Leistungen der häuslichen Krankenpflege für Bewohner von Demenz-WGs

Das Bayerische Landessozialgericht hat entschieden, dass die Bewohner von Senioren- und Demenzwohngruppen grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen der medizinischen Behandlungspflege gegenüber ihrer Krankenkasse haben. (Bayerisches LandessozialgerichtUrteil vom 20.08.2019 – L 5 KR 402/19, L 5 KR 403/19, L 5 KR 404/19 -)

Einfachste medizinische Behandlungspflege

Im zugrunde liegenden Streitfall verweigerte eine große bayerische Krankenkasse Senioren, die in Demenz- oder Senioren-Wohngemeinschaften leben, die Leistungen zur häuslichen Krankenpflege wie An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen, Medikamentengabe, Blutzuckermessungen, obwohl eine ärztliche Verordnung vorlag. Sie begründete dies damit, dass es sich dabei um Maßnahmen handle, die keine medizinische oder pflegerische Fachkunde erfordern und daher von anderen Personen, die in der WG sich um die Betreuung der Bewohner kümmern, durchzuführen seien.

Leistungspflicht der Krankenkasse

Das Bayerische Landessozialgericht bejahte dagegen einen Anspruch auf Leistungen der medizinischen Behandlungspflege gegenüber der Krankenkasse. Das Gericht verwies darauf, dass der Anspruch auch für Maßnahmen der sogenannten einfachsten medizinischen Behandlungspflege gelte, die grundsätzlich auch von medizinischen Laien geleistet werden könnte. Hierunter falle zum Beispiel auch das Messen von Blutzucker, das Verabreichen von Medikamenten, das Anziehen von Kompressionsstrümpfen. Ein solcher Anspruch könne dann entfallen, wenn aufgrund eines Vertrages, z.B. des Betreuungsvertrages der Wohngruppe, diese Leistungen ausdrücklich im Rahmen der Betreuung zu erbringen sind. In allen anderen Fällen bleibe es allerdings bei der Leistungspflicht der Krankenkasse.

Das Bayerische LSG hat die Berufungen der Krankenkasse zurückgewiesen und in allen drei Fällen die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Bundessozialgericht

In den vergangenen Jahren gab es in ähnlich gelagerten Fällen aus dem Bereich der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Einrichtungen Urteile des Bundessozialgerichts. (Siehe Beitrag vom 8.10.2018)

Kurzgefasst lautet das Ergebnis: Einfachste Tätigkeiten der medizinischen Behandlungspflege können vom Betreuungspersonal in den Einrichtungen ausgeführt werden, müssen daher nicht von der Krankenkasse finanziert werden. Ob das allerdings in Demenz-WGs auch möglich ist, darum geht es letztlich bei dem aktuellen Streitfall.

Häusliche Krankenpflege Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat am 23. August 2019 die neueste Fassung der Häusliche Krankenpflege-Richtlinie herausgegeben. Diese Richtlinie regelt die Verordnung häuslicher Krankenpflege, deren Dauer und deren Genehmigung durch die Krankenkassen sowie die Zusammenarbeit der Vertragsärztinnen und
Vertragsärzte mit den die häusliche Krankenpflege durchführenden ambulanten Pflegediensten und den Krankenhäusern.

Quelle: FOKUS-Sozialrecht, Haufe

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Bundesteilhabegesetz (Teil 19) – Gesamtplanung

Dem Gesamtplan in der Eingliederungshilfe wird im Kontext einer personenorientierten Leistungserbringung eine Schlüsselfunktion zugesprochen. Das Gesamtplanverfahren stärkt auch die Teilhabe der Leistungsberechtigten am Verfahren insgesamt. Allerdings ist das Verfahren sehr kompliziert und komplex. Um wirklich gegenüber dem Leistungsträgern und Leistungserbringern eine, auf dem Papier vorhandene, gleichberechtigte Position zu erhalten, bedarf es viel Kenntnis, Energie und Selbstbewusstsein der Leistungsberechtigten, ihrer Vertrauenspersonen und ihrer gesetzlichen Vertreter. Bei der Beteiligung mehrerer Rehabilitationsträger ist auch die notwendige Transparenz nur schwer zu erreichen. Deswegen ist eine gute Beratung um so wichtiger.

Rechtsgrundlagen sind die §§ 117 bis 122 SGB IX

Gesamtplanverfahren

§ 117 SGB IX

Das Gesamtplanverfahren ist nach folgenden Maßstäben durchzuführen:

  1. Information und Beratung, Beteiligung des Leistungsberechtigten
    Im Vorfeld des Verfahrens haben Betroffene einen Anspruch auf Information und Beratung. Der Träger der Eingliederungshilfe ist nach § 106 SGB IX zur umfassenden und kostenfreien Beratung und Unterstützung verpflichtet. Außerdem stehen das Beratungsangebot der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabe-Beratungsstellen (EUTB) nach § 32 SGB IX zur Verfügung. Über die Möglichkeit, sich bei der EUTB und bei staatlichen Stellen beraten zu lassen, müssen Leistungsträger und Leistungserbringer informieren.
  2. Dokumentation der Wünsche des Leistungsberechtigten zu Ziel und Art der Leistungen
  3. Bei der Durchführung des Gesamtplan Verfahrens müssen folgende Kriterien beachtet werden:
    transparent: Das Verfahren soll so gestaltet werden, dass alle Beteiligten, vor allem aber der Leistungsberechtigte unter Berücksichtigung seiner kommunikativen Fähigkeiten, Ziel, Ablauf und Hintergrund des Gesamtplanverfahrens nachvollziehen  können.
    trägerübergreifend: Die Bedarfsermittlung darf sich nicht nur auf die Teilhabeaspekte beschränken, die mithilfe von Eingliederungshilfeleistungen voraussichtlich überwunden werden können, sondern hat die Bedarfe einer Person ganzheitlich auf der Basis des bio-psycho-sozialen Modells der ICF zu erfassen.
    interdisziplinär: Am Gesamtplanverfahren sind die fachlichen Disziplinen zu beteiligen, die die für die Ermittlung und Feststellung des Bedarfs notwendige Fachkompetenz mitbringen.
    konsensorientiert: Bestehen unterschiedliche Auffassungen zum Bedarf oder über Ziel, Art und Umfang der Leistungen, so hat der Träger der Eingliederungshilfe darauf hinzuwirken, dass eine konsentierte Entscheidung unter Beteiligung der leistungsberechtigten Person erreicht wird. Hierzu eignet sich etwa die Gesamtplan-/Teilhabeplankonferenz.
    individuell: Das Gesamtplanverfahren ist auf die individuellen Bedarfe des Menschen mit Behinderungen ausgerichtet. Es erfolgt personenzentriert.
    lebensweltbezogen: Die konkreten und individuellen Alltagsbezüge (familiäre und andere soziale Beziehungen, individuelle Lebensbedingungen, Alltagserfahrungen und Hintergründe) sind zu berücksichtigen.
    sozialraumorientiert: Der Sozialraum und seine Ressourcen sind bei der Bedarfsermittlung und -feststellung zu berücksichtigen, sowohl in der Form der Barrieren, die ein Sozialraum beinhalten kann als auch in seinen Förderfaktoren.
    zielorientiert: Ziele können sowohl Förderziele als auch Erhaltungsziele sein. Diese Ziele können in einer Teilhabezielvereinbarung vereinbart werden.
  4. Ermittlung des individuellen Bedarfes,
  5. Durchführung einer Gesamtplankonferenz,
  6. Abstimmung der Leistungen nach Inhalt, Umfang und Dauer in einer Gesamtplankonferenz unter Beteiligung betroffener Leistungsträger.

