Wie hier schon beschrieben gehören Studenten und Rentner zu den Gruppen, die von den Entlastungspaketen nicht profitieren. Dazu gehört auch ein Großteil der Beschäftigten in einer Werkstatt für behinderte Menschen.
Knapp über dem Existenzminimum
Beschäftigte dort erhalten nach 20 Jahren Tätigkeit in einer WfbM automatisch eine Erwerbsminderungsrente. Damit liegen die meisten knapp über der Grenze zur Grundsicherung, mit etwa 800 Euro pro Monat. Das ist ein Einkommen knapp über dem Existenzminimum. Da sie keinen Anspruch auf Grundsicherung haben, bekamen sie auch keine Einmalzahlung. Wenn auch kein Wohngeldanspruch besteht, bekommen sie noch nicht einmal einen Heizkostenzuschuss.
Keine Einmalzahlung, keine Energiepauschale
Da eine Beschäftigung in der WfbM nicht als Erwerbstätigkeit zählt, entfällt auch die Energiepauschale von 300 Euro, die jeder Erwerbstätige im September automatisch bezieht.
große Ungerechtigkeit
Auf diese Problematik weist Christian Frese, Geschäftsführer des Bundesverband autismus Deutschland e.V. in einem Beitrag für „wir-sind-paritaet.de“ hin. Wenn die Beschäftigten in den Werkstätten, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen, ihren Lebensunterhalt nur knapp über dem Existenzminimum bestreiten könnten, liege es in Anbetracht der explodierenden Preise für Energie und der außerordentlich hohen Inflation auf der Hand, dass diese Personen die Mehrbelastungen aus ihrem Einkommen nicht leisten könnten. Sie könnten auch nicht an anderer Stelle sparen, zum Beispiel bei der Ernährung. Diese Personen würden also im Winter nicht genug Geld haben, um ihre Wohnungen beheizen zu können. Das sei eine große Ungerechtigkeit.
Witeres Entlastungspaket nötig
Ein weiteres Entlastungspaket für alle bedürftigen Rentnerinnen und Rentner, so auch die Erwerbsminderungsrentner*innen in den Werkstätten für behinderte Menschen, sei daher dringend erforderlich, so Christian Frese. Die Menschen müssten in der Lage sein, die absolut notwendigen Dinge des täglichen Bedarfs bezahlen und ihre Wohnungen beheizen zu können.
die geplante Impfpflicht für Mitarbeiter in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen ab 15. März 2021
die Einbeziehung von Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern in die Impfkampagne
ein finanzieller Ausgleich für in der Coronakrise besonders belastete Krankenhäuser.
„Kinder sind keine Infektionstreiber!“ (?)
Mit dem „Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ wurden schon im November Maßnahmen zum erleichterten Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen verlängert. Nicht dabei waren die Sonderregelungen zur Mittagsverpflegung. Das wird jetzt mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nachgeholt. Allerdings nur für die Beschäftigten in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), nicht mehr für Schulen und Kindertageseinrichtungen. Offensichtlich gehen auch die Ampelpolitiker ebenso wie die Kultusminister der Länder davon aus, dass in Schulen und Kitas kaum Infektionen geschehen (bei zwei bis dreimal so hohen Inzidenzen bei Kindern zwischen 5 und 14 Jahren), man deswegen Schulen und Kitas auf keinen Fall schließen müsse.
Mittagsverpflegung in Werkstätten
Mit Aufhebung der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ist die Übergangsregelung für gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, bei anderen Leistungsanbietern sowie bei tagesstrukturierenden Maßnahmen ausgelaufen. In Anbetracht der aktuellen Pandemieentwicklung können erneute Werkstattschließungen nicht ausgeschlossen werden. Wegen des Auslaufens der Übergangsregelung kann während eventueller Schließzeiten der für die Mehraufwendungen für die gemeinschaftliche Mittagsverpflegung zu gewährende Mehrbedarf nicht weiter gezahlt werden.
Verlängerung bis 31. März 2022
Die Übergangsregelung zu den Mehrbedarfen für gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in Werkstätten wird daher, ebenso wie die bereits erfolgte Verlängerung der Regelungen zum erleichterten Zugang zu den sozialen Mindestsicherungssystemen, bis zum 31. März 2022 verlängert. Darüber hinaus wird eine Verordnungsermächtigung vorgesehen, damit die Übergangsregelung bei Bedarf bis längstens zum 31. Dezember 2022 verlängert werden kann.
