Verschärfung der Armut

Ende April veröffentlichte der Paritätische Gesamtverband seinen Armutsbericht 2025. Der Bericht hat den Anspruch, statistische Erkenntnisse zu Armut zu erfassen und einzuordnen.

Relativer Armutsbegriff

Die Armutsberichterstattung fokussiert sich hier auf den Aspekt relative Einkommensarmut. Der Paritätische folgt damit einer etablierten Konvention, was die Definition und die Berechnung von Armut anbelangt. In Abkehr von einem
sogenannten absoluten Armutsbegriff, der Armut an existenziellen Notlagen wie Obdachlosigkeit oder Nahrungsmangel festmacht, ist der in Wissenschaft und Politik etablierte Armutsbegriff ein relativer. Arm sind demnach alle, die über so geringe Mittel verfügen, „dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist“, wie es im entsprechenden Kommissionsbericht der EU von 1983 heißt.

Wesentliche Aussagen des Berichts

  • Von 2023 zu 2024 stieg nach MZ-SILC die Armutsquote in Deutschland um 1,1 Prozentpunkte. Demnach sind 15,5 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen.
  • 13 Millionen Menschen leben hierzulande unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt bewegt sich die Armut für ein reiches Land wie Deutschland auf einem viel zu hohem Niveau.
  • Die Armutsschwelle liegt aktuell bei Alleinlebenden bei 1.381 EUR im Monat, für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern (unter 14 Jahre) bei 2.900 EUR.
  • Die Armutsschwelle bezeichnet die oberste Einkommensgrenze, bis zu der Menschen als einkommensarm gelten. Diese Schwelle ist jedoch nicht mit der Summe gleichzusetzen, die einkommensarme Menschen tatsächlich im Schnitt im Monat zur Verfügung haben. Tatsächlich liegen viele Arme mit ihrem monatlichen Einkommen deutlich unterhalb dieser Schwelle. Das (äquivalenzgewichtete) Median-Einkommen der armen Menschen, also das mittlere Einkommen, wird für 2024 mit 1.099 EUR angegeben. Im Schnitt liegen arme Menschen mit ihrem monatlichen Einkommen 281 EUR unterhalb der Armutsschwelle.
  • Die Inflation führte zu einer Verschärfung der Armut: Gleicht man die Entwicklung der Median-Einkommen der Armen mit der Preisentwicklung ab, so zeigt sich, dass die Armen seit 2020 real noch ärmer geworden sind. 2020 verfügten die Armen noch im Schnitt über 981 EUR monatlich. 2024 entspricht das preisbereinigte Median-Einkommen der Einkommensarmen 921 EUR. Dabei wird zugrund gelegt, dass man sich in 2024 für einen Euro weniger kaufen kann als noch in 2020. Im Vergleich von 2020 zu 2024 haben kaufkraftbereinigt die Armen im Schnitt weniger zur Verfügung.
  • 5,2 Millionen Personen müssen in erheblicher materieller Entbehrung leben. Darunter befinden sich etwa 1,1 Million minderjährige Kinder und Jugendliche sowie 1,2 Millionen Vollzeiterwerbstätige.
  • Mindestlohn und Wohngeldreform wirken: Die Zahl der Erwerbsarbeitenden in Armut ist leicht zurückgegangen.
  • Die Schutzwirkung des Sozialstaates vor Armut hingegen schrumpft: 2021 konnte die Armutsquote durch die staatliche Umverteilung noch um 27,7 Prozentpunkte reduziert werden, 2024 dagegen nur noch um 25,1 Prozentpunkte. Daraus folgt, dass die Sozialleistungen deutlich erhöht werden müssen.

Lösungsvorschläge

Gegen Armut hilft in erster Linie mehr Geld, so das lapidare Fazit des Paritätischen. Neben der Verbesserung der finanziellen Lage der Erwerbstätigen stünden dem Sozialstaat in Deutschland zahlreiche Instrumente zur Verfügung, um die Einkommen von Rentner*innen, Studierenden und Erwerbslosen zu verbessern.

