Bürgergeld im Bundestag

Gestern, am 13. Oktober wurde im Bundestag über den Gestzentwurf zum Bürgergeld teilweise heftig gestritten, so dass sich die Bundestagspräsidentin genötigt fühlte, die Abgeordneten zu ermahnen, auf Beschimpfungen zu verzichten.

wesentlicher Inhalt

Die Bundesregierung möchte mit dem Gesetz, „Hartz IV hinter sich lassen“. Geplant sind unter anderem grundlegende Reformen in der Zusammenarbeit zwischen Arbeitssuchenden und Jobcenter-Mitarbeitern (Kooperationsplan statt Eingliederungsvereinbarung), die Einführung einer zweijährigen Karenzzeit, in der das Vermögen und die Angemessenheit der Wohnung nicht überprüft werden und die Stärkung der Qualifizierung und Weiterbildung unter anderem durch finanzielle Anreize. Ferner soll der Soziale Arbeitsmarkt verstetigt und Sanktionen deutlich abgemildert werden. Außerdem werden die monatlichen Regelleistungen um einen Inflationsausgleich deutlich angehoben (siehe dazu auch Eckpunkte zum Bürgergeld, Bürgergeld – Referentenentwurf und Bürgergeld – Kabinettsentwurf).

„eklatante Gerechtigkeitslücke“

Die Kritik der CDU zielt darauf ab, dass die Regelsätze so hoch seien, so dass es sich nicht lohne, arbeiten zu gehen, dass die Sanktionen entschärft würden und dass es eine „eklatante Gerechtigkeitslücke“ sei,  in den ersten zwei Jahren des Bürgergeldbezugs Vermögen und Wohnung nicht zu prüfen.

„Verarsche auf dem Rücken der Langzeitarbeitslosen“

Die Linksfraktion sieht ein verbessertes Hartz IV, eine bedarfsgerechte Erhöhung der Regelsätze gebe es aber nicht und die Ideen für einen Sozialen Arbeitsmarkt und Weiterbildung seien „Verarsche auf dem Rücken der Langzeitarbeitslosen“, wenn gleichzeitig die Mittel dafür gestrichen würden.

dauerhafte Arbeitsmarktintegration

Die Koalitionsfraktionen betonen, dass Menschen im Leistungsbezug sich stärker auf Qualifizierung, Weiterbildung und Arbeitsuche konzentrieren können sollen. Ziel sei eine dauerhafte Arbeitsmarktintegration. Außerdem solle die Berechnung der Regelbedarfe neu gestaltet werden: Die Bedarfe sollen künftig nicht mehr rückwirkend, sondern vorausschauend an die Teuerungsraten angepasst werden.

zwei Jahre Karenzzeit

Damit die Leistungsberechtigten sich auf die Arbeitsuche zu konzentrieren können, soll laut Bundesregierung in den ersten zwei Jahre des Bürgergeldbezugs eine sogenannte Karenzzeit gelten: Die Kosten für Unterkunft und Heizung würden in tatsächlicher Höhe anerkannt und übernommen. Vermögen werde nicht berücksichtigt, „sofern es nicht erheblich ist“. Nach Ablauf der Karenzzeit werde eine entbürokratisierte Vermögensprüfung durchgeführt. Es sollen zudem höhere Freibeträge gelten.

Kooperationsplan

Vorgesehen ist auch, die bisherige Eingliederungsvereinbarung durch einen Kooperationsplan abzulösen, der von den Leistungsberechtigten und den Integrationsfachkräften gemeinsam erarbeitet wird. Dieser Plan diene dann als „roter Faden“ im Eingliederungsprozess und sei ein Kernelement des Bürgergeld-Gesetzes, betont die Bundesregierung. Mit Abschluss des Kooperationsplans gelte eine Vertrauenszeit. In diesem Zeitraum werde ganz besonders auf Vertrauen und eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe gesetzt. Lediglich wiederholte Meldeversäumnisse würden sanktioniert – mit maximal zehn Prozent Leistungsminderung.

umfassende Betreuung

Abgeschafft werden solle der „Vermittlungsvorrang in Arbeit“. Stattdessen sollen Geringqualifizierte auf dem Weg zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung unterstützt werden, um ihnen den Zugang zum Fachkräftearbeitsmarkt zu öffnen. Eine umfassende Betreuung solle Leistungsberechtigten helfen, „die aufgrund vielfältiger individueller Probleme besondere Schwierigkeiten haben, Arbeit aufzunehmen“.

weitere Beratung

Im Anschluss an die Debatte wurde der Gesetzentwurf zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen. 

