Kritik am Klimaschutzgesetz

„Keine Verschiebung von Reduktionslasten in die Zukunft und damit auf die nachfolgenden Generationen“ war ein Kernsatz des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 29. April 2021. Darauf wies Roda Verheyen, Vorstand von Green Legal Impact und Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts bei der Sachverständigen-Anhörung am 8. November 2023 zur geplanten Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes hin.

Belastung der nachfolgenden Generationen

Genau diese Verschiebung der Lasten passiere aber nun mit der geplanten Novelle. Die auf Vorschlag der SPD geladenen Expertin appellierte an die Abgeordneten: „Es ist zwingend erforderlich, dieses Gesetz so nicht anzunehmen.“ Zu dem gleichen Ergebnis kam Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht, der ebenfalls auf Vorschlag der SPD eingeladen war.

Aufhebung der Sektorenziele

Kern der Novelle des Klimaschutzgesetzes ist die Aufhebung der Sektorenziele, so dass nun nur noch die Jahresemissionsgesamtmengen für alle Sektoren zusammen bewertet werden und gegebenenfalls für Nachbesserungen sorgen sollen. Dies entlastet vor allem das Verkehrsministerium, dass seine Sektorenziele bisher krachend verfehlt hat.

Klimablockadepolitik

Das Klimaschutzgesetz sei „nicht ansatzweise mit der 1,5 Grad-Grenze kompatibel, sagte Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Mit dem Gesetz gehe es offenbar darum, “säumige Ministerien vor schlechter Presse zu schonen und Klimablockadepolitik in Schlüsselsektoren wie dem Verkehr in einer mehrjährigen Gesamtrechnung„ zu verstecken. Müller-Kraenner, der auf Einladung der Linken-Fraktion Stellung nahm, sprach von drohender “Verantwortungsdiffussion„. Ähnlich sah das Tobias Pforte-von Randow vom Deutschen Naturschutzring. Der vorliegende Gesetzentwurf diene lediglich der Verschleierung ungenügender Klimaschutzbemühungen sagte der Experte, der auf Einladung der Grünen-Fraktion sprach.

Keine Aufweichung der Sektorziele

Kerstin Andreae vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sprach sich dezidiert gegen eine Aufweichung der Sektorziele aus und plädierte für eine Beibehaltung der derzeitigen Methodik, die eine gezielte Anreizwirkung zur Senkung der Treibhausgasemissionen in den Sektoren habe. Dazu führte die Expertin, die auf Einladung der Grünen-Fraktion an der Anhörung teilnahm, aus, dass zur Vermeidung von Zielabweichungen die Verrechnung von Über- und Untererfüllungen nur bis zu einer bestimmten Grenze zugelassen werden sollte.

gemeinsame Verantwortung der Regierung

Eine andere Meinung hat der von der CDU eingeladene Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina/Nationale Akademie der Wissenschaften, Gerald Haug. Er nannte die sektorübergreifende Klimaschutzpolitik genauso richtig wie die daraus folgende gemeinsame Verantwortung der Regierung.

Langfristige und strukturelle Maßnahmen unzureichend

Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sagte, der Reformbedarf für das Klimaschutzgesetz bestehe, weil dessen Steuerungsmechanismen zwar hohe Verbindlichkeit und Flexibilität aufwiesen, „aber an den jeweils falschen Stellen“. Jahresscharfe sektorale Emissionsminderungsziele und die Zuweisung von sektoraler ministerieller Verantwortlichkeit schafften eine Vielzahl von politischen Interventionspunkten – vor allem bei der Ausgestaltung der Sofortprogramme, die bisher das zentrale Instrument der Nachsteuerung seien. Es sei jedoch mehr als fraglich, ob dies auch zu höherer langfristiger Glaubwürdigkeit führe. „Denn Sofortprogramme schließen Lücken, die in der Regel überhaupt erst entstehen, weil die langfristigen und strukturellen Maßnahmen unzureichend sind“, sagte Pahle, der auf Einladung der FDP sprach.

Teure Zukunft

Verkehr und Gebäude seien die Sektoren, die schon in der Vergangenheit ihre Ziele nicht erreicht hätten, sodass man nach europäischen Regeln Emissionszertifikate mit deutschem Steuerzahlergeld zukaufen musste, erklärte Christoph Bals von Germanwatch, der auf Einladung der Unionsfraktion sprach. Das werde zukünftig aber viel teurer, sagte Bals. Abschätzungen gingen von bis zu zweistelligen Milliardenbeträgen aus. Eventuell drohten EU-Vertragsverletzungsverfahren und Strafzahlungen. Eine fehlende Strategie im Verkehrs- und Gebäudebereich wäre daher “grob fahrlässig„, so Bals.

Finanzausstattung der Kommunen

Am bestehenden Monitoring und Kontrollmechanismus sowie der Pflicht, innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm zur Nachsteuerung vorzulegen, müsse festgehalten werden, forderte auch Tim Bagner vom Deutschen Städtetag, der auf Einladung gemäß einer Regelung der Geschäftsordnung des Bundestags zur Teilnahme von Vertretern kommunaler Spitzenverbände an Anhörungen sprach. Wie Bagner und Nadine Schartz vom Deutschen Landkreistag forderte Alexander Kramer vom Deutschen Städte- und Gemeindebund Bund und Länder auf, für eine langfristige und hinreichende Finanzausstattung der Kommunen zu sorgen.

soziale Akzeptanz

Leon Krüger vom DGB, der auf Einladung der SPD-Fraktion sprach, unterstrich das Anliegen des Gewerkschaftsbundes, dass es für die ökonomisch ausgewogene Flankierung wie auch die soziale Akzeptanz der Klimaschutzmaßnahmen unerlässlich sei, die Bevölkerung über ein Klimageld zu entlasten und so klimaschutzbezogene Mehrbelastungen zu kompensieren“.

Quellen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht

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Mehr Pflegesachleistung und Pflegegeld

Mit dem PUEG (Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege) werden die Leistungen der Pflegeversicherung um etwa 5 Prozent erhöht.