  • Kinderbezogene Leistungen müssten so ausgestaltet sein, dass keine Familie wegen ihrer Kinder in Armut leben muss.
  • Die gesetzliche Rentenversicherung müsse zukunftsfest und armutsvermeidend aufgestellt werden. Dazu bedürfe es einer perspektivischen Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent und einer armutsfesten Mindestrente.
  • Die Wohngeldreform der Ampelregierung im Jahr 2022 sei eine begrüßenswerte Verbesserung. Diese sei weiter auszubauen.
  • Die Grundsicherung in den verschiedenen Facetten (Bürgergeld, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Sozialhilfe und Asylbewerberleistungsgesetz) sei als nachrangiges System für die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zuständig. Die Regelleistungen deckten weiterhin nicht die zentralen Bedarfe. Um Armut zu vermeiden, müssten die Leistungen der Grundsicherung auf über 800 EUR angehoben werden.
  • Die Arbeitsförderung müsse ausgebaut werden, damit Erwerbslose bei der Arbeitssuche und -aufnahme besser unterstützt und qualifiziert werden können.
  • Die Einführung einer solidarischen Pflegevollversicherung müsse alle pflegebedingten Kosten übernehmen und den Trend steigender Kosten für die Pflegebedürftigen endlich stoppen.
  • Weiteren Reformbedarf gebe es auch beim BAföG. Die jüngsten Reformen hätten zwar die Leistung erhöht, aber die inflationsbedingten Preissteigerungen nicht ausgleichen können.

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, Statistisches Bundesamt, Europäische Gemeinschaften Kommission: Schlussbericht Der Kommission an Den Rat ÜBer Das Erste Programm von Modellvorhaben Und Modellstudien Zur BekäMpfung Der Armut. Komm.; 1983.

Abbildung: Fotolia_158866271_Subscription_XXL.jpg

Armut und Geschlecht im deutschen Sozialstaat

Human Rights Watch (HRW) hat im Februar 2024 einen Bericht mit dem Titel „Es zerreißt einen: Armut und Geschlecht im deutschen Sozialstaat“ veröffentlicht. Der Bericht untersucht die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Armut in Deutschland und kommt zu dem Schluss, dass das deutsche Sozialsystem die Menschenrechte der Betroffenen nicht ausreichend schützt.

Zentrale Erkenntnisse des Berichts

Frauen sind in Deutschland einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt als Männer. Dies gilt insbesondere für Alleinerziehende, ältere Frauen und Frauen mit Migrationshintergrund. Der Bericht zeigt, dass die Höhe der Sozialleistungen nicht ausreicht, um ein menschenwürdiges Leben zu gewährleisten.

Interviews mit armutserfahrenen Menschen

Auf der Grundlage von zahlreichen Interviews mit armutserfahrenen Menschen und nach Analyse der aktuellen sozialpolitischen Entwicklungen – insbesondere Bürgergeld und Kindergrundsicherung – kommt HRW zu dem Ergebnis, dass die Menschenrechte von einkommensarmen Menschen in Deutschland verletzt werden – insbesondere Alleinerziehende und ältere Frauen seien betroffen.

Leistungen des Bürgergeldes unterhalb der Armutsschwelle

So stellt HRW etwa heraus, dass die Leistungen des Bürgergeldes deutlich unterhalb der Armutsschwelle liegen (jeweils ohne Wohnkosten). In der Pressemitteilung von HRW heißt es dazu: „So erhält beispielsweise ein Haushalt mit einem / mit einer Alleinerziehenden und zwei Kindern 1.198 Euro an Sozialleistungen, während die Armutsgrenze bei 1.626 Euro liegt. Das entspricht einer Differenz von 26 Prozent. Die Lücke für eine*n alleinstehende*n Erwachsene*n beträgt 51 Prozent“. HRW kommt angesichts dieser Zahlen zu dem Schluss, dass „die Höhe der Sozialleistungen nicht ausreicht, um Deutschlands völker- und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen“.

Mängel im Sozialsystem

Das Sozialsystem berücksichtigt die spezifischen Bedürfnisse von Frauen nicht ausreichend. Bestehende Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt, wie der Gender Pay Gap, tragen zur geschlechtsspezifischen Armut bei.

Forderungen von HRW

HRW fordert die Bundesregierung auf, die Sozialleistungen zu erhöhen und das Sozialsystem geschlechtersensibler zu gestalten. Zudem sollen Maßnahmen ergriffen werden, um die Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu fördern.

Wer steckt hinter Human Rights Watch?

Human Rights Watch (HRW) ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzt. Die Organisation wurde 1978 gegründet und hat ihren Hauptsitz in New York City. HRW führt Recherchen zu Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Ländern durch und veröffentlicht Berichte, um auf diese aufmerksam zu machen. HRW ist bekannt für seine unparteiische und gründliche Recherche.

