Ich habe lange in einer wunderschönen Villa aus dem 19 Jahrhundert gearbeitet. Die Villa wurde Ende der 70er Jahre umfassend renoviert und es zogen rund 30 Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung ein. Durchschnittsalter zwischen 30 und 40. Es gab ein damals innovatives Begleitungskonzept, dass den Bewohnern ein möglichts selbstbestimmtes Leben ermöglichte. Die Villa lag mitten in einer kleinen Stadt, hier gelang so etwas wie Inklusion, bevor man den Begriff überhaupt kannte. Die Villa stand unter Denkmalschutz, hatte völlig unterschiedliche Räume, verwinkelte Gänge, Zwischentreppen und keinen Aufzug.
Umbau nicht möglich
Anfang der 2000er Jahre stellte man mehr oder weniger überrascht fest, dass die Bewohner langsam älter und gebrechlicher wurden, vor allem die Treppen wurden zum Problem. Aber kaum einer wollte ausziehen. Also wurde ein Umbau angestrebt, um die alte Villa weiterhin bewohnbar zu halten. Letztlich scheiterten alle Pläne und Vorschläge nicht nur an den hohen Kosten, sondern am Denkmalschutz. Hätte es das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Februar 2024 schon früher gegeben, wäre die Geschichte vielleicht anders ausgegangen.
Urteil des BGH
Beim BGH ging es in zwei Verfahren um die Voraussetzungen und Grenzen baulicher Veränderungen zur Barrierereduzierung (Errichtung eines Personenaufzugs bzw. Errichtung einer 65 Zentimeter erhöhten Terrasse nebst Zufahrtsrampe). Auch hier ging es um eine Wohnanlage, bestehend aus zwei zwischen 1911 und 1912 im Jugendstil errichteten Wohnhäusern. Die Wohnanlage steht unter Denkmalschutz. Besitzer ist eine Eigentümergemeinschaft. Diese lehnte einen Umbau ab, den ein Miteigentümer anstrebte, um die Gebäude barrierfreier zu machen. Dagegen klagte der Betreffende, das Amtsgericht wies die Klage ab.
angemessene bauliche Veränderung
In der nächsten Instanz bekam er recht, was die Miteigentümer nicht hinnehmen wollten, so dass der Fall vor dem BGH landete. Das Urteil bestätigte die Auffassung der zweiten Instanz. Das BGH stellte fest, dass die von den Klägern erstrebte Errichtung eines Personenaufzugs eine angemessene bauliche Veränderung darstelle, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen diene. Die Angemessenheit sei nur dann ausnahmsweise zu verneinen, wenn mit der Maßnahme Nachteile verbunden seien, die über die Folgen hinausgehen, die typischerweise mit der Durchführung einer privilegierten baulichen Veränderung einhergehen. Eingriffe in die Bausubstanz, übliche Nutzungseinschränkungen des Gemeinschaftseigentums und optische Veränderungen der Anlage etwa aufgrund von Anbauten können die Unangemessenheit daher regelmäßig nicht begründen.
Förderung der Barrierefreiheit
Der von dem Gesetzgeber im gesamtgesellschaftlichen Interesse erstrebten Privilegierung bestimmter Kategorien von Maßnahmen – unter anderem zur Förderung der Barrierefreiheit – ist bei der Prüfung, ob eine grundlegende Umgestaltung vorliegt, im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen.
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