Vertrauensperson

Auf Verlangen des Leistungsberechtigten kann eine Person ihres Vertrauens am Gesamtplanverfahren beteiligt werden. Dies kann insbesondere auch ein ihn beratender anderer Mensch mit Behinderung oder eine von den Leistungsträgern so weit wie möglich unabhängige Beratungsinstanz sein.

Anhaltspunkte für Pflegebedürftigkeit

Wenn Anhaltspunkte für eine Pflegebedürftigkeit vorliegen, muss die zuständige Pflegekasse mit Zustimmung des Leistungsberechtigten informiert und am Gesamtplanverfahren beteiligt werden, soweit dies für die Feststellung der Leistungen der Eingliederungshilfe erforderlich ist. Die Pflegekasse ist im Rahmen des Gesamtplanverfahrens nicht wie ein Rehabilitationsträger oder entsprechende andere Leistungsträger beteiligt, sondern wird beratend mit einbezogen.

Anhaltspunkte für einen Bedarf an notwendigem Lebensunterhalt

Wenn Anhaltspunkte für einen Bedarf an notwendigem Lebensunterhalt vorliegen, ist der Träger dieser Leistungen mit Zustimmung des Leistungsberechtigten zu informieren und am Gesamtplanverfahren zu beteiligen.

Instrumente der Bedarfsermittlung

§ 118 SGB IX

Die Bedarfsermittlung ist unverzichtbarer Baustein des Gesamtplanverfahrens und damit die grundlegende Voraussetzung für die Planung der Leistungen. An die Bedarfsermittlung werden hohe fachliche Anforderungen gestellt.

Vorgabe des Gesetzgebers an die Instrumente der Bedarfsermittlung ist die ICF-Orientierung. Außerdem müssen die Kriterien des § 13 SGB IX (Instrumente zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs), genügen. Dazu muss zumindest erfasst werden,

  • ob eine Behinderung vorliegt oder einzutreten droht,
  • welche Auswirkung die Behinderung auf die Teilhabe der Leistungsberechtigten hat,
  • welche Ziele mit Leistungen zur Teilhabe erreicht werden sollen,
  • welche Leistungen im Rahmen einer Prognose zur Erreichung der Ziele voraussichtlich erfolgreich sind.

Die Instrumente haben die Beschreibung einer nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigung der Aktivität und Teilhabe in den folgenden Lebensbereichen vorzusehen:

  1. Lernen und Wissensanwendung,
  2. Allgemeine Aufgaben und Anforderungen,
  3. Kommunikation,
  4. Mobilität,
  5. Selbstversorgung,
  6. häusliches Leben,
  7. interpersonelle Interaktionen und Beziehungen,
  8. bedeutende Lebensbereiche und
  9. Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben.

Gesamtplankonferenz

§ 119 SGB IX

Der Träger der Eingliederungshilfe kann mit Zustimmung des Leistungsberechtigten eine Gesamtplankonferenz durchführen, um die Leistungen für Leistungsberechtigte sicherzustellen. Diese kann als zweiter Schritt eine unvollständige Bedarfsermittlung ergänzen. Eine Gesamtplankonferenz sollte angestrebt werden, wenn trotz sorgfältiger und umfassender Bedarfsermittlung über das Bedarfsermittlungsinstrument weiterhin unterschiedliche Auffassungen zum Bedarf bestehen. Bei komplexen Fallkonstellationen dient sie der schnelleren Klärung des Sachverhaltes. Wenn der maßgebliche Sachverhalt schriftlich ermittelt werden kann oder der Aufwand für die Durchführung sowie Vor- und Nachbereitung einer Gesamtplankonferenz in keinem angemessenen Verhältnis zum Umfang der beantragten Leistung steht, kann von einer Gesamtplankonferenz abgesehen werden.

Wird eine Gesamtplankonferenz durchgeführt, beraten der Träger der Eingliederungshilfe, der Leistungsberechtigte und sonstige beteiligte Leistungsträger gemeinsam auf Grundlage der Ergebnisse der Bedarfsermittlung nach § 118 SGB IX. Inhalte sind insbesondere:

  1. die Stellungnahmen der beteiligten Leistungsträger und die gutachterliche Stellungnahme des Leistungserbringers bei Beendigung der Leistung zur beruflichen Bildung in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen nach § 57 SGB IX,
  2. die Wünsche des Leistungsberechtigten,
  3. den Beratungs- und Unterstützungsbedarf,
  4. die Erbringung der Leistungen.
  5. Barbetrag
    Das Ergebnis über die Beratung des Barmittelanteils ist verpflichtender Bestandteil des Gesamtplanes (siehe § 121 Abs.4 Nr.6 SGB IX). Im Bereich der besonderen Wohnform ist dieser im Gesamtplan dokumentierte Barmittelanteil dann auch als verbindlich bei dem zwischen Leistungsberechtigten und Leistungserbringer abzuschließendem Vertrag anzusehen und entsprechend zu berücksichtigen. (Dazu siehe auch Bundesteilhabegesetz (Teil 14) – Trennung der Leistungen (2))

Ziel der Gesamtplankonferenz ist es, die Leistungsträger in die Lage zu versetzen ein tragfähiges Beratungsergebnis bezüglich der festzustellenden Leistung zu erzielen.

Bedarfe von Müttern und Vätern mit Behinderungen

Die Bedarfe von Müttern und Vätern mit Behinderungen im Kontext der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder sind vielfältig und können hinsichtlich ihres Abstimmungsbedarfes komplex sein. Neben Leistungen von vorrangigen Leistungsträgern sind auch die mögliche Unterstützung aus dem familiären, freundschaftlichen oder nachbarschaftlichen Umfeld möglich oder die Unterstützung im Rahmen eines Ehrenamtes in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund ist für diese Fälle mit Zustimmung der Leistungsberechtigten eine Gesamtplankonferenz unter Beteiligung der genannten Leistungsträger, Stellen bzw. Personen aus dem familiären, freundschaftlichen oder nachbarschaftlichen Umfeld durchzuführen.

