Bundesteilhabegesetz (Teil 2) – Wunsch- und Wahlrecht

Der Paradigmenwechsel in der Eingliederungshilfe wurde formal mit der Herauslösung des Eingliederungsrechts aus dem SGB XII eingeleitet. Bislang orientieren sich Eingliederungshilfeleistungen an der Wohnform (Einrichtung, Betreutes Wohnen, Privathaushalt). Mit dem Bundesteilhabegesetz wird Eingliederungshilfe personenzentriert, am Bedarf des Betroffenen orientierte geleistet. Die Trennung von stationären, teilstationären und ambulanten Leistungen wird damit aufgehoben. Die Basis dafür bildet das novellierte Wunsch- und Wahlrecht in der Eingliederungshilfe.

Trennung der Leistungen

Das Wunsch- und Wahlrecht, das gemäß § 8 SGB IX für alle Rehabilitationsträger gilt, wird mit § 104 SGB IX für das Eingliederungsrecht noch einmal präzisiert. Dort wird das Prinzip der Personenzentrierung der Leistungen, unabhängig von der Wohnform, verankert. Demgemäß werden Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß dem individuellen Bedarf, den persönlichen Verhältnissen, dem Sozialraum und den Kräften und Mitteln der Leistungsberechtigten erbracht (§ 104 Abs. 1 SGB IX). Mit der Personenzentrierung entfällt die Differenzierung nach stationären, teilstationären und ambulanten Leistungen. Die Eingliederungshilfe konzentriert sich künftig auf die reinen Fachleistungen zur Förderung der Teilhabe. Existenzsichernde Leistungen werden von behinderungsbedingten Leistungen der Eingliederungshilfe getrennt. Die Existenzsicherung erfolgt über die Grundsicherung unabhängig von der Wohnform (SGB XII bzw. SGB II, vgl. auch § 93 SGB IX). Sonderregelungen für den Lebensunterhalt in Einrichtungen der Eingliederungshilfe fallen ersatzlos weg, darunter auch das Bekleidungsgeld und der Barbetrag. Hinsichtlich der existenzsichernden Leistungen zum Lebensunterhalt wird eine Gleichstellung mit Menschen ohne Behinderungen angestrebt.

Berechtigt, angemessen, zumutbar

Die Wunsch- und Wahlfreiheit der Leistungsberechtigten ist allerdings nicht unbegrenzt. Während im ersten Absatz des § 104 noch die individuelle Bestimmung der Teilhabeziele und des Leistungsanspruches hervorgehoben werden, wird dies im zweiten Absatz erheblich eingeschränkt. Es wird nun nicht mehr von „berechtigten“ Wünschen wie in § 8 SGB IX gesprochen, sondern von „angemessenen“ Wünschen. Nicht angemessen wären unverhältnismäßigen Mehrkosten.

Bei Auswahl und Ausführung der Leistungen muss gemäß § 8 den berechtigten Wünschen des Betroffenen entsprochen werden. Bei dieser Wertung, was „berechtigt“ ist, muss auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen werden.
Den Wünschen des Berechtigten soll entsprochen werden, soweit die gewünschten Leistungen angemessen sind. (§ 104 Abs. 2 SGB IX).
Das Kriterium der Angemessenheit ist nicht auf Kostengesichtspunkte beschränkt, sondern umfasst auch die Qualität der Leistung und deren Erfolgswahrscheinlichkeit im Hinblick auf die im Gesamtplan festgehaltenen Teilhabeziele. Das Erfordernis der Angemessenheit erfordert eine Bewertung aller oben genannten Tatbestandsmerkmale im Verhältnis zu den geäußerten Wünschen.

Nicht angemessen wären unverhältnismäßigen Mehrkosten. Damit diese messbar sind soll ein Kostenvergleich mit geeigneten und bedarfsdeckenden Leistungsalternativen von Leistungserbringen erfolgen. Eine Leistung ist hiernach allerdings nur dann mit einer anderen vergleichbar, wenn beide neben dem Teilhabeziel auch bezüglich der Leistungsform miteinander übereinstimmen und der individuelle Bedarf durch die im Vergleich betrachteten vereinbarten Leistungen gedeckt werden kann und diese wirklich verfügbar wären.
Dabei stellen die Kosten für vergleichbare Leistungen von Leistungserbringern ihrerseits noch nicht die Angemessenheitsobergrenze dar, sondern erst deren unverhältnismäßige Überschreitung, die gesondert zu prüfen ist. Die Kosten für vergleichbare Leistungen von Leistungserbringern sind noch nicht die Angemessenheitsobergrenze, sondern erst deren unverhältnismäßige Überschreitung, die gesondert zu prüfen ist. Die unverhältnismäßigen Mehrkosten sind ein rechnerisches Prüfkriterium, bei dem die regional verfügbaren Angebote der Leistungserbringer und übliche Kostenschwankungen in den Blick zu nehmen sind. Im Ergebnis des Vergleichs soll den Wünschen der Leistungsberechtigten nur dann entsprochen werden, wenn diese nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sind. Leistungsberechtigte werden in der Regel kaum in der Lage sein, die komplizierten Vergleichsrechnungen nachzuvollziehen, da ihnen die Kalkulationsunterlagen des herangezogenen Vergleichsanbieters nicht vorliegen. Die stehen aber dem Träger der Eingliederungshilfe zur Verfügung, der in dieser Entscheidungskonstellation eindeutig die besseren Karten hat.

