„Arbeit von morgen“

Viel ist von dem geplanten Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil noch nicht bekannt. Immerhin hat es – wie zur Zeit so üblich – schon einen griffigen Namen: Das Arbeit-von-morgen-Gesetz.

Drohende Krise

Hauptziel ist es offenbar, Wirtschaft und Arbeitnehmer auf die drohende Wirtschaftskrise vorzubereiten und deren mögliche Folgen abzumildern. Außerdem sollen Arbeitnehmer mit dem Gesetz in die Lage versetzt werden, den Wandel von Jobs durch digitale Technologien und ökologische Erfordernisse mitzugehen.

Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld

Als erstes soll der Einsatz von Kurzarbeitergeld erleichtert werden. Dieses Instrument hat in der Krise von 2008 schon einmal geholfen, eine Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Damals wurde die Bezugsdauer (normalerweise 6 Monate) zeitweise bis auf 24 Monate verlängert. Arbeitgeber bekamen teilweise die Sozialversicherungsbeiträge erstattet und bekamen sie gar voll erstattet, wenn Arbeitnehmer an beruflichen Qualifizierungsmaßnahme teilnahmen.
Ähnliches soll auch das Arbeit-von-morgen-Gesetz ermöglichen.

Mehr Weiterbildung

Anknüpfen soll das neue Gesetz an das Qualifizierungschancengesetz, das zu Beginn diesen Jahres in Kraft trat und die Weiterbildungsförderung der Bundesanstalt für Arbeit, die bis dahin auf Ältere und Geringqualifizierte zugeschnitten war, für alle Beschäftigten öffnete. Die Arbeitgeber erhalten Lohnkostenzuschüsse, wenn sie ihre Beschäftigten während der Weiterbildung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freistellen. Größere Unternehmen müssen sich stärker beteiligen als kleine oder mittlere.

Perspektivqualifizierung

Minister Heil will, dass auch künftig Kurzarbeit, wo immer es möglich ist, zur Weiterqualifizierung genutzt wird. Zudem sollen Beschäftigte in einem Unternehmen, in dem sie eigentlich keine dauerhafte Perspektive mehr haben, zunächst mit öffentlicher Förderung im Betrieb bleiben können. Auch bei dieser „Perspektivqualifizierung“ soll es Zuschüsse sowohl zur Weiterbildung als auch zum Lohn geben.

Weiterbildung in Transfergesellschaften

Längere Weiterbildungsmöglichkeiten soll es auch in Transfergesellschaften geben, wenn ein Unternehmen massiv Arbeitsplätze streicht oder gar schließt. Dafür sollen auch die Zugangsregelungen erleichtert werden.

Einen Gesetzentwurf hat das BMAS noch nicht veröffentlicht. Sobald das der Fall ist kann über konkrete Pläne berichtet werden.

Quellen: Beck-Online, Spiegel, Deutschlandfunk, Tagesschau u.a.; SOLEX. FOKUS-Sozialrecht

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Hebammenliste

Eine der Vorgaben des TSVG (Terminservice und Versorgungsgesetz) war, im Internet ein Suchverzeichnis zu Hebammen und deren jeweiligen Leistungen zu erstellen. Diese „Hebammenliste“ hat der GKV-Spitzenverband jetzt online gestellt.

Warum Hebammenliste?

In der Vergangenheit war es für Frauen in bestimmten Regionen teilweise schwierig, eine freiberuflich tätige Hebamme für die Vor- und Nachsorge sowie Geburtshilfe zu finden. Dabei hat sich gezeigt, dass in den bestehenden Hebammenverzeichnissen nur ein Teil der zur Leistungserbringung zugelassenen Hebammen aufgeführt waren und der Datenbestand bei weitem nicht alle Hebammen erfasste, die für die Versorgung der Frauen zugelassen waren. Insofern konnten Frauen, die eine Hebamme suchten, nur auf eine unzureichende Informationsgrundlage zurückgreifen.

Der Gesetzgeber hat daher beim § 134a SGB V die Absätze 2a bis 2c eingefügt, gültig seit 11.5.2019, und den GKV-Spitzenverband beauftragt, auf seiner Internetseite eine Hebammen-Umkreissuche zur Verfügung zu stellen. Damit soll dem überragend wichtigen Gemeinwohlinteresse, die Versorgung schwangerer Frauen sicherzustellen, Rechnung getragen und die Möglichkeit geschaffen werden, bisher nicht ausgeschöpfte Versorgungspotenziale zu nutzen.

Verträge der Hebammen mit dem GKV

Hebammen und ihre Berufsverbände sind durch § 134a Abs.1 verpflichtet mit dem GKV mit bindender Wirkung für die Krankenkassen Verträge über die Versorgung mit Hebammenhilfe, die abrechnungsfähigen Leistungen unter Einschluss einer Betriebskostenpauschale bei ambulanten Entbindungen in von Hebammen geleiteten Einrichtungen, die Anforderungen an die Qualitätssicherung in diesen Einrichtungen, die Anforderungen an die Qualität der Hebammenhilfe einschließlich der Verpflichtung der Hebammen zur Teilnahme an Qualitätssicherungsmaßnahmen sowie über die Höhe der Vergütung und die Einzelheiten der Vergütungsabrechnung durch die Krankenkassen abzuschließen.

