Einschränkung der Seenotrettung durch das Verkehrsministerium

Verkehrsminister Wissing macht dort weiter, wo sein Vorgänger Scheuer aufgehört hat. Bei der massiven Einschränkung der Seenotrettung.

Schon 2020 gab es unter Verkehrsminister Andreas Scheuer den Versuch die zivile Seenotrettung einzuschränken. Der gesetzliche Hintergrund ist, dass es für Schiffe technischen Anforderungen gibt, die ein Schiff erfüllen muss, abhängig von der Größe des Schiffes und für welchen Zweck es eingesetzt wird. Diese Regeln sollten so verschärft werden, dass auch Schiffe der zivilen Seenotrettung in Deutschland höhere technische Anforderungen vorweisen müssen. Dazu wird den Seenotrettungsschiffen per Verordnung unterstellt, dass sie in kommerzieller Absicht unterwegs seien.

Nicht kommerziell und ehrenamtlich

Natürlich ist Seenotrettung nicht kommerziell. Es werden keine Tickets an die Geretteten verkauft und die gesamte Crew arbeitet ehrenamtlich. Würden die höheren Anforderungen gelten, kämen auf die Seenotretter Kosten zu, die sie nicht stemmen können. Letztlich müsste die Rettung aufgegeben werden.

In einem Gespräch auf der Homepage von Mission Lifelline erläutert Jan Rosiwal von Mission Lifeline die Problemlage ausführlich und zeigt, dass ihre Schiffe auch ohne Verordnung sehr sicher sind.

2020 konnte die Verordnung vor Gericht wegen eines Formfehlers noch gestoppt werden. Jetzt startet das Verkehrsministerium einen neuen Versuch, die Verordnung durchzudrücken. Volker Wissing von der Porsche-Partei führt also die menschenverachtende Abschottungspolitik weiter und nimmt billigend noch mehr Opfer an den EU-Grenzen in Kauf.

Widerspruch zum Koalitionsvertrag

Die Pläne stehen auch im Widerspruch zum Koalitionsvertrag der Ampelkoalition. Darin heißt es: „Die zivile Seenotrettung darf nicht behindert werden.“ Der grüne EU-Parlamentarier Erik Marquardt kritisiert das Vorhaben scharf. Diese Schiffe zu behindern sei ein ganz klarer Angriff auf die zivile Seenotrettung.

Europa verschärft

Die geplante Verschärfung fügt sich ein in die immer rigidere Politik, die in Europa gegen die Seenotrettung gemacht wird. Ein aktuelles Beispiel ist ein italienisches Dekret, das jetzt vom Parlament in Rom bestätigt wurde und Gesetz wird. Es ist ein laut Völkerrechtlern europarechtswidriges Gesetz, welches die Seenotrettung empfindlich behindert und die EU-Kommission als Hüterin der Verträge auf den Plan rufen müsste. 

2022: Zweieinhalbtausend Tote im Mittelmeer

Demnach müssen zivile Seenotrettungsschiffe nach einer Seenotrettung unverzüglich den ihnen zugewiesenen Hafen ansteuern, auch wenn es nicht der nächstgelegene Hafen ist. Auf dem Weg darf es außerdem keine weiteren Rettungen geben. Die zugewiesenen Häfen sind oft weit entfernt. Eine schnelle Rückkehr in das Such- und Rettungsgebiet ist damit kaum möglich. Die Folge: Weniger Menschen können gerettet werden.​

Insgesamt sind im vergangenen Jahr nach UN-Angaben mindestens 2406 Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer gestorben oder werden vermisst.

Quellen: Mission Lifeline, Tagesschau, Monitor

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Verkehrsminister und Rassismus

Am 9. Juni wurde hier darüber berichtet, wie das Verkehrsministerium mittels einer Verordnungsänderung zur Schiffsicherheit verhindern will, dass private Seenotretter Flüchtlingen im Mittelmeer das Leben retten.

Die Verordnung bestimmt, dass Schiffe ein Schiffsicherheitszeugnis brauchen, wenn sie nicht zu „Sport- und Erholungszwecken“ benutzt werden. Ursprünglich hieß es in der Verordnung „Sport- und Freizeitzweck“. Damit hatte das Rettungsschiff „Mare Liberum“ vor einem Jahr beim Oberverwaltungsgericht Hamburg durchsetzen können, dass der Begriff „Freizeit“ auch die „der persönlichen Entfaltung dienende politische Tätigkeiten, was gemeinnützige und humanitäre Tätigkeiten ohne weiteres einschließt, beinhaltet.“ 

Freizeit oder Erholung

In der Verordnung wurde nun der Begriff „Freizeit“ durch „Erholung“ ersetzt. Dass es dabei nicht um die Schiffsicherheit ging, wie offiziell begründet, sondern darum, Seenotrettung zu verhindern, belegt jetzt die Veröffentlichung der internen Schreiben des Bundesverkehrsministeriums und des Innenministeriums durch FragDenStaat.de, ein gemeinnütziges Projekt des Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.