Sollte es einen nicht angemessenen Wunsch geben, muss geprüft werden, ob die angebotene Alternative zumutbar ist. Dabei müssen die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände einschließlich der gewünschten Wohnform berücksichtigt werden.

Wünschen nach einem Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen, in denen ausschließlich Menschen mit Behinderungen betreut werden (früher: stationäre Einrichtungen) wird bevorzugt entsprochen werden, wenn beide Wohnformen im Rahmen der Angemessenheits- und Zumutbarkeitsprüfung gleich bewertet werden. Bei der Prüfung der Angemessenheit ist auch die bisherige Leistungsgewährung zu berücksichtigen. Was im geltenden Recht als angemessen angesehen wird, soll auch nach dem neuen Recht angemessen sein.

soziale Beziehungen

Im Bereich der Gestaltung sozialer Beziehungen und der persönlichen Lebensplanung muss ebenfalls den Wünschen des Betroffenen entsprochen werden, wenn er diese Leistungen nicht mit anderen gemeinsam in Anspruch nehmen will. Die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen mag zwar die Arbeit des Leistungsträgers erleichtern, sie kann aber nicht allein in sein Ermessen gestellt werden; vielmehr muss der Leistungsberechtigte auf Augenhöhe an der Entscheidung beteiligt werden. Daher muss die gemeinsame Inanspruchnahme von Fachleistungen für die Leistungsberechtigten zumutbar sein.

Entscheidend ist die Umsetzung

Abzuwarten bleibt, ob es in der Praxis gelingt, Wunsch- und Wahlrecht, Angemessenheit und Zumutbarkeit für alle zufriedenstellend unter einen Hut zu bringen.
Entscheidend ist der Umgang der Träger der Eingliederungshilfe und der Leistungserbringer im Alltag mit diesen Grundsätzen. Was wird im Einzelnen für zumutbar und angemessen gehalten? Gibt es dabei regionale Unterschiede?

Quellen: Deutscher Bundestag: „Bericht zum Stand und zu den Ergebnissen der Maßnahmen nach Artikel 25 Absatz 2 bis 4 des Bundesteilhabegesetzes“, SOLEX

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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Stärkung der Geburtshilfe

Das Bundesgesundheitsministerium hat ein Eckpunktepapier zur Stärkung der Hebammenversorgung vorgelegt. Die neuen Regelungen sollen in das Terminservice und Versorgungsgesetz eingebaut werden. Die Sicherstellung einer flächendeckenden Hebammenversorgung hat laut BMG eine wichtige gesundheitspolitische Bedeutung.

Gutachten

Zunächst soll ein Gutachten in Auftrag gegeben werden, das die Schaffung der notwendigen Informationsgrundlage zur Situation der stationären Geburtshilfe sowie zu den Ursachen möglicher Versorgungsengpässe zum Ziel hat, um den gesetzgeberischen Handlungsbedarf bestimmen und Maßnahmen für die Verbesserung der stationären Hebammenversorgung entwickeln zu können.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Hebammen und Entbindungspfleger zu verbessern. Hierbei sollen auch Betreuungsbedarfe rund um die Uhr – jenseits der üblichen Öffnungszeiten von Kitas abgedeckt werden.

Hebammensuche

Eine eine öffentlich bereitgestellte Vertragspartnerliste soll die Hebammensuche erleichtern. Diese Liste soll der Der GKV-Spitzenverband anbieten und dafür sorgen, dass diese Liste verlässlich und aktuell bleibt. Dazu soll eine umfassende Meldepflicht für Hebammen und Entbindungspfleger in das Gesetz aufgenommen werden.

Rückkehr in den Beruf

Die Rückkehr von Hebammen und Entbindungspfleger in den Beruf soll durch Informations- und Öffentlichkeitskampagnen gefördert werden. Die Bundesagentur für Arbeit fördert unter bestimmten Voraussetzungen geeignete Weiterbildungsmaßnahmen.  Zudem sollen Hebammen und Entbindungspfleger sowie potenzielle Arbeitgeber über die bestehenden Instrumente zur Förderung des Wiedereinstiegs besser informiert werden.

Geburtshilfe-Studium

Die Hebammenausbildung muss aufgrund der EU-Richtlinie 2005/36/EG bis zum 18. Januar 2020 novelliert werden. Um die daraus folgenden Vorgaben umzusetzen, soll die Zugangsvoraussetzung zur Hebammenausbildung von einer zehnjährigen auf eine zwölfjährige allgemeine Schulausbildung angehoben werden. Die Hebammenausbildung wird vollständig akademisiert. Das zukünftige Hebammenstudium wird sich an dem dualen Studium orientieren und einen hohen Praxisanteil aufweisen.

Quelle: BMG

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Kurzzeitpflege bei fehlender Pflegebedürftigkeit wird gut angenommen

Mit Geltung ab 1. Januar 2016 wurde ein Anspruch auf Kurzzeitpflege bei fehlender Pflegebedürftigkeit als neue Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Krankenhausstrukturgesetz eingeführt (§ 39c SGB V). Dieser Leistungsanspruch auf Kurzzeitpflege ergänzt die erweiterten Leistungsansprüche auf häusliche Krankenpflege (Unterstützungspflege) und auf Haushaltshilfe im Leistungskanon der gesetzlichen Krankenversicherung.