Liste mit Umkreissuche

Der GKV muss aus diesen Daten eine Vertragspartnerliste erstellen. Teile dieser Liste werden nun in der Hebammenliste veröffentlicht. Aus Datenschutzgründen werden die Adressen der Hebammen nicht veröffentlicht, weil sie häufig  keine eigene Praxis (wie etwa Ärztinnen und Ärzte), sondern nur eine private Adresse haben. Da eine Veröffentlichung von Privatadressen einen stärkeren Eingriff in die Rechte der Hebammen bedeuten würde.

In der Liste kann man eine Umkreissuche starten, in dem man seinen Wohnort eingibt und ankreuzt, welche Leistungen der Hebammen gewünscht sind. Die Auswahl besteht aus

  • Betreuung der Schwangeren
  • Geburtsvorbereitungskurs, Rückbildungskurs
  • Geburt im häuslichen Umfeld
  • Ambulante Geburt im Geburtshaus
  • Klinische Geburt mit Beleghebamme
  • Betreuung von Mutter und Kind nach der Geburt

Monatliche Aktualisierung

Die in der Hebammenliste angezeigten Hebammendaten werden monatlich aktualisiert. Die Berufsverbände (Deutscher Hebammenverband e. V. und Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands e. V.) übermitteln die Daten und deren Änderungen einmal monatlich an den GKV-Spitzenverband. Hebammen, die nicht Mitglied in einem Berufsverband sind und ihren Beitritt zum Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe nach § 134a SGB V gegenüber dem GKV-Spitzenverband erklärt haben, müssen Daten bzw. Änderungen unmittelbar an den GKV-Spitzenverband melden.

Probesuche

Das Ausprobieren der Hebammensuchmaschine ergab – rein subjektiv – folgende erste Eindrücke:

  • es gibt mehr Hebammen in der Umgebung als vermutet,
  • einige Datensätze werden doppelt angezeigt
  • es ist nicht ersichtlich, ob die Hebammen tatsächlich aktuell Kapazitäten freihaben; dazu muss man jede einzelne anfragen.

Quelle: GKV,

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Aufstiegs-BAföG

Mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes (4. AFBGÄndG), das als Entwurf letzten Monat vorgelegt wurde, verfolgt der Gesetzgeber „das Ziel, die höherqualifizierende Berufsbildung in Deutschland zu stärken“. Durch den Abbau finanzieller Hemmnisse soll die Aufstiegsfortbildung gestärkt und mehr Menschen für eine solche gewonnen werden, um einen ausreichenden Nachwuchs an Fach- und Führungskräften sicherzustellen.

Meister-BAföG – Aufstiegs-BAföG

Das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz gibt es seit 1996 und wurde unter dem Namen Meister-BAföG bekannt. Mittlerweile spricht man eher von Aufstiegs-BAföG. Es soll mit finanziellen Mitteln die berufliche Aufstiegsfortbildung von Handwerkern und anderen Fachkräften und soll Existenzgründungen erleichtern. Das Gesetz ist ein umfassendes Förderinstrument für die berufliche Fortbildung in allen Berufsbereichen.

Angehörige aller Berufsfelder – ob Handwerksgesellen oder Facharbeiter und Techniker in der Industrie, Fachwirte, Kaufleute, Beschäftigte in Gesundheits- oder Pflegeberufen oder Erzieher und Erzieherinnen – können altersunabhängig an Aufstiegsfortbildungen teilnehmen. Diese Weiterbildungsmaßnahmen können berufsbegleitend in Teilzeit oder als Vollzeitfortbildung gestaltet sein.

Fachkräfte, die an diesen Maßnahmen der beruflichen Aufstiegsfortbildung teilnehmen, erhalten einkommensunabhängig einen Beitrag zu den Kosten der Fortbildung. Bei Vollzeitmaßnahmen wird ein Beitrag zum Lebensunterhalt und gegebenenfalls zur Kinderbetreuung gewährt, sofern das eigene Einkommen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausreicht. Die Förderung erfolgt teils als Zuschuss, teils als zinsgünstiges Darlehen.

Maßnahmen im Gesetzentwurf

Ein erster Schritt zur Steigerung der Attraktivität des Förderangebots aus dem AFBG ist mit der kürzlichen Änderungen der BAföG-Sätze gemacht worden. Durch eine dynamische Verweisung aus dem AFBG in das BAföG werden mit der Erhöhung des BAföG der Unterhaltsbeitrag und die Einkommensfreibeträge im AFBG automatisch erhöht.