Quellen: HWR, Paritätischer Gesamtverband, wikipedia

Abbildung: pixabay.com justitia.jpg

Armutsbericht

Der Paritätische Gesamtverband hat Ende März einen neuen Armutsbericht veröffentlicht. Danach bleibt die Armut in Deutschland auf einem hohen Niveau. 16,8 Prozent der Bevölkerung lebten 2022 in Armut. 2019 waren es 15,9 Prozent.

Ergebnisse:

  • 16,8 Prozent der Menschen in Deutschland – oder 14,2 Millionen Menschen – müssen für das Jahr 2022 als einkommensarm bezeichnet werden. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein Rückgang um 0,1 Prozentpunkte zu verzeichnen. Der seit 2006 fast ungebrochene Trend zunehmender Armut ist damit für 2022 erst einmal gestoppt, allerdings nicht gedreht. Wir zählten zuletzt 2,7 Millionen mehr Arme als 16 Jahre zuvor.
  • Alleinerziehende und Haushalte mit drei und mehr Kindern haben die höchste Armutsbetroffenheit aller Haushalte. Auch Erwerbslose und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sowie Migrationshintergrund sind stark überproportional betroffen. Frauen weisen 2022 mit 17,8 Prozent eine deutlich höhere Armutsquote auf als Männer mit 15,8 Prozent. Besonders gravierend ist die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern bei älteren Personen ab 65 Jahren. Auch die Kinderarmut liegt auf einem erschreckend hohen Niveau: Deutlich mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Die Armut unter Selbstständigen ist nach einem deutlichen Anstieg während der Pandemie inzwischen wieder rückläufig.
  • Mehr als ein Viertel der 14,2 Millionen einkommensarmen Menschen ist erwerbstätig, ein weiteres knappes Viertel ist in Rente und mehr als ein Fünftel sind Kinder. Nur knapp fünf Prozent sind erwerbslos.
  • Die niedrigsten Armutsquoten haben Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg, die höchsten mit jeweils 19 Prozent und mehr das Saarland, Sachsen-Anhalt, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und – mit 29,1 Prozent ganz weit abgeschlagen – Bremen. Zwischen den Regionen einiger Flächenländer gibt es eine
    große Spreizung der Armutsbetroffenheit, insbesondere in Bayern, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Forderungen

  • Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf einen Stundenlohn von 15 Euro, um zumindest Vollzeiterwerbstätige aus der Armut herauszuführen und nach langjähriger Erwerbstätigkeit einen Rentenanspruch sicherzustellen, der im Alter über Grundsicherungsniveau liegt.
  • Einführung einer einkommens- und bedarfsorientierten Kindergrundsicherung, die in der Höhe zuverlässig vor Armut schützt.
  • Eine zukunftsorientierten Neuaufstellung der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Element einer armutsfesten Mindestrente und einer perspektivischen Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent. Hierzu ist die Rentenversicherung zu einer allgemeinen Bürgerversicherung umzubauen, in die alle, auch Selbständige und Beamte, mit allen Einkommen einzahlen.
  • Eine solidarische Pflegevollversicherung, die alle pflegebedingten Kosten übernimmt und den Trend steigender Kosten für Pflegebedürftige endlich stoppt. Fast ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Heimen ist auf Sozialhilfe angewiesen.
  • Einer konsequenten Mietpreisdämpfungspolitik, die auf Bundesebene den Weg für die Länder freimacht, einen Mietenstopp einzuführen oder aber die Mietpreisbremse deutlich nachzuschärfen. Es muss zudem sichergestellt werden, dass energetische Sanierungsmaßnahmen im Ergebnis mindestens warmmietenneutral sind.

Quellen: Paritätischer Gesamtverband, FOKUS-Sozialrecht

Abbildung: Fotolia_158866271_Subscription_XXL.jpg

Armuts- und Reichtumsbericht

Das Bundeskabinett hat den Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht (6. ARB) beschlossen. Damit kommt die Bundesregierung dem Auftrag des Deutschen Bundestags nach, in jeder Legislaturperiode einen Bericht über die Entwicklung von Armut und Reichtum vorzulegen.

Stabile soziale Lage

Das Bundesarbeitsministerium schreibt dazu, der Bericht zeige, dass der überwiegende Teil der Menschen in stabilen sozialen Lagen lebe. Es bestünden gute Aufstiegschancen aus der Mitte nach Oben. Problematisch sei die Verfestigung in den unteren sozialen Lagen, aus denen es im Zeitablauf immer weniger Personen gelungen sei, aufzusteigen.