Pflegesachleistungen

Für Leistungen ambulanter Pflegedienste nach § 36 SGB XI erhalten Anspruchsberechtigte ab dem 01.01.2024 diese Leistungsbeträge:

Pflegegeld

Anstelle der Pflegesachleistung oder zur Kompensation nicht genutzter Pflegeeinsätze können Pflegebedürftige auch eine Geldleistung, das sogenannte Pflegegeld, wählen. Diese Geldleistung soll Kosten für eine selbst beschaffte Pflegekraft abdecken. Hier geht der Gesetzgeber davon aus, dass diese Person dem Pflegebedürftigen nahe steht und der Pflegebedarf mit einem geringeren Betrag als für die Dienstleistung abgegolten werden kann. (§ 37 SGB XI)

Umwandlungsbetrag

Pflegebedürftige in häuslicher Pflege können eine Kostenerstattung zum Ersatz von Aufwendungen für Leistungen der nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag unter Anrechnung auf ihren Anspruch auf ambulante Pflegesachleistungen erhalten, soweit für den entsprechenden Leistungsbetrag in dem jeweiligen Kalendermonat keine ambulanten Pflegesachleistungen bezogen wurden. Der hierfür verwendete Betrag darf je Kalendermonat 40% des Sachleistungshöchstbetrages nicht überschreiten. (§ 45a Abs. 2 SGB XI)

Dynamisierung

Die Höhe der Leistungen der Pflegeversicherung werden in einem dreijährigen Rhythmus angepasstund im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die ab 1.1.2024 geltenden Beträge werden zum 1.1.2025 um 4,50% erhöht. Zum 1. Januar 2028 steigen die Leistungsbeträge automatisch in Höhe des kumulierten Anstiegs der Kerninflationsrate in den letzten drei Kalenderjahren, für die zum Zeitpunkt der Erhöhung die entsprechenden Daten vorliegen, sofern dieser nicht oberhalb der Lohnentwicklung im gleichen Zeitraum liegt. Mit dem Übergang zur Kerninflationsrate als Dynamisierungsmaßstab werden kurzfristige starke Preisschwankungen im Bereich der Energie- und Lebensmittelpreise in der Berechnungsgrundlage nicht berücksichtigt. Daraus ergibt sich ein kontinuierlicherer Verlauf der jeweiligen Dynamisierungsschritte. (vgl. § 30 SGB XI).

Quellen: SOLEX, Carmen P. Baake: Beraterbrief Pflege, Bundesgesetzblatt

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Zusatzbeitrag 2024

Nun ist es amtlich. Wie schon in unserer Tabelle der Sozialversicherungswerte und Rechengrößen 2024 Mitte Oktober angegeben, steigt der durchschnittliche Zusatzbeitragin der Krankenversicherung im Jahr 2024 von 1,6% auf 1,7%. Dies hat das Bundesgesundheitsministerium am 31.10.2024 im Bundesanzeiger veröffentlicht.

Zusatzbeiträge

Seit dem 1. Januar 2015 gilt für die gesetzlichen Krankenkassen ein allgemeiner Beitragssatz von 14,6 Prozent beziehungsweise gegebenenfalls ein ermäßigter Beitragssatz von 14,0 Prozent. Ergänzend erheben die Krankenkassen einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag von ihren Mitgliedern, um ihren Finanzbedarf, der über die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds hinausgeht, zu decken. Seit dem 1. Januar 2019 beteiligen sich Arbeitgeber beziehungsweise Rentenversicherungsträger auch zur Hälfte an diesen kassenindividuellen Zusatzbeiträgen. Außerdem dürfen Krankenkassen mit hohen Finanzreserven ihre Zusatzbeiträge nur unter bestimmten Bedingungen anheben.

Krankenkassenliste

Diese Zusatzbeiträge orientieren sich am durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz der GKV, den das Bundesministerium für Gesundheit bekannt gibt; sie variieren aber von Krankenkasse zu Krankenkasse. Eine Übersicht über die aktuellen Zusatzbeitragssätze der Krankenkassen finden Sie auf der Internetseite des GKV-Spitzenverbandes.

Sonderkündigungsrecht

Soweit eine Krankenkasse einen Zusatzbeitrag erhöht, haben die Mitglieder ein Sonderkündigungsrecht.

Mitversicherte Kinder und Partnerinnen oder Partner (Familienversicherte) zahlen keinen Zusatzbeitrag. Bei Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern sowie Bezieherinnen und Beziehern einer Grundsicherung übernehmen die zuständigen Ämter den Zusatzbeitrag.

Durchschnittlicher Zusatzbeitragssatz

Für einige Personengruppen gilt der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz, zum Beispiel für Geringverdienende, Auszubildende (Arbeitsentgelt bis 325 Euro) sowie Auszubildende in Einrichtungen der Jugendhilfe und Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld. Dieser Satz wird vom Bundesministerium für Gesundheit nach Auswertung der Ergebnisse des Schätzerkreises festgesetzt. Dem Schätzerkreis gehören Fachleute des Bundesministeriums für Gesundheit, des Bundesamtes für Soziale Sicherung sowie des GKV-Spitzenverbandes an.

Quellen: BMG, GKV, Bundesanzeiger, FOKUS-Sozialrecht

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RSV-Prophylaxe

Das respiratorische Synzytialvirus (RSV) ist eines der vielen Auslöser für erkältungsähnliche Infektionen. Bei Kleinkindern und vor allem bei Säuglingen kommt es häufig zu schwereren Verläufen, die gerade bei Säuglingen eine stationäre Behandlung erfordern können. Während des 1. Lebensjahres haben 40–70 % und bis zum Ende des 2. Jahres nahezu alle Kinder einmal die Erkrankung durchgemacht. Dies schützt zwar nicht vor erneuter Ansteckung, aber der Krankheitsverlauf wird dadurch weniger stark als bei der Erstinfektion.

Häufung von Krankenhausaufenthalten

Die Maßnahmen gegen Covid-19 haben kurzfristig auch Infektionen mit anderen Keimen gemindert. Social Distancing, das Tragen von Masken sowie weitere Präventionsmaßnahmen helfen gegen eine ganze Reihe von Atemwegsinfektionen. Doch als Ende 2022 die meisten Länder die Schutzmaßnahmen aufhoben, verbreitete sich RSV stark. Besonders betroffen waren Kinder, die in den vorherigen beiden Jahren nicht mit dem Virus in Kontakt gekommen waren. Allein in den USA verdreifachte sich die Zahl der RSV-bedingten Krankenhausaufenthalte im November 2022 im Vergleich zu den Werten vor der Corona-Pandemie drei Jahre zuvor.

