2012 erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreis. Das Nobelkomitee in Oslo erklärte damals, die EU habe aus einem Kontinent des Krieges einen Kontinent des Friedens gemacht. Ich kann mich erinnern, dass ich damals sogar ein wenig stolz war, ein kleines bißchen Nobelpreisträger zu sein.
Menschenverachtendes Gesicht
Seitdem hat die EU vielfach bewiesen, dass selten ein Nobelpreis dermaßen zu Unrecht vegeben wurde wie 2012. Die EU hat vor allem an ihren Außengrenzen ihr menschenverachtendes Gesicht gezeigt. Tausende Ertrunkene im Mittelmeer gehen auf das Konto der EU, gezielte Pushbacks an den Grenzen in Griechenland, Kroatien und jetzt Polen gehen auf das Konto der Wiege des christlichen Abendlands.
Vertuschen und Verharmlosen
Asylsuchende werden auf ihrem Weg nach Norden systematisch verprügelt, misshandelt, bestohlen, gedemütigt und gewaltsam zurückgestoßen. Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex sieht tatenlos zu, wie Boote oder Rettungsflöße mit Seilen weiter aufs Meer gezogen, die Geflüchteten mit Waffen bedroht und beschossen werden. Hunderte solcher Fälle sind dokumentiert. Natürlich ist das alles illegal, wird aber nicht weiter verfolgt. Statt dessen versuchen die europäischen Regierungen, die Vorfälle zu vertuschen oder sie als Einzelfälle zu verharmlosen.
Verbrechen sollen legalisiert werden
Bis jetzt wurden diese Verbrechen zwar geduldet, gelten aber immer noch als illegal. Nun hat Polen allerdings im Oktober die Pushbacks offiziell legalisiert. Dies verstößt zwar gegen EU-Recht, wird aber hingenommen. Innenminister Horst Seehofer findet das polnische Vorgehen „zutiefst europäisch“.
Um die Genfer Flüchtlingskonvention weiter systematisch auszuhöhlen haben 12 EU-Mitgliedstaaten (Österreich, Dänemark, Ungarn, Polen, Griechenland, Tschechien, Zypern, Estland, Lettland, Litauen, Slowakien, Bulgarien) die EU aufgefordert, die Regeln „an die neue Realität“ anzupassen. Sie fordern zum Beispiel den Bau von Mauern (Trump lässt grüßen) und die Legalisierung von Pushbacks. Schließlich sei man im Krieg und Flüchtlinge seien die Waffen. Damit ist die Entmenschlichung der Flüchtlinge perfekt.
Menschen in auswegloser Situation
Was gerade an der belarussischen – polnischen Grenze passiert, sind massive Menschenrechtsverletzungen unter denen auch viele Kinder und Familien leiden müssen. Dort campieren tausende Menschen obdachlos in einem Waldgebiet trotz der stetig fallenden Temperaturen. Der Zugang zu sanitären Anlagen, Lebensmitteln oder medizinischer Versorgung ist faktisch nicht vorhanden und wird nur durch das Engagement der Zivilgesellschaft und engagierter Bürger:innen ermöglicht. Die betroffenen Geflüchteten, unter ihnen viele Kinder und Jugendliche, befinden sich in einer ausweglosen Situation: Sie können nicht in die EU einreisen und gleichzeitig ist ihnen der Weg durch Belarus versperrt.
Appell an Bundesregierung und EU
Gegen diese Kinderrechts- und Menschenrechtsverletzung fordert ein Bündnis von 27 Organisationen die Bundesregierung und die EU-Kommission auf, die Rechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen endlich zu beenden. Statt Abschottung und rechtswidrigen Pushbacks fordern die unterzeichnenden Organisationen humanitäre Unterstützung und insbesondere Zugang zu einem fairen Asylverfahren in Europa! Dies gilt nicht nur für die belarussisch-polnische Grenze, sondern für alle EU-Außengrenzen.
Extrem besorgt
Die unterzeichnenden Organisationen sind extrem besorgt hinsichtlich des europa- und völkerrechtswidrigen Vorgehens der EU-Mitgliedstaaten bei Grenzübertritten. Gewaltsame Pushbacks, wie sie von Kroatien seit Jahren straflos praktiziert werden, sind auch in Polen zur gut dokumentierten Praxis des Grenzschutzes geworden. Menschen werden im Grenzgebiet aufgespürt und ohne individuelle Prüfung ihres Asylgesuchs oder ihrer Einreisegründe unter Zwang vor die europäischen Außengrenzen zurückgebracht. Eine klare Verurteilung dieses Vorgehens durch die EU Kommission und andere Mitgliedstaaten – wie etwa Deutschland – fehlt. Und inzwischen werden schutzsuchende Menschen sogar in Herkunftsstaaten wie den Irak zurückgebracht, ohne vorher zu prüfen, ob sie dort Verfolgung oder sonstigen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.
Die unterzeichnenden Organisationen fordern die Bundesregierung und die EU-Kommission deshalb auf:
- Die Bundesregierung und die EU-Kommission müssen die betroffenen Menschen, allen voran Kinder und Familien, aus den entsprechenden Regionen evakuieren und auf die EU-Staaten umverteilen.
- Die Praxis der Push-Backs muss sofort unterbunden und der Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren sichergestellt werden. Mitgliedstaaten, die sich dem verweigern, müssen sanktioniert werden.
- Den betroffenen Menschen, insbesondere Kindern und Familien, in den Grenzregionen müssen umgehend ein festes Dach über dem Kopf, eine regelmäßige Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung sowie Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährt werden.
und der Außenminister?
Was sagt eigentlich Heiko Maas, Noch-Außenminister dazu? Man müsse mit dem Asylrecht halt „konstruktiv“ umgehen. Ob nicht den Menschen an der polnischen Grenze ihr Grundrecht auf Asyl verwehrt werde? Heiko Maas: „Na ja.“
Es wird Zeit, dass die EU ihren Friednsnobelpreis zurückgibt.
Quellen: Paritätischer Gesamtverband, Spiegel vom 23.11.2021 , Spiegel vom 8.12.2020, Süddeutsche vom 6.2.2021, Telepolis vom 23.11.2021
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