Armutsquote kaum verändert

Nachdem die Armut in Deutschland lange Zeit zunahm, hat sie sich mittlerweile um 16 Prozent der Bevölkerung eingependelt. Dabei gibt es allerdings unterschiedliche Befunde zur Entwicklung seit 2014. Einigen Statistiken zufolge sinkt die Armutsquote, ein anderer Indikator weist aufwärts. 

Dass die Armut seit dem Jahr 2000 zunahm, lag unter anderem an den Hartz-Gesetzen. Die Trendwende basiert nicht zuletzt auf der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. 

Arm und reich

Auch die Kluft zwischen arm und reich ist gewaltig. So besitzen 1 Prozent der Deutschen 35 Prozent des privaten Vermögens. Das sind 3,6 Billionen Euro. Zum Vergleich: Finanzminister Scholz schätzt die Folgekosten der Corona-Pandemie auf 1,5 Billionen Euro.

Pandemie-Folgen

Hinsichtlich der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie deuten die vorliegenden Befragungs- bzw. erste Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Sozialschutzpakete bislang negative Verteilungseffekte weitgehend vermieden haben und durch die Regelungen des Kurzarbeitergeldes die Beschäftigung gesichert werden konnte. Langfristig gilt es aber, die Bereiche Bildung und Betreuung besonders im Blick zu behalten, da sich hier in den Belastungen sozioökonomische Unterschiede gezeigt haben.

Überprüfen und Anregen

Der Bericht dient dazu, die Lebenslagen der Bürgerinnen und Bürger zu analysieren, die Wirksamkeit der bisherigen Politikansätze zu überprüfen und neue Maßnahmen anzuregen. Die soziale Lage in Deutschland wird dafür ausführlich beschrieben. Zugrunde liegen die vorliegenden Statistiken und eigens für den Bericht in Auftrag gegebene Forschungsvorhaben. Die aktuellen Daten bewertet der Bericht mit Blick auf die Entwicklung der sozialen Aufstiegschancen und Abstiegsrisiken innerhalb der Biographie und – soweit möglich – auch im Vergleich zu früheren Alterskohorten und Generationen.

Quelle: BMAS, Frankfurter Rundschau

Abbildung: pixabay.com hobo-531201_1280.jpg

Gegen Armut hilft Geld

Das ist der Titel der aktuellen Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu Armutssituation in Deutschland. Danach hat die Armutsquote 2019 in Deutschland mit 15,9 Prozent, das sind 13,2 Millionen Menschen einen Höchststand seit der Wiedervereinigung erreicht. In der Studie wird weiter darauf hingewiesen, dass alles darauf hindeute, dass die Auswirkungen der Corona-Krise Armut und soziale Ungleichheit noch einmal spürbar verschärfen werden.

Große Unterschiede gibt es zwischen den einzelnen Bundesländern. So ist die Armutsquote in den südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg mit 11,9 und 12,3 Prozent mit Abstand am geringsten. Schlusslicht ist Nordrheinwestfalen mit 19,5 Prozent.

Das höchste Armutsrisiko haben nach wie vor Arbeitslose (57,9 Prozent), Alleinerziehende (42,7 Prozent), kinderreiche Familien (30,9 Prozent), Menschen mit niedriger Qualifikation (41,7 Prozent) und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (35,2 Prozent). Bezeichnend ist, dass die Armutsquote bei all diesen ohnehin seit Jahren besonders armutsbetroffenen Gruppen von 2018 auf 2019 noch einmal zugenommen hat.

Die mit Abstand stärkste Zunahme des Armutsrisikos zeigt im längerfristigen Vergleich die Gruppe der Rentner*innen und Pensionär*innen. Unter ihnen wuchs die Armutsquote seit 2006 um 66 Prozent. Aus einer eher geringen wurde mit 17,1 Prozent eine deutlich überdurchschnittliche Armutsquote.

Datenquelle

Die Armutsquoten, mit denen in diesem Bericht gearbeitet werden, beruhen auf dem sogenannten Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes. Der Mikrozensus ist die mit Abstand valideste Datengrundlage zur Berechnung von Armutsquoten in Deutschland. Beim Mikrozensus (kleine Volkszählung) wird nach einer Zufallsstichprobe jährlich etwa ein Prozent aller Haushalte in Deutschland befragt. 2019 waren das fast 380.000 Haushalte mit rund 750.000 Personen.