Weitere Maßnahmen, um die Ziele des Gesetzentwurfs zu erreichen sind:

  • Die Ausbildungsförderung soll auf alle drei im Berufsbildungsgesetz (BBiG) und in der Handwerksordnung (HwO) bestehenden Fortbildungsstufen der höherqualifizierenden Berufsbildung bezogen werden können.
  • Der Zuschussanteil zum Unterhaltsbeitrag für Vollzeitgeförderte wird von bisher 50 Prozent zu einem Vollzuschuss ausgebaut.
  • Der einkommensunabhängige Kinderbetreuungszuschlag für Alleinerziehende wird von 130 Euro auf 150 Euro angehoben.
  • Der Zuschussanteil zum Maßnahmebeitrag wird von 40 Prozent auf 50 Prozent erhöht. Dies beinhaltet auch die Anhebung des Zuschussanteils von 40 Prozent auf 50 Prozent für die Erstellung der fachpraktischen Arbeit in der Meisterprüfung des Handwerks und vergleichbarer Arbeiten in anderen Wirtschaftsbereichen.
  • Der Anreiz, nicht nur an der geförderten Vorbereitungsmaßnahme teilzunehmen, sondern auch erfolgreich die Aufstiegsprüfung zu bestehen, wird durch die Anhebung des Darlehenserlasses bei Bestehen der Prüfung („Bestehenserlass“) von 40 Prozent auf 50 Prozent gesteigert.
  • Fortbildungsabsolventen, die im Inland ein Unternehmen oder eine freiberufliche Existenz gegründet, übernommen oder einen bestehenden Gewerbebetrieb erweitert haben und hierfür überwiegend die unternehmerische Verantwortung tragen, wird das auf die Lehrgangs- und Prüfungsgebühren entfallende Restdarlehen vollständig erlassen („Existenzgründungserlass“).
  • Die Stundungs- und Darlehenserlassmöglichkeiten aus sozialen Gründen werden für Geringverdienende erweitert.

Die Änderungen durch die Anhebung der BAföG-Sätze sind jetzt schon wirksam. Die übrigen geplanen Änderungen sollen zum 1.8.2020 in Kraft treten.

Quellen: Bundesministeriums für Bildung und Forschung, SOLEX

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20. September – Kampftag für Klima und Kinderrechte

Überall in Deutschland sollen am Freitag, den 20. September 2019 (Weltkindertag) Aktionen stattfinden, bei denen Kinder und Jugendliche klar machen, dass Kinderrechte ins Grundgesetz gehören.

Am gleichen Tag, dem 20.9., findet der dritte globale Klimastreik statt. Weltweit werden Menschen auf die Straße gehen und für die Einhaltung des Parisabkommen und gegen die anhaltende Klimazerstörung laut werden.

Kinderrechtskonvention

Beide Bewegungen gehören zusammen. Wer für Kinderrechte eintritt, weiß, dass laut UN-Kinderrechtskonvention „jedes Kind ein angeborenes Recht auf Leben“ und ihnen „in größtmöglichem Umfang das Überleben und die Entwicklung“ gewährleistet werden muss (Art. 6 KRK). In Art. 24, Abs. 2c und 2e KRK findet der Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen ausdrücklich Erwähnung; in Art. 29 Abs. 1e ist die Achtung vor der natürlichen Umwelt als Bildungsziel festgeschrieben. Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention, KRK) ist seit seiner Ratifizierung 1992 in Deutschland geltendes Recht.
Auch das Grundgesetz der Bundesrepublik sieht in Art. 20a vor, dass der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen in Anerkennung der Verantwortung vor künftigen Generationen zu schützen hat.

Allerdings würde die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz deren tatsächliche Umsetzung erheblich erleichtern.
Bisher ist die Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland durch die aktuelle Rechtslage nicht abgesichert, wie unter anderem aus einem aktuellen staatsrechtlichen Gutachten hervorgeht. Es besteht ein erhebliches Umsetzungsdefizit in Rechtsprechung und Verwaltung, da die Rechte durch eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes oder eine Kombination mit anderen Verfassungsnormen erst kompliziert herausgearbeitet werden müssen. Um zu garantieren, dass sowohl das Gesetz als auch die Rechtsanwendung in Einklang mit der Kinderrechtskonvention stehen, legt auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes den Vertragsstaaten die Aufnahme der Kinderrechte in die nationale Verfassung nahe.

Klimakrise

Die jungen Menschen, die Fridays for Future bilden, fordern die Einhaltung von Klimaschutzzielen und weitere geeignete Maßnahmen zur Abwendung oder mindestens Abschwächung der Klimakrise. Damit fordern sie zugleich die Einhaltung der in der KRK festgeschriebenen Normen.

Ihren Forderungen verleihen sie durch Ausübung ihrer verbrieften Menschenrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit Nachdruck. Am Weltkindertag, dem 20.09.2019, wird die Bewegung einen weltweiten Klimastreik und eine Aktionswoche veranstalten.

Die Klimakrise ist eine auch soziale Krise. Sie verstärkt alle bestehenden Ungerechtigkeiten noch weiter. Deshalb ist es gerade unter dem Gesichtspunkt sozialer Gerechtigkeit wichtig, dass diese Krise gestoppt wird. Aktuell steuern wir auf eine um 4 bis 6 Grad heißere Welt zu – mit Folgen, die über alle Horrorszenarien der Wissenschaft noch hinausgehen könnten. Kinder aus ärmeren Haushalten werden am stärksten leiden unter schlechterem Zugang zu Wasser, Essen, Bildung, medizinischer Versorgung etc.