Quellen: Bundestag, FOKUS-Sozialrecht

Abbildung: pixabay.com – couleur.jpg

Bürgergeld – Kabinettsentwurf

Heute, am 14. September 2022, hat das Bundeskabinett das Bürgergeld (Kabinettsentwurf) auf den parlamentarischen Weg gebracht. Was im Referentenentwurf noch fehlte war die Höhe der Regelsätze für 2023. Folgende Regelsätze sind geplant:

RegelbedarfsstufenPersonenkreis
20232022
Regelbedarfsstufe 1Alleinstehende
502 EUR449 EUR
Regelbedarfsstufe 2volljährige Partner 
innerhalb Bedarfsgemeinschaft
451 EUR404 EUR
Regelbedarfsstufe 3Erwachsene unter 25 Jahren
im Haushalt der Eltern
402 EUR360 EUR
Regelbedarfsstufe 4Jugendliche zwischen 14 bis 17 Jahren
420 EUR376 EUR
Regelbedarfsstufe 5Kinder zwischen 6 – 13 Jahren
348 EUR311 EUR
Regelbedarfsstufe 6Kinder von 0 bis 5 Jahren
318 EUR285 EUR

Keine Änderung an der Systematik

Anders als noch bei der Vorstellung des Referententwurfs angedeutet, wird an der Systematik der Regelbedarfsermittlung nichts geändert. Allerdings sieht der Beschluss des Koalitionsausschusses von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP vom 3./4. September 2022 vor, dass bei unveränderter Systematik der jährlichen Fortschreibung die zu erwartende Entwicklung des regelbedarfsrelevanten Preisindexes im Jahr der Anpassung mit einzubeziehen ist. Es wird bei stark steigender Preisentwicklung eine zeitnahe Reaktion gewährleistet, damit es nicht zu einer offensichtlichen und erheblichen Diskrepanz kommt zwischen der tatsächlichen Entwicklung der Preise von regelbedarfsrelevanten Gütern und Dienstleistungen im Vergleich zu der bei der Fortschreibung der Regelbedarfe berücksichtigten Entwicklung. Als Folgewirkung steigen die Regelbedarfe zum 1. Januar 2023 deutlich an.

Teilhabe nicht möglich

Trotzdem sind die Regelleistungen noch weit entfernt von den 678 Euro, die der Paritätische Gesamtverband und andere Sozialverbände fordern. Trotz Erhöhung bleibt das Bürgergeld weit unter dem Existenzminimum, das ein würdevolles Leben und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen sollte. Kinderarmut wird damit nicht bekämpft. Für Alte, Kranke und Menschen mit Behinderung bedeuten das, dass sie weiter lebenslang mit diesen Mangelleistungen auskommen müssen.

Sanktionen

Laut der Bundesagentur für Arbeit lebten im Mai dieses Jahres knapp 4,9 Millionen Menschen von Hartz-IV-Leistungen. 3,5 Millionen davon sind erwerbsfähige Leistungsbezieher, die bei Verstößen gegen Auflagen der Jobcenter sanktioniert werden können. Unter den 1,4 Millionen nicht erwerbsfähigen Beziehern sind vor allem Kinder unter 15 Jahren. Gerade die Sanktionen, die auch im neuen Bürgergeld weiter bestehen bleiben, sorgten in den vergangenen Tagen wieder für Schlagzeilen. Grund war die Veröffentlichung einer Langzeitstudie des Instituts für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung Berlin (INES). Ergebnis: Hartz IV-Sanktionen verfehlen ihre Wirkung. Anstatt Menschen nachhaltig in Arbeit zu bringen, haben Kürzungen der Grundsicherung bei Verstößen gegen Auflagen der Jobcenter einen einschüchternden Effekt und können sogar Krankheiten verursachen.

Kein Neustart

Mit dem Festhalten an Sanktionen und den immer noch zu niedrigen Regelleistungen kann man nicht wirklich von einem Neustart im SGB II reden. Immerhin haben wir dafür einen neuen Namen.

Quelle: BMAS, Paritätischer Gesamtverband, FOKUS-Sozialrecht

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Bürgergeld – Referentenentwurf

Jetzt liegt der Referentenentwurf zum Bürgergeld vor. Inhaltlich gibt es keine Überraschungen, die wesentlichen Änderungsvorhaben wurden schon in den Eckpunkten vorgestellt.