Wie aus einem aktuellen Bericht des GKV-Spitzenverbandes hervorgeht, wird diese Leistung gut angenommen. So haben die Krankenkassen im Jahr 2017 in insgesamt 18.5342 Fällen Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V erbracht. Seit dem Einführungsjahr 2016 haben die Krankenkassen zur Realisierung des Anspruchs auf Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V über 37 Mio. Euro gezahlt:

  • 2016: ca. 11,5 Mio. Euro.
  • 2017: ca. 17,0 Mio. Euro
  • 2018: rund 9,274 Mio. Euro (1./2. Quartal).

Übersicht über den Leistungsanspruch auf Kurzzeitpflege auf Kosten der GKV

Der Anspruch besteht, wenn

  • (noch) kein Pflegegrad 2, 3, 4, oder 5 nach dem SGB XI vorliegt, und
  • wegen schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung
    einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung, aufgrund krankheitsbedingter Einschränkungen im Bereich der Grundpflege und Hauswirtschaft Unterstützung notwendig ist.

Die Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V werden auf Antrag gewährt. Dem Antrag soll eine ärztliche Bescheinigung über die medizinische Notwendigkeit einer Kurzzeitpflege bei nicht vorliegender Pflegebedürftigkeit
beigefügt werden. Aus der Bescheinigung sollte zudem hervorgehen, dass aufgrund einer schweren Krankheit oder einer akuten Verschlimmerung einer Krankheit ein Kurzzeitpflegeaufenthalt indiziert ist.

Die Krankenkassen erbringen die Kurzzeitpflege für einen begrenzten Leistungszeitraum entsprechend der Konstruktion der Kurzzeitpflege im Bereich des SGB XI – also: Anspruch auf acht Wochen je Kalenderjahr und begrenzt auf einen Gesamtbetrag von bis zu 1.612 Euro im Kalenderjahr (vgl. § 42 Absatz 2 Satz 1 und 2 SGB XI).

Der Anspruch auf Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V setzt voraus, dass keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5 vorliegt. Das hat im Umkehrschluss jedoch nicht zur Folge, dass Versicherte mit Pflegegrad 1 per se einen Anspruch auf Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V haben.

Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V kommt bei Pflegegrad 1 nur in Betracht, wenn andere Leistungsansprüche den speziellen Bedarf der Versicherten bei schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere
nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung nicht im erforderlichen Maße abdecken. Zu prüfen ist, ob eine Haushaltshilfe oder häusliche Krankenpflege nicht ausreichend sind. Es gilt folgende Prüfreihenfolge:

  1. Besteht ausschließlich ein Bedarf auf hauswirtschaftliche Unterstützung,
    kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Haushaltshilfe nach § 38 Abs. 1 Satz 3 SGB V in Betracht, sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen.
  2. Besteht neben einem hauswirtschaftlichen auch ein grundpflegerischer
    Versorgungsbedarf, kommen Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 1a SGB V in Betracht.
  3. Besteht ein grundpflegerischer und ein hauswirtschaftlicher Versorgungsbedarf und reichen Leistungen der häuslichen Krankenpflege nicht aus, weil der Versorgungsbedarf rund um die Uhr – auch nachts – besteht oder unvorhersehbar zu jeder Tages- oder Nachtzeit eintreten kann und
    deshalb die Versorgung mangels ergänzender Unterstützung im persönlichen Umfeld des Versicherten nur im stationären Kontext ausreichend sichergestellt werden kann, kommen Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V in zugelassenen Kurzzeitpflegeeinrichtungen nach dem SGB XI oder in anderen geeigneten Einrichtungen in Betracht.

Quelle: Bericht des GKV-Spitzenverbandes zu den Erfahrungen mit der Einführung der Kurzzeitpflege bei fehlender Pflegebedürftigkeit (Unterrichtung durch die Bundesregierung, Drs. 19/6933)

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Hartz IV auch bei Pflegetätigkeit möglich

Wer sich um die Pflege eines Angehörigen kümmert, kann auch dann einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach SGB II (Hart IV) haben, wenn er trotz der Pflegetätigkeit eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, dann aber einen Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitgeber schließt, weil sich im Nachhinein herausstellt, dass sich die Arbeit doch nicht mit der Pflegetätigkeit vereinbaren lässt.

Im vorliegenden Fall lebt eine 38-jähigen Frau mit ihrer schwerbehinderten und pflegebedürftigen Mutter in einem Haushalt. Die Frau hatte eine Vollzeitstelle angenommen mit Schichtdienst angenommen. Zugleich kümmerte sie sich um die Pflege ihrer Mutter. Nachdem sich deren Gesundheitszustand verschlechtert hatte, konnte sie Arbeit und Pflege nicht mehr vereinbaren. Sie schloss daher mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag. Vom Jobcenter bezog sie Grundsicherungsleistungen (Hartz-IV).

Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bewertete das Jobcenter als sozialwidriges Verhalten (§ 34 SGB II) und forderte rund 7.100 Euro zurück. Die Frau habe schon bei Abschluss des Arbeitsvertrags gewusst, dass sie im Schichtdienst arbeiten würde und dass ein Umzug nicht möglich sei. Die Mutter habe die Pflegestufe II und die Tochter müsse nicht selbst die Pflege übernehmen. Dies könne auch durch einen Pflegedienst geschehen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei dafür nicht notwendig. Dieses Verhalten sei zumindest grob fahrlässig.

Dieser Rechtsauffassung schloss sich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen nicht an.