Gemeinsame Aktionen

Um das so weit es geht zu verhindern, braucht es mehr als den Streik von Schüler*innen, Azubis und Studierenden. Dafür braucht es alle, die sich gemeinsam für diese großen Veränderungen zusammentun. Seit Jahrzehnten duckt sich die Politik vor ihrer Verantwortung weg.

Wünschenswert ist es, dass beide Bewegungen am 20.9. sich gegenseitig unterstützen und vielleicht sogar zu gemeinsamen Aktionen finden.

Quellen: Aktionsbündnis Kinderrechte ins Grundgesetz – #kigg19, Fridays For Future, Lara Eckstein,

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Krankenkassen – Grenzen der Wahltarife

Krankenkassen dürfen ihren Versicherten Extras wie besonderen Auslandskrankenschutz nicht als Wahltarif anbieten. Das hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts am Dienstag, dem 30. Juli 2019 in einem Revisionsverfahren entschieden (Aktenzeichen B 1 KR 34/18 R). (Pressemitteilung vom 30.7.2019)

Schutz der privaten Krankenkassen

Unternehmen der privaten Krankenversicherung haben Anspruch darauf, dass gesetzliche Krankenkassen das Bewerben und Anbieten von in ihrer Satzung geregelten Wahltarifen für Gestaltungsleistungen wie besonderen Auslandskrankenschutz unterlassen, soweit sie dadurch ohne gesetzliche Ermächtigung ihren Tätigkeitskreis erweitern.

Wettbewerbstärkungsgesetz von 2007

Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) von 2007 wurden den gesetzlichen Krankenkassen vielfältige Möglichkeiten eröffnet, ihren Versicherten Wahltarife anzubieten und so stärker als bisher im Wettbewerb zu agieren. Der Gesetzgeber sieht verschiedene Arten von Wahltarifen vor. Wer zum Beispiel Kosten bis höchstens 600 Euro im Jahr aus eigener Tasche bezahlt, erhält eine Prämie. Oder es gibt eine Prämie, wenn der Versicherte und seine Familienangehörigen ein Jahr lang keine Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch genommen haben.

Der Gesetzgeber hat in § 54 SGB V abschließend aufgelistet, welche Wahltarife möglich sind, ebenso in § 11 Abs.6 SGB V, welche Leistungserweiterungen erlaubt sind. Abschließend heißt, dass Krankenkassen keine weiteren Wahltarife oder Zusatzleistungen anbieten dürfen, die nicht in den besagten Vorschriften aufgelistet sind. Damit werden die privaten Krankenversicherungen vor nicht autorisierten Marktzutritten geschützt.

AOK Rheinland/Hamburg

Die AOK Rheinland/Hamburg hatte die Wahltarif – Option bundesweit als erste gesetzliche Krankenkasse genutzt. Art und Umfang dieses Angebotes waren bundesweit einmalig. So bietet sie Tarife mit Kostenerstattung für eine Krankenbehandlung im Ausland, für Zuzahlungen sowie Ein- oder Zweibettzimmer im Krankenhaus, Zahnersatz und Zahnvorsorgeleistungen, kieferorthopädische Leistungen, Brillen sowie für ergänzende Leistungen der häuslichen Krankenpflege an. Nach eigenen Angaben hatten 2018 rund 500.000 Versicherte einen oder mehrere dieser Wahltarife abgeschlossen, überwiegend die Auslandsversicherung.

Entscheidend ist nun, dass eine Krankenkasse diese Leistungen zwar als Satzungsleistungen zusätzlich anbieten darf. Dann müssen sie aber für alle Versicherten gelten und vom allgemeinen Krankenkassenbeitrag abgedeckt sein.

Die gesetzliche Ermächtigung zum Wahltarif Kostenerstattung ermächtigt nicht zu einer Ausdehnung des Leistungskatalogs zum Beispiel um zusätzliche Auslandsleistungen, sondern lediglich zu einem Wahltarif mit einer höheren Kostenerstattung als nach dem gesetzlichen Grundmodell gewillkürter Kostenerstattung.

Kritik an Wahltarifen

Kritik an den Wahltarifen gibt es schon länger. So bemängelt das Bundesversicherungsamt (BVA) in einer Pressemitteilung vom April 2018 , dass Wahltarife nicht zu der vom Gesetzgeber gewollten tatsächlichen Verbesserung der Versorgung beitrügen, sondern lediglich zur Kundenaquise genutzt werde.

Quelle: Bundessozialgericht, Bundesversicherungsamt, SOLEX

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Neues ab 1.8.2019

Die meisten Neuerungen im August haben mit dem Beginn des neuen Schuljahrs, des neuen Semesters, Ausbildungsjahrs oder Kindergartenjahrs zu tun. In Kraft treten Teile

  • des „Gute-Kita-Gesetzes“,
  • des „Starke-Familien-Gesetzes“,
  • der Reform der Berufsausbildungsbeihilfe,
  • der BAföG-Reform und
  • des Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetzes

Gute-Kita-Gesetz

Um einkommensschwache Familien bei den Kosten für die Kindertagesbetreuung zu entlasten wird der § 90 SGB VIII geändert. Nun werden nicht nur wie bisher schon Empfänger von Sozialleistungen von den Kitagebühren befreit, sondern auch Familien mit geringem Einkommen, die Kinderzuschlag oder Wohngeld beziehen.