Weltweit sterben jährlich schätzungsweise 600.000 Menschen direkt oder indirekt durch RSV-Infektionen.

RSV-Antikörper

Bei Kindern kann die Gabe von RSV-Antikörpern vor einer Infektion das Risiko, schwer zu erkranken, senken. Nachdem der RSV-Antikörper Nirsevimab seit kurzem auf dem Markt verfügbar ist, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) seinen bisherigen Therapiehinweis zum RSV-Antikörper Palivizumab neu gefasst. Damit stellt der G-BA klar, für welche Kinder mit einem hohen Risiko für schwere Krankheitsverläufe die Verordnung von RSV-Antikörpern von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird. Ein hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf durch RSV besteht beispielsweise bei Frühgeborenen sowie bei Säuglingen, die bestimmte Arten von Herzfehlern oder Trisomie 21 haben. Der Beschluss zur Neufassung des Therapiehinweises wird dem Bundesministerium für Gesundheit zur rechtlichen Prüfung vorgelegt und tritt nach Nichtbeanstandung und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.

Kassenleistung nur bei Risiko-Kindern

Der monoklonale Antikörper Nirsevimab kann, wenn er vor einer RSV-Infektion gegeben wird, durch eine sogenannte passive Immunisierung eine Erkrankung der unteren Atemwege verhindern oder abschwächen. Eine generelle Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für solche Wirkstoffe zur Prävention sieht der Gesetzgeber jedoch nicht vor. Ausnahmen bestehen nur bei einer aktiven Immunisierung mittels Schutzimpfungen und der HIV-Präexpositionsprophylaxe durch antivirale Arzneimittel. An diese gesetzlichen Vorgaben müssen sich die Vertragsärztinnen und -ärzte, aber auch der G-BA halten. Der G-BA kann daher in seinem Therapiehinweis trotz einer weitergehenden Zulassung von Nirsevimab nur definieren, bei welchen Patientengruppen die Gabe des RSV-Antikörpers in den Bereich der medizinischen Vorsorgeleistung bzw. der Krankenbehandlung fällt, weil bei ihnen ein hohes Risiko für einen schweren Erkrankungsverlauf besteht. Bei Kindern ohne besondere Risikofaktoren ist die Gefahr eines schwerwiegenden Erkrankungsverlaufs – und damit auch der potenzielle Nutzen der Antikörpergabe – gering. Deshalb sind hier die Voraussetzungen für eine Verordnung unter den gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht gegeben.

STIKO-Empfehlung wird erwartet

Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut befasst sich derzeit ebenfalls mit den Möglichkeiten der RSV-Prophylaxe. Der vom G-BA verantwortete Therapiehinweis regelt allein den Einsatz der Antikörper Nirsevimab und Palivizumab zur Vermeidung schwerer Krankheitsverläufe als sogenannte Sekundärprävention. Dabei gelten die gesetzlichen Vorgaben zur Arzneimittelversorgung, eine Empfehlung der STIKO ist hierfür nicht notwendig. Demgegenüber setzt der Einsatz von RSV-Impfstoffen zur Primärprävention als GKV-Leistung eine positive Impf-Empfehlung durch die STIKO voraus. Sollte es eine STIKO-Empfehlung zur RSV-Impfung geben, würde der G-BA diese in seiner Schutzimpfungs-Richtlinie entsprechend berücksichtigen.

Fast zu spät für diesen Winter

Da der Wirkstoff Nirsevimab erst seit September 2023 auf dem Markt ist, kommt die G-BA Empfehlung für diese Saison reichlich spät. Die typische Saison für RSV-Erkrankungen dauert etwa von November bis April. Die RSV-Prophylaxe mit Nirsevimab wird von einigen gesetzlichen Krankenkassen unabhängig vom G-BA-Therapiehinweis zwischenzeitlich auch als Satzungsleistung übernommen.

Quellen: Spektrum.de, G-BA, National Library of Medicine

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Wohnungskosten und Angemessenheitsgrenze

Bei der Prüfung, ob eine Wohnung nach dem SGB II angemessen ist, muss das Jobcenter jeden Einzelfall prüfen. Das Bundessozialgericht hatte schon 2006 ein dreistufiges Prüfungsschema aufgestellt:

  • Prüfung der Wohnungsgröße
  • Prüfung des Wohnstandards
  • Prüfung des örtlichen Wohnungsmarktes

Familiäre Besonderheiten

Nun wird in einem Urteil des Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen klargestellt, dass auch eine Prüfung der familiären Besonderheiten angebracht ist.

Das LSG hat am 23.10.2023 entschieden, dass das Jobcenter bei besonders schwer verfügbaren, behindertengerechten Wohnungen auch Kosten oberhalb der Angemessenheitsgrenze übernehmen muss.

Zugrunde lag das Eilverfahren einer alleinstehenden Frau (geb. 1976) aus Bremen. Sie hat fünf Kinder im Alter von 9 bis 22 Jahren. Der älteste Sohn ist schwerbehindert und auf einen Rollstuhl angewiesen. Bisher lebt die Familie in einer 83 m³ großen Vier-Zimmer-Wohnung im 1. Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses. Um die Wohnung zu verlassen, muss der Sohn durch das Treppenhaus getragen werden.

Kosten über der Angemessenheitsgrenze…

Nach langer Suche fand die Familie schließlich eine barrierefreie Wohnung in passender Größe. Die Zentrale Fachstelle Wohnen befürwortete die Anmietung. Das Jobcenter Bremen lehnte eine Zusicherung der Mietübernahme jedoch ab, da die Miete auch nach einem Preisnachlass (1.425,60 €) immer noch über der Angemessenheitsgrenze (1.353,00 €) lag. Außerdem verwies es darauf, dass die Mutter in der Vergangenheit eine andere geeignete Wohnung abgelehnt habe.