Keine Verlängerung für Kinder
Die Neufassung von § 142 SGB XII beschränkt sich im Vergleich zur geltenden Fassung der Vorschrift auf die Übergangsregelung für den Mehrbedarf für die gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in Werkstätten. Nicht mehr umfasst ist damit die Übergangsregelung zu Bedarfen für die Aufwendungen der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung für Schülerinnen und Schüler sowie für Kinder, die eine Tagesstätte besuchen oder für die Kindertagespflege geleistet wird (§ 34 Absatz 6 SGB XII). Hierfür bleibt es damit im SGB XII, im BVG und auch im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch sowie im Asylbewerberleistungsgesetz beim Auslaufen mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite am 24. November 2021.
Die gesellschaftliche Diskussion um eine gerechtere Entlohnung in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen nimmt Fahrt auf. Immerhin besteht gerade die Möglichkeit, dass einige der Forderungen in den Koalitionsvertrag einfliessen und sich damit die Möglichkeiten zur Umsetzung verbessern.
Im Mai wurde hier schon einmal die Problematik beleuchtet und über eine vom Bundesarbeitsministerium (BMAS) beauftragte Studie berichtet, die vom Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) erstellt werden soll.
Zwischenbericht
Das ISG hat nun einen Zwischenbericht vorgelegt mit dem sperrigen Titel: „Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“.
In der Studie wird zunächst der Ist-Zustand aufgezeigt, die rechtlichen Grundlagen und die noch bestehende Diskrepanz zur UN-Behindertenrechtskommission.
Danach werden drei Modelle vorgestellt und jeweils die Auswirkungen für den Einzelnen und die geamtgesellschaftlichen Kosten bestimmt.
Ist-Zustand
In den Behindertenwerkstätten arbeitende Menschen bekommen, wenn sie zusätzlich zu Grundbetrag, Steigerungsbetrag und Arbeitsförderungsgeld noch Grundsicherung beziehen, durschnittlich
973 Euro im Monat. (Die Zahlen gelten alle für 2019).
Wenn sie Anspruch auf Erwerbsminderungsrente haben, bekommen sie
1.046 Euro.
Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion
Das Arbeitsförderungsgeld (jetzige Höhe höchstens 52 Euro) soll um
39 Euro
aufgestockt werden. Das bedeutet für den Einzelnen eine minimale Verbesserung der Situation, ansonsten bleibt alles beim Alten. Die Gesamtkosten betrügen
162 Millionen Euro.
Position der Werkstatträte Deutschlands
Dazu ist kürzlich ein Postionspapier der Werkstatträte Deutschland e.V. erschienen: Danach soll durch die Auszahlung eines Basisgeldes zur Gleichstellung dauerhaft voll erwerbsgeminderter Menschen erreicht werden, dass Menschen mit Behinderung mehr Anerkennung und Wertschätzung in der Gesellschaft erfahren. Sie müssen nicht mehr vor Ämtern ihre Konten offenlegen. Sie erhalten genug Geld, um davon leben zu können. Das Basisgeld soll ihnen ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Das Basisgeld zur Gleichstellung dauerhaft voll erwerbsgeminderter Menschen bringt vielen Menschen nicht nur etwas mehr Geld ins Portmonee, sondern gibt ihnen auch das gute Gefühl, respektierter Teil der Gesellschaft zu sein.
Das Basisgeld soll 1.446 Euro betragen. Es soll zusätzlich zum Arbeitseinkommen bezahlt werden. Ein durchschnitllicher Beschäftigter käme dann auf
1.623 Euro im Monat.
Die gesamtgesellschaftlichen Kosten betrügen etwa
2 Milliarden Euro.
Mindestlohn
Den gesetzlichen Mindestlohn auch für die Beschäftigten in den WfbM zu öffnen, fordert unter anderem die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM). Die BAG ist die bundesweite Fachorganisation der Werkstattträger.