Feststellung der Leistungen – Verwaltungsakt

§ 120 SGB IX

Auf Grundlage der Beratung in der Gesamtplankonferenz nach § 119 SGB IX werden die Leistungen abgestimmt, ein Gesamtplan erstellt und auf dessen Grundlage der Verwaltungsakt erlassen. Der individuelle Bedarf von Menschen mit Behinderung zur Erzielung gleichberechtigter Teilhabe wird damit abschließend ermittelt und die Leistungen zur Bedarfsdeckung innerhalb von zwei Monaten nach Antragseingang, nach den für die beteiligten Träger geltenden Leistungsgesetzen festgestellt. Es kann sich hierbei auch um Teilbedarfslagen handeln. Die Feststellung der Leistungen (§ 120 SGB IX) ist Teil des Verwaltungsverfahrens und bildet den Abschluss des Prüfungs- und Abwägungsprozesses des Leistungsträgers über die erforderlichen Leistungen. Der Leistungsträger der Eingliederungshilfe stellt fest, welche Leistungen zur Deckung des ermittelten Bedarfes erforderlich sind. Sofern mehrere Rehabilitationsträger beteiligt sind, haben diese die Leistungen im Teilhabeplanverfahren aufeinander abzustimmen. Die Feststellungen fließen in den Gesamtplan nach § 121 SGB IX ein und sind bindend für den abschließenden Verwaltungsakt über die festgestellten Leistungen.

In Einzelfällen, beispielsweise wenn ein Angehöriger, mit dem ein Leistungsberechtigter zusammen wohnt, plötzlich verstirbt, kann eine zeitnahe bzw. sofortige Leistungserbringung vor der Durchführung einer Gesamtplankonferenz erforderlich sein. In diesen Fällen erbringt der Träger der Eingliederungshilfe die Leistungen in seinem Zuständigkeitsbereich nach pflichtgemäßem Ermessen vorläufig.

Gesamtplan

§ 121 SGB IX

Die Vorschrift bestimmt die Funktion, die Form und inhaltliche Ausgestaltung des Gesamtplans. Sie bestimmt, wer an der Erarbeitung des Gesamtplans beteiligt ist.

Funktion

Der Gesamtplan dient der Steuerung, Wirkungskontrolle und Dokumentation des Teilhabeprozesses. Anhand der im Gesamtplan enthaltenen Angaben können die Planungen und Ziele von Prozessen dokumentiert und ggfs. überprüft und weiterentwickelt werden.

Form

Der Gesamtplan bedarf der Schriftform, ist aber ansonsten an keine formellen Anforderungen gebunden. Er soll regelmäßig, spätestens nach zwei Jahren überprüft und fortgeschrieben werden.

Beteiligte

Die Erstellung des Gesamtplans erfolgt unter Einbindung des Leistungsberechtigten, einer Person seines Vertrauens und den im Einzelfall Beteiligten (z. B. behandelnder Arzt, Gesundheitsamt, Landesarzt, Jugendamt, Bundesagentur für Arbeit).

Inhalt

Die Mindestinhalte eines Gesamtplans bestehen zunächst aus den Inhalten die für einen Teilhabeplan (§ 19 SGB IX) gefordert sind. Insbesondere soll der Gesamtplan folgendes beinhalten:

  • die Ergebnisse der Bedarfsermittlung,
  • die hierfür eingesetzten Verfahren und Instrumente,
  • Maßstäbe und Kriterien der Wirkungskontrolle,
  • die konkreten festgestellten Bedarfe,
  • die geplanten bzw. durchgeführten Maßnahmen,
  • die vereinbarten Ziele und
  • die Aktivitäten der Leistungsberechtigten.

Erhält der Leistungsberechtigte eine pauschale Geldleistung, so wird dies im Gesamtplan festgehalten. Dies gilt auch für das Ergebnis über die Beratungen des Anteils des Regelsatzes, der dem Leistungsberechtigten als Barmittel verbleibt. (s.o.)

Bei Veränderungen bezüglich der Lebenssituation der Leistungsberechtigten kann der Gesamtplan jederzeit angepasst werden. Bei Bedarf kann ein Gesamtplan unabhängig von der enthaltenen Laufzeit modifiziert werden. Dies kann durch alle Verfahrensbeteiligte angeregt werden.

Kopie an…

Der Träger der Eingliederungshilfe stellt der leistungsberechtigten Person den Gesamtplan zur Verfügung.

Teilhabezielvereinbarung

§ 122 SGB IX

Das Verfahren der Gesamtplanung soll die Überprüfung bewilligter Leistungen nach Zeitabläufen ermöglichen. Hierzu gibt die Vorschrift dem Träger der Eingliederungshilfe die Möglichkeit, mit den Leistungsberechtigten eine Teilhabezielvereinbarung abzuschließen. Eine solche Teilhabezielvereinbarung muss nicht zwingend ein eigenständiges Dokument sein. Auch die Unterzeichnung bzw. Vereinbarung von im Rahmen der Bedarfsermittlung und -feststellung formulierten Zielen kann eine Zielvereinbarung in diesem Sinne darstellen.

Auf veränderte Teilhabeziele aufgrund veränderter Bedarfe und Wünsche ist flexibel zu reagieren. Vor diesem Hintergrund hat der Träger der Eingliederungshilfe die Vereinbarung anzupassen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Vereinbarungsziele nicht oder nicht mehr erreicht werden.

Bundesteilhabegesetz (Teil 18) – Teihabeplan und Gesamtplan

Um die Gesamtplanung in der Eingliederungshilfe besser zu verstehen, muss zunächst auf die Unterschiede und Geneinsamkeiten zwischen Teilhabeplan und Gesamtplan eingegangen werden. Ausführliches zum Gesamtplan in Bundeseilhabegesetz (Teil 19).

Rechtsgrundlagen sind §§ 19 bis 23 SGB IX und § 117 SGB IX bis § 122 SGB IX in der Fassung ab 1.1.2020.

Leistung aus einer Hand

Um „Leistungen wie aus einer Hand“ gewähren zu können und Nachteile des gegliederten Systems der Rehabilitation für die Menschen mit Behinderungen abzubauen, wurde durch das Bundesteilhabegesetz mit Geltung ab 01.01.2018 für alle Rehabilitationsträger ein verbindliches, partizipatives Teilhabeplanverfahren vorgeschrieben. Eine Pflicht zur Aufstellung eines Teilhabeplans besteht immer dann, wenn

  1. mehrere Rehabilitationsträger Leistungen erbringen müssen oder
  2. nur leistende Rehabilitationsträger Leistungen verschiedener Leistungsgruppen erbringt oder
  3. die leistungsberechtigte Person dies wünscht.

Ist der Träger der Eingliederungshilfe für die Durchführung des Teilhabeplanverfahrens verantwortlicher Rehabilitationsträger, so müssen auch die Vorschriften für das sogenannte Gesamtplanverfahren beachtet werden. Die Regelungen zum Gesamtplan knüpfen an die Regelungen zur Teilhabeplanung an, normieren darüberhinaus aber noch Spezifika für die Leistungen der Eingliederungshilfe.

Teihabeplan kann, Gesamtplan muss

Ein Teilhabeplan muss nur erstellt werden, soweit Leistungen verschiedener Leistungsgruppen oder mehrer Rehabilitationsträger erforderlich sind; der Gesamtplan muss auch bei Einzelleistungen der Eingliederungshilfe erstellt werden.