…aber hier nicht unangemessen

Das LSG hat das Jobcenter zur Erteilung der Zusicherung verpflichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die höheren Kosten aufgrund der familiären Besonderheiten nicht unangemessen seien. Der Zugang zum Wohnungsmarkt sei für Menschen mit Behinderung ohnehin erschwert. Hinzu komme das geringe Angebot für größere Personenzahlen. Die Chancen einer sechsköpfigen Familie, künftig eine andere rollstuhlgerechte Wohnung zu finden, seien damit sehr gering – dies habe die Zentrale Fachstelle Wohnen ausdrücklich bestätigt. Ferner müsse der schwerbehinderte Sohn nicht deshalb in einer ungeeigneten Wohnung bleiben, weil seine Mutter es in der Vergangenheit ggf. an ausreichenden Bemühungen bei der Wohnungssuche habe fehlen lassen.

Quellen: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. Oktober 2023, L 13 AS 185/23 B ER, SOLEX

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Kinderzusatzbetrag

Die neue Kindergrundsicherung ab 2025 wird aus drei Komponenten bestehen:

  • dem einkommensunabhängigen Kindergarantiebetrag für alle Kinder und Jugendliche, der dem heutigen Kindergeld entspricht,
  • dem einkommensabhängigen und altersgestaffelten Kinderzusatzbetrag, der den bisherigen Kinderzuschlag ablöst und die SGB-II- bzw. SGB XII-Leistungen weit überwiegend ersetzt, sowie
  • den Leistungen für Bildung und Teilhabe.

Was bedeutet Kinderzusatzbetrag?

Der Kinderzusatzbetrag als einkommensabhängige Komponente der Kindergrundsicherung deckt zusammen mit dem Kindergarantiebetrag und den Leistungen für Bildung und Teilhabe im Regelfall das Existenzminimum des Kindes.

Keine Mindesteinkommensgrenze

Um Kinder in Familien mit keinem oder geringem Einkommen besser zu erreichen, besteht, anders als beim Kinderzuschlag, für den Kinderzusatzbetrag weder eine Mindesteinkommensgrenze (derzeit 600 Euro brutto bei Alleinerziehenden; 900 Euro brutto bei Paarfamilien), noch muss die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II überwunden werden (Mit dem Bezug von Kinderzuschlag und ggf. Wohngeld muss bisher die Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II überwunden werden).

Dementsprechend wird der Kinderzusatzbetrag künftig für alle nach § 9 BKG anspruchsberechtigten Kinder gezahlt, deren Bedarf nicht aus eigenem Einkommen,
Elterneinkommen oder erheblichem Vermögen gedeckt werden kann. Damit werden
alle Kinder, die bisher ausschließlich SGB II-Leistungen beziehen, Anspruch auf den
Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung haben.

Unterhalt ist vorrangig

Grundlegende Anspruchsvoraussetzung für den Bezug des Kinderzusatzbetrages
ist der Bezug des Kindergarantiebetrages nach dem EStG oder nach dem BKG. Um
den Vorrang der Elternverantwortung vor staatlicher Sozialleistung sicherzustellen, sind private Unterhaltszahlungen oder hilfsweise die Unterhaltsvorschuss- und -ausfall-Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UhVorschG) vorrangig.

Anspruch haben die Kinder

Die Anspruchsinhaberschaft für den Kinderzusatzbetrag liegt bei den Kindern. Dieser wird bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Kindes gezahlt, solange für
das Kind der Kindergarantiebetrag bezogen wird. Schlechterstellungen gegenüber dem bisher Kinderzuschlag beziehenden Personenkreis sollen vermieden werden. Für Kinder, die im Hilfesystem des SGB XII sind, endet der Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag mit der Vollendung des 18. Lebensjahres, wie bisher beim Kinderzuschlag. Sie können dann die weiter Leistungen nach dem SGB XII erhalten.

Bewilligung für jeweils 6 Monate

Abweichend zum Bürgergeld wird der Kinderzusatzbetrag grundsätzlich abschließend aufgrund feststehendem Bemessungs- und Bewilligungszeitraum bewilligt. Bemessen wird der Kinderzusatzbetrag anhand eines festen sechsmonatigen Bemessungszeitraums und bewilligt für ebenfalls weitere sechs Monate.

Existenzminimumbericht als Grundlage

Der Kinderzusatzbetrag deckt eine Pauschale für Unterkunft und Heizung auf
Grundlage des jeweils maßgeblichen Existenzminimumberichts der Bundesregierung, für das Jahr 2024 zum Beispiel in Höhe von 125 Euro, sowie altersgestaffelte Regelbedarfe, soweit diese Leistungen nicht durch den Kindergarantiebetrag abgedeckt sind. Zusätzlich zum Kinderzusatzbetrag wird das Schulbedarfspaket als pauschalierte Leistung für Bildung und Teilhabe (von aktuell 174 Euro, anteilig auszuzahlen im August und im Februar) ausgezahlt.

Einkommen der Familiengemeinschaft

Der Kinderzusatzbetrag ist eine einkommensabhängige, existenzsichernde Leistung, die nur diejenigen Familien unterstützen soll, die sie benötigen. Bei der Berechnung der Höhe des Kinderzusatzbetrages sind Bedarfe und Einkommen der Familiengemeinschaft zu berücksichtigen. Dieser neu eingeführte Begriff der Familiengemeinschaft umfasst die Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Absatz 3 SGB II sowie die Einstandsgemeinschaft nach § 27 Absatz 2 Satz 2 und 3 SGB XII.

Zur Ermittlung des Einkommens der Eltern wird das Einkommen der Elternteile berücksichtigt, die mit dem Kind in einem Haushalt beziehungsweise in einer Familiengemeinschaft leben. Dazu gehört beispielsweise auch das Einkommen des Stiefelternteils. Das Einkommen eines nicht in der Familiengemeinschaft lebenden Elternteils ist dagegen bei der Berechnung des Kinderzusatzbetrages nicht zu berücksichtigen.

Einkommensbegriff des SGB II

Maßgeblich für die Berechnung des Einkommens ist wie bisher der Einkommensbegriff des SGB II. Dementsprechend mindert sich der Höchstbetrag des Kinderzusatzbetrages sowohl um das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen des Kindes als auch um das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen der Eltern.

Einkommen des Kindes (insbesondere private Unterhaltsleistungen sowie Unterhaltsvorschuss, aber auch Ausbildungsvergütungen und Erwerbseinkommen) wird grundsätzlich zu 45 Prozent berücksichtigt. Damit profitieren insbesondere kleine Kinder von Alleinerziehenden, die nach bisheriger Rechtslage Bürgergeld unter vollständiger Anrechnung von Unterhaltseinkommen oder Unterhaltsvorschuss beziehen, von der Kindergrundsicherung.