Empfehlung zur Rechtsänderung

Kurz nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts kommt folgende Empfehlung von Ministerialdirektor Dr. Norbert Salomon, Abteilungsleiter Schifffahrt im Bundesverkehrsministerium:

„Möglichkeit einer Rechtsänderung prüfen (Klarstellung, was unter den Begriff des Sport- und Freizeitzwecks zu subsumieren) entweder zu weiter laufendem Hauptsacheverfahren oder nach Abhilfe des Widerspruchs, d.h. ohne Hauptsacheverfahren und ohne weitere Festhalteverfügung gegen vergleichbare Schiffe.
Für die Prüfung einer Rechtsänderung ist anzuführen, dass ohne eine Änderung ein Betrieb bestimmter Schiffe zur Verfolgung professionalisierter Vereinszwecke (z.B. der Flüchtlingsrettung oder dem Umweltschutz) ohne Schiffssicherheitszeugnisse und damit faktisch ohne staatliche Kontrolle möglich wäre.
Dem ließe sich durch eine Änderung der Schiffssicherheitsverordnung entgegen wirken….“
„Eine solche Rechtsänderung sollte nur aus Sicherheitserwägungen heraus erfolgen
Eine Spezialregelung nur für Boote, die zur Beobachtung und Rettung von Flüchtlingen eingesetzt werden, würde das BMVI (Verkehrsministerium, JL) in den Fokus der allgemeinpolitischen Flüchtlingsdebatte ziehen und würde auch weit über den Zuständigkeitsbereich des BMVI hinausgehen.“ (Seite 44)

Formulierungsvorschlag mit Begründung

Eine konkrete Formulierung wird vom Ministerialrat Jan Reche vom Referat WS23 vorgeschlagen:

„Die Wörter ‚für Sport-und Freizeitzwecke‘ werden durch die Wörter ‚und ausschließlich für Sport- oder Erholungszwecke‘ ersetzt.“
Begründung: Eine Befreiung von Schiffssicherheitszeugnissen soll nur noch ausgestellt werden, „wenn der alleinige Einsatzzweck dieprivste sportliche Betätigung oder Erholung ist. In diesen Fällen kann von einem geringeren Risikoprofil ausgegangen werden….“
Bei der Verfolgung anderer Zwecke, auch wenn diese in der Freizeit erfolgt, kann ein geringeres Risikoprofil nicht generell angenommen werden. Dies gilt insbesondere auch für die von Vereinen zu anderen Zwecken professionalisiert eingesetzten Schiffe, zum Beispiel im Umweltschutz oder zur Flüchtlingsrettung.“ (Seite 86)

Keine Anhörung

Das Auswärtige Amt schlug vor, NGOs bei der Änderung der Verordnung anzuhören und zu beteiligen – sonst wolle es den Entwurf nicht mitzeichnen. Das BMVI lehnte dies ab und behauptete gegenüber dem AA, dass Seenotrettung nicht behindert werden solle. Eine Anhörung fand nicht statt. (Seite 679)

Rassismus

Aus den veröffentlichten Unterlagen geht hervor, dass die Verordnungsänderung eindeutig das Ziel hat, private Seenotrettung zu verhindern, in dem sie Sicherheitsvorgaben verlangt, die in absehbarer Zeit nicht zu erfüllen sind und finanziell für die Seenotretter kaum tragbar sind.
Da staatlicherseits keine Seenotrettung stattfindet, ist davon auszugehen, dass der Tod von Flüchtlingen billigend in Kauf genommen wird. Das ist Rassismus.

Die Fraktionen im Bundestag – inklusive Grüne, Linke – hatten keine Einwände gegen das Gesetz, falls sie es überhaupt zur Kenntnis genommen haben (die Tragweite der Änderung des Begriffs „Freizeit“ in „Erholung“ wurde vielleicht nicht erfasst?), der Bundesrat war nicht zustimmungspflichtig.

Quellen: fragdenstaat.de, mission-lifeline, FOKUS-Sozialrecht, Deutschlandfunk

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