilhabeplanverfahren aufeinander abzustimmen. Die Feststellungen fließen in den Gesamtplan nach § 121 SGB IX ein und sind bindend für den abschließenden Verwaltungsakt über die festgestellten Leistungen.

In Einzelfällen, beispielsweise wenn ein Angehöriger, mit dem ein Leistungsberechtigter zusammen wohnt, plötzlich verstirbt, kann eine zeitnahe bzw. sofortige Leistungserbringung vor der Durchführung einer Gesamtplankonferenz erforderlich sein. In diesen Fällen erbringt der Träger der Eingliederungshilfe die Leistungen in seinem Zuständigkeitsbereich nach pflichtgemäßem Ermessen vorläufig.

Gesamtplan

§ 121 SGB IX

Die Vorschrift bestimmt die Funktion, die Form und inhaltliche Ausgestaltung des Gesamtplans. Sie bestimmt, wer an der Erarbeitung des Gesamtplans beteiligt ist.

Funktion

Der Gesamtplan dient der Steuerung, Wirkungskontrolle und Dokumentation des Teilhabeprozesses. Anhand der im Gesamtplan enthaltenen Angaben können die Planungen und Ziele von Prozessen dokumentiert und ggfs. überprüft und weiterentwickelt werden.

Form

Der Gesamtplan bedarf der Schriftform, ist aber ansonsten an keine formellen Anforderungen gebunden. Er soll regelmäßig, spätestens nach zwei Jahren überprüft und fortgeschrieben werden.

Beteiligte

Die Erstellung des Gesamtplans erfolgt unter Einbindung des Leistungsberechtigten, einer Person seines Vertrauens und den im Einzelfall Beteiligten (z. B. behandelnder Arzt, Gesundheitsamt, Landesarzt, Jugendamt, Bundesagentur für Arbeit).

Inhalt

Die Mindestinhalte eines Gesamtplans bestehen zunächst aus den Inhalten die für einen Teilhabeplan (§ 19 SGB IX) gefordert sind. Insbesondere soll der Gesamtplan folgendes beinhalten:

  • die Ergebnisse der Bedarfsermittlung,
  • die hierfür eingesetzten Verfahren und Instrumente,
  • Maßstäbe und Kriterien der Wirkungskontrolle,
  • die konkreten festgestellten Bedarfe,
  • die geplanten bzw. durchgeführten Maßnahmen,
  • die vereinbarten Ziele und
  • die Aktivitäten der Leistungsberechtigten.

Erhält der Leistungsberechtigte eine pauschale Geldleistung, so wird dies im Gesamtplan festgehalten. Dies gilt auch für das Ergebnis über die Beratungen des Anteils des Regelsatzes, der dem Leistungsberechtigten als Barmittel verbleibt. (s.o.)

Bei Veränderungen bezüglich der Lebenssituation der Leistungsberechtigten kann der Gesamtplan jederzeit angepasst werden. Bei Bedarf kann ein Gesamtplan unabhängig von der enthaltenen Laufzeit modifiziert werden. Dies kann durch alle Verfahrensbeteiligte angeregt werden.

Kopie an…

Der Träger der Eingliederungshilfe stellt der leistungsberechtigten Person den Gesamtplan zur Verfügung.

Teilhabezielvereinbarung

§ 122 SGB IX

Das Verfahren der Gesamtplanung soll die Überprüfung bewilligter Leistungen nach Zeitabläufen ermöglichen. Hierzu gibt die Vorschrift dem Träger der Eingliederungshilfe die Möglichkeit, mit den Leistungsberechtigten eine Teilhabezielvereinbarung abzuschließen. Eine solche Teilhabezielvereinbarung muss nicht zwingend ein eigenständiges Dokument sein. Auch die Unterzeichnung bzw. Vereinbarung von im Rahmen der Bedarfsermittlung und -feststellung formulierten Zielen kann eine Zielvereinbarung in diesem Sinne darstellen.

Auf veränderte Teilhabeziele aufgrund veränderter Bedarfe und Wünsche ist flexibel zu reagieren. Vor diesem Hintergrund hat der Träger der Eingliederungshilfe die Vereinbarung anzupassen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Vereinbarungsziele nicht oder nicht mehr erreicht werden.

Bundesteilhabegesetz (Teil 18) – Teihabeplan und Gesamtplan

Um die Gesamtplanung in der Eingliederungshilfe besser zu verstehen, muss zunächst auf die Unterschiede und Geneinsamkeiten zwischen Teilhabeplan und Gesamtplan eingegangen werden. Ausführliches zum Gesamtplan in Bundeseilhabegesetz (Teil 19).

Rechtsgrundlagen sind §§ 19 bis 23 SGB IX und § 117 SGB IX bis § 122 SGB IX in der Fassung ab 1.1.2020.

Leistung aus einer Hand

Um „Leistungen wie aus einer Hand“ gewähren zu können und Nachteile des gegliederten Systems der Rehabilitation für die Menschen mit Behinderungen abzubauen, wurde durch das Bundesteilhabegesetz mit Geltung ab 01.01.2018 für alle Rehabilitationsträger ein verbindliches, partizipatives Teilhabeplanverfahren vorgeschrieben. Eine Pflicht zur Aufstellung eines Teilhabeplans besteht immer dann, wenn

  1. mehrere Rehabilitationsträger Leistungen erbringen müssen oder
  2. nur leistende Rehabilitationsträger Leistungen verschiedener Leistungsgruppen erbringt oder
  3. die leistungsberechtigte Person dies wünscht.

Ist der Träger der Eingliederungshilfe für die Durchführung des Teilhabeplanverfahrens verantwortlicher Rehabilitationsträger, so müssen auch die Vorschriften für das sogenannte Gesamtplanverfahren beachtet werden. Die Regelungen zum Gesamtplan knüpfen an die Regelungen zur Teilhabeplanung an, normieren darüberhinaus aber noch Spezifika für die Leistungen der Eingliederungshilfe.

Teihabeplan kann, Gesamtplan muss

Ein Teilhabeplan muss nur erstellt werden, soweit Leistungen verschiedener Leistungsgruppen oder mehrer Rehabilitationsträger erforderlich sind; der Gesamtplan muss auch bei Einzelleistungen der Eingliederungshilfe erstellt werden.