Steigendes Einkommen vermindert den Zusatzbeitrag

Die Höhe des Kinderzusatzbetrages wird, nach Abzug von etwaigem Kindeseinkommen, wenn der Bedarf der Eltern gedeckt ist, mit steigendem Einkommen gemindert bzw. abgeschmolzen. Das Erwerbseinkommen der Eltern wird mit einer Abschmelzrate von 45 Prozent berücksichtigt.

Für den Abschmelzpunkt, also die (Einkommens-) Grenze, ab der der Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung absinken soll, ist der elterliche Bedarf maßgeblich. Dieser richtet sich grundsätzlich nach den Regelungen des SGB II und setzt sich aus folgenden Einzelpositionen zusammen: Dem Regelbedarf (§ 20 SGB II), etwaigen Mehrbedarfen (§ 21 SGB II) und dem Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) der Eltern.

Wohnkostenanteile

Hinsichtlich des Bedarfs für Unterkunft und Heizung werden die über den pauschalen Wohnkostenanteil des Kindes auf Grundlage des Existenzminimumberichts der Bundesregierung (125 Euro ab 2024) hinausgehenden Wohnkosten der Familie über die Eltern abgedeckt. Dementsprechend wird beim Bürgergeld für die Eltern der im Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung enthaltene pauschale Wohnkostenanteil des Kindes in Abzug gebracht und darüberhinausgehende Wohnkosten bei dem Bedarf für Unterkunft und Heizung der Eltern berücksichtigt.

erhebliches Vermögen

Wie bisher beim Kinderzuschlag wird bei der Berechnung des Kinderzusatzbetrages
nur erhebliches Vermögen berücksichtigt.

Quellen: BMFSFJ, Bundestag, FOKS-Sozialrecht

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Kindergrundsicherung – der Check

Mit der Einführung der Kindergrundsicherung werden auch neue Begriffe eingeführt. Über die verschiedenen Formen von „Gemeinschaften“ berichteten wir Anfang Oktober 23. Das neue Gesetz (BKG) wird am 1. Januar 2025 das seit 1. Juli 1964 geltende Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ablösen. Die bei der Bundesanstalt für Arbeit angesiedelte „Familienkasse“, zuständig für die Auszahlung des Kindergelds, wird in „Familienservice“ umbenannt. Das Familienministerium begründet die Umbenennung damit, dass zukünftig die Beratung und Unterstützung von Kindern und Familien stärker in den Vordergrund treten soll. So wird – nach Einwilligung der Eltern – mit dem „Kindergrundsicherungs-Check“ automatisch geprüft, ob einem Kind der Kinderzusatzbetrag möglicherweise zusteht. In diesem Fall wird die Familie proaktiv durch den Familienservice informiert und auf die Möglichkeit der Antragstellung hingewiesen.

Kindergrundsicherungs-Check

Jedem Kind, beziehungsweise seinen Eltern steht der Kindergarantiebetrag zu in Höhe des bisherigen Kindergeldes. Darüber hinaus haben bedürftigere Kinder Anspruch auf einen Kinderzusatzbetrag.

Antrag erforderlich

Für den Kindergarantiebetrag und den Kinderzusatzbetrag müssen jeweils Anträge gestellt werden, da beide Leistungen das Existenzminimum des Kindes sichern sollen. Damit die Höhe der Leistung im Einzelfall und bedarfsgerecht berechnet werden kann, ist die Abfrage von Informationen nötig, die bei Behörden nicht erfasst sind und daher nicht automatisch verarbeitet werden können. Das sind insbesondere die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Kindesunterhaltszahlungen. Diese sind in der Regel nur den Familien bekannt, da beispielsweise Mietverträge und Kontoauszüge der Verwaltung nicht vorliegen.

Automatisierte Verfahren

Beim Antrag auf Kinderzusatzbetrag und im Kindergrundsicherungs-Check kommen jedoch automatisierte Verfahren zum Einsatz, die den Weg zur Leistung erleichtern.

Mit dem „Kindergrundsicherungs-Check“ prüft der Familienservice, ob Familien Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag haben könnten. Ist das der Fall, informiert der Familienservice proaktiv die Eltern und bietet an, sie zu beraten. Der Familienservice kann dafür eine Vorprüfung der Einkommenssituation und Bedarfe der Familiengemeinschaft vornehmen anhand der Daten, die digital vorliegen. Voraussetzung ist, dass die Familien dies ausdrücklich wünschen. Dieses Angebot sollen alle künftigen Kindergarantiebetragbeziehenden erhalten. Neuen Eltern wird der Check zudem im Antrag auf den Kindergarantiebetrag angeboten.

Beratungsangebot

Bei dem Check handelt es sich um ein Beratungsangebot. Er kann nicht die detaillierte Prüfung ersetzen, die bei einem Antrag notwendig ist. Der Check soll schnell und für die Bürgerinnen und Bürger einfach sein. Er wird deshalb aber nicht hundertprozentig genau sein können. Dies liegt unter anderem an folgenden Umständen:

  • Die für eine konkrete Berechnung erforderlichen Daten liegen nur teilweise digital vor. Es können aber nur solche Daten genutzt werden, die digital und abrufbar vorliegen.
  • Manche Einkommensdaten liegen zwar digital und in abrufbarer Form vor, sind aber nicht aktuell.
  • Dem Ergebnis des Checks liegt zudem stets die Annahme zugrunde, dass die Einkommens- und Bedarfsentwicklung bis zur Antragstellung unverändert bleibt. Für die konkrete Berechnung im Antragsverfahren müssen aber die aktuellen Daten aus dem gesetzlich festgelegten Bemessungszeitraum zugrunde gelegt werden. Daher können die bereits abgerufenen Daten aus dem Check nicht in den Antrag überführt werden.
  • Untypische Ereignisse bei der Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der Familiengemeinschaft können sich erheblich auf den Antrag auswirken, jedoch im Kindergrundsicherungs-Check nicht antizipiert werden.

Zum Antrag bewegen

Mithilfe von statistischen Annahmen soll der Check eine Aussage darüber treffen, ob ein Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag bestehen könnte oder nicht. So sollen Bürgerinnen und Bürger, bei denen ein Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegt, dazu bewegt werden, den Antrag zu stellen. Der genaue Anspruch kann dann nur im Antragsverfahren ermittelt werden.

