Einmalige Bedarfe im SGB II

Seit Anfang 2021 ist mit dem § 21 Abs.6 im SGB II verankert, dass Hartz IV – Berechtigte nicht mehr nur auf laufende, sondern auch auf einmalige unabweisbare Bedarfe einen Anspruch haben. Zum Beispiel bei der Anschaffung eines digitalen Endgeräts, einer Waschmaschine oder einer Brille.

Weisung der Bundesagentur für Arbeit

Damit kam der Gestzgeber (endlich) einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesrats und der Sozial- und Wohlfahrtsverbände nach. Nun hat die Bundesagentur für Arbeit eine Dienstanweisung zu den besonderen Bedarfen herausgegeben. Dort heißt es:

„Bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung für die Anerkennung eines Mehrbedarfs nach § 21 Absatz 6, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Letzteres ist der Fall bei Bedarfen, die nicht vom Regelbedarf erfasst werden. Bei einmaligen Bedarfen, die vom Regelbedarf erfasst sind, kommt dagegen grundsätzlich ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 in Betracht. Dieses kann aber ausnahmsweise nicht zumutbar sein, insbesondere wenn die leistungsberechtigte Person aufgrund eines nicht absehbaren und nicht selbst zu verantwortenden Notfallseinen außergewöhnlich hohen Finanzbedarf hat.
Kurzfristige Bedarfsspitzen (z. B. Waschmaschine, Wintermantel) sind im Regelfall durch ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 auszugleichen.“

Weisungen des BA sind zwar keine Gesetze, aber für alle BA-Mitarbeiter verbindlich. Mit dieser Weisung wird der Anspruch auf einmalige Bedarfe weitgehend ausgehebelt.

Kurz vor der Verfassungswidrigkeit

Harald Thome erklärt dazu in seinem Tacheles-Newsletter vom 24.20.21, die BA versuche mit dieser Weisung die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu unterlaufen, welches im zweiten Regelsatzurteil klar und deutlich vorgegeben habe, dass die Regelbedarfe in einer Höhe bemessen sind, die kurz vor der Verfassungswidrigkeit lägen und in dem außerdem vorgegeben werde, dass eine Anspruchsgrundlage für Elektrogroßgeräte, Brillen und einmalige Bedarfe zu schaffen sei (BVerfG 23.7.2014 – 1 BvL 10/12).

73 Jahre Sparen für eine Waschmaschine

Beispiel Elektrogroßgeräte. In den Regelbedarfen ist für Waschmaschinen, Wäschetrockner, Geschirrspülmaschinen und Bügelmaschinen insgesamt ein Bedarf von 1,60 Euro vorgesehen, für eines dieser 4 Geräte, etwa eine Waschmaschine, also ein Viertel davon, also 40 Cent pro Monat. Der Hartz IV – Bezieher ist angehalten, für eine Neuanschaffung einer Waschmaschine aus dem laufenden Regelsatz Geld anzusparen. Täte er das gewissenhaft, müsste er mit 4,80 Euro im Jahr und bei einem Preis von etwa 350 Euro für eine einigermaßen energiesparende Waschmaschine knapp 73 Jahre lang sparen.

Da dies völlig unrealistisch ist, müsste hier der Mehrbedarfs-Absatz 6 im § 21 greifen. Da die Waschmaschine aber im Regelbedarf aufgelistet ist, kommt nach den aktuellen Weisungen nur ein Darlehen in Frage.

Mit Darlehen unter dem Existenzminimum

Darlehen müssen in der Regel mit 10 Prozent des jeweiligen Regelbedarfs zurückgezahlt werden. Das wären bei einem Bezieher von Regelbedarfsstufe 1 immerhin 44,90 Euro im Monat. Er müsste also von dem Existenzminimum, dass laut Bundesverfassungsgericht knapp an der Verfassungswidrigkeit vorbeischrammt, monatelang in anderen Bereichen einsparen. Vielleicht bei der Ernährung der Kinder?

Wenn ein einmaliger Bedarf nicht in der Regelbedarfsauflistung abgebildet ist, ist laut Gesetz „ein Darlehen wegen der Art des Bedarfs nicht möglich“. Wie dann zu verfahren ist, daüber steht in der Weisung kein Wort.

angeordneter Rechtsbruch

Harald Thome dazu: „Aus meiner Sicht wird mit der Weisung Rechtsbruch angeordnet.“

Quellen: Bundesagentur für Arbeit, Tacheles e.V.

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Sparen durch Bürokratie?

Seit es das Bildungs- und Teilhabepaket gibt, also seit zehn Jahren, verstummt die Kritik nicht, es sei zu kompliziert und bürokratisch, zu undurchschaubar und komme bei den betroffenen Familien mit Hartz IV-Bezug nicht an, obwohl der Anspruch besteht.

Abschreckung durch Antrag

Auch beim Inkrafttreten des „Starke Familien-Gesetzes“ vor drei Jahren war dies einer der Hauptkritikpunkte. Dabei sollte gerade dieses Gesetz dafür sorgen, dass die Leistungen besser angenommen würden. Viel hat sich nicht geändert. Immer noch weiß ein Großteil der Betroffenen gar nicht, worauf sie Anspruch hätten und wenn sie dann doch den Antrag vor sich liegen haben, schreckt dieser durch seine Unmengen an oft nicht verständlichen Fragen und verlangten Nachweisen ab.

Die Bundesagentur für Arbeit hat nun eine Statistik für das Jahr 2020 veröffentlicht, in welchem Umfang Leitungsberechtigte die Leistungen überhaupt abrufen. Insgesam sind etwa zwei Millionen Kinder unter 15 Jahre leistungsberechtigt, davon erhielten aber nur 55 Prozent Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket.

Beispiele:

  • 7,3 % aller leistungsberechtigten Schüler*innen bekam Geld für einen eintägigen Schulausflug,
  • 11,1 % für Lernförderung (Nachhilfe),
  • 14,7 % Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben, z. B. Vereinsbeiträge.

Nur SGB II-Berechtigte in der Statistik

Nicht enthalten in der Statistik der Bundesagentur sind u. a. Daten über leistungsberechtigte Kinder und Jugendliche aus Familien, die Asylbewerberleistungen, Wohngeld oder den Kinderzuschlag erhalten. Die Bundesagentur für Arbeit weist zudem darauf hin, dass ihre Zahlen aus methodischen Gründen nicht geeignet seien, genaue Inanspruchnahme-Quoten des Bildungs- und Teilhabepakets zu errechnen. Aus Sicht von Experten zeigen sie dennoch eindeutig, dass das Geld aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zu viele Kinder nicht erreicht.

Ansprüche eindampfen

Vielleicht hat der Sozialwissenschaftler Stefan Sell recht. Er betreibt den Blog Aktuelle Sozialpolitik und schreibt: „Das komplexe System ist letztendlich nur erklärbar mit der Zielsetzung, die Inanspruchnahme dieser Rechtsanspruchsleistungen einzudampfen und darüber Geld einzusparen.“

Quellen: Bundesagentur für Arbeit, Tagesschau, Monitor

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