Während die Gesamtplanung nur für die Eingliederungshilfe gilt, wurden die Regelungen zur Teilhabeplanung für alle Rehabilitationsträger nach dem SGB IX geschaffen. Die Regelungen zum Teilhabeplanverfahren gehen denen des Gesamtplanverfahrens vor, wie § 7 Abs.2 SGB IX festlegt. Dementsprechend enthält der Gesamtplan neben den Mindestinhalten nach § 19 SGB IX i.V.m. § 13 SGB IX weitere Angaben gemäß § 121 Abs.4 SGB IX zu den im Rahmen der Gesamtplanung eingesetzten Verfahren und Instrumenten sowie zu Maßstäben und Kriterien der Wirkungskontrolle einschließlich des Überprüfungszeitpunkts, den Aktivitäten der Leistungsberechtigten, den Feststellungen über die Selbsthilferessourcen der Leistungsberechtigten sowie über Art, Inhalt, Umfang und Dauer der zu erbringenden Leistungen.

Beim Zusammentreffen von Teilhabe- und Gesamtplanverfahren knüpfen die Regelungen für das Gesamtplanverfahren damit an die Vorschriften zur Teilhabeplanung der Rehabilitationsträger im Teil 1 des SGB IX an und ergänzen diese Regelungen zum Teilhabeplanverfahren um die Spezifika der Eingliederungshilfe.

Ein Teilhabeplanverfahren muss auch dann durchgeführt werden, wenn der Träger der Eingliederungshilfe im Einzelfall alleiniger Rehabilitationsträger ist, aber Leistungen aus mehreren Leistungsgruppen wie Leistungen zur Sozialen Teilhabe und zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigt werden. Der Gesamtplan ist dann ein Teil des Teilhabeplans.

Empfehlungen

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) hat im Juni 2019 Empfehlungen zur Gesamtplanung in der Eingliederungshilfe und ihr Verhältnis zur Teilhabeplanung veröffentlicht, in dem er umter anderem empfiehlt, einen Teilhabeplan und einen Gesamtplan inhaltlich einander anzugleichen oder zu einem Plan zu vereinen. Dabei ist die Teilhabeplankonferenz mit der Gesamtplankonferenz zu verbinden, wenn der Eingliederungshilfeträger für die Teilhabeplanung verantwortlich ist.


Bundesteilhabegesetz (Teil 17) – Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung

Die Eingliederungshilfe hat eine andere Aufgabe als die Pflegeversicherung und die Hilfe zur Pflege.

  • Die Eingliederungshilfe will behinderten Menschen und von Behinderung bedrohten Menschen die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen, erleichtern oder sichern; die einzelnen Leistungen der Eingliederungshilfe sollen dazu beitragen, Nachteile abzubauen. Jede Linderung der Behinderung bzw. ihrer Folgen für die Teilhabefähigkeit reicht aus, z.B. auch die Besserung des seelischen Wohlbefindens eines Betroffenen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. August 2005). Prinzipiell gibt es keine feste Altersgrenze; auch bei alten Menschen kann daher ein Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen bestehen.
  • Die Pflegeversicherung und die Hilfe zur Pflege wollen pflegebedürftigen Menschen, auch jenen Menschen die zudem behindert sind oder von Behinderung bedroht sind, ermöglichen, trotz Pflegebedürftigkeit, so lange wie möglich, menschenwürdig leben zu können, in ihrer Selbständigkeit gestärkt zu werden und einen kompensatorischen Ausgleich des Mangels an Fähigkeiten zu erfahren.

Die Leistungen der Eingliederungshilfe und die Leistungen der Pflege sind grundsätzlich verschieden und stehen gleichrangig zueinander. Die Regelungen zum Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe finden sich in § 13 des Elften Buches.

Drei Schnittstellen

Im Verhältnis Eingliederungshilfe zur Pflege sind drei Schnittstellen zu beachten:

  • Schnittstelle im ambulanten Bereich.
  • Schnittstelle in Einrichtungen der Behindertenhilfe, bzw. der Eingliederungshilfe
  • Schnittstelle der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege

Wohnformen

Wichtig für das Verständnis der Schnittstellen ist die Begriffsklärung der verschiedenen Wohnformen.

Obwohl die Zielsetzung des Bundesteilhabegesetzes eine personenzentrierte Unterstützung des Leistungsberechtigten ist, unabhängig von der Wohnform, und sich im Wesentlichen auf das Alter des Leistungsberechtigten bei Behinderungseintritt bezieht (Lebenslagenmodell, s.u.), muss im Zusammenspiel mit der Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege doch wieder nach Wohnformen unterschieden werden. Relevant sind demnach folgende Wohnformen:

  • Wohnung: Gesetzliche Definition in § 42a Abs.2 Satz 2 SGB XII: „Wohnung ist die Zusammenfassung mehrerer Räume, die von anderen Wohnungen oder Wohnräumen baulich getrennt sind und die in ihrer Gesamtheit alle für die Führung eines Haushalts notwendigen Einrichtungen, Ausstattungen und Räumlichkeiten umfassen.“
  • Gemeinschaftliche Wohnform („Gemeinschaftliches Wohnen“, „Ambulant Betreutes Wohnen“): Hier wird für die Angemessenheit von Wohnflächen und Unterkunftskosten zwischen „persönlichem Wohnraum und zusätzlichen Räumlichkeiten“ in Einrichtungen sowie anderen Unterkünften (z. B. Plätze in Obdachlosenunterkünften) unterschieden, die weder als „Wohnung“ noch als „persönlicher Wohnraum“ in Einrichtungen anzusehen sind (§ 42a Abs.2 Nr.2 und Nr.3 SGB XII).
  • Besondere Wohnform („Stationäres Wohnen“): Einrichtung, in der ausschließlich Menschen mit Behinderungen betreut werden (§ 104 Abs.3 Satz 3 SGB IX).

Schnittstelle ambulanter Bereich

§ 91 Abs.3 SGB IX und § 13 Abs.3, Abs.4 und Abs.4a SGB XI

Hier wird grundsätzlich das Nebeneinander der Zuständigkeiten von Eingliederungshilfe im ambulanten, bzw. häuslichen Bereich und Pflegeversicherung festgeschrieben. In den Einrichtungen und Räumlichkeiten nach § 71 Abs.4 SGB XI sollen die notwendigen Hilfen einschließlich der Pflegeleistungen gewährt werden.

Die Regelung des § 71 Abs.4 SGB XI bestimmt, wann es sich nicht um eine Pflegeeinrichtung handelt, sondern um eine stationäre Einrichtung mit anderer Zielrichtung. Um die bisherigen, an der Wohnform orientierten Leistungsansprüche im SGB XI auch unter der personenzentrierten Neugestaltung der Eingliederungshilfe aufrecht erhalten zu können, erfasst diese Regelung auch Räumlichkeiten, in denen der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderungen und die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe im Vordergrund stehen. Ganz aus der Zeit gefallen ist hier übrigens die Formulierung: „…die Erziehung kranker Menschen oder von Menschen mit Behinderungen…“

Treffen Leistungen der Pflegeversicherung und Leistungen der Eingliederungshilfe zusammen, können beide Leistungsträger mit Zustimmung des Leistungsberechtigten vereinbaren, dass der Träger der Eingliederungshilfe die Leistungen der Pflegeversicherung auf Grundlage des Bescheids der Pflegekasse übernimmt. Näheres zu den Modalitäten der Übernahme und der Durchführung der Leistungen hat der GKV-Spitzenverband und die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGÜS) veröffentlicht.