Quelle: BMFSFJ

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WfbM, Entgelt, Alternativen

Eine Studie zum Entgelt und zu Alternativen in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen zeigt, dass eine Reform zur Gleichstellung dringend nötig ist.

Weit unter Mindestlohn

Die schlechte Bezahlung weit unter dem Mindestlohn und die geringe Vermittlungsquote von behinderten Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch Werkstätten für behinderte Menschen wird schon seit vielen Jahren kritisiert. Eine aktuell vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlichte Studie zeigt nach Ansicht des Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter NETZWERK ARTIKEL 3 den dringenden Handlungsbedarf in diesem Bereich. „Im Jahr 2021 betrug das Durchschnittsentgelt in Werkstätten für behinderte Menschen gerade einmal 226 Euro pro Monat. Zudem kommen die Werkstätten ihrem Vermittlungsauftrag auf den allgemeinen Arbeitsmarkt so gut wie nicht nach. 2019 wurden von den ca. 300.000 Werkstattbeschäftigten gerade einmal 0,35 Prozent auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt“, kritisiert Prof. Dr. Sigrid Arnade vom Vorstand des NETZWERK ARTIKEL 3.

Forderung: Reform in Richtung Inklusion

„Schaut man sich die Studie einmal genauer an, so wird deutlich, dass 49 Prozent der Beschäftigten in Werkstätten 2021 sogar weniger als 150 Euro pro Monat für ihre Arbeit bekamen. In Verbindung mit den geringen Vermittlungsquoten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist dies ein Skandal, zumal jährlich ca. fünf Milliarden Euro aus öffentlichen Geldern in das System der Werkstätten für behinderte Menschen an Zuschüssen gezahlt werden. Dieses Geld kann viel besser im Sinne eines inklusiven Arbeitsmarktes, wie zum Beispiel durch die Förderung von Budgets für Arbeit bei regulären Arbeitgebern, eingesetzt werden. Daher fordern wir die Bundes- und Landesregierungen auf, endlich die Weichen für die Beschäftigung behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu stellen und das bestehende System grundlegend in Richtung Inklusion zu reformieren“, erklärte Prof. Dr. Sigrid Arnade.

Transparenzpflicht

Vor allem müsse aber endlich eine Transparenzpflicht für alle Werkstätten für behinderte Menschen eingeführt werden, so dass diese ihre Jahresabschlüsse, das gezahlte Durchschnittsentgelt für behinderte Beschäftigte, die Vergütung von Geschäftsführung und Betreuungspersonen sowie die Vermittlungsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in einer verständlichen Form veröffentlichen müssen. „Ärgerlich ist, dass nur 42 Prozent der Werkstattleitungen an der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebenen Befragung mitgewirkt haben. Das zeigt, dass vielen Werkstattleitungen die Entlohnung ihrer behinderten Beschäftigten und mögliche Alternativen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anscheinend nicht so wichtig sind,“ kritisiert Prof. Dr. Sigrid Arnade.

Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

Rückenwind für eine ernstzunehmende Reform erwartet das NETZWERK ARTIKEL 3 u.a. von den Abschließenden Bemerkungen des Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zur Staatenprüfung Deutschlands in Sachen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. In dem Dokument, das am 8. September 2023 veröffentlicht wurde, zeigt sich der Ausschuss u.a. besorgt über die hohe Zahl behinderter Menschen, die in Deutschland in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten und die geringe Vermittlungsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Ausschuss schlägt daher die Entwicklung eines Aktionsplans zur Vermittlung behinderter Menschen von Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt mit einem konkreten Zeitplan, entsprechenden Ressourcen und der konsequenten Partizipation von Organisationen von Menschen mit Behinderungen vor.

Quelle: Pressemitteilung des NETZWERK ARTIKEL 3 – Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V. vom 14.09.2023, BMAS, United Nations, FOKUS-Sozialrecht

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Sozialversicherungswerte und Rechengrößen 2024

Hier finden Sie die Werte für 2024 im Vergleich zum Vorjahr.
Änderungen zum Vorjahr sind fett markiert.

Beitragssätze in der Sozialversicherung

Versicherungszweig20232024
Krankenversicherung (KV)
allgemein
(Arbeitgeberanteil 7,30%)
14,60%14,60%
ermäßigt
(Arbeitgeberanteil 7,00%)
14,00%14,00%
Durchschnittlicher Zusatzbeitrag1,60%1,70%
KV insgesamt16,20%16,30%
davon Arbeitgeberanteil8,10%8,15%
Rentenversicherung (RV)
Allgemeine Rentenversicherung18,60%18,60%
Knappschaft24,70%24,70%
Agentur für Arbeit
Arbeitslosenversicherung (AV)2,60%2,60%
Insolvenzgeldumlage0,06%0,06%
Pflegeversicherung (PV)
Allgemeiner Beitragssatz3,40% *)3,40%
Beitragssatz für Kinderlose4,00% *)4,00%
*) seit 1.7.2023


Pflegeversicherung Beitragsstaffelung nach Anzahl der Kinder (seit 1.7.2023)

Anzahl KinderBeitragArbeitgeber-AnteilArbeitnehmer-Anteil
keine Kinder4,00%1,70%2,30%
ein Kind3,40%1,70%1,70%
2 Kinder3,15%1,70%1,45%
3 Kinder2,90%1,70%1,20%
4 Kinder2,65%1,70%0,95%
5 und mehr Kinder2,40%1,70%0,70%

Bezugsgrößen (§ 18 SGB IV)

Bezugsgrößen20232024
OstWestOstWest
Übersicht (im Bereich der KV, PV gilt für die neuen Bundesländer die Bezugsgröße West)
Bezugsgröße – jährlich39.480,00 €40.740,00 €41.580,00 €42.420,00 €
Bezugsgröße – monatlich3.290,00 €3.395,00 €3.465,00 €3.535,00 €
Bezugsgrößen im Einzelnen
Renten- und Arbeitslosenversicherung (RV, AV)
– Tag109,67 €113,17 €115,50 €117,83 €
– Woche767,67 €792,17 €808,50 €824,83 €
– Monat3.290,00 €3.395,00 €3.465,00  €3.535,00 €
– Jahr39.480,00 €40.740,00 €41.580,00 €42.420,00  €
Kranken- und Pflegeversicherung (KV, PV) – bundesweit
20232024
– Tag113,17 €117,83  €
– Woche792,17 €824,83 €
– Monat3.395,00 €3.535,00 €
– Jahr40.740,00 €42.420,00 €