Die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns würde bei Vollzeittätigkeit zu einer Erhöhung des verfügbaren Einkommens (einschließlich des Wohngelds) um
8% auf 1.047 Euro pro Monat und bei Teilzeitbeschäftigung um
6% auf 1.025 Euro pro Monat
führen, in diesem Fall allerdings einschließlich ergänzender Grundsicherungsleistungen. Die gesamtgesellschaftliche Zusatzbelastung läge bei dieser Lösung in Höhe von
132 Millionen Euro
mit dem Vorteil einer Gleichbehandlung der WfbM-Beschäftigten mit Beschäftigten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Ein weiterer Gesichtspunkt im Hinblick auf den Wechsel aus einer WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist, dass bei Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns keine Rechtfertigung für die Zahlung von Rentenbeiträgen auf der Grundlage von 80% der Bezugsgröße mehr besteht. Dies könnte die Entscheidung zu einem Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern. Die Abschaffung des Rentenprivilegs würde allerdings auch zu finanziellen Nachteilen führen.
Quellen: BMAS, ISG, Paritätischer Gesamtverband, BAG WfBM, Werkstatträte Deutschlan e.V.
Eines der Wahlkampfthemen ist eine Erhöhung des Mindestlohns. In diesem Zusammenhang taucht auch die Frage auf, ob nicht auch Beschäftigte in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung Anspruch auf Zahlung des Mindestlohs haben.
Behindertenrechtskonvention
Beschäftigte in den Werkstätten verdienen oft nur 180 bis 230 Euro im Monat. Das ist aber nicht der einzige Kritikpunkt an den Werkstätten. Ausgehend von der UN-Behindertenrechtskonvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat, bemängeln sie, dass Behindertenwerkstätten im Widerspruch zu dem in der UN-BRK garantierten Recht auf Arbeit stünden. Die alternativlose Arbeit in WfbM sei meist nicht frei gewählt und die Beschäftigten könnten ihren Lebensunterhalt damit nicht bestreiten. Sie seien auf staatliche Unterstützung angewiesen. Im Jahr 2015 empfahl daher der Fachausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die Werkstätten in der Bundesrepublik schrittweise abzuschaffen.
Artikel 27
Artikel 27 Absatz 1 der UN-BRK lautet: „Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.„
Nicht vergleichbar
Befürworter der WfbM führen dagegen an, dass ein Vergleich zwischen Werkstattbeschäftigten und Arbeitnehmern aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zielführend sei. Man müsse die Komplexität des Systems verstehen und dürfe das Bild nicht verzerren. Werkstätten würden aber nicht dem Mindestlohngesetz unterliegen, weil deren Beschäftigte keine Arbeitnehmer seien. Das Arbeitsentgelt „besteht aus einem Grundbetrag in Höhe eines Ausbildungsgeldes, das die Bundesagentur für Arbeit leistet, und einem leistungsangemessenem Steigerungsbetrag. Hinzu kommt ein öffentlich finanziertes Arbeitsförderungsgeld.
Unterstützungsangebote
In einer Behindertenwerkstatt stehe nicht die reine Erwerbsarbeit im Vordergrund. Sie biete zusätzlich pflegerische Unterstützung, Ergo- und Physiotherapie, Logopädie sowie Angebote aus dem Sport- und Kulturbereich – auch während der Arbeitszeit.
Außerdem sei der allgemeine Arbeitsmarkt in seiner jetzigen Form sei nicht in der Lage, alle Menschen mit Behinderungen aufzunehmen.
Rechtslage
Laut § 221 SGB IX stehen Menschen mit Behinderung im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten in einem „arbeitnehmerähnlichen“ Rechtsverhältnis.
Das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis bedeutet, dass arbeitsrechtliche und arbeitsschutzrechtliche Grundsätze angewandt werden müssen, insbesondere arbeitsrechtliche Grundsätze und Vorschriften über:
Arbeitszeit,
Urlaub,
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen,
Erziehungsurlaub (Elternzeit) und Mutterschutz,
Persönlichkeitsschutz und
Haftungsbeschränkung.
Der Inhalt des arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses wird unter Berücksichtigung des zwischen den Menschen mit Behinderung und dem Rehabilitationsträger bestehenden Sozialleistungsverhältnisses durch Werkstattverträge zwischen den Menschen mit Behinderung und dem Träger der Werkstatt näher geregelt.
Arbeitsentgelt
Die Werkstätten zahlen aus ihrem Arbeitsergebnis an die im Arbeitsbereich beschäftigten Menschen mit Behinderung ein Arbeitsentgelt, das sich aus einem Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes, das die Bundesagentur für Arbeit nach den für sie geltenden Vorschriften Menschen mit Behinderung im Berufsbildungsbereich leistet, und einem leistungsangemessenen Steigerungsbetrag zusammensetzt. Der Steigerungsbetrag bemisst sich nach der individuellen Arbeitsleistung der Menschen mit Behinderung, insbesondere unter Berücksichtigung von Arbeitsmenge und Arbeitsgüte.