Wesentlicher Inhalt

Auch die Beschreibung des Referentenentwurfs auf der BMAS-Homepage wiederholt die schon veröffentlichten Eckpunkte:

  • Vereinbarung eines „Kooperationsplans“ zwischen Arbeitssuchenden und Jobcenter,
  • 6 Monate „Vertrauenszeit“, in denen  keine Leistungen gemindert werden.
  • der „Vermittlungsvorrang“  (also die bevorzugte Vermittlung in Erwerbstätigkeit) wird abgeschafft,
  • zusätzlicher finanzieller Ausgleich und neue Angebote für Weiterbildungen,
  • der Soziale Arbeitsmarkt (§ 16i SGB II) wird dauerhaft fortgeführt, dafür sollen – Referentenentwurf, Seite 59 – 2024 200 Mio, 2025 550 Mio Euro und noch mehr in den Folgejahren eingeplant werden. (wird schwierig, wenn der Kollege Finanzminister die ensprechenden Ausgaben in den nächsten Jahren auf 5 Mio Euro runterfahren will, siehe Haushaltsentwurf 2023 Seite 1534),
  • Überprüfung von Vermögen und Angemessenheit der Wohnung erst nach 24 Monaten Leistungsbezug,
  • Nach Ablauf der 24 Monate höheres Schonvermögen, Rücklagen für die Altersvorsorge werden geschützt,
  • Für Auszubildende, Schüler*innen und Studierende, die Bürgergeld beziehen, gelten höhere Freibeträge für die Ausbildungsvergütung oder den Nebenjob.

Was ist mit den Regelsätzen?

Dazu heißt es lediglich, dass sie zum 1. Januar 2023 angemessen und deutlich steigen.  Einzelheiten würden im Gesetzentwurf ergänzt, sobald die erforderlichen Berechnungen abgeschlossen sind. Ob damit eine neue Berechnungsgrundlage gemeint ist, also etwa die Einbeziehung der unteren 30 % der Haushalte, statt wie bisher die unteren 20 %, oder ob nur die übliche jährliche Steigerung gemeint ist, die aufgrund der gestiegenen Preise deutlich höher ausfallen dürfte als die letzte Erhöhung, bleibt unklar.

Anrechnung von Kindergeld

Auch bei der Anrechnung von Kindergeld sieht es nicht nach einer Änderung aus. Zwar wird in § 11 SGB II der Satz eingefügt, dass „…Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dieses Buches zu berücksichtigen sind“, was man ja ohne weiteres auf die Bundesrechtsvorschriften des Kindergelds im Einkommenssteuergesetz beziehen könnte, aber eine konkrete Änderung im EStG ist im Referentenentwurf nicht vorgesehen.

umfangreiche Änderungen

Das Bürgergeld-Gesetz ist eine sehr umfangreiche Gestzgebung. Nicht nur wegen der vielen Änderungen im SGB II, sondern sie erfordert auch weitreichende Änderungen im SGB XII, SGB III, SGB IV, SGB VI und anderen Gesetzen. Außerdem zieht sie einen Rattenschwanz an Änderungen nach sich, schon allein, um in allen Gesetzen, Verordnungen und anderen öffentlichen Verlautbarungen, die Wörter „Arbeitslosengeld II“ und „Sozialgeld“ durch „Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch“ und „Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 2 des zweiten Buches Sozialgesetzbuch“ zu ersetzen. Manchmal reicht auch einfach „Bürgergeld“.

Quellen: BMAS, BMF, FOKUS-Sozialrecht

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Eckpunkte zum Bürgergeld

Laut Koalitionsvertrag soll „Hartz IV“ abgeschafft werden. Stattdessen ist ein „Bürgergeld“ geplant. Seitdem wird spekuliert, ob es sich tatsächlich um eine grundlegende Änderung des SGB II handeln wird oder nur um kosmetische Verbesserungen mit einem hübschen neuen Namen.

Schwerpunkte

Nun hat Arbeitsminister Hubertus Heil die Eckpunkte für seine Reform vorgestellt und preist sie schon mal als „Größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren“ an. Schwerpunkte der Reform sind Weiterbildung und die Neuberechnung der Regelsätze.

Weiterbildung

  • Gemeinsam vereinbaren Arbeitsuchende und Jobcenter einen Kooperationsplan für den individuellen Weg in Arbeit.
  • Grundlage der Zusammenarbeit soll Vertrauen sein. In den ersten sechs Monaten, der sogenannten Vertrauenszeit, können deshalb künftig keine Leistungen mehr gemindert werden.
  • Weiterbildung und der Erwerb eines Berufsabschlusses stehen im Vordergrund. Der sogenannte Vermittlungsvorrang wird daher abgeschafft.
  • Für Weiterbildungen werden ein zusätzlicher finanzieller Ausgleich und neue Angebote geschaffen. Wer etwa einen Berufsabschluss nachholt, kann künftig statt bisher zwei dann für bis zu drei Jahre gefördert werden.
  • Der Soziale Arbeitsmarkt (§ 16i SGB II) wird fortgeführt: Jobcenter können weiterhin sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse fördern, um Menschen nach besonders langer Arbeitslosigkeit zu aktivieren.
  • Menschen, denen es besonders schwerfällt, eine Arbeit zu finden oder aufzunehmen, können durch professionelles Coaching unterstützt werden.