Starke-Familien-Gesetz

  • Das Schulstarterpaket wird von 100 auf 150 Euro erhöht.
  • Die Eigenanteile der Eltern für das Mittagessen in Kitas und Schulen sowie für die Schulbeförderung entfallen.
  • Der Anspruch auf Lernförderung besteht künftig unabhängig von einer Versetzungsgefährdung.
  • Die Beantragung auf finanzielle Unterstützung für Nachhilfe oder Schulfahrten wird erleichtert.
  • Der Zuschuss für Vereinsbeiträge steigt von 10 auf 15 Euro pro Monat.

Berufsausbildungsbeihilfe

Der Höchstbetrag der Berufsausbildungsbeihilfe für Auszubildende wird zum 1. August von 622 Euro auf 716 Euro pro Monat angehoben.
Das Ausbildungsgeld im ersten und zweiten Jahr des Berufsbildungsbereichs einer Werkstatt für behinderte Menschen beträgt ab 1. August 2019 117,- Euro. Eine Abstufung zwischen beiden Jahren im Berufsbildungsbereich (bislang 67,- Euro im ersten Jahr und 80,- Euro im zweiten Jahr) entfällt.

BAföG

  • Die Bedarfssätze werden um 5 Prozent angehoben werden. Der Höchstbetrag steigt von 735 auf 835 Euro pro Monat.
  • Der Wohnkostenzuschuss für BAföG-Berechtigte, die nicht bei ihren Eltern leben, steigt von 250 Euro auf 325 Euro.
  • Die Einkommensfreibeträge werden um 7 Prozent angehoben.
  • Der Krankenversicherungszuschlag steigt von 71 auf 84 Euro, der Pflegeversicherungszuschlag steigt von 15 auf 25 Euro.

Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz

  • Leistungen der Ausbildungsförderung im SGB III werden von Aufenthaltsstatus oder Voraufenthaltszeiten entkoppelt.
  • Bestimmter Leistungen der aktiven Arbeitsförderung für Menschen mit Aufenthaltsgestattung bereits während der ersten Monate des Aufenthalts werden entfristet.
  • Zugang für einen größeren Personenkreis mit Aufenthaltsgestattung und Duldung zu den Kursen der berufsbezogenen Deutschförderung.
  • Anspruch auf ALG I auch während der Teilnahme an einem Integrationskurs.

Quellen: Bundesgesetzblatt, FOKUS-Sozialrecht

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BTHG – Stand der Umsetzung in den Ländern (2)

Fortsetzung – Umsetzung in den Ländern (Stand Ende Juni 2019)

(Fett gedruckt sind die Regelungen, die seit unserem ersten Bericht über die Umsetzung in den Ländern dazugekommen sind)

Mecklenburg-Vorpommern

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    Landkreise und kreisfreie Städte
  • Rechtsgrundlagen:
    Änderung des Landesausführungsgesetzes SGB XII (AG-SGB XII M-V) (Änderung durch Gesetz zur Änderung des Landesausführungsgesetzes SGB XII und anderer Gesetze)
  • Bedarfsermittlungsinstrument:
    Die Fachaufsicht Sozialhilfe empfiehlt die landesweite Anwendung des ITP M-V für alle Fälle der Bedarfsermittlung in der Eingliederungshilfe.
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:
    Rat für Integrationsförderung von Menschen mit Behinderungen und chronischen ErkrankungenIntegrationsförderrat

Niedersachsen

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    ab 1.1.2020 geplant: Lebensaltersmodell – Kommunen für Minderjährige. Ab Volljährigkeit trägt das Land Niedersachsen die Kosten für Erwachsene (inkl. Kosten für die Altenpflege)
  • Rechtsgrundlage:
    „Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes“ seit Mai 2019 in der parlamentarischen Beratung
  • Bedarfsermittlungsinstrument:
    BedarfsErmittlung Niedersachsen (B.E.Ni)
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:
    keine Information

Nordrhein-Westfalen

Rheinland-Pfalz

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    geplant: Lebensaltermodell – Landkreise und kreisfreie Städte für Minderjährige. Das Land Reinland-Pfalz wird für Volljährige sowie für Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben auch bei Minderjährigen zuständig.
  • Rechtsgrundlagen:
    Landesgesetz zur Ausführung des Bundesteilhabegesetzes (AG BTHG)
  • Bedarfsermittlungsinstrument
    Individuelle Gesamtplanung Rheinland-Pfalz (noch nicht veröffentlicht)
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:
    Vertreter/innen des Landesbeirats zur Teilhabe behinderter Menschen Rheinland-Pfalz

Saarland

Sachsen

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    Landkreise und kreisfreien Städte soweit der Kommunale Sozialverband Sachsen (KSV) nicht zuständig ist; der KSV ist zuständig für alle teilstationären und stationären Leistungen für Volljährige sowie generell für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
  • Rechtsgrundlagen:
    Änderung des Sächsischen Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches (SächsAGSGB) (Änderung durch Gesetz zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Sozialgesetzbuch und zur Zuständigkeit des Kommunalen Sozialverbands Sachsen)
  • Bedarfsermittlungsinstrument:
    ITP Sachsen
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:
    Landesbeirat für die Belange der Menschen mit Behinderungen