Während die Gesamtplanung nur für die Eingliederungshilfe gilt, wurden die Regelungen zur Teilhabeplanung für alle Rehabilitationsträger nach dem SGB IX geschaffen. Die Regelungen zum Teilhabeplanverfahren gehen denen des Gesamtplanverfahrens vor, wie § 7 Abs.2 SGB IX festlegt. Dementsprechend enthält der Gesamtplan neben den Mindestinhalten nach § 19 SGB IX i.V.m. § 13 SGB IX weitere Angaben gemäß § 121 Abs.4 SGB IX zu den im Rahmen der Gesamtplanung eingesetzten Verfahren und Instrumenten sowie zu Maßstäben und Kriterien der Wirkungskontrolle einschließlich des Überprüfungszeitpunkts, den Aktivitäten der Leistungsberechtigten, den Feststellungen über die Selbsthilferessourcen der Leistungsberechtigten sowie über Art, Inhalt, Umfang und Dauer der zu erbringenden Leistungen.

Beim Zusammentreffen von Teilhabe- und Gesamtplanverfahren knüpfen die Regelungen für das Gesamtplanverfahren damit an die Vorschriften zur Teilhabeplanung der Rehabilitationsträger im Teil 1 des SGB IX an und ergänzen diese Regelungen zum Teilhabeplanverfahren um die Spezifika der Eingliederungshilfe.

Ein Teilhabeplanverfahren muss auch dann durchgeführt werden, wenn der Träger der Eingliederungshilfe im Einzelfall alleiniger Rehabilitationsträger ist, aber Leistungen aus mehreren Leistungsgruppen wie Leistungen zur Sozialen Teilhabe und zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigt werden. Der Gesamtplan ist dann ein Teil des Teilhabeplans.

Empfehlungen

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) hat im Juni 2019 Empfehlungen zur Gesamtplanung in der Eingliederungshilfe und ihr Verhältnis zur Teilhabeplanung veröffentlicht, in dem er umter anderem empfiehlt, einen Teilhabeplan und einen Gesamtplan inhaltlich einander anzugleichen oder zu einem Plan zu vereinen. Dabei ist die Teilhabeplankonferenz mit der Gesamtplankonferenz zu verbinden, wenn der Eingliederungshilfeträger für die Teilhabeplanung verantwortlich ist.


Bundesteilhabegesetz (Teil 17) – Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung

Die Eingliederungshilfe hat eine andere Aufgabe als die Pflegeversicherung und die Hilfe zur Pflege.

  • Die Eingliederungshilfe will behinderten Menschen und von Behinderung bedrohten Menschen die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen, erleichtern oder sichern; die einzelnen Leistungen der Eingliederungshilfe sollen dazu beitragen, Nachteile abzubauen. Jede Linderung der Behinderung bzw. ihrer Folgen für die Teilhabefähigkeit reicht aus, z.B. auch die Besserung des seelischen Wohlbefindens eines Betroffenen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. August 2005). Prinzipiell gibt es keine feste Altersgrenze; auch bei alten Menschen kann daher ein Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen bestehen.
  • Die Pflegeversicherung und die Hilfe zur Pflege wollen pflegebedürftigen Menschen, auch jenen Menschen die zudem behindert sind oder von Behinderung bedroht sind, ermöglichen, trotz Pflegebedürftigkeit, so lange wie möglich, menschenwürdig leben zu können, in ihrer Selbständigkeit gestärkt zu werden und einen kompensatorischen Ausgleich des Mangels an Fähigkeiten zu erfahren.

Die Leistungen der Eingliederungshilfe und die Leistungen der Pflege sind grundsätzlich verschieden und stehen gleichrangig zueinander. Die Regelungen zum Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe finden sich in § 13 des Elften Buches.

Drei Schnittstellen

Im Verhältnis Eingliederungshilfe zur Pflege sind drei Schnittstellen zu beachten:

  • Schnittstelle im ambulanten Bereich.
  • Schnittstelle in Einrichtungen der Behindertenhilfe, bzw. der Eingliederungshilfe
  • Schnittstelle der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege

Wohnformen

Wichtig für das Verständnis der Schnittstellen ist die Begriffsklärung der verschiedenen Wohnformen.

Obwohl die Zielsetzung des Bundesteilhabegesetzes eine personenzentrierte Unterstützung des Leistungsberechtigten ist, unabhängig von der Wohnform, und sich im Wesentlichen auf das Alter des Leistungsberechtigten bei Behinderungseintritt bezieht (Lebenslagenmodell, s.u.), muss im Zusammenspiel mit der Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege doch wieder nach Wohnformen unterschieden werden. Relevant sind demnach folgende Wohnformen:

  • Wohnung: Gesetzliche Definition in § 42a Abs.2 Satz 2 SGB XII: „Wohnung ist die Zusammenfassung mehrerer Räume, die von anderen Wohnungen oder Wohnräumen baulich getrennt sind und die in ihrer Gesamtheit alle für die Führung eines Haushalts notwendigen Einrichtungen, Ausstattungen und Räumlichkeiten umfassen.“
  • Gemeinschaftliche Wohnform („Gemeinschaftliches Wohnen“, „Ambulant Betreutes Wohnen“): Hier wird für die Angemessenheit von Wohnflächen und Unterkunftskosten zwischen „persönlichem Wohnraum und zusätzlichen Räumlichkeiten“ in Einrichtungen sowie anderen Unterkünften (z. B. Plätze in Obdachlosenunterkünften) unterschieden, die weder als „Wohnung“ noch als „persönlicher Wohnraum“ in Einrichtungen anzusehen sind (§ 42a Abs.2 Nr.2 und Nr.3 SGB XII).
  • Besondere Wohnform („Stationäres Wohnen“): Einrichtung, in der ausschließlich Menschen mit Behinderungen betreut werden (§ 104 Abs.3 Satz 3 SGB IX).

Schnittstelle ambulanter Bereich

§ 91 Abs.3 SGB IX und § 13 Abs.3, Abs.4 und Abs.4a SGB XI

Hier wird grundsätzlich das Nebeneinander der Zuständigkeiten von Eingliederungshilfe im ambulanten, bzw. häuslichen Bereich und Pflegeversicherung festgeschrieben. In den Einrichtungen und Räumlichkeiten nach § 71 Abs.4 SGB XI sollen die notwendigen Hilfen einschließlich der Pflegeleistungen gewährt werden.