Die an Maßnahmen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich teilnehmenden behinderten Menschen erhalten Lohnersatzleistungen von den zuständigen Rehabilitationsträgern, soweit die Bundesagentur für Arbeit zuständig ist, i. d. R. Ausbildungsgeld
Arbeitergebnis
Bei der Ermittlung des Arbeitsergebnisses der Werkstatt nach § 12 Absatz 4 der Werkstättenverordnung werden die Auswirkungen der Vergütungen auf die Höhe des Arbeitsergebnisses dargestellt. Das Arbeitsergebnis der Werkstatt darf nicht zur Minderung der Vergütungen nach Absatz 3 verwendet werden. Verluste aus den Vergütungsvereinbarung (können beispielsweise entstehen, wenn etwa tarifliche Erhöhungen im Vereinbarungszeitraum höher ausfallen als in der Vergütungsvereinbarung prognostiziert) dürfen nicht aus dem Arbeitsergebnis gedeckt werden. Erzielte Überschüsse aus den Vergütungsvereinbarungen fließen dagegen in das Arbeitsergebnis ein und müssen in dem in § 12 Abs. 5 Werkstättenverordnung (WVO) vorgeschriebenen Umfang auch für die Entlohnung der behinderten Menschen verwendet werden. Das bedeutet, dass das Arbeitsentgelt zwar angehoben werden darf, aber es darf nicht gekürzt werden.
Grundbetrag
Die Zahlung eines Grundbetrages in Höhe des Ausbildungsgeldes stellt sicher, dass die im Arbeitsbereich beschäftigten behinderten Menschen kein geringeres Arbeitsentgelt erhalten als den Betrag, den die überwiegende Zahl der behinderten Menschen in der Zeit der Maßnahme im Berufsbildungsbereich zuletzt erhalten hat.
Das Ausbildungsgeld nach § 125 SGB III wurde zum 1.8.2019 auf 117 EUR und zum 1.8.2020 auf 119 EUR monatlich erhöht.
Um eine finanzielle Überforderung der Werkstätten zu vermeiden wurde mit § 241 Abs. 9 SGB IX eine Übergangslösung geschaffen, durch die der Grundbetrag erst zum 1.1.2023 wieder die gleiche Höhe wie das Ausbildungsgeld erreicht.
Grundbetrag ab
Höhe mindestens
1. August 2019
80 EUR
1. Januar 2020
89 EUR
1. Januar 2021
99 EUR
1. Januar 2022
109 EUR
1. Januar 2023
119 EUR
Je nach wirtschaftlicher Situation der Werkstätten kann die Erhöhung des Grundbetrags dazu führen, dass der Steigerungsbetrag für leitungsstärkere Menschen in den Werkstätten geringer ausfällt.
Arbeitsgericht zum Mindestlohn
Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 19.6.2015: „Der gesetzliche Mindestlohn soll Arbeitnehmer vor Niedriglöhnen schützen und existenzsichernde Arbeitsentgelte sichern. Das setzt allerdings reguläre Austauschverhältnisse zwischen Arbeitsleistung und Entgelt voraus und umfasst nicht sozialstaatliche und sozialversicherungsrechtliche Aufgaben zur Teilhabe von schwerbehinderten Menschen am Arbeitsleben. Da für ein Werkstattverhältnis die soziale Betreuung und Anleitung von entscheidender Bedeutung ist, muss dieser Aspekt der angemessenen Vergütung für schwerbehinderte Menschen in Werkstätten berücksichtigt werden. Hierfür sind die Regeln für eine zweipolige Bewertung (Arbeit gegen Vergütung) nicht geeignet. Der Umstand, dass der Beschäftigte ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringt, ist kein Kennzeichen für ein Arbeitsverhältnis, sondern Aufnahmevoraussetzung für die Werkstatt nach § 219 Abs. 2 SGB IX“
Forderungen
Behindertenverbände fordern eine umfassende Reform des „Systems“ der Behindertenwerkstätten. Zum einen die Umsetzung der UN-BRK. Außerdem müssten Behindertenwerkstätten endlich konsequent an ihrem Hauptauftrag, Werkstattbeschäftigte langfristig in Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bringen, gemessen werden. Eine umfassende Darstellung des Werkstatt-Systems hat das Projekt JOBinklusive auf seiner Homepage zusammengestellt.