Sachsen-Anhalt

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    Land Sachsen-Anhalt als überörtlicher Träger der Sozialhilfe wird auch Träger der Eingliederungshilfe; Landkreise und kreisfreien Städte können zur Ausführung im Einzelfall herangezogen werden.
  • Rechtsgrundlagen:
    Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (AG SGB XII) (Änderung durch Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe)
  • Bedarfsermittlungsinstrument:
    Übergangsinstrument (Bogen „ICF Erhebung Sachsen-Anhalt“) zur Übersetzung des Hilfebedarf in die Leistungsbereiche des Rahmenvertrages.
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:

Schleswig-Holstein

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    Landkreise und kreisfreien Städte; Land Schleswig-Holstein für übergeordnete Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben (z.B. Landesrahmenvereinbarungen)
  • Rechtsgrundlagen:
    Erstes Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (1. Teilhabestärkungsgesetz); Zweites Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (2. Teilhabestärkungsgesetz) – Entwurf
  • Bedarfsermittlungsinstrument:
    noch keine Informationen
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:
    Landesbeauftragte/r für Menschen mit Behinderung

Thüringen

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    Landkreise und kreisfreien Städte; Land Thüringen für übergeordnete Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben (z.B. Rahmenverträge, Standort- und Bedarfsplanung)
  • Rechtsgrundlagen:
    Thüringer Gesetz zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (ThürAGSGB IX) vom 21. September 2018
  • Bedarfsermittlungsinstrument:
    ITP Thüringen
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:
    LIGA der politischen Interessen- und Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen in Thüringen e.V.

Übrige Bundesländer: BTHG – Stand der Umsetzung in den Ländern (1)

Quellen: SOLEX, Umsetzungsbegleitung-BTHG.de

Abbildung: fotolia: group-418449_1280.jpg

BTHG – Stand der Umsetzung in den Ländern (1)

Anlass, noch einmal – wie vor einem halben Jahr – auf den Umsetzungsprozess des Bundesteilhabegesetzes in den Bundesländern zu schauen, ist der am 23.7. verabschiedete Landesrahmenvertrag in Nordrheinwestfalen.

Aktuell: Landesrahmenvertrag NRW

In einem ersten Schritt soll mit dem Landesrahmenvertrag die Umstellung des Vergütungssystems im Bereich des gemeinschaftlichen Wohnens vollzogen werden (Trennung der Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen). Eine  weitergehende Umstellung der Fachleistungen auf das veränderte Vergütungssystem entsprechend den Vorgaben des Leistungssystems Soziale Teilhabe im Landesrahmenvertrag soll step-by-step innerhalb der kommenden zwei bis drei Jahre erfolgen.

Alle weiteren Leistungen, die bisher über Leistungsvereinbarungen und Vergütungsvereinbarungen mit den Landschaftsverbänden geregelt waren, sollen in den kommenden drei Jahren innerhalb einer Umstellungsphase (zum Teil auch in längeren Fristen) nach den alten fachlichen Grundlagen und Vergütungsregelungen weitergeführt werden. Diese Umstellungsregelungen wird in der Anlage U beschrieben. Unter anderem bleibt die bisherige Leistungs- und Finanzierungssystematik mit der Differenzierung nach Leistungstypen und Hilfebedarfsgruppen und die erforderliche Eingruppierung der Leistungsberechtigten bestehen.

Umsetzung in den Ländern (Stand Ende Juni 2019)

(Fett gedruckt sind die Regelungen, die seit unserem ersten Bericht über die Umsetzung in den Ländern dazugekommen sind)

Baden-Württemberg

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    Stadt- und Landkreise; Delegation von Aufgaben der Eingliederungshilfe von Landkreisen auf kreisangehörige Gemeinden ist möglich.
  • Rechtsgrundlagen:
    Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (AGSGB IX) (Änderung durch Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Baden-Württemberg)
  • Übergangsvereinbarung
    zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Baden-Württemberg zwischen den Trägern der Eingliederungshilfe und den Vereinigungen der Leistungserbringer vom 18. April 2019.
  • Bedarfsermittlungsinstrument:
    BEI_BaWü – Erprobungsphase bis Mitte 2019.
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:
    Landesbehindertenbeauftragte/r sowie die weiteren, vom Landes-Behindertenbeirat nach § 16 L-BGG (Landesgesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen) benannten Interessenvertretungen.