Die Regelung des § 71 Abs.4 SGB XI bestimmt, wann es sich nicht um eine Pflegeeinrichtung handelt, sondern um eine stationäre Einrichtung mit anderer Zielrichtung. Um die bisherigen, an der Wohnform orientierten Leistungsansprüche im SGB XI auch unter der personenzentrierten Neugestaltung der Eingliederungshilfe aufrecht erhalten zu können, erfasst diese Regelung auch Räumlichkeiten, in denen der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderungen und die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe im Vordergrund stehen. Ganz aus der Zeit gefallen ist hier übrigens die Formulierung: „…die Erziehung kranker Menschen oder von Menschen mit Behinderungen…“

Treffen Leistungen der Pflegeversicherung und Leistungen der Eingliederungshilfe zusammen, können beide Leistungsträger mit Zustimmung des Leistungsberechtigten vereinbaren, dass der Träger der Eingliederungshilfe die Leistungen der Pflegeversicherung auf Grundlage des Bescheids der Pflegekasse übernimmt. Näheres zu den Modalitäten der Übernahme und der Durchführung der Leistungen hat der GKV-Spitzenverband und die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGÜS) veröffentlicht.

Wie sich aus Absatz 4a ergibt, muss die Pflegekasse an dem Gesamtplanverfahren beratend teilnehmen, wenn der Leistungsberechtigte einverstanden ist und soweit dies für den Träger der Eingliederungshilfe zur Feststellung der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabe an Bildung, Soziale Teilhabe – erforderlich ist; dies ergibt sich auch aus § 117 Abs.3 Satz 1 SGB IX, der Regelung über die Durchführung des Gesamtplanes.

Die Einbeziehung der Pflegekassen dient dazu, die zur Bedarfsdeckung erforderlichen Leistungen aufeinander abzustimmen und eine etwaige Vereinbarung möglichst frühzeitig gemeinsam vorzubereiten. Ist der Leistungsberechtigte nicht mit der Einbeziehung der Pflegekasse einverstanden, muss der Eingliederungshilfeträger nach den ihm vorliegenden Informationen entscheiden.

Abgrenzung nach Bedarf und Ziel

Eine Abgrenzung erfolgt nach dem Bedarf bzw. danach, welchem Ziel die konkrete Maßnahme dient,  also nach der Zielrichtung des Bedarfs:

Zunächst ist auf den Grundsatz „Versicherung vor Steuer“ zurückzugreifen: Kann der Bedarf des Leistungsberechtigten bereits durch Leistungen der Pflegeversicherung ( Versicherungsleistung) gedeckt werden, ist die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe (Steuerleistung) nicht möglich Die Bedarfsermittlung ist im Teilhabe- bzw. Gesamtplanverfahren unter Beteiligung des Leistungsberechtigten und unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren und Wünsche des Leistungsberechtigten festzustellen. Die zur Bedarfsdeckung erforderlichen Maßnahmen müssen dann den beteiligten Leistungsträgern unter Berücksichtigung der jeweiligen Zielsetzung zugeordnet werden.

Eine weitere Abgrenzung stellt die Zielsetzung der Maßnahme dar: Die Eingliederungshilfe verfolgt einen sozialpädagogischen Ansatz der Befähigung, während es der Pflegeversicherung um die Wiedergewinnung von Fähigkeiten geht, die verloren gegangen sind oder die es zu erhalten gilt. Bei körperbezogenen Pflegemaßnahmen ist daher eher eine Leistung der Pflegeversicherung anzunehmen.

Problematischer wird dies allerdings bei Betreuungsmaßnahmen, Hilfen bei der Haushaltsführung sowie Angeboten zur Unterstützung im Alltag. Hier ist die Schnittmenge zwischen den Leistungssystemen Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe (insbesondere Assistenzleistungen im Rahmen der Sozialen Teilhabe) hoch. Der Träger der Eingliederungshilfe muss hier daher im Einzelfall stets prüfen, ob der Maßnahmezweck im Bereich der Befähigung zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung liegt. Ist dies nicht der Fall, ist zu prüfen, ob die Maßnahme durch Leistungen der Pflegeversicherung vollständig gedeckt ist oder ob zur Bedarfsdeckung Leistungen der Eingliederungshilfe notwendig sind (bzw. eventuell Leistungen des Sozialhilfeträgers durch „Hilfe zur Pflege“, wenn ein pflegerischer Bedarf vorliegt).

Schnittstelle in Einrichtungen der Behindertenhilfe, bzw. der Eingliederungshilfe

Die Schnittstellenregelung zwischen Eingliederungshilfe und Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in Fällen, in denen Betroffene in Einrichtungen (oder Räumlichkeiten) nach § 43a SGB XI leben, findet sich in § 103 Abs.1 SGB IX in Verbindung mit § 71 Abs.4 SGB XI.

Die Vorschrift regelt das Verhältnis von Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe im stationären Bereich. Sie regelt auch die Erbringung von Pflegeleistungen in Wohnformen, die im Bereich der Leistungen der Eingliederungshilfe für erwachsene Menschen mit Behinderung an die Stelle der derzeitigen vollstationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe treten.

Der Anwendungsbereich der obigen Vorschriften ist eröffnet, wenn folgende Eigenschaften kumulativ vorliegen:

  1. Im Vordergrund muss der Zweck des Wohnens und die Erbringung von Eingliederungshilfe stehen.
  2. Die Räumlichkeiten müssen unter das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) fallen.
  3. Der Umfang der Gesamtversorgung der dort wohnenden Menschen muss regelmäßig weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entsprechen.

In diesen Fällen beteiligt sich die Pflegekasse zur Abgeltung der pflegebedingten Aufwendungen anstelle des Anspruchs auf Leistungen bei vollstationärer Pflege mit einem Pauschalbetrag in Höhe bis zu 266 EUR monatlich.

Trägerverantwortete Betreute Wohngemeinschaften

Hier handelt es sich um Wohnformen, in denen der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderung und der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe für diese im Vordergrund steht, die aber nach heutigem Verständnis nicht stationär sind. Hier werden oft Pflegesachleistungen durch ambulante Pflegedienste und ambulante Leistungen der Eingliederungshilfe nebeneinander erbracht. Bei Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf könnte der Umfang der Gesamtversorgung (Pflege und Eingliederungshilfe zusammen) regelmäßig einen Umfang erreichen, der weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht.