Wie sich aus Absatz 4a ergibt, muss die Pflegekasse an dem Gesamtplanverfahren beratend teilnehmen, wenn der Leistungsberechtigte einverstanden ist und soweit dies für den Träger der Eingliederungshilfe zur Feststellung der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabe an Bildung, Soziale Teilhabe – erforderlich ist; dies ergibt sich auch aus § 117 Abs.3 Satz 1 SGB IX, der Regelung über die Durchführung des Gesamtplanes.

Die Einbeziehung der Pflegekassen dient dazu, die zur Bedarfsdeckung erforderlichen Leistungen aufeinander abzustimmen und eine etwaige Vereinbarung möglichst frühzeitig gemeinsam vorzubereiten. Ist der Leistungsberechtigte nicht mit der Einbeziehung der Pflegekasse einverstanden, muss der Eingliederungshilfeträger nach den ihm vorliegenden Informationen entscheiden.

Abgrenzung nach Bedarf und Ziel

Eine Abgrenzung erfolgt nach dem Bedarf bzw. danach, welchem Ziel die konkrete Maßnahme dient,  also nach der Zielrichtung des Bedarfs:

Zunächst ist auf den Grundsatz „Versicherung vor Steuer“ zurückzugreifen: Kann der Bedarf des Leistungsberechtigten bereits durch Leistungen der Pflegeversicherung ( Versicherungsleistung) gedeckt werden, ist die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe (Steuerleistung) nicht möglich Die Bedarfsermittlung ist im Teilhabe- bzw. Gesamtplanverfahren unter Beteiligung des Leistungsberechtigten und unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren und Wünsche des Leistungsberechtigten festzustellen. Die zur Bedarfsdeckung erforderlichen Maßnahmen müssen dann den beteiligten Leistungsträgern unter Berücksichtigung der jeweiligen Zielsetzung zugeordnet werden.

Eine weitere Abgrenzung stellt die Zielsetzung der Maßnahme dar: Die Eingliederungshilfe verfolgt einen sozialpädagogischen Ansatz der Befähigung, während es der Pflegeversicherung um die Wiedergewinnung von Fähigkeiten geht, die verloren gegangen sind oder die es zu erhalten gilt. Bei körperbezogenen Pflegemaßnahmen ist daher eher eine Leistung der Pflegeversicherung anzunehmen.

Problematischer wird dies allerdings bei Betreuungsmaßnahmen, Hilfen bei der Haushaltsführung sowie Angeboten zur Unterstützung im Alltag. Hier ist die Schnittmenge zwischen den Leistungssystemen Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe (insbesondere Assistenzleistungen im Rahmen der Sozialen Teilhabe) hoch. Der Träger der Eingliederungshilfe muss hier daher im Einzelfall stets prüfen, ob der Maßnahmezweck im Bereich der Befähigung zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung liegt. Ist dies nicht der Fall, ist zu prüfen, ob die Maßnahme durch Leistungen der Pflegeversicherung vollständig gedeckt ist oder ob zur Bedarfsdeckung Leistungen der Eingliederungshilfe notwendig sind (bzw. eventuell Leistungen des Sozialhilfeträgers durch „Hilfe zur Pflege“, wenn ein pflegerischer Bedarf vorliegt).

Schnittstelle in Einrichtungen der Behindertenhilfe, bzw. der Eingliederungshilfe

Die Schnittstellenregelung zwischen Eingliederungshilfe und Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in Fällen, in denen Betroffene in Einrichtungen (oder Räumlichkeiten) nach § 43a SGB XI leben, findet sich in § 103 Abs.1 SGB IX in Verbindung mit § 71 Abs.4 SGB XI.

Die Vorschrift regelt das Verhältnis von Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe im stationären Bereich. Sie regelt auch die Erbringung von Pflegeleistungen in Wohnformen, die im Bereich der Leistungen der Eingliederungshilfe für erwachsene Menschen mit Behinderung an die Stelle der derzeitigen vollstationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe treten.

Der Anwendungsbereich der obigen Vorschriften ist eröffnet, wenn folgende Eigenschaften kumulativ vorliegen:

  1. Im Vordergrund muss der Zweck des Wohnens und die Erbringung von Eingliederungshilfe stehen.
  2. Die Räumlichkeiten müssen unter das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) fallen.
  3. Der Umfang der Gesamtversorgung der dort wohnenden Menschen muss regelmäßig weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entsprechen.

In diesen Fällen beteiligt sich die Pflegekasse zur Abgeltung der pflegebedingten Aufwendungen anstelle des Anspruchs auf Leistungen bei vollstationärer Pflege mit einem Pauschalbetrag in Höhe bis zu 266 EUR monatlich.

Trägerverantwortete Betreute Wohngemeinschaften

Hier handelt es sich um Wohnformen, in denen der Zweck des Wohnens von Menschen mit Behinderung und der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe für diese im Vordergrund steht, die aber nach heutigem Verständnis nicht stationär sind. Hier werden oft Pflegesachleistungen durch ambulante Pflegedienste und ambulante Leistungen der Eingliederungshilfe nebeneinander erbracht. Bei Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf könnte der Umfang der Gesamtversorgung (Pflege und Eingliederungshilfe zusammen) regelmäßig einen Umfang erreichen, der weitgehend der Versorgung in einer vollstationären Einrichtung entspricht.

Es besteht die Gefahr, dass in Wohngemeinschaften mit Bewohner*innen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf in Zukunft keine Pflegesachleistungen durch ambulante Pflegedienste bewilligt werden, sondern die Einrichtungen hinsichtlich der Schnittstelle Pflege-Eingliederungshilfe so behandelt werden, wie heutige stationäre Wohnheime. Bis auf den Erstattungsbetrag in Höhe von maximal 266 EUR je Monat müssen sie ab 2020 alle Kosten der Pflege selbst übernehmen.

Für die Bewohner*innen die bereits am 01.01.2017 Pflegesachleistungen erhalten, ändert sich aufgrund der Besitzstandsregelung in § 145 SGB XI nichts, solange sie ihren Wohnplatz behalten. Für alle in eine solche Wohnform neu aufgenommenen Menschen, würden aber die neuen Regelungen Anwendung finden. Das bedeutet, dass aus der Sicht des Leistungsrechts und auch des Leistungserbringungsrechts für eine Übergangszeit unterschiedliche Regelungen gelten.

Schnittstelle der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege

§ 103 Abs.2 SGB IX

Lebenslagenmodell

Beim Zusammentreffen von Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege wird nun das sogenannte „Lebenslagenmodell“ umgesetzt: Bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze umfassen die Leistungen der Eingliederungshilfe die Leistungen der Hilfe zur Pflege. Damit gelten für die Betroffenen die günstigeren Einkommens- und Vermögensgrenzen der Eingliederungshilfe. Bei Personen, die vor Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, gilt diese Regelung auch über die Altersgrenze hinaus, soweit die Ziele der Eingliederungshilfe erreicht werden können.

