Leistungskürzungen aufgrund von Sanktionen im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind bereits seit längerem in der Kritik. Hier eine Übersicht über die aktuelle Statistik der Bundesagentur für Arbeit, eine Zusammenfassung zum dazu anhängigen Verfahren beim Bundesverfassungsgericht sowie die Mitteilung des Paritätischen Gesamtverbandes ein eigenes Konzept zur Reform der Hartz IV-Regelungen vorlegen zu wollen.
Zahlen der Bundesagentur für Arbeit
Die Jobcenter haben im Jahr 2017 Sanktionen gegen 952.840 Leistungsberechtigte ausgesprochen. Wie sich aus der Pressemitteilung der Bundesagentur für Arbeit ergibt, ist damit die Zahl der Leistungskürzungen im Vergleich zu 2016 um 13.700 gestiegen.
Gründe für die Sanktionen:
- Mit 77 Prozent (733.800 Leistungsberechtigte) entfällt ein Großteil der Sanktionen auf Melde- bzw. Terminversäumnisse.
- Gut 10 Prozent (98.860 Leistungsberechtigte) erhielten eine Leistungskürzung, weil sie sich weigerten, eine Arbeit oder eine Maßnahme aufzunehmen oder diese grundlos abgebrochen haben.
- Bei fast 9 Prozent (83.380 Leistungsberechtigte ) wurden Pflichtverletzungen gegen die Eingliederungsvereinbarung sanktioniert.
„Drei von vier Sanktionen entstehen schlicht deshalb, weil vereinbarte Termine im Jobcenter gar nicht erst wahrgenommen werden. Dabei bieten die Jobcenter auch einen Erinnerungsservice per SMS an“ so Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der BA. Den Erinnerungsservice per SMS haben die Jobcenter eingerichtet, um die Zahl der Terminversäumnisse zu reduzieren. Wenn sich Kunden für den Service angemeldet haben, wird 24 Stunden vor einem vereinbarten Termin eine Erinnerung auf das Handy verschickt. Wer dann nicht erscheint, muss mit einer Absenkung der reguläre Regelleistung um 10 Prozent rechnen.
Von Sanktionen sind junge Menschen unter 25 Jahren besonders betroffen, da das SGB II bei diesem Personenkreis („U25“) bereits beim ersten Regelverstoß, der über ein Meldeversäumnis hinausgeht, eine hundertprozentige Sanktion der Regelleistung vorsieht. Kommt innerhalb eines Jahres ein weiterer Pflichtverstoß dazu, kann zudem die Miete gekürzt werden. Scheele dazu: „Das bereitet uns Sorge, weil die strikten Sonderregelungen bei Jugendlichen zu besonders einschneidenden Leistungskürzungen führen“. Er zeigt sich hier offen für Veränderungen.
Generell sieht Scheele die Kürzung der Miete, von der sowohl Jugendliche als Erwachsene bei wiederholten Verstößen betroffen sind, als problematisch an: „Drohende Wohnungslosigkeit hilft uns bei der Vermittlung und auch sonst nicht weiter.“
Anhängiges Verfahren beim Bundesverfassungsgericht
Ob es an der polititschen Diskussion, die zu Hartz IV aufgeflammt ist oder an Berichten und Auswertungen der Mitarbeiter der Jobcenter, die den Vorstandsvorsitzenden der BA zu diesen kritischen Aussagen bewegt hat, ist nicht bekannt.
Möglicherweise liegt dies auch an der ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionsregelungen im SGB II.
Unter dem Aktenzeichen 1 BvL 7/16 wird das Verfahren geführt, das wohl noch in 2018 vom Bundesverfassungsgericht entschieden wird. Vorgelegt wurde die Frage, ob die Sanktionsregelungen in § 31a in Verbindung mit §§ 31 und 31b des SGB II mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatlichkeit) und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und mit Art. 12 GG vereinbar sind.
Auf den Prüfstand stellte das Sozialgericht Gotha die Hartz IV-Sanktionen. Es hatte Anfang August 2016 die Verfassungsmässigkeit der Sanktionsregeln gegen Arbeitsuchende im Bereich der Grundsicherung nach dem SGB II in Zweifel gezogen. und die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Vereinbarkeit der Sanktionsregeln mit dem Grundgesetz vorgelegt und das erstinstanzliche Verfahren ausgesetzt.
Dieser Sachverhalt liegt dem ausgesetzten Verfahren zugrunde: Der Kläger stand beim Jobcenter Erfurt im Leistungsbezug. Nachdem er zunächst ein Arbeitsangebot abgelehnt hatte, wurde ihm die Leistung um 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs monatlich gekürzt. Wegen einer weiteren Pflichtverletzung, der Kläger hatte gegen eine Eingliederungsvereinbarung verstoßen indem er einen Gutschein zur Erprobung bei einem Arbeitgeber nicht einlöste, verfügte das Jobcenter eine Minderung des Regelbedarfs um 60 Prozent. Dagegen beschritt der Kläger den Rechtsweg und reichte beim zuständigen Sozialgericht Gotha Anfechtungsklage ein. Zur Begründung hat er u.a. vorgetragen, dass eine Anwendung der Sanktionsregelungen des SGB II nicht in Betracht käme, da diese verfassungswidrig seien.
Die Richter des Sozialgerichts Gotha bezweifeln, dass § 31a i.V.m. §§ 31 und 31b SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, weil sich das für die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums maßgebliche Arbeitslosengeld II auf Grund von Pflichtverletzungen um 30 bzw. 60 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person maßgebenden Regelbedarfs mindert bzw. bei weiteren Pflichtverletzungen vollständig entfällt. Das Bundesverfassungsgericht habe in der Vergangenheit immer wieder betont, dass die Garantie der Menschenwürde eine Sicherstellung des Existenzminimums im Einzelfall verlangt. Es sei nunmehr aufgefordert, darüber entscheiden, welchen Spielraum der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Grundrechte, insbesondere des Schutzes der Menschenwürde und des Sozialstaatsprinzips habe.
Paritätischer kündigt eigenes Konzept zur Reform von Hartz IV an
In einer Pressemitteilung vom 11. April 2018 fordert der Partiätische Gesamtverband eine vollständige Abschaffung der Sanktionen. Notwendig sei eine komplette Neuausrichtung der Grundsicherung. Der Verband kündigt an, noch im April 2018 ein eigenes Konzept zur Reform von Hartz IV vorzulegen.
Der Verband begrüßt, dass auch der Vorstandsvorsitzende der BA Veränderungsbedarf einräume. Aus Sicht des Paritätischen sind jedoch kleine Korrekturen nicht ausreichend.
„Die Sanktionen gehören vollständig abgeschafft. Wir müssen weg von dieser misanthropischen Grundhaltung, die Hartz IV prägt, hin zu einem echten Hilfesystem. Hilfe statt Strafe muss die Richtschnur sein“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes.
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