Es besteht die Gefahr, dass in Wohngemeinschaften mit Bewohner*innen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf in Zukunft keine Pflegesachleistungen durch ambulante Pflegedienste bewilligt werden, sondern die Einrichtungen hinsichtlich der Schnittstelle Pflege-Eingliederungshilfe so behandelt werden, wie heutige stationäre Wohnheime. Bis auf den Erstattungsbetrag in Höhe von maximal 266 EUR je Monat müssen sie ab 2020 alle Kosten der Pflege selbst übernehmen.

Für die Bewohner*innen die bereits am 01.01.2017 Pflegesachleistungen erhalten, ändert sich aufgrund der Besitzstandsregelung in § 145 SGB XI nichts, solange sie ihren Wohnplatz behalten. Für alle in eine solche Wohnform neu aufgenommenen Menschen, würden aber die neuen Regelungen Anwendung finden. Das bedeutet, dass aus der Sicht des Leistungsrechts und auch des Leistungserbringungsrechts für eine Übergangszeit unterschiedliche Regelungen gelten.

Schnittstelle der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege

§ 103 Abs.2 SGB IX

Lebenslagenmodell

Beim Zusammentreffen von Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege wird nun das sogenannte „Lebenslagenmodell“ umgesetzt: Bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze umfassen die Leistungen der Eingliederungshilfe die Leistungen der Hilfe zur Pflege. Damit gelten für die Betroffenen die günstigeren Einkommens- und Vermögensgrenzen der Eingliederungshilfe. Bei Personen, die vor Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, gilt diese Regelung auch über die Altersgrenze hinaus, soweit die Ziele der Eingliederungshilfe erreicht werden können.

Die Eingliederungshilfe (EGH) umfasst in ambulanten Versorgungssettings auch die Leistungen der häuslichen Pflege nach dem SGB XII (Hilfe zur Pflege), wenn der Leistungsberechtigte vor Vollendung des maßgeblichen Rentenalters ( Regelaltersgrenze!) bereits Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten hat.

Das bedeutet bei Behinderung von Geburt an oder bis zur Regelaltersgrenze:

  • Die Leistungen der EGH umfassen die häuslichen Leistungen der Hilfe zur Pflege.
  • Dies gilt auch über die Regelaltersgrenze hinaus, soweit die Teilhabeziele der EGH noch erreicht werden können.
  • Es gelten die Einkommens- und Vermögensgrenzen der EGH

Das bedeutet bei Behinderung und Pflegebedürftigkeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze:

  • Gleichrangiger Zugang zu Leistungen von Hilfe zur Pflege und EGH mit der Konsequenz von zwei Kostenträgern (Sozialhilfeträger, Eingliederungshilfeträger)
  • Unterschiedliche Einkommens- und Vermögensgrenzen Einkommens- und Vermögensgrenzen.

Quellen: Bundestag, BMAS, SOLEX, FOKUS Sozialrecht,
Thomas Knoche: Bundesteilhabegesetz Reformstufe 3: Neue Eingliederungshilfe, Walhalla-Verlag 2019

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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Bundesteilhabegesetz (Teil 16) – Teilhabe an Bildung

Eingliederungshilfe – Leistungen zur Teilhabe an Bildung

§ 112 SGB IX

Die Leistungen im Bereich der Eingliederungshilfe entsprechen inhaltlich den Leistungen zur Teilhabe an Bildung aus dem Teil 1 des SGB IX. Es werden aber konkret die Leistungspflichten benannt und der Umfang der Leistungen näher beschrieben.

Es geht hier, wie auch im § 75 SGB IX nicht um die Bildungleistungen als solche, sondern um unterstützende Maßnahmen, um die Bildungsangebote wahrnehmen zu können.

Der Leistungskatalog ist offen gestaltet, daher kommen alle Leistungen in betracht, die geeignet und wirtschaftlich sind, die Teilhabe an Bildung zu verwirklichen. Eingeschlossen sind die Bildung sowohl an allgemeinbildenden Schulen, an Hochschulen und bei der Weiterbildung

Schulen

§ 112 Abs.1 Nr.1 und Abs.1 Satz 2, Satz 3, Satz 5 bis 8 SGB IX

Zu den Leistungen bei der Schulbildung gehören

  • Unterstützung schulischer Ganztagsangebote in der offenen Form, die im Einklang mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule stehen und unter deren Aufsicht und Verantwortung ausgeführt werden, an den stundenplanmäßigen Unterricht anknüpfen und in der Regel in den Räumlichkeiten der Schule oder in deren Umfeld durchgeführt werden,
  • heilpädagogische und sonstige Maßnahmen, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, der leistungsberechtigten Person den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern
  • Gegenstände und Hilfsmittel, die wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zur Teilhabe an Bildung erforderlich sind.

Voraussetzung für eine Hilfsmittelversorgung ist, dass die leistungsberechtigte Person das Hilfsmittel bedienen kann. Die Versorgung mit Hilfsmitteln schließt eine notwendige Unterweisung im Gebrauch und eine notwendige Instandhaltung oder Änderung ein. Die Ersatzbeschaffung des Hilfsmittels erfolgt, wenn sie infolge der körperlichen Entwicklung der leistungsberechtigten Person notwendig ist oder wenn das Hilfsmittel aus anderen Gründen ungeeignet oder unbrauchbar geworden ist.

Ausbildung oder Weiterbildung für einen Beruf

§ 112 Abs.1 Nr.2 und Abs.3 SGB IX

Zu den Hilfen zur (hoch-)schulischen Ausbildung oder Weiterbildung für einen Beruf gehören

  • Hilfen zur Teilnahme an Fernunterricht,
  • Hilfen zur Ableistung eines Praktikums, das für den Schul- oder Hochschulbesuch oder für die Berufszulassung erforderlich ist,
  • Hilfen zur Teilnahme an Maßnahmen zur Vorbereitung auf die schulische oder hochschulische Ausbildung oder Weiterbildung für einen Beruf,
  • Gegenstände und Hilfsmittel, die wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zur Teilhabe an Bildung erforderlich sind.

Zweitausbildung

§ 112 Abs.1 Satz 4 SGB IX

Hilfen zu einer schulischen oder hochschulischen Ausbildung können erneut erbracht werden, wenn dies aus behinderungsbedingten Gründen erforderlich ist. Dies könnte der Fall sein, wenn die Behinderung erst während des Berufslebens eintritt oder sich eine Verschlimmerung einer bisherigen Behinderung ergibt.