Bayern

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    Bezirke (wie bisher)
  • Rechtsgrundlagen:
    Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) (Änderung durch Bayerisches Teilhabegesetz I – BayTHG I; siehe insbesondere den neuen Teil 7a, Art. 66a ff. sowie die Änderungen in Teil 10, Art. 80 ff.) sowie Änderung der Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG) (ebenfalls (Änderung durch Bayerisches Teilhabegesetz I – BayTHG I)
  • Bedarfsermittlungsinstrument:
    Einrichtung einer Arbeitsgruppe durch BayTHG I, Stand der Erarbeitung des Bedarfsermittlungsinstruments Bayern in der Dokumentation der Regionalkonferenz Bayern.
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:
    LAG SELBSTHILFE Bayern e.V. (§ 1 Art. 66c BayTHG I)

Berlin

Brandenburg

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    Landkreise und kreisfreien Städte, Das Land nimmt als überörtlicher Träger der Eingliederungshilfe übergeordnete, zentrale Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben wahr.
  • Rechtsgrundlage:
    Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes
  • Bedarfsermittlungsinstrument:
    ITP oder BEI-NRW
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:
    Der Landesbehindertenbeirat Brandenburg benennt bis zu drei Vertreterinnen und Vertreter zur Interessenvertretung für die Mitwirkung bei der Erarbeitung  und Beschlussfassung der Rahmenverträge

Bremen

Hamburg

Hessen

  • Träger der Eingliederungshilfe:
    Lebensaltersmodell – kreisfreie Städt und Landkreise für Minderjährige; Delegation der Landkreise auf größere Gemeinden ist möglich. Ab Volljährigkeit wird der Landeswohlfahrtsverband Hessen als überörtlicher Träger zuständig.
  • Rechtsgrundlagen:
    Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes
  • Bedarfsermittlungsinstrument:
    Der überörtliche Träger der Eingliederungshilfe (LWV Hessen): ITP
    Die Landkreise und kreisfreien Städte: Gesamt-/Teilhabeplan der Eingliederungshilfe (GTE)
  • Maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen gem. § 131 Abs. 2 SGB IX:
    Inklusionsbeirat bei der oder dem Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen

Übrige Bundesländer: BTHG – Stand der Umsetzung in den Ländern (2)

Quellen: SOLEX, Umsetzungsbegleitung-BTHG.de

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Übernahme objektiv unangemessener Unterkunftskosten

(Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 4. Juni 2019 – S 2 SO 184/18)

Der Fall

Ein Rentner- Ehepaar bezieht Altersrenten und ergänzend Grundsicherung im Alter. Sie bewohnen eine 62 qm große Wohnung für eine Bruttokaltmiete von 580 Euro. Die Klägerin ist gehbehindert und bewegt sich in der Wohnung mit Gehstock und Rollator fort. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit) und B (Berechtigung für eine ständige Begleitung) festgestellt. Inzwischen wurde ihr ein Rollstuhl verordnet. Das Sozialamt wies die Kläger darauf hin, dass nach den von einem Institut vorgenommenen statistischen Erhebungen in ihrem Umfeld eine Bruttokaltmiete von 461 Euro angemessen sei und forderte sie auf, eine kostengünstigere Wohnung zu suchen. Zunächst übernahm er aber für mehrere Jahre die tatsächlichen Kosten. Ab Mitte 2017 übernahm das Sozialamt nur noch die von ihm für angemessen gehaltenen Kosten und bemängelte, das Rentnerpaar habe sich nicht ausreichend bemüht eine günstigere Wohnung zu finden. Die beiden wandten ein, sie würden gerne in eine behindertengerechte Wohnung umziehen. Solche existierten aber nicht zu dem vom Sozialamt genannten Mietpreis. Sie könnten auch nicht aus ihrer Gegend wegziehen, weil ihre Töchter eigens zugezogen seien, um sie pflegerisch zu unterstützen.
Das Sozialgericht gab den Klägern Recht und verurteilte das Sozialamt, die Unterkunftskosten weiterhin voll zu übernehmen. Zwar sei die Wohnung der Kläger nach den vorliegenden statistischen Erhebungen zu teuer. Den betagten Klägern sei es jedoch nachvollziehbar nicht möglich, ohne Hilfe eine entsprechende Wohnung zu finden. Hilfestellung, etwa in Form von Übernahme von Maklerkosten, hatte das Amt nicht angeboten. Auch sei zweifelhaft, ob eine günstigere Wohnung, die den angesichts der Gehbehinderung der Klägerin speziellen Erfordernissen entspreche, verfügbar sei.

Gesetzliche Grundlage

Nach § 35 SGB XII werden Bedarfe für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, sofern sie angemessen sind. Angemessen ist in der Regel eine Miete in der Höhe des öffentlichen Mietspiegels. Höhere Mietkosten muss das Sozialamt normalerweise nur längstens für 6 Monate übernehmen. Es sei denn, es ist diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten, eine Kostensenkung herbeizuführen. In jedem Fall kann es sich lohnen, alle individuellen Gründe aufzuführen, die gegen einen Wohnungswechsel sprechen.