Vermögen, Freibeträge

  • Vermögen und Angemessenheit der Wohnung werden erst nach 24 Monaten Bürgergeldbezug überprüft.
  • Nach Ablauf der 24 Monate (Karenzzeit) ist ein höheres Schonvermögen als bisher vorgesehen. Rücklagen für die Altersvorsorge werden ebenfalls besser geschützt.
  • Für Auszubildende, Schüler*innen und Studierende, die Bürgergeld beziehen, gelten höhere Freibeträge für die Ausbildungsvergütung oder den Nebenjob.

Regelsätze, Sanktionen

  • Die Regelsätze sollen zum 1. Januar 2023 angemessen und deutlich steigen. Einzelheiten werden im Gesetzentwurf ergänzt, sobald die erforderlichen Berechnungen abgeschlossen sind.
  • Die Vorgaben für Leistungsminderungen (sogenannte Sanktionen) werden auf Basis des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 neu geregelt.
  • Für Rückforderungen zu viel ausgezahlter Beträge gilt künftig eine Bagatellgrenze.

Neuberechnung der Regelsätze

Zur Neuberechnung der Regelsätze sollen nicht mehr wie bisher die Ausgaben der ärmsten 20 Prozent als Grundlage dienen, sondern die der ärmsten 30 Prozent. Die könnte eine Steigerung um die 50 Euro bedeuten.

Wer sind die Leistungsempfänger?

In Kürze wird das BMAS einen Referentenentwurf vorlegen. Vorsichtshalber schießen die großen „Freiheits“-Kämpfer, vor allem aus dem FDP-Lager schon mal dagegen. Mit dem altbekannten Versuch, Menschen mit geringem Einkommen gegen Menschen mit SGB II -Bezug gegeneinader auszuspielen: „Wer arbeitet, soll mehr haben!“. Vergessen wird dabei gerne, dass viele Empfänger von Grundsicherung arbeiten, aber nicht davon leben können. Dass ein weiterer großer Teil der Leistungsempfänger Menschen mit chronischen Krankheiten, Erwerbsgeminderte, Alleinerzeiehende – meistens Frauen -, oder Empfänger von Grundsicherung im Alter sind.

Abwarten…

Ob die Reform wirklich das Hartz IV – System überwinden wird ist noch nicht ausgemacht. Dazu müssten die Regelsätze tatsächlich verfassungsgemäß das Existenzminimum abdecken und die Sanktionen verschwinden. Und es muss einigermaßen unbeschädigt den Gesetzgebungsprozess überstehen.

Quelle: BMAS

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Sanktionsmoratorium auf ein Jahr verlängert

Der Bundestag hat am Donnerstag, 19. Mai 2022, für eine Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen gestimmt. Ein entsprechender Entwurf der Bundesregierung für ein elftes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (20/1413) wurde in einer vom Ausschuss geänderten Fassung verabschiedet. Der Bundesrat muss noch zustimmen.

Sanktionsmoratorium bis Mitte 2023

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat am Mittwoch, 18. Mai, den Gesetzentwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des SGB II der Koalitionsfraktionen geändert. Damit soll nun das Sanktionsmoratorium nicht zum Ende des Jahres 2022 auslaufen, sondern erst ein Jahr ab Inkrafttreten des Gesetzes. Die Leistungsminderungen sollen mit der im Koalitionsvertrag vereinbarten Einführung des Bürgergeldes neu geregelt werden.

Meldeversäumnisse werden weiter sanktioniert

Für das Moratorium gilt: Pflichtverletzungen (zum Beispiel die Weigerung, eine zumutbare Arbeit/Ausbildung aufzunehmen oder sich darum zu bewerben; Ablehnung oder Abbruch einer Weiterbildung) werden bis auf Weiteres nicht mit Kürzungen des Regelsatzes sanktioniert. Sanktionen bei Meldeversäumnissen oder Terminverletzungen sollen aber beibehalten werden. Jedoch sollen erst ab dem zweiten Meldeversäumnis Leistungen gemindert werden, beschränkt auf maximal zehn Prozent des Regelsatzes.

Weniger als das Existenzminimum?