Grundsätzlich sei zwar jede Arbeit zumutbar (vgl. § 10 SGB II), wenn die Pflege von Angehörigen anderweitig sichergestellt werden könne. Selbst bei Pflegestufe II (wäre nach aktueller Rechtslage Pflegegrad 3) seien Arbeitszeiten von bis zu 6 Stunden täglich zumutbar. Dies sei im Falle der Klägerin jedoch nicht möglich. Sie habe im Schichtsystem auf Abruf mit variablen Zeiten gearbeitet. Die Einsatzzeiten seien erst vier Tage vor dem Einsatz mitgeteilt worden. Die dreimal täglich anfallende Pflege sei damit nicht zu vereinbaren.

Das Gericht hat zudem das Selbstbestimmungsrecht der Mutter berücksichtigt, die einen Pflegedienst ablehnte und nur ihre Tochter akzeptierte.

Dass die Klägerin dies alles vorher gewusst habe, stehe dem Anspruch auf Leistungen nicht entgegen. Auch angesichts der Erwerbsobliegenheit dürfe ein Leistungsempfänger die Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege austesten, ohne sich im Falle des Scheiterns einem Ersatzanspruch auszusetzen.

Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen , Urteil vom 12.12.2018, Az. L 13 AS 162/17 >> zum Volltext

Behandlungsmethoden per Ministerverordnung

Am Mittwoch, 16.1.2019, findet im Ausschuss für Gesundheit eine öffentliche Anhörung zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSGV) statt.  Für Aufsehen sorgt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Einführung eines neuen § 94a in das Sozialgesetzbuch Füntes Buch einführen will. Mit dieser Vorschrift würde das Bundesgesundheitsministerium ermächtigt, unabhängig von einer Entscheidung des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss, der dafür zuständig ist, über die Zulassung von Medikamentn und Behandlungsmethoden zu entscheiden) weitere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen.

In der Begründung zur Einführung des Ermächtigungsparagrafen heißt es, das Gesundheitsministerium (BMG) könne auch dann solche Methoden in den Leistungsumfang aufnehmen, wenn der G-BA sie abgelehnt habe, oder sie noch nicht genehmigt habe. Dies komme zum Beispiel dann in Betracht, wenn es für die entsprechende Krankheit keine oder keine zumutbare andere Behandlungsmethode in der gesetzlichen Krankenversicherung gebe. Das BMG werde solche Entscheidungen auf Grundlage der vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse nach Abwägung der Behandlungschancen und -risiken treffen.

CDU/CSU und SPD legten ihrem Antrag auch gleich einen Entwurf für eine Methodenaufnahmeverordnung (MAV) bei.

Der G-BA weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass Leistungen der Krankenkassen nach den grundlegenden Anforderungen des SGB V dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen müssten. Dies beinhalte nach ständiger Rechtsprechung und nach allen wissenschaftlichen Kriterien einen Wirksamkeitsnachweis, der zumindest ein positives Nutzen-Schaden-Verhältnis voraussetze. Dies sei ein elementarer Schutz vor unnützen oder gar schädlichen Behandlungen.

Dagegen sei der geplante neue § 94a SGB V ein Schritt zurück ins medizinische Mittelalter, denn er ersetze in der Bundesrepublik Deutschland die mittlerweile sich weltweit sogar in Schwellenländern als Standard durchsetzende evidenzbasierte (auf empirische Belege gestützte) Medizin durch früher geltende Prinzipien der eminenzbasierten (auf Vorgaben von Autoritäten gestützte) Medizin, die jahrhundertelang Grundlage für unwirksame und gefährliche Anwendungen war, wie etwa den Aderlass.

Letztlich diene die geplante Vorschrift den Partikularinteressen einzelner Leistungserbringer oder Medizinproduktehersteller.

Quellen: BMG, G-BA

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Hartz IV-Sanktionen vor dem Verfassungsgericht

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am Dienstag, 15. Januar 2019 über eine Vorlage des Sozialgerichts Gotha. Gegenstand sind die „Sanktionen“, die der Gesetzgeber im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) geregelt hat. In den §§ 31, 31a, 31b SGB II sind Mitwirkungspflichten von Leistungsberechtigten normiert, bei deren Verletzung das Arbeitslosengeld II in gestufter Höhe über einen starren Zeitraum von jeweils drei Monaten gemindert wird.

Grundgesetzwidrig?

Diese Vorschriften werden schon länger kritisiert, sind Gegenstand von Reformplänen, werden verteidigt von den Befürwortern des Prinzips des „Fördern und Fordern“. Nicht nur das Sozialgericht Gotha hält sie für verfassungswidrig. Nach dessen Ansicht verstoßen sie gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes) , gegen die verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit (Art.12 GG) und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

Artikel 1 GG – Existenzminimum

Der Gesetzgeber habe das Existenzminimum mit der Entscheidung über die Höhe des Regelbedarfs fixiert; dies dürfe nicht unterschritten werden. Im Fall einer Leistungskürzung werde der Bedarf nicht gedeckt, obwohl er sich tatsächlich nicht geändert habe. Damit verletze der Gesetzgeber das Gebot, eine menschenwürdige Existenz jederzeit realistisch zu sichern.