Die Eingliederungshilfe (EGH) umfasst in ambulanten Versorgungssettings auch die Leistungen der häuslichen Pflege nach dem SGB XII (Hilfe zur Pflege), wenn der Leistungsberechtigte vor Vollendung des maßgeblichen Rentenalters ( Regelaltersgrenze!) bereits Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten hat.

Das bedeutet bei Behinderung von Geburt an oder bis zur Regelaltersgrenze:

  • Die Leistungen der EGH umfassen die häuslichen Leistungen der Hilfe zur Pflege.
  • Dies gilt auch über die Regelaltersgrenze hinaus, soweit die Teilhabeziele der EGH noch erreicht werden können.
  • Es gelten die Einkommens- und Vermögensgrenzen der EGH

Das bedeutet bei Behinderung und Pflegebedürftigkeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze:

  • Gleichrangiger Zugang zu Leistungen von Hilfe zur Pflege und EGH mit der Konsequenz von zwei Kostenträgern (Sozialhilfeträger, Eingliederungshilfeträger)
  • Unterschiedliche Einkommens- und Vermögensgrenzen Einkommens- und Vermögensgrenzen.

Quellen: Bundestag, BMAS, SOLEX, FOKUS Sozialrecht,
Thomas Knoche: Bundesteilhabegesetz Reformstufe 3: Neue Eingliederungshilfe, Walhalla-Verlag 2019

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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2020: Sachbezugswerte und Versicherungsbeiträge

Nach der Sommerpause kristallisieren sich so langsam die Zahlen heraus, mit denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im kommenden Jahr bei der Lohnabrechnung rechnen müssen.
Aber auch bei der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung in einer Werkstatt für behinderte Menschen spielt der Sachbezugswert für ein Mittagessen nach § 113 Abs. 4 SGB IX eine Rolle.

Sachbezugswerte

Im Entwurf der Elften Verordnung zur Änderung der Sozialversicherungsentgeltverordnung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales folgende Sachbezugswerte bekannt gegeben:

  • Der Sachbezugswert für Verpflegung soll bundeseinheitlich auf 258 Euro monatlich steigen (2019: 251 Euro).
  • für ein Frühstück 1,80 Euro (2019: 1,77 Euro)
  • für ein Mittag- oder Abendessen 3,40 Euro (2019: 3,30 Euro)
  • Der Sachbezugswert für freie Unterkunft soll bundeseinheitlich auf 235 Euro monatlich (2019: 231 Euro). (Der Wert der Unterkunft kann auch mit dem ortsüblichen Mietpreis bewertet werden, wenn der Tabellenwert nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre).

Für die Sachbezüge 2020 ist der Verbraucherpreisindex im Zeitraum von Juni 2018 bis Juni 2019 maßgeblich. Der Verbraucherpreisindex für Verpflegung ist um 2,8 Prozent gestiegen. Der Verbraucherpreisindex für Unterkunft oder Mieten stieg um 1,8 Prozent.

Der Bundesrat muss der Verordnung noch zustimmen.

Beiträge zur Sozialversicherung

Die Beiträge bleiben stabil, eine Änderung ist nicht zu erwarten:

  • Krankenversicherung: 14,6 Prozent
  • Pflegeversicherung: 3,05 Prozent
  • Rentenversicherung: 18,6 Prozent
  • Arbeitslosenversicherung: 2,5 Prozent

Mindestlohn

Die Mindestlohnkommission hat in ihrer Sitzung am 26.06.2018 einstimmig beschlossen, den gesetzlichen Mindestlohn ab dem 01.01.2019 auf 9,19 Euro und ab dem 01.01.2020 auf 9,35 Euro brutto je Zeitstunde festzusetzen.

Quelle: BMAS

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Wohngeldstreitfälle ohne Gerichtskosten

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 8.8.2019 entschieden, dass für Wohngeld-Klagen keine Gerichtskosten mehr anfallen (Urteil vom 8. August 2019, AZ: 5 C 2.18).

Verfahren vor den Sozialgerichten sind grundsätzlich kostenfrei (§ 183 SGG). Verfahren vor den Verwaltungsgerichten in Sachen der Fürsorge, Jugendhilfe, Kriegsopferfürsorge, Schwerbehindertenfürsorge und Ausbildungsförderung sind ebenfalls kostenfrei (§ 188 Satz 2 VwGO).

Streitigkeiten zum Thema Wohngeld kosteten bislang aber Gerichtskosten, weil das Wohngeld lange Zeit juristisch nicht als Fürsorgeleistung angesehen wurde. Die Zielsetzung bei der Einführung des Wohngeldes 1965 war eine bessere Wohnraumförderung. Wohngeld wurde als Teil der öffentlichen Wohnungsbaufinanzierung angesehen. Den heutigen Regelungen des Wohngeldgesetzes kann hingegen ein die fürsorgerische Zwecksetzung erheblich überlagernder und sie von anderen Sozialleistungen kategorial abgrenzender Zweck der Wohnraumförderung nicht mehr entnommen werden.

Nach der heutigen Regelung des § 1 Abs. 1 WoGG dient das Wohngeld der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens. Dies spricht ebenso für seine primär fürsorgerische Zwecksetzung wie die Wertung, die der Gesetzgeber mit der Einbeziehung des Wohngeldgesetzes in das Sozialgesetzbuch und den im dortigen Ersten Buch normierten wohngeldbezogenen Regelungen zum Ausdruck gebracht hat. Das Wohngeldgesetz gilt danach als besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs.

Das Wohngeld hat sich jedenfalls im Zuge dieser Rechtsentwicklung zu einer individuellen Sozialleistung gewandelt, deren primär fürsorgerechtlicher Charakter es gebietet, Wohngeldsachen den Angelegenheiten der Fürsorge im Sinne von § 188 Satz 1 VwGO zuzuordnen, für deren Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten keine Gerichtskosten zu erheben sind (§ 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO).

Wie die Sozialhilfe kommt auch das Wohngeld nur Personen mit geringem Einkommen zu. Auch ist ein Streit um Wohngeld mit den in der Regel kostenfreien Verfahren vor den Sozialgerichten vergleichbar. Auch bei Wohngeldempfängern besteht das vom Gesetzgeber zur Begründung der kostenfreien Verfahren hervorgehobene „Schutzbedürfnis“.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht

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Sicherheit bei Arzneimitteln

Auf Wikipedia kann man sich eine interessante „Liste von aufsehenerregenden Vorfällen im Zusammenhang mit Entwicklung, Vermarktung oder Anwendung von Arzneimitteln“ ansehen, die Vorfälle auflistet, die im Zusammenhang mit Entwicklung, Vermarktung oder Anwendung von Arzneimitteln Aufsehen erregt haben. Gerne spricht man auch von Arzneimittelskandalen. Ich kann nicht beurteilen, ob die Liste vollständig ist, aber es scheint seit dem Jahr 2000 schon eine auffallende Häufung von Vorkommnissen zu geben.

Das Gesundheitsministerium reagiert nun darauf mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, das am 16.08.2019 in Kraft getreten ist.