Die Grundlage der Reform ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019, das eine Kürzung der Leistungen auf maximal 30 Prozent begrenzt hat. Damit war die Totalsanktionierung, die es vorher durchaus gegeben hat, nicht mehr möglich. Aber auch das Verfassungsgericht musste einen gedanklichen Spagat vollziehen: Einerseits hält erklärt es, dass ein Existenzminimum unabdinbar ist, um ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Andererseits erlaubt es, wenn auch eingeschränkt, die Verletzung des eigentlich unantastbaren Rechts auf Menschenwürde mittels Sanktionen, als gäbe es unter dem Existenzminimum eine noch minimalere Existenzebene.

Scheinbar haben die heimlichen Anhänger der schwarzen Pädagogik in der Regierung deswegen erleichtert die Sanktionen für Meldeversäumnisse festgeschreiebn. Daran wird auch ein Bürgergeld nichts ändern.

Unterstützung statt Bestrafung

Rund 80 Prozent der Sanktionen gehen auf „Meldeversäumnisse“ zurück, also dem unangekündigten Fernbleiben bei Meldeterminen im Jobcenter. Sie treffen besonders Menschen mit psychischen Erkrankungen, fehlenden Sprachkenntnissen und mangelnder Behördenkompetenz. Diese Menschen verdienen eher Unterstützung statt Sanktionen. Eigentlich war auch das SGB II als Leistungsgesetz für unterstützungsbedürftige Menschen gedacht. Und nicht als Strafgesetzbuch.

„Bürgergeld“ kommt

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will im Sommer einen Gesetzentwurf für das angekündigte Bürgergeld vorlegen, das das heutige Hartz-IV-System ersetzen soll. Das teilte der SPD-Politiker am Mittwoch in der Regierungsbefragung im Bundestag mit. In der zweiten Jahreshälfte solle die «sehr große» Reform im Parlament beraten und beschlossen werden, sagte Heil vor den Abgeordneten.

Quelle: Bundestag

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Sanktionsmoratorium

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) legte am 28. Februar 2022 den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung eines Sanktionsmoratoriums vor.

Übergangsregelungen durch das BVG

Das Bundesverfassungsgericht hat am 5. November 2019 zu den Leistungsminderungen (sog. „Sanktionen“) in der Grundsicherung für Arbeitsuchende geurteilt (1 BvL 7/16). Demnach darf der Gesetzgeber grundsätzlich Mitwirkungspflichten mithilfe von Leistungsminderungen durchsetzen. Allerdings sind bestimmte Sanktionsregelungen mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum unvereinbar. Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung hat das Bundesverfassungsgericht Übergangsregelungen angeordnet, die bundesweit in den Jobcentern Anwendung finden.

Kern des jetzt vorgelegten Gesetzentwurfs ist die Schaffung einer Übergangsregelung zur befristeten Aussetzung aller Sanktionen im SGB II.

Neuregelung mit dem Bürgergeld

Der Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode sieht die Einführung eines Bürgergeldes vor. In diesem Zusammenhang soll auch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte gesetzliche Neuregelung der SGB II-Sanktionen erfolgen. Als Zwischenschritt bis zur gesetzlichen Neuregelung werden die Sanktionen bis zum 31. Dezember 2022 ausgesetzt. Danach wird das Bürgergeld die Mitwirkungspflichten neuregeln. Die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen aus der Zeit der Pandemie können ausgewertet und in die Konzeption des Bürgergeldes einbezogen werden.

2022 keine Sanktionen

Durch die Aussetzung der Minderungsvorschriften nach § 31a ff. SGB II können im Zeitraum des Moratoriums keine Sanktionen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen festgestellt werden. Minderungen, die bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens festgestellt werden, sind ab dem Inkrafttreten aufzuheben. Zuweisungen in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen erfolgen auch im Zeitraum des Sanktionsmoratoriums weiterhin mit Hinweis auf die Rechtsfolgen, die bei Pflichtverletzungen nach Ende des Moratoriums eintreten können.

Das Gesetz soll sofort nach Verkündung in Kraft treten.

Jobcenter sollten die Zeit nutzen

Der Paritätische Wohlfahrtsverband regte in einer Stellungnahme an, das Sanktionsmoratorium in den Jobcentern zu nutzen, um wieder verstärkt mit den Leistungsberechtigten in Kontakt zu treten, motivierende Beratungsangebote und Möglichkeiten der Förderung ohne Sanktionsdruck zu unterbreiten. Das Sanktionsmoratorium falle in eine Zeit, in der die Jobcenter nach einer langen Phase strenger Infektionsschutzmaßnahmen in einem deutlich reduzierten Kontakt zu den Leistungsberechtigten standen. 

Quellen: BMAS, Paritätischer Gesamtverband, FOKUS-Sozialrecht

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