Das Bundesverfassungsgericht hat zweimal Regelungen, die von ihrer gesetzgeberischen Intention her der Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums dienen sollten, aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für verfassungswidrig erklärt:

Art.12 GG – Berufsfreiheit

Die Regelungen verstießen ferner gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit, denn eine sanktionierte Arbeitspflicht beeinträchtige die Berufswahlfreiheit und sei mittelbarer Arbeitszwang. Bereits die Drohwirkung, die eine Sanktionierungsmöglichkeit nach §§ 31 ff. SGB II entfaltet, ist geeignet, den freien und selbstbestimmten Entscheidungsprozess zu beeinträchtigen. Es ist naheliegend und vom Gesetzgeber gerade beabsichtigt, dass der Leistungsempfänger eine Kürzung der Zahlungen vermeiden will. Das führt dazu, dass er de facto genötigt wird, jede i. S. des Gesetzes zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 d SGB II oder ein gemäß § 16 e SGB II gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, unabhängig davon, ob dies seinem Willen oder seinem Verständnis von guter bzw. akzeptabler Arbeit entspricht. Die Sanktionsandrohung übt auf den Leistungsberechtigten einen faktischen Zwang aus, der einer imperativen Verpflichtung zur Aufnahme einer nicht gewollten Tätigkeit gleichkommt. Besonders augenscheinlich wird dieser Zwang im Fall einer 100 % Sanktion, wenn eine i. S. des SGB II zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit nicht genutzt wird.

Art.2 GG – körperliche Unversehrtheit

Auch stelle sich die Frage, ob der Gesetzgeber gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verstoße, wenn mit den Sanktionen die Gesundheit der Leistungsberechtigten gefährdet werde. Die gesundheitsschädlichen Folgen, die eine Sanktionierung mit sich bringen kann, ergeben sich aus der mangelhaften Versorgung mit Lebensmitteln, fehlender ärztlicher Versorgung, und der Gefährdung durch Obdachlosigkeit. Die Betroffenen werden durch die Sanktionen gezwungen, sich sozial zu isolieren, ungesund zu ernähren und sind durch die Unterschreitung des Existenzminimums in ihrem physischen und psychischen Wohlbefinden derart eingeschränkt, dass ihre körperliche Unversehrtheit und in einzelnen Fällen möglicherweise auch ihr Leben nicht mehr geschützt ist.
Quellen: Bundesverfassungsgericht, Sozialgericht Gotha

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Kindergrundsicherung

Die SPD Bundestagsfraktion hat in einem Positionspapier für das Jahr 2019 angekündigt, an einem Modell für eine zuverlässige und bedarfsgerechte Absicherung von Kindern zu arbeiten, das sie noch in diesem Jahr vorlegen wollen. Mit der SPD steht nach Grünen und LINKE nun schon die dritte Partei im Deutschen Bundestag hinter der Idee einer eigenständigen Kindergrundsicherung.

Die Forderung nach einer Kindergrundsicherung wird indes schon seit etwa 10 Jahren von verschiedenen Fachverbänden und Organisationen erhoben, die sich in dem Bündnis Kindergrundsicherung zusammengeschlossen haben. Das Bündnis wird unterstützt von der Arbeiterwohlfahrt, von der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen, von der deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie, vom Deutschen Kinderschutzbund, von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, von Pro Familia, vom Verband berufstätiger Mütter, vom Zukunftsforum Familie und von weiteren Verbänden und Organisationen sowie von diversen Wissenschaftlern.

Auf der Homepage des Bündnissen kann man auch näheres über die mögliche Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung erfahren. Zunächst werden die Widersprüche im gegenwärtigen Sozialsystem eschrieben:

  • Kinder von Erwerbslosen bzw. Geringverdienern/innen beziehen je nach ihrem Alter Sozialgeld in Höhe von 240 bis 316 Euro pro Monat.
  • Kinder von Erwerbstätigen mit unteren und mittleren Einkommen erhalten monatlich 194 Euro (für das erste und zweite Kind), 225 Euro (für das dritte Kind) und 223 Euro (für das vierte und alle weiteren Kinder) Kindergeld.
  • Die Kinder von Gut- und Spitzenverdiener/innen hingegen profitieren mit steigendem Einkommen von den steuerlichen Kinderfreibeträgen. Diese wirken sich aufgrund des progressiven Steuersystems bei den höchsten Einkommen am stärksten aus. Aktuell beträgt die maximale Entlastung aufgrund der Freibeträge gut 300 Euro monatlich. Zusätzlich können Bezieher/innen hoher Einkommen ihre Ausgaben für häusliche Kinderbetreuung und/oder für Privatschulen steuersparend absetzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in verschiedenen Entscheidungen das Existenzminimum für Kinder festgelegt. Aktuell (2019) beträgt die Höhe des verfassungsrechtlich notwendigen Existenzminimums 635 Euro monatlich. Es besteht aus

  • 415 Euro  – dem sächlichen Existenzminimum und
  • 220 Euro – dem Freibetrag für die Betreuung und Erziehung bzw. Ausbildung (BEA)

Um das Ziel zu erreichen, dass alle Kinder gleich behandelt wird, lautet der Vorschlag, künftig alle Kinder mit einer Kindergrundsicherung in Höhe von 635 Euro monatlich abzusichern. Im Gegenzug schlägt das Bündnis vor, dass Kinderfreibeträge, Kindergeld, Sozialgeld und weitere pauschal bemessene Transfers in der neuen Leistung aufgehen.

Die am stärksten von Armut betroffenen Gruppen sollten deutlich besser gestellt werden, etwa Alleinerziehende oder Familien mit mehreren Kindern. Daher soll  die Kindergrundsicherung mit steigendem Einkommen langsam absinken.

Die Kindergrundsicherung muss einfach, unbürokratisch und automatisch ausgezahlt werden, damit sie auch tatsächlich ankommt. Schnittstellen zwischen Leistungen müssen gut aufeinander abgestimmt sein.