Höherqualifizierung

§ 112 Abs.1 Nr.2 und Abs.2 SGB IX

Möglich sind auch Unterstützungsleitungen bei dem Wunsch nach Höherqualifizierung. Unter folgenden Voraussetzungen werden Hilfen bei einer höherqualifizierenden Weiterbildung erbracht. Die Weiterbildung muss

  • in einem zeitlichen Zusammenhang an eine duale, schulische oder hochschulische Berufsausbildung anschließen,
  • in dieselbe fachliche Richtung weiterführen oder im Fall eines Masterstudiums diese interdisziplinär ergänzen und
  • es dem Leistungsberechtigten ermöglichen, das von ihm angestrebte Berufsziel zu erreichen.

Mit dem zeitlichen Zusammenhang ist nicht eine Zeitspanne zwischen den Bildungsabschnitten gemeint, sondern eine Altersgrenze. In der Gesetzesbegründung wird von einer Orientierung an § 10 Abs.3 Satz 1 BaföG gesprochen. Die leistungsberechtigte Person dürfte zu Beginn der Zweitausbildung noch nicht 30 Jahre alt sein, bei einem Masterstudium noch nicht 35. Es handelt sich aber hier eher um Ermessensentscheidungen, weil im Gestz keine Altersgrenzen angegeben werden und in der Begründung nur von einer „Orientierung“ an der BaföG – Regelung gesprochen wird.

Gemeinsame Leistungserbringung

§ 112 Abs.4 SGB IX

Der Eingliederungshilfeträger kann mit den Leistungserbringern vereinbaren, dass Leistungen zur Teilhabe an Bildung an mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam erbracht werden, wenn diese das wünschen und es ihnen zumutbar ist (siehe Wunsch- und Wahlrecht, § 104 SGB IX)

In der Praxis macht es an Schulen Sinn, wenn eine Assistenzkraft für eine Lerngruppe zuständig ist. So können sich die Assistenzkräfte bei einer Schule bei Krankheit und Urlaub gegenseitig vertreten.

Beitrag zu den Leistungen

§ 138 Abs.1 Nr.4 und Nr.5 SGB IX

Leistungen zur Teilhabe an Bildung sind beitragsfrei bei Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu nach § 112 Abs.1 Nummer 1 SGB IX.

Bei Leistungen zur schulischen oder hochschulischen Ausbildung oder Weiterbildung für einen Beruf nach § 112 Abs.1 Nummer 2 SGB IX sind sie nur beitragsfrei, soweit diese Leistungen in besonderen Ausbildungsstätten über Tag und Nacht für Menschen mit Behinderungen erbracht werden. Beispielsweise in Ausbildungsstätten mit Internat der Berufsbildungswerke. (Siehe auch: Bundesteilhabegesetz (Teil 3) – Einkommensanrechnung)

Quelle: SOLEX, FOKUS-Sozialrecht

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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Bundesteilhabegesetz (Teil 15) – Teilhabe am Arbeitsleben

§ 111 SGB IX

Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die im § 111 geregelt werden, sind die Leistungen, die in den Zuständigkeitsbereich der Träger der Eingliederungshilfe fallen.

Im § 49 SGB IX hingegen werden in einem offenen Leistungskatalog eine Vielzahl von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beschrieben und geregelt, die von unterschiedlichsten Trägern zur Verfügung gestellt und finanziert werden müssen. (Bundesanstalt für Arbeit, Rentenversicherung, Unfallversicherung, Versorgungsämter, Eingliederungshilfe)

Beim Leistungskatalog der Teilhabe am Arbeitsleben im Rahmen der Eingliederungshilfe handelt es sich aber um eine abschließende Aufzählung. Die Leistungen umfassen ausschließlich

  • Leistungen im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen nach den §§ 58 und § 62 SGB IX, einschließlich Arbeitsförderungsgeld nach § 59 SGB IX,
  • Leistungen bei anderen Leistungsanbietern nach den §§ 60 und § 62 SGB IX, einschließlich Arbeitsförderungsgeld nach § 59 SGB IX,
  • das Budget für Arbeit für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei einem privaten und öffentlichen Arbeitgeber nach § 61 SGB IX, sowie
  • Gegenstände und Hilfsmittel, die erforderlich sind, um die vorgenannten Beschäftigungen ausüben zu können.

Leistungen im Arbeitsbereich einer WfbM

§ 58 SGB IX

Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für Menschen mit Behinderung nach § 58 SGB IX oder bei anderen Anbietern nach § 60 SGB IX (s.u.) erhalten Menschen mit Behinderung, bei denen eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, in einem Inklusionsbetrieb (§ 215 SGB IX) oder eine Berufsvorbereitung, individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung, berufliche Anpassung und Weiterbildung oder berufliche Ausbildung im Rahmen wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommen und die in der Lage sind, wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen.

Leistungen bei anderen Leistungsanbietern

§ 60 SGB IX

Neu mit dem Bundesteilhabegesetz eingeführt wurden „andere Anbieter“. Menschen mit Behinderungen, die Anspruch auf Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen haben, können seit 01.01.2018 alternativ die ihnen zustehenden Leistungen auch außerhalb bei anderen Leistungsanbietern in Anspruch nehmen (Wahlrecht nach § 62 SGB IX). Die Voraussetzungen, die andere Leistungsanbieter mitbringen müssen sind im Prinzip dieselben, wie sie auch für Werkstätten für behinderte Menschen gelten – mit den Ausnahmen, dass keine Mindestgröße und auch keine Aufnahmepflicht vorgegeben sind.

Budget für Arbeit

§ 61 SGB IX

Mit dem Budget für Arbeit wird für Menschen mit Behinderungen, die Anspruch auf Leistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen haben, eine weitere Alternative zur Beschäftigung in dieser Werkstatt geboten. Die Alternative besteht darin, dass ein dauerhafter Lohnkostenzuschuss nebst Anleitung und Begleitung (Arbeitsassistenz) ermöglicht wird, der einen Arbeitgeber dazu bewegt, mit dem Menschen mit Behinderungen trotz dessen voller Erwerbsminderung einen regulären Arbeitsvertrag zu schließen.