Trotzdem werden beim Mikrozensus relevante Gruppen nicht erfasst. Personen ohne Wohnung (Obdachlose) etwa haben im Mikrozensus keine Erfassungschance. Personen in Gemeinschaftsunterkünften werden zwar im Mikrozensus erfasst. Bei der Berechnung der Armutsquoten werden alle Personen gezählt werden, die in Haushalten leben, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte beträgt. Entsprechende Werte für Personen in Gemeinschaftsunterkünften liegen jedoch nicht vor.

Damit werden Hunderttausende von wohnungslosen Menschen, über 800.000 pflegebedürftigen Menschen in Heimen, von denen mehr als jede*r Dritte davon auf Sozialhilfe angewiesen, die über 200.000 behinderten Menschen in besonderen Wohnformen oder auch die vielen Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften nicht berücksichtigt.

Relative Armut

Das Statistische Bundesamt und auch der Armutsbericht folgen einer bereits über 30 Jahre alten EU-Konvention, was die Definition und die Berechnung von Armut anbelangt. In Abkehr von einem sogenannten absoluten Armutsbegriff, der Armut an existenziellen Notlagen wie Obdachlosigkeit oder Nahrungsmangel festmacht, ist der Armutsbegriff der EU ein relativer. Arm sind demnach alle, die über so geringe Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist.

Nach dieser EU-Konvention ist derjenige einkommensarm, der mit seinem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Dabei handelt es sich um das gesamte Nettoeinkommen des Haushaltes inklusive Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, anderer Transferleistungen oder sonstiger Zuwendungen.

Beim mittleren Einkommen handelt es sich nicht um das geläufige Durchschnittseinkommen. Dieses wird ermittelt, indem man alle Haushaltseinkommen addiert und die Summe dann durch die Anzahl der Haushalte teilt (arithmetisches Mittel). Es wird stattdessen der sogenannte Median, der mittlere Wert, errechnet: Alle Haushalte werden nach ihrem Einkommen der Reihe nach geordnet, wobei das Einkommen des Haushalts in der Mitte der Reihe den Mittelwert bzw. Median darstellt.

Beispiel Median – arithmetisches Mittel

100.000100.000
2.4002.400
2.3002.300
2.3002.300
2.1002.100
Median: 2.300arithmetrisches Mittel: 21.820

Äquivalenzeinkommen

Um Haushalte unterschiedlicher Größe in ihrem Einkommen und in ihren Bedarfen vergleichbar zu machen, wird das sogenannte Pro-Kopf-Haushaltsäquivalenzeinkommen ermittelt. Dabei wird das Gesamteinkommen eines Haushalts nicht einfach durch die Zahl der Haushaltsmitglieder geteilt, um das ProKopf-Einkommen zu ermitteln, es wird vielmehr jedem Haushaltsmitglied eine Äquivalenzziffer zugeordnet.

Das erste erwachsene Haushaltsmitglied bekommt eine 1, alle weiteren Haushaltsmitglieder ab vierzehn Jahren eine 0,5 und unter vierzehn Jahren eine 0,3. Beträgt das Haushaltseinkommen eines Paares mit zwei Kindern unter 14 Jahren 4.000 Euro, ist das so gewichtete ProKopf-Einkommen also nicht etwa
4.000 : 4 = 1.000 Euro, sondern
4.000 : (1 + 0,5 + 0,3 + 0,3) = 1.905 Euro.

Damit soll der Annahme Rechnung getragen werden, dass Mehrpersonenhaushalte günstiger haushalten können als Singles und dass Kinder angeblich keine so hohen Bedarfe haben wie Erwachsene oder Jugendliche.

Armutsschwelle

Damit ist die Armutsschwelle im Jahr 2019 je nach Haushaltsgröße bei

  • einem Single bei 1.074 Euro,
  • einer Alleinerziehenden mit einem kleinen Kind bei 1.396 Euro,
  • einem Paarhaushalt mit zwei kleinen Kindern bei 2.256 Euro.

Lösungsvorschläge

Der Paritätische Wohlfahrftsverband schlägt, um der wachsenden Armut entgegen zu steuern, vor

  • eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze in Hartz IV und der Altersgrundsicherung (nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle auf mindestens 644 Euro),
  • die Einführung einer Kindergrundsicherung sowie
  • Reformen von Arbeitslosen- und Rentenversicherung.

Quelle: Paritätischer Wohlfahrtsverband, Statistisches Bundesamt

Abbildung: Fotolia_158866271_Subscription_XXL.jpg