Quellen: SPD-Fraktion, Bündnis Kindergrundsicherung,
Hans Böckler Stiftung: „Kindergrundsicherung, Kindergeld und Kinderzuschlag: Eine vergleichende Analyse aktueller Reformvorschläge“ Irene Becker und Richard Hauser, März 2012

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Freiwilligendienste auch in Teilzeit

Nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz (JFDG) kann ein Freiwilligendienst nur vergleichbar einer Vollzeitbeschäftigung geleistet werden (§ 2 Absatz 1 JFDG). Dies gilt entsprechend für Freiwillige im Bundesfreiwilligendienst, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 2 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes (BFDG)). Davon abweichende Regelungen für Freiwilligendienstleistende unter 27 Jahren gibt es bislang weder im JFDG noch im BFDG.

Gesetzentwurf

Auch für unter 27-Jährige soll es zukünftig möglich sein, einen Freiwilligendienst in Teilzeit zu absolvieren. Mit dem jetzt beschlossenen Gesetzesentwurf des BMFSJ (FWDTeilzeitG) sollen die Rahmenbedingungen verbessert und die Chancen für mehr Engagement erhöht werden.

Einen freiwilligen Dienst in Teilzeit können jedoch nur diejenigen leisten, die ein berechtigtes Interesse an einer Teilzeitarbeit haben.

Laut Gestzesbegründung besteht ein berechtigtes Interesse, wenn der/die Freiwillige, wenn

  • ein eigenes Kind oder einen nahen Angehörigen zu betreuen haben,
  • schwerbehindert sind und nicht die regelmäßige tägliche oder wöchentliche Dienstzeit absolvieren können oder
  • vergleichbare schwerwiegende Gründe gegeben sind.

Kritik

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte prompt diese Regelung als nicht zielführend, wolle man mehr Freiwillige gewinnen: „Die Definitionshoheit, was ein berechtigtes Interesse ist, sollte in Verantwortung der direkt an den Freiwilligendiensten beteiligten Akteure liegen. Dies sind die jugendli-chen Freiwilligen selbst, die Freiwilligendienstträger und die Einsatzstellen.“

Der Gesetzentwurf stellt allerdings klar, dass nicht geplant ist, einen Rechtsanspruch auf Teilzeit zu installieren.

Seminare

Die Anzahl der Seminartage soll auch bei Teilzeit-Freiwilligen derjenigen im Vollzeitdienst entsprechen. Seminartage können auch teiltägig gestaltet werden, wobei dann mehr teiltägige Seminartage erforderlich sind, um dem Umfang der Seminartage im Vollzeitdienst zu entsprechen.
Dies ist allerdings ein Punkt, bei denen sich die Dienststellen sicher schwertun werden, einer Teilzeit zuzustimmen, wenn nach einer Woche Seminar erst mal Arbeitstage wegfallen, um die dadurch angefallenen Überstunden auszugleichen.

Taschengeld

Das Taschengeld soll bei Freiwilligen in Teilzeit anteilmäßig gekürzt werden. Da das Taschengeld plus Gewährung von Unterkunft und Verpflegung (oder die entsprechenden Geldleistungen dafür) das Existenzminimum des Freiwilligen sichern soll, heißt dies für viele Teilzeitler, dass sie sich anderweitig Geld dazu verdienen müssten, um auf das Existenzminimum zu kommen.
Das Taschengeld darf die Höhe von 6% der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung nicht übersteigen, das heißt für das Jahr 2019: 402 Euro.

Quellen: BMSFJ, Der Paritätische

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Bundesteilhabegesetz (Teil 1) – Umsetzung in den Ländern

In loser Folge werden wir in diesem Jahr über einzelne Aspekte des Bundesteilhabegesetzes und des neuen SGB IX ab 2020 berichten. In diesem Jahr (2019) stehen nicht nur die Leistungsträger in den Ländern, sondern auch die Leistungserbringer wie Werkstätten für Behinderte, ambulante Dienste und Einrichtungen, die stationäres Wohnen anbieten, und nicht zuletzt die Betroffenen – die Leistungsempfänger, ihre Angehörigen, ihre rechtlichen Betreuer vor großen Herausforderungen, um die Umsetzung der Neureglungen möglichst unfallfrei zu bewältigen.

BTHG – Aufgaben der Bundesländer

Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Stand der Dinge in den einzelnen Bundesländern. Zahlreiche Bestimmungen des BTHG werden durch Landesgesetze konkretisiert. Dabei gibt es auf Landesebene notwendige Umsetzungsmaßnahmen und gesetzgeberische Gestaltungsspielräume.

Notwendige Umsetzungsmaßnahmen

  • Bestimmung der zukünftigen Träger der Eingliederungshilfe (§ 94 Abs. 1 SGB IX)
  • Hinwirkung auf flächendeckende, bedarfsdeckende, am Sozialraum orientierte und inklusiv ausgerichtete Angebote von Leistungsanbietern sowie Unterstützung der Träger der Eingliederungshilfe bei der Umsetzung ihres Sicherstellungsauftrags (§ 94 Abs. 3 SGB IX-neu)
  • Bildung von Arbeitsgemeinschaften zur Förderung und Weiterentwicklung der Strukturen der Eingliederungshilfe (§ 94 Abs. 4 SGB IX-neu)
  • Bestimmung der maßgeblichen Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen, die an der Erarbeitung und Beschlussfassung der Rahmenverträge mitwirken (§ 131 Abs. 2 SGB IX)

Gesetzgeberische Gestaltungsspielräume (u. a. Öffnungsklauseln)