Arbeitsförderungsgeld

§ 59 SGB IX

Arbeitsförderungsgeld ist eine finanzielle Leistung, die Leistungsberechtigte erhalten, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung beschäftigt sind. Es wird an Institutionen gezahlt, die Arbeit für Menschen mit Förderungsbedarf im Rahmen einer Behinderung anbieten und von diesen zusammen mit dem Werkstattlohn überwiesen, aber getrennt ausgewiesen. Auch Beschäftigte anderer Leistungsanbieter können zusätzlich zu ihrem Arbeitslohn ein Arbeitsförderungsgeld beanspruchen.

Wahlrecht

§ 62 SGB IX

Menschen mit Behinderungen haben ein Wahlrecht, wie bzw. bei welchem Anbieter er die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Anspruch nehmen möchte. Möglich ist auch, dass er einzelne Module bei unterschiedlichen Anbietern wählt (z. B. Leistungen der beruflichen Bildung in der Werkstatt und Leistungen zur Beschäftigung bei einem anderen Leistungsanbieter). Aus diesem Wunsch- und Wahlrecht des Betroffenen ergibt sich die Verpflichtung der Werkstatt, mit anderen Leistungsanbietern zusammenzuarbeiten und entsprechende Leistungen anzubieten. Der unmittelbar verantwortliche Leistungsanbieter bleibt in dieser Zeit auch Verantwortlicher für die Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge, soweit diese nicht durch den Leistungsträger zu entrichten sind.

Dagegen besteht kein Wahlrecht zur „Mischung“ von Leistungen, wenn ein Budget für Arbeit in Anspruch genommen wird.

Der Passus in § 62 Abs.2 SGB IX, dass die Leistungserbringung der Zustimmung des unmittelbar verantwortlichen Leistungsanbieters widerspricht eigentlich dem Wahlrecht, der verantwortliche Leistungsanbieter könnte den Wunsch Leistungen von einem anderen Anbietere zu beziehen ja auch ablehnen. Laut Gesetzesbegründung soll aber damit nur geregelt werden, wer die Koordinierung und die Zusammenarbeit organisiert und letztlich darum, wer die Sozialversicherungsbeiträge bezahlt.

Gegenstände und Hilfsmittel

§ 111 Abs.2 SGB IX

Die für Beschäftigungen im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen geltende Regelung, wonach die Leistungen zur Beschäftigung in Bedarfsfällen Gegenstände und Hilfsmittel einschließen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Beschäftigung erforderlich sind, wird auf Beschäftigungen bei anderen Leistungsanbietern und bei privaten und öffentlichen Arbeitgebern ausgedehnt.

Voraussetzung für eine Hilfsmittelversorgung ist, dass der Leistungsberechtigte das Hilfsmittel bedienen kann. Die Versorgung mit Hilfsmitteln schließt eine notwendige Unterweisung im Gebrauch und eine notwendige Instandhaltung oder Änderung ein. Die Ersatzbeschaffung des Hilfsmittels erfolgt, wenn sie infolge der körperlichen Entwicklung der Leistungsberechtigten notwendig ist oder wenn das Hilfsmittel aus anderen Gründen ungeeignet oder unbrauchbar geworden ist.

Auch die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs ist möglich, wenn eine leistungsberechtigte Person zur Aufnahme oder Fortsetzung der Beschäftigung darauf angewiesen ist. Dabei gilt die Kraftfahrzeughilfeverordnung.

Beitrag zu den Leistungen

§ 138 Abs.1 Nr.3 SGB IX

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind beitragsfrei bei Leistungen im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen nach § 111 Abs.1 SGB IX, bei privaten und öffentlichen Arbeitgebern und bei anderen Leistungsanbietern nach § 60 SGB IX. (Siehe auch Bundesteilhabegesetz (Teil 3) – Einkommensanrechnung)

Quelle: SOLEX,
dort finden Sie auch ausführlichere Beschreibungen der Themen in den einzelnen Absätzen (nur mit SOLEX-Zugangsdaten):

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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Bundesteilhabegesetz (Teil 14) – Trennung der Leistungen (2)

Notwendiger Lebensunterhalt

§ 27a und § 42 SGB XII

Der notwendige Lebensunterhalt umfasst insbesondere Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung, Erzeugung von Warmwasser und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Dabei gehören zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Bei Kindern und Jugendlichen umfasst der notwendige Lebensunterhalt auch den besonderen, insbesondere den durch ihre Entwicklung und ihr Heranwachsen bedingten Bedarf.

Eine Abweichung gibt es allerdings bei der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung. § 113 Abs.4 SGB IX. Hier ist im notwendigem Lebensunterhalt in den existenzsichernden Leistungen nur der Warenwert eines Mittagessens eingepreist, nicht aber die Kosten, die bei der außerhäuslichen Zubereitung anfallen (Personal, Räumlichkeiten, Geräte und so weiter). Die nicht gedeckten Kosten gelten deswegen als Fachleistung im Rahmen der Sozialen Teilhabe.

Bei der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben gehört etwa die Eintrittskarte für das Kino durchaus zum notwendigen Lebensunterhalt, die Kosten für eine eventuell nötige Begleitperson sind aber als Fachleistung zu beantragen.

Auch bei einfachen Tätigkeiten im Alltag kann es manchmal schwierig werden, die Leistungen genau zu trennen:

Ein Beispiel

Ein Bewohner in einer stationären Einrichtung, bzw. besonderen Wohnform, möchte für seine Geburtstagsfeier eine besondere Nachspeise in der Gemeinschaftsküche zubereiten. Er braucht dabei die Unterstützung eines Mitarbeiters sowohl beim Einkauf als auch bei der Zubereitung. Da er Diabetiker ist muss anschließend der Blutzuckerspiegel gemessen und Insulin verabreicht werden.

Bis Ende 2019 werden alle Leistungen, Lebensmittel, Benutzen der Gemeinschaftsküche, Assistenz beim Einkaufen und Zubereiten vom Sozialhilfeträger übernommen, unabhängig davon, wer die Leistung erbringt oder wie oft sie erbracht wird oder ob damit individuelle Teilhabeziele erreicht werden. Die Leistungen werden erbracht, weil der Bewohner in der stationären Einrichtung lebt. Es handelt sich also um einrichtungszentrierte Leistungen.

Anders sieht es im Jahr 2020 aus. Jetzt werden bewohnerzentrierte Leistungen erbracht:

Lebensmittel Notwendiger Lebensunterhalt
Sozialhilfeträger
Assistenz beim Einkauf Fachleistung
Eingliederungshilfeträger
Benutzen der Gemeinschaftsküche Kosten der Unterkunft
Sozialhilfeträger
Assistenz beim Zubereiten Fachleistung
Eingliederungshilfeträger
Blutzuckerspiegel, Insulinspritze Häusliche Krankenpflege
Krankenkasse

Bei dem Projekt „Geburtstagsdessert“ werden fünf Leistungen erbracht, die in vier verschiedene Leistungsbereiche mit vier verschiedenen Kostenträgern aufgeteilt werden.