In Deutschland arbeiten mehr als 300.000 Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). WfbM sollen unterschiedliche Funktionen erfüllen (§ 219 SGB IX, rehabilitative Funktion, soziale Funktion, wirtschaftliche Funktion, Inklusionsfunktion), die auch in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen können. In der Diskussion stehen insbesondere die Vergütung der Tätigkeiten in WfbM und deren Öffnung zum allgemeinen Arbeitsmarkt.
Auftrag des Bundestags
Schon 2019 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, „innerhalb von vier Jahren unter Beteiligung der Werkstatträte, der BAG WfbM, der Wissenschaft und weiterer maßgeblicher Akteure zu prüfen, wie ein transparentes, nachhaltiges und zukunftsfähiges Entgeltsystem entwickelt werden kann.“
Studie des ISG
Dazu hat das BMAS das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) beauftragt eine entsprechende Studie zu erstellen. Begleitet wird die Studie von einer Steuerungsgruppe, die bei den wesentlichen Weichenstellungen des Projekts und bei der Erstellung der Berichte einbezogen werden soll. Die Steuerungsgruppe besteht aus Vertretern der Ministerien, der Freien Wohlfahrtspflege, des Deutschen Behindertenrats, Werkstatträten, Trägervertretern und Vertretern der Werkstätten für behinderte Menschen (u. a.).
Vierte Sitzung der Steuerungsgruppe
Mitte Mai fand die vierte Sitzung der Steuerungsgruppe statt. Beratungsgegenstand der vierten Sitzung war der Entwurf eines Fragebogens, der an ca. 1800 Werkstattbeschäftigte im Arbeitsbereich und ca. 600 Teilnehmer im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich versendet werden soll. Er enthält vor allem Aspekte zur Einschätzung der aktuellen Einkommenssituation sowie zu Wünschen und Vorstellungen hinsichtlich Veränderungsmöglichkeiten.
Wie ist die Situation?
Die Werkstätten zahlen aus ihrem Arbeitsergebnis an die im Arbeitsbereich beschäftigten Menschen mit Behinderung ein Arbeitsentgelt, das sich aus einem Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes, das die Bundesagentur für Arbeit nach den für sie geltenden Vorschriften Menschen mit Behinderung im Berufsbildungsbereich leistet, und einem leistungsangemessenen Steigerungsbetrag zusammensetzt. Der Steigerungsbetrag bemisst sich nach der individuellen Arbeitsleistung der Menschen mit Behinderung, insbesondere unter Berücksichtigung von Arbeitsmenge und Arbeitsgüte.
Grund-Betrag: Der Grund-Betrag beträgt seit Januar 2021 mindestens 99 Euro monatlich. Jede Person im Arbeits-Bereich bekommt den gleichen Grund-Betrag.
Steigerungs-Betrag: Der Steigerungs-Betrag für Werkstatt-Beschäftigte ist unterschiedlich hoch. Es gibt verschiedene Modelle, die mit dem jeweiligen Werkstatt-Rat abgestimmt werden.
Arbeits-Förderungs-Geld: Das Arbeits-Förderungs-Geld heißt kurz auch: AFöG. Viele Beschäftigte bekommen im Arbeits-Bereich ein zusätzliches Arbeits-Förderungs-Geld von derzeit 52 Euro monatlich.
Unterhalb des Mindestlohns
Selbst mit dem Steigerungsbetrag liegt das Entgelt in einer WfbM weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Die meisten Beschäftigten dort sind auf Leistungen der Grundsicherung oder auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung angewiesen. Renten- und Krankenkassen-Beiträge müssen sie nicht bezahlen.
Neues Entgeltsystem
Anlässlich des Europäischen Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung am 5. Mai forderte die Bundesvereinigung Lebenshilfe ein neues System der Entlohnung für Menschen mit Beeinträchtigung, die in Werkstätten beschäftigt sind. Einkommensmodelle sollten so weiterentwickelt werden, dass Werkstattbeschäftigte von ihrem Entgelt leben können und nicht auf weitere existenzsichernde Leistungen angewiesen sind. Auch soll das Entgeltsystem gut verständlich und transparent sein.