  • Bestimmungen zur Komplexleistung Frühförderung, darunter nach Landesrecht zugelassene Einrichtungen mit vergleichbarem interdisziplinären Förder-, Behandlungs- und Beratungsspektrum wie interdisziplinäre Frühförderstellen (§ 46 Abs. 2 SGB IX) und andere als pauschale Abrechnungen vorzusehen (§ 46 Abs. 5 SGB IX)
  • Ermöglichung der Leistungen durch andere Leistungsanbieter (§ 60 Abs. 3 SGB IX) und Präzisierung der fachlichen Qualitätsstandards und Voraussetzungen für die Zulassung anderer Leistungsanbieter
  • Abweichung nach oben von dem vorgesehenen Prozentsatz der Bezugsgröße (40 Prozent der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV, 1.246 Euro für das Jahr 2019) im Kontext des Budgets für Arbeit (§ 61 Abs. 2 SGB IX)
  • Nähere Bestimmung über die Zusammensetzung und das Verfahren der Arbeitsgemeinschaften (§ 94 Abs. 4 SGB IX-neu)
  • Bestimmung, dass der für die Leistungen der häuslichen Pflege zuständige Träger der Sozialhilfe die Kosten der vom Träger der Eingliederungshilfe erbrachten Leistungen der häuslichen Pflege zu erstatten hat (§ 103 Abs. 2 SGB IX-neu)
  • Nähere Bestimmung des Instruments zur Bedarfsermittlung durch Rechtsverordnung (§ 118 Abs. 2 SGB IX-neu)
  • Möglichkeit der Einführung anlassloser Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen bei Leistungserbringern (§ 128 Abs. 1 SGB IX-neu)
  • Nähere Bestimmungen zur Schiedsstelle (§ 133 Abs. 5 SGB IX-neu)

Stand in den einzelnen Ländern

hier nur der Stand der notwendigen Umsetzungsmaßnahmen, insbesondere die Bestimmung der zukünftigen Träger der EIngliederungshilfe

Baden-Württemberg

Träger der Eingliederungshilfe:
Stadt- und Landkreise; Delegation von Aufgaben der Eingliederungshilfe von Landkreisen auf kreisangehörige Gemeinden ist möglich.
Rechtsgrundlagen:
Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (AGSGB IX) (Änderung durch Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in Baden-Württemberg)

Bayern

Träger der Eingliederungshilfe:
Bezirke (wie bisher)
Rechtsgrundlagen:
Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) (Änderung durch Bayerisches Teilhabegesetz I – BayTHG I; siehe insbesondere den neuen Teil 7a, Art. 66a ff. sowie die Änderungen in Teil 10, Art. 80 ff.) sowie Änderung der Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG) (ebenfalls (Änderung durch Bayerisches Teilhabegesetz I – BayTHG I)

Berlin

Träger der Eingliederungshilfe:
bis 31.12.2019: Land Berlin, vertreten durch die Bezirksämter; Regelung ab 1.1.2020 ist noch offen
Rechtsgrundlagen:
Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB XII) (Änderung durch Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch)

Brandenburg

Träger der Eingliederungshilfe: noch keine Regelung bekannt

Bremen

Träger der Eingliederungshilfe: noch keine Regelung bekannt

Hamburg

Träger der Eingliederungshilfe:
Freie und Hansestadt Hamburg (wie bisher)
Rechtsgrundlagen:
Hamburgisches Gesetz zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (AG-SGB IX) vom 21. Juni 2018

Hessen

Träger der Eingliederungshilfe:
Lebensaltersmodell – kreisfreie Städt und Landkreise für Minderjährige; Delegation der Landkreise auf größere Gemeinden ist möglich. Ab Volljährigkeit wird der Landeswohlfahrtsverband Hessen als überörtlicher Träger zuständig.
Rechtsgrundlagen:
Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (HAG/SGB XII) (Änderung durch Viertes Gesetz zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch sowie Gesetz zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und zur Aufhebung der Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch)

Mecklenburg-Vorpommern

Träger der Eingliederungshilfe:
Landkreise und kreisfreie Städte
Rechtsgrundlagen:
Änderung des Landesausführungsgesetzes SGB XII (AG-SGB XII M-V) (Änderung durch Gesetz zur Änderung des Landesausführungsgesetzes SGB XII und anderer Gesetze)

Niedersachsen

Träger der Eingliederungshilfe:
ab 1.1.2020 geplant: Lebensaltersmodell – Kommunen für Minderjährige. Ab Volljährigkeit trägt das Land Niedersachsen die Kosten für Erwachsene (inkl. Kosten für die Altenpflege)

Nordrhein-Westfalen

Träger der Eingliederungshilfe:
Landschaftsverband Rheinland und Landschaftsverband Westfalen-Lippe; Fachleistungen für Minderjährige, die in der Herkunftsfamilie leben, bleiben bis Schulabschluss bei den Landkreisen und kreisfreien Städten.
Rechtsgrundlagen:
Ausführungsgesetz zum Neunten Buch Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB-IX NRW) vom 21. Juli 2018, berichtigt am 16. August 2018 sowie Änderung des Landesausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) – Sozialhilfe – für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB XII NRW)

Rheinland-Pfalz

Träger der Eingliederungshilfe:
geplant: Lebensaltermodell – Landkreise und kreisfreie Städte für Minderjährige. Das Land Reinland-Pfalz wird für Volljährige sowie für Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben auch bei Minderjährigen zuständig.