Finanzierung über den Regelbedarf

Vorbehalt:
Das, was im Folgenden beschrieben wird, ist geltendes Recht ab 1.1.2020. Trotzdem kann es sein, dass die Regelungen erst später, vielleicht ab 2023 umgesetzt werden. Der Grund ist, dass der Stand der BTHG – Umsetzung und Vorbereitung heute (Stand: 22.4.2019) den Schluss nahe legen, dass man schlicht und ergreifend nicht fertig wird. Vermutlich wird es zunächst Übergangslösungen geben. Wie weit dann „alte“ Regelungen weiter bestand haben, ist noch nicht bekannt.

Der notwendige Lebensunterhalt von Menschen mit Behinderung wird ab 2020 nun unabhängig von der Wohnform über den Regelbedarf finanziert.

§ 27a SGB XII, Anlage Regelbedarfsstufen

Menschen mit Behinderungen in eigenen Wohnungen haben wie bisher Anspruch auf Regelbedarfsstufe 1, es sei denn, sie leben mit einem Ehegatten oder Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft mit einem Partner zusammen. Dann bekommen sie Regelbedarfsstufe 2

Menschen mit Behinderungen, die in einer besonderen Wohnform nach § 42a Abs.2 Satz 3 SGB XII, also in den ehemaligen stationären Einrichtungen, leben, haben Anspruch auf Regelbedarfsstufe 2. Hierbei gelten die Einkommens- und Vermögensgrenzen der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung.

Die Leistungsberechtigten in besonderen Wohnformen erhalten nach Antragstellung vom zuständigen Träger (SGB XII oder SGB II) einen monatlichen Regelsatz nach Regelbedarfsstufe 2 einschließlich der Mehrbedarfe nach dem SGB XII. Der Regelsatz wird auf ein vom Leistungsberechtigten bzw. seinem Vertreter bestimmten Konto überwiesen. Aus diesem Regelsatz muss er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Der Barbetrag nach altem Recht entfällt.

Wenn der Leistungsberechtigte im gemeinschaftlichen Wohnen lebt, wird er für die Versorgung mit Lebensmitteln sowie den Waren- und Materialeinsatz für Wäsche- und Wohnungsreinigung etc. ein Angebot des Wohnraumanbieters erhalten. In vielen Fällen wird der Anbieter zugleich Leistungserbringer in der Eingliederungshilfe sein. In diesem Fall werden diese Leistungen im Wohn- und Betreuungsvertrag zwischen Leistungsberechtigtem und Leistungserbringer zu vereinbart.

Die Zusammensetzung des Regelsatzes (§ 5 Regelbedarfsermittlungsgesetz) lässt erkennen, dass darin Bestandteile enthalten sind, die nach der bisherigen Systematik überwiegend in der Grundpauschale abgebildet sind. Dazu gehören bspw. Nahrungsmittel, aber auch Strom, Reinigungs- und Putzmittel, Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -Gegenstände, Duschgel, Shampoo, Toilettenpapier.

Andere Bestandteile, wie Bekleidung, Innenausstattung, Freizeit wurden dem Barbetrag und der Bekleidungspauschale zugeordnet. Diese Bestandteile machen etwa 130 bis 160 Euro der Regelbedarfsstufe 2 aus. Laut § 121 Abs.4 Punkt 6 SGB IX soll im Gesamtplan festgelegt werden, welcher Anteil den Leistungsberechtigten als Bargeldleistung für die Deckung der persönlichen Bedarfe verbleibt.

Der Rest, also etwa 220 bis 250 Euro, wäre das, was der Leistungsnehmer dem Anbieter für die volle Versorgung im Monat bezahlen könnnte.

Ein weiteres (im Gesamtplan) zu lösendes Problem ist, dass es mit Sicherheit auch Unterhaltskosten entstehen, die Teilhabeleistungen, also Fachleistungen betreffen. Bei der Ausrichtung von Feiern, beim Erwerb von Alltagskompetenzen, bei Freizeitaktivitäten, Einladungen, Besuchen usw. entstehen Kosten, die normalerweise dem Lebensunterhalt zugeordnet werden. Menschen mit Behinderungen würden jedoch in ihrer Teilhabe extrem eingeschränkt, wenn nicht im Zusammenhang mit der Eingliederungshilfe auch Kosten, zumindest anteilig, übernommen würden, die ansonsten dem Lebensunterhalt zugeordnet sind.

Quellen: Bundestag, BMAS, SOLEX, FOKUS Sozialrecht

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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Bundesteilhabegesetz (Teil 13) – Trennung der Leistungen (1)

Die Neuausrichtung der Eingliederungshilfe durch das Bundesteilhabegesetz hin zu einer personenzentrierteren Leistungserbringung, die unabhängig von der Wohnform des Menschen mit Behinderung erfolgen soll, führt dazu, dass die bisherige Finanzierung der Leistungen der Eingliederungshilfe neu geregelt werden muss. Die Fachleistungen müssen von den existenzsichernden Leistungen getrennt werden. Diese Trennung erfolgt zum 1. Januar 2020, die vertragsrechtlichen Regelungen dafür traten jedoch schon zum 1. Januar 2018 in Kraft.

Das bisherige vollversorgende, im SGB XII einheitlich geregelte Leistungs- und Vergütungssystem endet endgültig mit Stichtag 01.01.2020.

Dies gilt jedoch nur für die Eingliederungshilfeleistungen der erwachsenen Menschen mit Behinderungen. Bei minderjährigen Menschen mit Behinderung werden durch Sonderregelungen die bestehenden Strukturen beibehalten. Das „Sondersystem“ Lebensunterhalt in Einrichtungen – § 27b SGB XII (Barbetrag, Zusatzbarbetrag, Bekleidungsgeldpauschale) – entfällt im Bereich der Eingliederungshilfe, nicht jedoch bei anderen im SGB XII verbleibenden Leistungsbereichen (z.B. Wohnungslosenhilfe nach Kapitel 8 SGB XII).