Folgende Maßnahmen des Gesetzes sollen für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung sorgen:

  • Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden von Bund und Ländern wird verbessert: Dafür wird eine Informationspflicht über Rückrufe eingeführt.
  • Die Rückrufkompetenzen der zuständigen Bundesoberbehörden werden erweitert.Die Überwachungsbefugnis der Landesbehörden von Betrieben und Einrichtungen, die der Arzneimittelüberwachung unterliegen, wird gestärkt.
  • Sog. Biosimilars („ähnliche biologische Arzneimittel“) sollen schneller in die Versorgung kommen. Der G-BA regelt mit Vorlaufzeit von 3 Jahren die Details für den Austausch auf Apothekerebene.
  • Es wird eine gesetzliche Grundlage geschaffen, um die Herstellung und Anwendung bestimmter Arzneimittel zu verbieten, soweit es zur Verhütung einer Gefährdung der Gesundheit von Mensch oder Tier geboten ist. Damit kann das BMG u. a. eine neue Verordnung zum Verbot der Herstellung und der Anwendung von Frischzellen am Menschen erlassen.
  • Apotheken können verschreibungspflichtige Arzneimittel künftig auch nach einer offensichtlichen ausschließlichen Fernbehandlung abgeben.
  • Die Selbstverwaltung wird verpflichtet, die notwendigen Regelungen für die Verwendung des elektronischen Rezeptes zu schaffen (Frist: 7 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes).
  • Bei der Versorgung mit medizinischem Cannabis ist künftig – nach einmal erfolgter Genehmigung – kein erneuter Antrag bei der Krankenkasse im Falle einer Anpassung der Dosierung oder eines Wechsels der Blütensorte notwendig.
  • Für Arzneimittel zur Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Hämophilie (Bluterkrankheit), wird die bisherige Ausnahme vom Apothekenvertriebsweg (Direktvertrieb des Herstellers mit Ärzten und Krankenhäusern) zurückgenommen. Die Neuregelungen zum Vertriebsweg sowie die entsprechende Anpassung der Arzneimittelpreisverordnung und des Apothekengesetzes treten am 15.08.2020 in Kraft.
  • Um eine sachgerechte Anwendung von Arzneimitteln für neuartige Therapien sicherzustellen, wird der G-BA ermächtigt, Maßnahmen der Qualitätssicherung zu beschließen.
  • Für nichtzulassungs- oder nichtgenehmigungspflichtige Arzneimittel für neuartige Therapien (z.B. Gentherapien) wird eine Dokumentations- und Meldepflicht aller schwerwiegenden Verdachtsfälle von Nebenwirkungen eingeführt. Zudem wird eine ärztliche Anzeigepflicht für die Anwendung dieser Arzneimittel gegenüber der zuständigen Bundesoberbehörde eingeführt.  Die Melde- und Anzeigepflichten treten am 15.08.2020 in Kraft.
  • Die Vorgaben für Apotheken zur Abgabe von preisgünstigen Import-Arzneimitteln werden neu geregelt: Die bisherige Preisabstandsgrenze wird durch eine differenziertere Preisabstandsregelung ersetzt. Biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und Zytostatika werden wegen besonderer Anforderungen an Transport und Lagerung von dieser Regelung ausgenommen. Der GKV-Spitzenverband wird verpflichtet, dem BMG bis Ende 2021 einen umfassenden Bericht vorzulegen.
  • Die Vergütungen von Auszubildenden in der Pflege, die ab 2020 nach dem neuen Pflegeberufegesetz ausgebildet werden, werden im ersten Ausbildungsjahr vollständig von den Kostenträgern refinanziert. Das heißt, dass Berufsanfänger im ersten Ausbildungsjahr die voll ausgebildeten Pflegefachkräfte in einem geringeren Umfang entlasten müssen als Auszubildende im zweiten oder letzten Jahr der Ausbildung.

Quellen: wikipedia, Bundesgesundheitsministerium

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Disease-Management-Programm

Am 15.8.2019 gab der G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) bekannt, dass  Patientinnen und Patienten, die an wiederkehrenden oder lang andauernden Depressionen leiden, zukünftig in einem strukturierten Behandlungsprogramm (Disease-​Management-Programm, DMP) behandelt werden können.

DMP Depressionen

Patientinnen und Patienten können sich in das Programm einschreiben lassen, nachdem die gesetzlichen Krankenkassen mit Ärztinnen und Ärzten und/oder Krankenhäusern Verträge zur praktischen Umsetzung des DMP abgeschlossen haben.

Das DMP richtet sich an Patientinnen und Patienten mit chronischer Depression oder wiederholt auftretenden depressiven Episoden mittel-​ bis schwergradiger Ausprägung. Das gleichzeitige Vorliegen von psychischen oder körperlichen Erkrankungen, beispielsweise Angststörungen, Alkoholabhängigkeit, Tumorerkrankungen oder Diabetes mellitus, ist explizit kein Ausschlusskriterium für eine Teilnahme am DMP.

Das DMP nennt eine Reihe von Therapiezielen, die mit der Patientin oder dem Patienten besprochen und individuell festgelegt werden sollen, beispielsweise die Verminderung der depressiven Symptomatik mit dem Ziel einer vollständigen Remission der Erkrankung und die Verbesserung der psychosozialen Fähigkeiten, um eine selbstbestimmte Lebensführung zu unterstützen. Die therapeutischen Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der festgelegten Therapieziele individuell geplant: Gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt entscheidet die Patientin oder der Patient über die Behandlung.

Den Beschluss über das DMP Depressionen legt der G-BA  nun dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur Prüfung vor. Nach Nichtbeanstandung treten die Anforderungen an das DMP Depression am ersten Tag des auf die Veröffentlichung im Bundesanzeiger folgenden Quartals in Kraft.

Was sind Disease-​Management-Programme?

Disease-​Management-Programme (DMP) sind strukturierte Behandlungsprogramme. Ziel dieser Programme ist es, den sektorenübergreifenden Behandlungsablauf und die Qualität der medizinischen Versorgung von chronisch kranken Menschen zu verbessern. Die praktische Umsetzung der DMP erfolgt auf der Basis regionaler Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern (Vertragsärztinnen und -​ärzten/Krankenhäusern).
DMPs wurden vom Gesetzgeber 2002 als § 137f in das SGB V eingefügt.

Zu folgenden Erkrankungen gibt es derzeit DMP-​Anforderungen:

  • Asthma bronchiale
  • Brustkrebs
  • Chronische Herzinsuffizienz
  • Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
  • Chronischer Rückenschmerz (noch nicht in Kraft)
  • Diabetes mellitus Typ 1
  • Diabetes mellitus Typ 2
  • Koronare Herzkrankheit

Zu folgenden weiteren chronischen Erkrankungen werden derzeit DMP-​Anforderungen entwickelt:

  • Osteoporose
  • Rheumatoide Arthritis

Evaluation

DMPs gibt es in Deutschland erst seit kanpp 18 Jahren, zu kurz um langfristig zu belegen, ob und in welchem Ausmaß solche Programme chonisch erkrankten Menschen helfen können und ob damit auch Kosten im Gesundheitswesen verringert werden können.

Wikipedia listet Studien auf, aus denen hervorgeht, dass Disease-Management-Programme vor allem bei schweren Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Diabetes signifikante Verbesserungen bewirken kann.