Saarland

Träger der Eingliederungshilfe:
Land Saarland (Landesamt für Soziales)
Rechtsgrundlagen:
Gesetz zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch vom 13. Juni 2018 sowie Änderung des Gesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AGSGB XII)

Sachsen

Träger der Eingliederungshilfe:
Landkreise und kreisfreien Städte soweit der Kommunale Sozialverband Sachsen (KSV) nicht zuständig ist; der KSV ist zuständig für alle teilstationären und stationären Leistungen für Volljährige sowie generell für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Rechtsgrundlagen:
Änderung des Sächsischen Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches (SächsAGSGB) (Änderung durch Gesetz zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Sozialgesetzbuch und zur Zuständigkeit des Kommunalen Sozialverbands Sachsen)

Sachsen-Anhalt

Träger der Eingliederungshilfe:
Land Sachsen-Anhalt als überörtlicher Träger der Sozialhilfe wird auch Träger der Eingliederungshilfe; Landkreise und kreisfreien Städte können zur Ausführung im Einzelfall herangezogen werden.
Rechtsgrundlagen:
Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (AG SGB XII) (Änderung durch Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe)

Schleswig-Holstein

Träger der Eingliederungshilfe:
Landkreise und kreisfreien Städte; Land Schleswig-Holstein für übergeordnete Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben (z.B. Landesrahmenvereinbarungen)
Rechtsgrundlagen:
Gesetz zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB IX) vom 22. März 2018 sowie Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB XII)

Thüringen

Träger der Eingliederungshilfe:
Landkreise und kreisfreien Städte; Land Thüringen für übergeordnete Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben (z.B. Rahmenverträge, Standort- und Bedarfsplanung)
Rechtsgrundlagen:
Thüringer Gesetz zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (ThürAGSGB IX) vom 21. September 2018

Quellen: SOLEX, Umsetzungsbegleitung-BTHG.de
Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

Abbildung: fotolia: group-418449_1280.jpg

Reform des Kinderzuschlags

Nach „Gute Kita“ jetzt „Starke Familien“. Mit dem Starke-Familien-Gesetz – (StaFamG) möchte die Bundesregierung die Regelungen zum Kinderzuschlag reformieren. Hauptkritikpunkte am Kinderzuschlag sind:

  • zu wenig
  • zu kompliziert
  • der Übergang zwischen Kinderzuschlag und kein Kinderzuschlag zu abrupt („Abbruchkante“)

Referentenentwurf

Nun liegt ein Referentenentwurf vor der im Wesentlichen folgendes beinhaltet:

  • Erhöhung des Kinderzuschlags von bisher maximal 170 € auf maximal bis zu 183 €, (§ 6a Abs. 2 BKGG n.F.) – geplant zum 1.7.2019
  • Weniger Anrechnung von Kindeseinkommen, (§ 6a Abs. 3 BKGG n.F.) – geplant zum 1.7.2019
  • Ein einheitlicher Bewilligungszeitraum von sechs Monaten soll festgelegt werden, ( § 6a Abs. 7 BKGG n.F.) – geplant zum 1.7.2019
  • Abschaffung der Abbruchkante, an der der Kinderzuschlag bisher abrupt wegfällt, dazu werden Einkommensgrenzen angehoben, (§ 6a Abs. 1 BKGG n.F.) – geplant zum 1.1.2020
  • neuer erweiterter Kinderzuschlag für Eltern, denen mit Erwerbseinkommen, dem Kinderzuschlag und ggf. dem Wohngeld höchstens 100 € fehlen, um den Grundsicherungsbezug zu vermeiden, (§ 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG n.F.) – geplant zum 1.1.2020
  • Erhöhung des Betrags beim Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) für die Ausstattung mit persönlichen Schulbedarf in zwei Schritten von bisher 100 € auf 150 € sowie Streichung des Eigenanteils der Eltern, ( § 28 Abs. 3 SGB II n.F. und § 34 Abs. 3 und 3a SGB XII n.F.) – geplant zum 1.1.2020
  • Wegfall der Eigenanteile bei Mittagsverpflegung/Schülerbeförderung beim BuT, (§ 28 Abs. 4 SGB II n.F., § 34 Abs. 4 SGB XII n.F. und § 28 Abs. 6 Satz 1 SGB II n.F.; § 34 Abs. 6 Satz 1 SGB XII n.F., § 42a SGB XII n.F.) – geplant zum 1.1.2020
  • Lernförderung wird unabhängig von der Versetzungsgefährdung gewährt, (§ 28 Abs. 5 SGB II n.F.; § 34 Abs. 5 SGB XII) – geplant zum 1.1.2020

Stellungnahmen

In den ersten Stellungnahmen werden zwar einige Punkte des Gesetzesvorhabens begrüßt, aber der Entwurf wird insgesamt als halbherzig oder gar enttäuschend beschrieben.

Nach wie vor sind die Regelungen zum Kinderzuschlag zu kompliziert. Kritisiert wird auch, dass für die Inanspruchnahme der Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket gesonderte Antragsverfahren notwendig sind. Auch dieser Gesetzentwurf bleibe damit – trotz der zu begrüßenden systematischen Anbindung des Kinderzuschlags an das sächliche Existenzminimum – in der bestehenden Systematik mit all ihren Schwierigkeiten, bemängelt der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge.

Stattdessen müsse, so die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände (BAGFW), eine Bündelung zentraler monetärer Leistungen zu einer existenzsichernden Grundsicherung für Kinder erfolgen. Auch der Kinderschutzbund hält dies für erforderlich.

Quellen: BAGFW, Deutscher Kinderschutzbund, Deutscher Verein, Bundesfamilienministerium

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