Jahresarbeitsentgeltgrenze der Kranken- und Pflegeversicherung (bundesweit)

JAE KV/PV20232024
Allgemeine66.600,00 €69.300,00 €
Besondere59.850,00 €62.100,00 €

Beitragsbemessungsgrenzen

Beitragsbemessungsgrenzen20232024
OstWestOstWest
Renten- und Arbeitslosenversicherung (RV, AV)
– Tag236,67  €243,33 €248,33 €251,67 €
– Woche1.656,67 €1.703,33 €1.738,33 €1.761,67 €
– Monat7.100,00 €7.300,00 €7.450,00 €7.550,00 €
– Jahr85.200,00 €87.600,00 €89.400,00 €90.600,00 €
knappschaftliche Rentenversicherung
– Monat8.700,00 €8.950,00 €9.200,00 €9.300,00 €
– Jahr104.400,00 €107.400,00 €110.400,00 €111.600,00 €
Kranken- und Pflegeversicherung (KV, PV) – bundesweit
20232024
– Tag166,25 €172,50 €
– Woche1.163,75 €1.207,50 €
– Monat4.987,50 €5.175,00 €
– Jahr59.850,00 €62.100,00 €

Bemessungsgrundlagen für freiwillig Versicherte in der GKV

Mindestbemessungsgrundlagen monatlich
bundesweit
20232024
– allgemein1.131,67 €1.178,33 €
– Existenzgründer1.697,50 €1.178,33 €
– hauptberuflich Selbstständige2.546,25 €1.178,33 €
Regelbemessungsgrenze – hauptberuflich Selbstständige4.987,50 €5.175,00 €

Einkommensgrenzen, Hinzuverdienste

Einkommensgrenzen
bundesweit
20232024
Geringverdienergrenze für Auszubildende
– Tag10,83 €10,83 €
– Woche75,83 €75,83 €
– Monat325,00 €325,00 €
Geringfügigkeitsgrenze520,00 €538,00 €
Familienversicherung
Minijobber
– Monat520,00 €538,00 €
Sonstige Einkünfte (ohne Minijobs)
– Monat485,00 €505,00 €
Rentenunschädlicher Hinzuverdienst vor Vollendung des 65. Lebensjahres
Bezieher einer Vollrente wegen Alters
– Jahrentfälltentfällt
Bezieher einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente
– Jahr17.823,75 €18.558,75 €

Geringfügige Beschäftigung (§ 8 SGB IV)

Minijobs
bundesweit
2023
2024
Geringfügigkeitsgrenze
– Tag17,33 €17,93 €
– Woche121,33 €125,53 €
– Monat520,00 €538,00 €
Beitrag zur Rentenversicherung
Mindestbemessungsgrundlage in der RV für geringfügig Beschäftigte175,00 €175,00 €
Mindestbeitrag in der RV für geringfügig Beschäftigte32,55 €32,55 €
Pauschaler Arbeitgeberbeitrag zur
Krankenversicherung (KV)13,00%13,00%
Krankenversicherung bei Beschäftigung im privaten Haushalt5,00%5,00%
Rentenversicherung (RV)15,00%15,00%
Rentenversicherung bei Beschäftigung im privaten Haushalt5,00%5,00%
Aufstockungsbeitrag zur
Rentenversicherung3,60%3,60%
Rentenversicherung bei Beschäftigung im privaten Haushalt13,60%13,60%
Steuer
Einheitliche Pauschsteuer2,00%2,00%
Übergangsbereich
Übergangsbereich Beginn (monatlich)520,01 €520,01 €
Übergangsbereich Ende (monatlich)2.000,00 €2.000,00 €
Übergangsbereich Faktor F0,6863 (ab Juli 23)0,6846
Vereinfachte Formel zur Beitragsberechnung1,110218919*AE – 220,437837838
(ab Juli 23)
1,115438167*AE – 230,876333789

Monatliche Mindestarbeitsentgelte

Mindestarbeitsentgelte20232024
OstWestOstWest
Menschen mit Behinderung
Kranken- und Pflegeversicherung (KV, PV)658,00 €679,00 €693,00 €707,00 €
Rentenversicherung2.632,00 €2.716,00 €2.772,00 €2.828,00 €
Auszubildende und Praktikanten
Renten- und Arbeitslosenversicherung (RV, AV)32,90 €33,95 €34,65 €35,35 €

Höchstbeitragszuschuss für freiwillig versicherte GKV-Mitglieder und Mitglieder der PKV

Höchstbeitragszuschüsse (monatlich)
bundesweit
20232024
Krankenversicherung (KV)
mit Anspruch auf Krankengeld403,99 €421,76 €
ohne Anspruch auf Krankengeld389,03 €406,24 €
Pflegeversicherung (PV)
bundeseinheitlich76,06 €87,98 €
Ausnahme: Bundesland Sachsen51,12 €62,10 €

Studentenbeitrag

Beiträge (monatlich)
bundesweit
20232024
Krankenversicherung (KV)76,85 €76,85 €
Pflegeversicherung (PV)25,57 €25,57 €
Pflegeversicherung (PV) für Kinderlose30,08 €30,08 €

Regelbeitrag für Selbstständige in der RV

Beitragssatz – monatlich
(gemäß Beitragssatz)
20232024
OstWestOstWest
in Prozent18,60%18,60%18,60%18,60%
ergibt monatlich611,94 €631,47  €644,49 €657,51 €

Sachbezüge (monatlich)

Art des Sachbezugs
bundesweit
20232024
Freie Verpflegung288,00 €313,00 €
Freie Unterkunft265,00 €278,00 €
Gesamtsachbezugswert553,00 €591,00 €

Gesetzlicher Mindestlohn

Mindestlohn
bundesweit
20232024
pro Stunde12,00 €12,41 €

Quelle: SOLEX

Abbildung: Fotolia_158866271_Subscription_XXL.jpg

Abschiebungen

Es ist erstaunlich bis erschreckend, wie es den Rechtsradikal-Populisten gelingt, den öffentlichen Diskurs so zu bestimmen, dass die Mehrheit der Deutschen „Migration“ für das größte Problem hält. Natürlich helfen dabei die Medien und zwar nicht nur Springerpresse und Telegrammkanäle, sondern auch die sogenannten seriösen Medien von Tagesschau bis FAZ. Aufgescheuchte Politiker der demokratischen Parteien versuchen sich in Schadensbegrenzung, indem sie die populistischen Forderungen in Gesetze umwandeln wollen.

