Bürgergeld und Grundsicherung nicht zu hoch

Das ist das Fazit von Dr. Irene Becker in ihrer Expertise im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbandes über die Entwicklung der Kaufkraft in der Grundsicherung. Die zentrale Aussage ist: „Bürgergeld: Erhöhungen gleichen Kaufkraftverluste in früheren Jahren nicht aus“.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • In den drei Jahren 2021 bis Ende 2023 haben die Leistungsbeziehenden in der Grundsicherung / Bürgergeld massive Kaufkraftverluste erlitten. Besonders gravierend waren die Kaufkraftverluste in den beiden Jahren 2022 und 2023 – auch bei Gegenrechnung der Einmalleistung 2022 und der Energiepreispauschale für Erwerbstätige und Rentner*innen. Trotz der Anpassung mit der Einführung des Bürgergelds um 11,7 % zum 1. Januar 2023 ergibt sich in der Gesamtbetrachtung des Jahres ein massiver Kaufkraftverlust. Zur Vermeidung eines Kaufkraftverlustes hätte der Regelbedarf für eine alleinstehende Person bereits im Januar 2023 bei 527 Euro statt 503 Euro liegen müssen.
    Singlehaushalt
    Die Kaufkraftverluste bewegen sich in der Gesamtsumme bei einem Singlehaushalt auf bis zu 1.012 Euro (diese Summe reduziert sich um 300 Euro Energiepreispauschale als Sonderzahlung im Jahr 2022, sofern Erwerbstätigkeit oder Rentenansprüche vorlagen, also auf 712 Euro).
    Paarhaushalt
    Bei einem Paarhaushalt mit zwei Kindern (über 14 Jahre) summiert sich der Kaufkraftverlust auf bis zu 3.444 Euro (Reduktion wiederum um 300 Euro, sofern Erwerbstätigkeit oder Rentenleistung vorlag; Annahme: nur ein Teil des Haushalts mit entsprechendem Anspruch, da zwei Erwerbstätige und / oder Rentner*innen in der Regel nicht hilfebedürftig sind).
  • Der Anstieg der Regelleistung für eine Erwachsene („Regelbedarfsstufe 1“) zum 1.1.2024 von 502 auf 563 Euro ist – entgegen der Darstellung einiger politischer Akteure – keine exorbitante Steigerung, sondern lediglich eine teilweise Kompensation der bisherigen Kaufkraftverluste und reicht nicht einmal aus, um etwa aufgelaufene Schulden zu begleichen. Für die Leistungsberechtigten ist die Anpassung gleichwohl eine wichtige und spürbare Erleichterung. Der reale Wert der Regelbedarfe übersteigt nunmehr geringfügig den Standard aus 2021.
  • Mit der bestehenden Anpassungsformel im Gesetz droht zum Jahreswechsel 2025 eine Nullrunde bei der nächsten Anpassung und damit ein neuerlicher Kaufkraftverlust.

Forderungen

Der Paritätische leitet daraus folgende Forderungen ab:

  1. Der Regelbedarf muss endlich auf ein armutsfestes Niveau angehoben werden. Nach den jüngsten Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle wäre hierfür ein Regelbedarf von 813 Euro (2024) sachgerecht.
  2. Die Regelbedarfsanpassung in den Jahren zwischen der Neuermittlung der Regelbedarfe muss kurzfristig reformiert werden, damit eine neuerliche Entwertung der Leistungen vermieden werden kann. Dazu muss insbesondere die Anpassung zeitnäher organisiert und im Ergebnis ein Kaufkraftverlust vermieden werden.

Quelle: Paritätischer Gesamtverband

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Entlastungspakete und Kaufkraft(verlust)

Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat in einer neuen Studie die Entwicklung der Einkommen zwischen 2021 und 2023 in dreizehn Haushaltsgruppen, in denen mindestens eine Person erwerbstätig ist, untersucht. Die Haushalte unterscheiden sich nach Personenzahl, Zahl der Erwerbstätigen sowie Einkommen und reichen von einer alleinlebenden Person mit Niedrigverdienst bis zur vierköpfigen Familie mit Doppelverdienst und sehr hohem Einkommen. Anhand von Modellrechnungen zeigt das IMK zudem beispielhaft, wie sich Inflationsausgleichsprämien in unterschiedlicher Höhe auswirken.