Quellen: G-BA, wikipedia

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Intensivpflegestärkungsgesetz beschneidet Wahlmöglichkeiten

Gesundheitsminister Jens Spahn hat einen Referentenentwurf für ein Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) vorgelegt. Damit soll ein neuer § 37c im SGB V eingeführt werden, der die neue Leistung „Außerklinische Intensivpflege“ regelt.

Gesetzesbegründung

In der Gesetzesbegründung heißt es, Versicherte mit außerklinischen, intensivpflegerischen Versorgungsbedarfen erhalten künftig die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege auf Grundlage der neu geschaffenen Spezialvorschrift des § 37c; Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 werden in diesen Fällen nicht mehr erbracht. Die Leistungen der außerklinischen Intensivpflege nach § 37c werden regelhaft in Pflegeeinrichtungen, die Leistungen nach § 43 des Elften Buches erbringen, oder in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten, die strengen Qualitätsanforderungen unterliegen, erbracht. In Ausnahmefällen, wenn die Unterbringung in einer solchen Einrichtung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, kann die außerklinische Intensivpflege auch im Haushalt des Versicherten oder sonst an einem geeigneten Ort erbracht werden.

Gegen den Willen in Heime?

Die häusliche Krankenpflege ermöglicht es pflegebedürftigen Patienten, vor allem aber auch behinderten Menschen, die auf eine dauerhafte Beatmung angewiesen sind, ambulant und damit in den eigenen vier Wänden zu leben.
Mit dem nun vorgestellten Gesetzesentwurf soll hingegen die stationäre Unterbringung in speziellen Einrichtungen für alle “Versicherte mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege” zur Regel werden.

Das heißt konkret: Viele behinderte Menschen werden gegen ihren Willen in vollstationäre Heime oder spezielle Beatmungs-Einheiten verbracht. Ausgenommen von dieser Regel sind nur Kinder und Jugendliche, die bei ihren Eltern und ihrem Zuhause bleiben dürfen. Alle anderen können nur dann in der eigenen Wohnung bleiben, wenn eine andere Unterbringung schlicht unmöglich oder für sie unzumutbar ist.

Reaktionen

Der Sozialverband VdK begrüßte Spahns Pläne. „Beatmungs-WGs sind derzeit Heime ohne Heimaufsicht. Niemand weiß, was dort hinter verschlossenen Türen passiert“, sagte Präsidentin Verena Bentele. Intensivpflege gehöre in professionelle Einrichtungen mit geprüfter Qualität. Der stellvertretende Chef des Spitzenverbands der gesetzlichen Kassen, Gernot Kiefer, betonte, die Patienten schneller und öfter zum selbstständigen Atmen zu bringen, müsse ein zentrales Anliegen sein. Fehlanreize zu beseitigen, sei daher dringend nötig.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz nannte es überfällig, die Versorgung der 30 000 ambulanten Beatmungspatienten einheitlich zu regeln. Es sei aber zu unterscheiden, ob sie in den eigenen vier Wänden oder einer von 800 Beatmungs-WGs lebten. Wenn Spahn das Leben schwerst kranker Patienten daheim praktisch unterbinden wolle, sei das „ein gravierender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht“, warnte Vorstand Eugen Brysch. Ein Drittel der Betroffenen könne nicht von der Beatmung entwöhnt werden. Viele dieser Menschen wollten daher zu Hause versorgt werden und in der gewohnten Umgebung bleiben.

Petition

Mittlerweile gibt es auch eine Petition gegen das Gesetz. Darin geißt es: „Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Skandal. Er missachtet die Würde von Menschen, dringt in ihren Alltag ein und diskriminiert sie. Vordergründig möchte das Gesetz die Qualität der Versorgung verbessern. In Wirklichkeit geht es aber um Kostensenkungen, wie die Gesetzesbegründung selbst sagt. Das erkennt man schon dadurch, dass die beabsichtigte Regelung völlig ungeeignet zur Erreichung des angeblichen Gesetzesziels ist: Gegen Betrug durch Abrechnungen in so genannten Beatmung-WGs gibt es Strafgesetze, die konsequent angewendet werden müssen. Gegebenenfalls müssen hier Kontrollmechanismen etabliert werden.“

Quellen abilitywatch.de, VDK, tp-tagespflege.net, change.org

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„Arbeit von morgen“

Viel ist von dem geplanten Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil noch nicht bekannt. Immerhin hat es – wie zur Zeit so üblich – schon einen griffigen Namen: Das Arbeit-von-morgen-Gesetz.

Drohende Krise

Hauptziel ist es offenbar, Wirtschaft und Arbeitnehmer auf die drohende Wirtschaftskrise vorzubereiten und deren mögliche Folgen abzumildern. Außerdem sollen Arbeitnehmer mit dem Gesetz in die Lage versetzt werden, den Wandel von Jobs durch digitale Technologien und ökologische Erfordernisse mitzugehen.

Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld

Als erstes soll der Einsatz von Kurzarbeitergeld erleichtert werden. Dieses Instrument hat in der Krise von 2008 schon einmal geholfen, eine Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Damals wurde die Bezugsdauer (normalerweise 6 Monate) zeitweise bis auf 24 Monate verlängert. Arbeitgeber bekamen teilweise die Sozialversicherungsbeiträge erstattet und bekamen sie gar voll erstattet, wenn Arbeitnehmer an beruflichen Qualifizierungsmaßnahme teilnahmen.
Ähnliches soll auch das Arbeit-von-morgen-Gesetz ermöglichen.

Mehr Weiterbildung

Anknüpfen soll das neue Gesetz an das Qualifizierungschancengesetz, das zu Beginn diesen Jahres in Kraft trat und die Weiterbildungsförderung der Bundesanstalt für Arbeit, die bis dahin auf Ältere und Geringqualifizierte zugeschnitten war, für alle Beschäftigten öffnete. Die Arbeitgeber erhalten Lohnkostenzuschüsse, wenn sie ihre Beschäftigten während der Weiterbildung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freistellen. Größere Unternehmen müssen sich stärker beteiligen als kleine oder mittlere.

Perspektivqualifizierung

Minister Heil will, dass auch künftig Kurzarbeit, wo immer es möglich ist, zur Weiterqualifizierung genutzt wird. Zudem sollen Beschäftigte in einem Unternehmen, in dem sie eigentlich keine dauerhafte Perspektive mehr haben, zunächst mit öffentlicher Förderung im Betrieb bleiben können. Auch bei dieser „Perspektivqualifizierung“ soll es Zuschüsse sowohl zur Weiterbildung als auch zum Lohn geben.

Weiterbildung in Transfergesellschaften

Längere Weiterbildungsmöglichkeiten soll es auch in Transfergesellschaften geben, wenn ein Unternehmen massiv Arbeitsplätze streicht oder gar schließt. Dafür sollen auch die Zugangsregelungen erleichtert werden.

Einen Gesetzentwurf hat das BMAS noch nicht veröffentlicht. Sobald das der Fall ist kann über konkrete Pläne berichtet werden.

Quellen: Beck-Online, Spiegel, Deutschlandfunk, Tagesschau u.a.; SOLEX. FOKUS-Sozialrecht

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