Klima? War da was?

Die zunehmende Klimakatastrophe wir nur noch am Rande als Problem wahrgenommen und die Gegenmaßnahmen an allen Ecken und Enden aufgeweicht und verzögert. Wahrscheinlich so lange, bis jedem deutlich wird, dass diese Politik uns einen massiven Wohlstandsverlust bescheren wird und zu einer Migrationswelle aus den nicht mehr bewohnbaren Teilen der Erde von nie dagewesenen Ausmaß führen wird. Dann haben wir tatsächlich Probleme.

Rückführungsverbesserungsgesetz

Der jüngste Versuch, den rechten bis faschistischen Teil unserer Gesellschaft mit plumpem Aktionismus zu beschwichtigen (Spoiler: das wird nicht gelingen) kommt aus dem Innenministrium und heißt: „Rückführungsverbesserungsgesetz„. Mit „Rückführung“ ist natürlich „Abschiebung“ gemeint. Das klingt etwas freundlicher.

Kaum Zeit für Stellungnahmen

Der Paritätische Gesamtverband hat dazu eine Stellungnahme verfasst, obwohl er wegen der angeblichen Dringlichkeit nur zwei Tage Zeit dazu hatte. Ergebnis ist, dass die meisten der geplanten Gesetzesänderungen weder mit dem Grundgesetz noch mit der UN-Kinderrechtskonvention noch mit der Flüchtlingskonvention zu vereinbaren sind.

Klima der Angst

Zum Beispiel sollen bei Abschiebungen auch die Wohnungen Dritter betreten werden können und Abschiebungen können vermehrt auch nachts durchgeführt werden. Dies soll auch bei Familien mit Kindern geschehen können. Das wird beiden betroffenen Familien zu ständiger Angst und Unruhe führen und mit Sicherheit einem erfolgreichen Ankommen der Schutzsuchenden in der Gesellschaft entgegen.

gegen die UN-Kinderrechtskonvention

Ablehnend äußert sich der Paritätische auch zum Vorhaben, die Ankündigung der Abschiebung auszusetzen. Ausgenommen von dieser Regelung seien zukünfitg nur noch Familien mit Kindern bis 12 Jahren, wenn deren Abschiebung länger als 1 Jahr ausgesetzt war. Nicht nur sei die Altersgrenze willkürlich gezogen und verstoße somit gegen die UN-Kinderrechtskonvention, die Regelung werde darüber hinaus noch mehr Menschen in Angst und Unsicherheit leben lassen und somit ihrer gesellschaftlichen Teilhabe abträglich sein.

Verlängerung der Abschiebehaft

Abschiebhaft soll bis zu 28 Tage (bisher 10 Tage) möglich sein. Mildere Mittel als Haft sind nicht mehr vorgesehen. Haft für nicht begangene Verbrechen ist sowieso reichlich problematisch.

Neue Straftatbestände

Es werden neue Straftatbestände eingeführt. So sollen sich Personen bereits bei einem einmaligen Verstoß gegen Meldepflichten oder räumliche Beschränkungen strafbar machen. Also etwa, wenn jemand in einer Nachbargemeinde einen Bekannten besucht. Solche Vorstrafen können später dazu führen, dass die Personen die Bleiberechtsregelungen nicht nutzen und somit auf Dauer von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden. Zukünftig sollen sich zudem Asylsuchende strafbar machen, wenn sie keine, unrichtige oder unvollständige Angaben im Asylverfahren machen oder Dokumente nicht vorlegen. Auch hier fehlt die Betrachtung milderer Mittel, zudem wird das für eine erfolgreiche Anhörung so wichtige Vertrauensverhältnis durch solche Strafandrohungen stark beeinträchtigt.

Keine flächendeckende Überlastung

Der Paritätische Gesamtverband weist darauf hin, dass sich die aktuelle
Aufnahmesituation zwar vielerorts herausfordernd, jedoch auf kommunaler Ebene
bundesweit sehr heterogen darstellt. Einer aktuellen Expertise nach ist entgegen der teils hitzig geführten Debatte nicht von einem Notstand und einer flächendeckenden
Überlastung auszugehen. Überforderungen vor Ort sind u.a. auch darauf zurückzuführen, dass in den letzten Jahren vielerorts Strukturen der Integrationsarbeit und Flüchtlingsaufnahme abgebaut oder nicht weiterentwickelt wurden.

Frühere Versäumnisse

Das Fehlen von bezahlbarem Wohnraum sowie ausreichenden Kita- und Schulplätzen trifft nicht nur schutzsuchende Menschen und wurde seit Jahren nicht hinreichend konsequent angegangen. Zudem sind es nicht nur die hohen Zahlen neu ankommender Schutzsuchende, die das Aufnahmesystem unter Druck setzen, sondern auch die Menschen, die schon lange im Aufnahmesystem sind und aufgrund des Wohnraummangels keine eigene Wohnung finden.

Gesetz läuft ins Leere

Ähnlich wie die in den vergangenen Jahren verabschiedeten Gesetze zur Beschleunigung von Abschiebungsverfahren und der Ausweitung der Abschiebungshaft wird auch dieses Gesetz absehbar nicht dazu führen, dass viel mehr Menschen abgeschoben werden. Viele der ausreisepflichtigen Menschen sind aufgrund von Abschiebungshindernissen geduldet und können gar nicht abgeschoben werden. Darüber hinaus fehlt es oft an der Rücknahmebereitschaft der Herkunftsländer. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass rechtliche Verschärfungen in diesem Bereich in der Praxis zwar oft zu härteren, nicht aber zwingend zu mehr Abschiebungen führen.

Quellen: Der Paritätische, Bundesinnenministerium, Mediendienst Integration, FOKUS-Sozialrecht

Abbildung: fotolia.com fluechtlinge-europa.jpg