Stabilisierende Wirkung

Die Bundesregierung hat mit mehreren Entlastungspaketen und Steuersenkungen 2022 und 2023 versucht, die Privathaushalte für die überschießende Inflation zu kompensieren. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die staatlichen Entlastungen eine deutlich stabilisierende Wirkung auf die Kaufkraft der allermeisten Haushalte hatten, und zwar insbesondere im unteren Einkommenssegment. Zugleich ist die Inflation vor allem durch die Energie- und Lebensmittelpreisschocks allerdings so massiv über das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank hinausgeschossen, dass für die meisten Haushalte auch Ende 2023 eine spürbare Kaufkraftlücke im Vergleich zu 2021 verbleibt. Haushalte, denen ein Teil ihrer Lohnerhöhungen als Inflationsausgleichsprämie gewährt wurde, konnten den Kaufkraftverlust deutlich stärker begrenzen. Insgesamt haben die Veränderungen am Steuertarif und an den Sozialabgaben die Belastungen durch die so genannte „kalte Progression“ mehr als kompensiert.

Trotzdem signifikanter Kaufkraftverlust

Bei vielen Haushalten bleibt trotz einer Beschleunigung des Lohnwachstums 2022 und 2023 ein signifikanter Kaufkraftverlust in einer Größenordnung von zwei bis drei Prozent des Nettoeinkommens übrig. Einen Beitrag zu Begrenzung des Kaufkraftverlusts kann allerdings ein geschickter Einsatz der Inflationsausgleichsprämie leisten: Wie die Beispielrechnungen zeigen, ist diese Prämie geeignet, den Kaufkraftverlust massiv zu verringern und in Einzelfällen ganz zum Verschwinden zu bringen. Makroökonomisch ist wichtig, dass dies geschieht, ohne zu einer zusätzlichen Kostenbelastung (über die Prämie hinaus) der Unternehmen zu führen, was den kostenseitigen Inflationsdruck bei den Unternehmen begrenzt.

Schnelle Korrektur schwierig

Insoweit die überschießende Inflation eine Konsequenz eines dauerhaften Terms-of-Trade-Schocks (Preisverschiebung auf den internationalen Märkten) aus teurerer Energie und teureren importierten Lebensmitteln ist, ist ohne den Einsatz von Instrumenten wie der Inflationsausgleichsprämie eine schnelle Korrektur der Kaufkraftverluste schwierig. Tatsächlich ist Deutschland als Ganzes im Umfang dieses Terms-of-Trade-Schocks insgesamt ärmer geworden. Fiskalische Ausgleichsmaßnahmen für diesen Kaufkraftverlust können bestenfalls den Kaufkraftverlust zeitlich oder zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen anders verteilen. Da allerdings die Weltmarktpreise für Energie und Nahrungsmittel gegenüber den Preisspitzen 2022 bereits deutlich gefallen sind, scheint die Größenordnung der Nettoeinkommensverluste beträchtlicher, als mittel- und langfristig durch die Verschiebung der Terms of Trade gerechtfertigt.

ab 2024: Rückgang der Kaufkraftlücke

Für die kommenden Jahre ist damit zu rechnen, dass die Inflationsrate deutlich zurückgeht und ab 2024 wieder in der Nähe des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank liegen wird. Neben dem Rückgang von Energie- und Lebensmittelpreisen infolge gefallener Weltmarktpreise ist dabei mit einem Abschmelzen zuletzt in einigen Bereichen deutlich gestiegener Gewinnmargen zu rechnen, welches sich preisdämpfend auswirkt. Gleichzeitig dürften – wie bereits schon in den mit Wirkung in das Jahr 2024 hinein abgeschlossenen Tarifverträgen erkennbar – die Löhne und Gehälter im kommenden Jahr mit einer Rate oberhalb der Inflationsrate steigen. Per saldo ist mit einem Rückgang der Kaufkraftlücke zu rechnen, der sich in den kommenden Jahren angesichts des mittelfristigen Produktivitätsfortschritts auch bei Lohnsteigerungen in Einklang mit dem Inflationsziel der EZB fortsetzen wird.

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung, IMK, wikipedia

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