Prüfungsschema

Zur Prüfung der einzelfallbezogenen Angemessenheit hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 7.11.2006 (Az. B 7b AS 18/06) ein dreistufiges Prüfungsschema aufgestellt:

  • Prüfung der Wohnungsgröße:
    Die Angemessenheit einer Unterkunft für die Leistungsberechtigten lässt sich nur beurteilen, wenn die konkrete Größe der Wohnung festgestellt wird. Hierbei wird für die Angemessenheit der Größe einer Wohnung auf die landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Wohnungsbaus (Wohnraumförderungsgesetz) zurückzugreifen sein.
  • Prüfung des Wohnstandards:
    Sodann ist der Wohnstandard festzustellen, wobei dem Leistungsberechtigten lediglich ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Als Vergleichsmaßstab ist dabei in erster Linie der Wohnungsstandard am konkreten Wohnort heranzuziehen. Ein Umzug in eine andere Wohngemeinde kommt im Regelfall nicht in Betracht. Im Rahmen der Berücksichtigung dieser Faktoren ist nach der sogenannten Produkttheorie nicht auf eine Bewertung der einzelnen Faktoren abzustellen.
    Produkttheorie im engeren Sinne bedeutet, dass das Produkt aus der angemessene qm-Zahl mit dem Mietspiegelwert des jeweiligen Baujahres der Wohnung maßgeblich für die Angemessenheitsprüfung ist. Demnach kann ein Leistungsbezieher auch in einer größeren aber preiswerteren oder in einer kleineren aber pro qm teureren Wohnung wohnen, ohne dass die Übernahme der Unterkunftskosten versagt werden könnte.
    Das Bundessozialgericht weitet dieses Gedanken aus. Demnach kommt es darauf an, dass das Produkt aus Wohnstandard / Wohnlage und Preis der Wohnung im Bereich der Angemessenheit liegt.
  • Prüfung des örtlichen Wohnungsmarktes:
    Schließlich muss überprüft werden, ob nach der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes die Kläger tatsächlich auch die konkrete Möglichkeit haben, eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung anzumieten. Besteht eine solche konkrete Unterkunftsalternative nicht, sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als konkret angemessen anzusehen.

Diese zu Mietwohnungen entwickelten Grundsätze gelten auch, soweit Hilfebedürftige ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe bewohnen, das nicht als Vermögen berücksichtigt wird und daher den Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nicht von vornherein ausschließt. (Bundessozialgericht vom 2.7.2009 – B 14 AS 32/07 R).

Quellen: Pressemitteilung des Sozialgerichts Mannheim, SOLEX

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Übernahme von erforderlichen Reisekosten bei einer stationären medizinischen Rehabilitation für pflegende Angehörige

Im Hebammenreformgesetz, das noch in der parlamentarischen Beratung ist und zum 1.1.2020 in Kraft treten soll, hat die Bundesregierung eine Klarstellung, bzw. Ergänzung zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz untergebracht.

Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz wurde zum. 1. Januar 2019 der gesetzliche Anspruch eingeführt, dass die Krankenkassen auch die Kosten der Versorgung des Pflegebedürftigen  in der Kurklinik übernehmen muss, wenn der pflegende Angehörige eine medizinische Rehabilitation verschrieben bekommen hat. Vergessen wurde allerdings eine Regelung, wie es mit der Übernahme der Reisekosten aussieht. 

In Artikel 2 des Gesetzentwurfs wird § 60 Abs. 5 SGB V neu gefasst und damit klargestellt, dass die Krankenkassen bei einer stationären medizinischen Rehabilitation für pflegende Angehörige auch die Reisekosten für die Pflegebedürftigen im Falle ihrer Mitnahme übernehmen.

In § 73 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) werden Reisekosten als Oberbegriff geregelt, unter die auch die Fahrkosten fallen. In § 60 Absatz 5 SGB V wird deshalb ebenfalls ausschließlich der Oberbegriff der Reisekosten verwendet.

Bei einer medizinischen Rehabilitation für pflegende Angehörige sollen die Krankenkassen auch die für die Pflegebedürftigen erforderlichen Reisekosten entsprechend § 73 Absatz 1 und 3 SGB IX übernehmen, wenn die Pflegebedürftigen in derselben Rehabilitationseinrichtung wie die pflegenden Angehörigen versorgt werden (§ 40 Absatz 3 Satz 2 SGB V). Aus diesem Grund wird der für die Versicherten bestehende Anspruch auf die Übernahme der Reisekosten nach § 73 Absatz 1 und 3 SGB IX bei pflegenden Angehörigen auf die entsprechenden Reisekosten für den Pflegebedürftigen ausgeweitet.

Für den Fall, dass die Pflegebedürftigen in einer anderen als in der Einrichtung des pflegenden Angehörigen versorgt werden (§ 40 Absatz 3 Satz 3), hat die Krankenkasse des pflegenden Angehörigen ebenfalls die Reisekosten im entsprechenden Leistungsumfang der Regelung des § 73 Absatz 1 und 3 SGB IX zu übernehmen. Dies stellt sicher, dass in beiden Konstellationen auch derselbe Leistungsanspruch hinsichtlich dieser Kosten besteht.

Ergibt sich der Anspruch auf Versorgung des Pflegebedürftigen in diesen Fällen im Rahmen der Leistung der Kurzzeitpflege aus § 42 des Elften Buches, hat die für den Pflegebedürftigen zuständige Pflegekasse der Krankenkasse des pflegenden Angehörigen diese Kosten zu erstatten.

Die Ergänzung zu den Reisekosten soll rückwirkend zum 1.1.2019 gelten.

Quelle: Paritätischer Gesamtverband, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD

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