Die Wohn- und Unterstützungsangebote für erwachsene Menschen mit Behinderung organisieren und finanzieren sich künftig aus mindestens zwei Leistungsgesetzen und über mehrere Zahlungsströme.

Auftrennung der Leistungen innerhalb des Sozialleistungssystems

Leistungen Zuständigkeit
Leistungen zur Teilhabe
(= Fachleistungen)
Eingliederungshilfeträger
SGB IX
Leistungen zum Lebensunterhalt und Wohnen
(= existenzsichernde Leistungen)
Sozialhilfeträger
SGB XII

Existenzsichernde Leistungen werden auch durch andere Sozialleistungen gewährt (siehe unten).

Der Unterschied zwischen Existenzsichernden Leistungen und Fachleistungen ist nicht immer eindeutig. Vor allem in den besonderen Wohnformen, die bis Ende 2019 noch stationäre Einrichtungen heißen dürfen, wird das deutlich. Etwa dann, wenn die genutzten Wohnflächen aufgeteilt werden müssen nach privat genutztem Wohnraum, gemeinschaftlich genutzter Wohnraum und Wohnraum, der unter die Eingliederungshilfe fällt, also Fachleistung ist. Zusätzlich gibt es noch Wohnflächen mit gemischter Nutzung.

Ein weiteres Beispiel sind die Verwaltungs- und Leitungskosten so einer Einrichtung. Der Teil der Kosten, der für die Organisation der Betreuung aufgewendet wird, gehört zur Eingliederungshilfe; der Teil, der für die Organisation der Hausverwaltung und Haustechnik anfällt, gehört zu den Kosten der Unterkunft und damit zu den Existenzsichernden Leistungen.

Fachleistungen

In der neuen Eingliederungshilfe erfolgt ab 01.01.2020 keine Differenzierung zwischen stationären und ambulanten Leistungen (anders als im Ordnungsrecht/Heimrecht oder Baurecht). Im Rahmen der Eingliederungshilfe werden die Fachleistungen

übernommen.

Gleichzeitig übernimmt der Träger der Eingliederungshilfe die Kosten der Unterkunft, die die sog. Angemessenheitsgrenze von 25 % übersteigen, soweit wegen des Umfangs von Assistenzleistungen ein gesteigerter Wohnraumbedarf besteht (s.o.).

Außerdem werden ausschließlich die Kosten der erforderlichen sächlichen und personellen Ausstattung und der betriebsnotwendigen Anlagen für die Mittagsverpflegung in Verantwortung der Werkstatt oder bei einem anderen Leistungserbringer oder beim Leistungserbringer der andere tagesstrukturierende Maßnahmen vom Träger der Eingliederungshilfe finanziert, wenn Leistungsberechtige in gemeinschaftlichen Settings sich selbst das Essen nicht zubereiten können. (§ 113 Abs.4 SGB IX)

Existenzsichernde Leistungen

Existenzsichernde Leistungen, also notwendiger Lebensunterhalt, Mehrbedarfe, einmalige Bedarfe und Kosten für Unterkunft und Heizung, werden nicht vom Vertrags- und Vergütungsrecht des SGB IX erfasst. Damit entfällt das bisherige Referenzsystem der Grund-, Maßnahme- und Investitionskostenpauschale im Vertrags- und Vergütungsrecht. Wesentliche Kostenbestandteile werden von den Leistungsberechtigten beispielsweise aus der Grundsicherung zu finanzieren sein. Zu den existenzsichernden Leistungen werden künftig keine Vereinbarungen mehr zwischen den Leistungserbringern und den Trägern der Eingliederungshilfe geschlossen. Für die Leistungserbringer verändern sich damit Risiken der Kostenkalkulation und Refinanzierbarkeit der erbrachten Leistungen.

Existenzsichernde Leistungen werden gewährt im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Auch die Grundsicherung für Arbeitsuchende gewährt existenzsichernde Leistungen, ebenso Bafög oder die Leistungen für Asylbewerber und diverse Rentenarten. Hier begnügen wir uns mit den Regelungen des SGB XII zum notwendigen Lebensunterhalt und zu den Kosten der Unterkunft, weil dies die meisten Fälle betrifft.

Zu den Existenzsichernden Leistungen gehören

  • die Kosten für Ernährung
  • die Kosten für Kleidung
  • Hygienekosten
  • Kosten für (in vertretbarem Umfang) eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft
  • Kosten für Hausrat
  • die Wohnkosten, incl. Heizkosten und Nebenkosten (Kosten der Unterkunft)

Bis auf den letzten Punkt werden diese Punkte unter dem Sammelbegriff „notwendiger Lebensunterhalt“ zusammengefasst. (Siehe auch: Bundesteihabegesetz Teil 14 – Trennung der Leistungen (2))

Kosten der Unterkunft

§ 42a Abs.2 SGB XII

Die Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) sind grundsätzlich der Grundsicherung zuzuordnen, sodass diese nicht mehr Bestandteil der Entgeltverhandlungen nach § 125 SGB IX sind. Die tatsächlichen angemessenen Aufwendungen für Miete und Heizkosten werden als Bedarf berücksichtigt. Auch in einer besonderen Wohnform ist die Miete für den persönlichen Wohnraum in tatsächlicher Höhe zugrunde zu legen. Bei Belegung durch mehrere Personen wird eine anteilige Aufteilung vorgenommen. Die Gemeinschaftsraummiete wird auf alle Bewohner/innen, denen der Gemeinschaftsraum zur Nutzung überlassen ist, nach Köpfen zu gleichen Teilen aufgezuteilt. Die Kosten für Unterkunft und Heizung sind bis zur Angemessenheitsgrenze in der Grundsicherung für einen Einpersonenhaushalt (je nach Ort) als angemessen anzusehen. Hierauf wird – innerhalb der Grundsicherung – ein bis zu 25%iger Aufschlag gewährt, wenn mindestens eine der Zusatzkosten nach § 42a Abs. 5 SGB XII (Fassung ab 1.1.2020) ausgewiesen wird. Übersteigen die anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung diesen Wert von 125%, ist der Überschussbetrag vom Eingliederungshilfeträger zu übernehmen

Ausführliches dazu im Beitrag Kosten der Unterkunft ab 2020.

Mehr zum Thema siehe: Bundesteihabegesetz Teil 14 – Trennung der Leistungen (2)

Quellen: Bundestag, BMAS, SOLEX, FOKUS Sozialrecht

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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