Einsetzen der Sozialhilfe

Sozialhilfe muss nicht beantragt werden, sondern setzt unmittelbar ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass die Leistungsvoraussetzungen gegeben sind. Eine Ausnahme bilden lediglich die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel. Der entsprechende Paragraf (§ 18 SGB XII) lässt allerdings Raum für unterschiedliche Interpretationen und beschäftigt daher oft die Sozialgerichte.

Urteil des LSG Baden Württemberg

Unklarheit herrscht meistens darüber, was genau die Behörde wissen muss, damit man von „Kenntnis“ darüber sprechen kann, dass jemand seinen Lebensbedarf nicht selbst decken kann.

Leitsatz

Eine Entscheidung des Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg vom 9.9.2024 hat sich mit dieser Problematik befasst. Der Leitsatz des Urteils besagt: „Wird ein Antrag auf Sozialhilfeleistungen gestellt, wirkt die Kenntnis des Sozialhilfeträgers von der Bedarfslage bei späterem Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück, auch wenn der Antrag unvollständig gewesen ist.“

Sachverhalt

Es ging in diesem Fall also hauptsächlich um rückwirkende Leistungen. Eine pflegebedürftige ältere Dame, die spätere Klägerin, kam in ein Pflegeheim in Albstadt-Ebingen, konnte aber die Heimkosten mit ihrer Rente nicht decken. Vermögen hatte sie nicht. Ihr Betreuer wandte sich an das Sozialamt des zuständigen Landkreises (den Beklagten), um die Übernahme der ungedeckten Kosten zu beantragen, wie ein Vermerk des Beklagten festhielt. Er legte verschiedene Unterlagen vor, aus denen sich unter anderem die Rentenhöhe, die Heimkosten und aufgelaufene Rückstände ergaben. Angaben zum Vermögen machte er nicht. Der Beklagte bat den Betreuer schriftlich um weitere Unterlagen und wies darauf hin, dass Leistungen der Hilfe zur Pflege erst ab dem Bekanntwerden der Notlage gewährt werden könnten. Eine Reaktion des Betreuers erfolgte nicht und auch der Beklagte unternahm nichts Weiteres, auch nicht auf eine Nachfrage des Pflegeheims. Erst nachdem eine neue Betreuerin bei dem Beklagten nochmals Leistungen geltend machte, gewährte der Beklagte Hilfe zur Pflege. Für die vorangegangene Zeit lehnte der Beklagte Leistungen ab. Die Leistungen könnten erst nach positiver Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen bestehen. Insbesondere zum Vermögen hätten zuvor keine Nachweise vorgelegen.

Unvollständiger Antrag reicht

Das LSG hat den Beklagten zur Übernahme der ungedeckten Heimkosten verurteilt. Der entscheidende Senat hat zunächst festgehalten, dass der Beklagte – neben einer internen Verfügung – Kenntniserlangung bestätigt habe und diesbezüglich beim Wort zu nehmen sei. Der Beklagte könne insoweit nicht mit der im Verfahren getätigten Behauptung überzeugen, er habe die Notlage noch nicht einmal erahnen können. Dies könne jedoch im Ergebnis sogar dahinstehen. Denn die Kenntnis vom Bedarfsfall solle einen niederschwelligen Zugang zur Sozialhilfe gewährleisten. Das schließe aber die Möglichkeit einer Antragstellung keineswegs aus. In der Vorsprache des Betreuers sei eine solche – formlos mögliche – Antragstellung zu sehen.

Leistungen ab Antragstellung zu gewähren

Dies sei von dem Beklagten auch erkannt und entsprechend in dem diesbezüglichen Vermerk notiert worden. Werde ein formloser Antrag auf Sozialhilfeleistungen gestellt, der die Behörde ohne weitere Angaben des Antragstellers noch nicht in die Lage versetze, die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen, seien – soweit die Voraussetzungen im Weiteren erwiesen würden – Leistungen dennoch ab Antragstellung zu zahlen. Leistungsberechtigte von antragsgebundenen Leistungen würden sonst gegen den Willen des Gesetzgebers bevorzugt. Es wäre widersinnig, wenn antragsgebundene Leistungen auch bei einem unvollständigen Antrag bereits ab Antragstellung gewährt würden, während die Sozialhilfe im Übrigen trotz gleicher Ausgangslage erst später einsetzen würde.

Quellen: Landessozialgericht Baden-Württemberg 7. Senat Aktenzeichen: L 7 SO 2479/23, SOLEX, Haufe,

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