Beschlüsse und Urteile des 12. Senates des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2018 zu Unterbringungssachen.
Update: Entscheidungen vom 15. August 2018 eingefügt.
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BGH, Beschluss vom 15.8.2018 (Az. XII ZB 370/17)
Verfahrenspfleger ist nicht gesetzlicher Vertreter!
Der in einer Unterbringungssache bestellte Verfahrenspfleger ist nicht gesetzlicher Vertreter des Betroffenen; er kann in Vertretung des Betroffenen keine wirksamen Verfahrenshandlungen vornehmen und ist insbesondere nicht zur Einlegung eines Rechtsmittels im Namen des Betroffenen befugt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 22. März 2017 XII ZB 460/16).
Etwas anderes ist nur dann möglich, wenn sich der Verfahrenspfleger ausdrücklich darauf beruft, seine bisherige Rolle im Verfahren aufgeben und aufgrund eines ihm von dem Betroffenen erteilten Auftrags als Verfahrensbevollmächtigter für den Betroffenen handeln zu wollen.
BGH, Beschluss vom 18.7.2018 (Az. XII ZB 167/18)
Zu den Voraussetzungen der zivilrechtlichen Unterbringung zum Schutz vor Selbstgefährdung bei einem alkoholkranken Betroffenen
Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, so dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden darf. Etwas anderes gilt, wenn der Alkoholismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen, insbesondere einer psychischen Erkrankung, steht oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat. Voraussetzung für eine Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen Erkrankung ist aber, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 – XII ZB 317/15).
BGH, Beschluss vom 20.6.2018 (Az. XII ZB 489/17)
Pflicht zur persönlichen Anhörung
Nach § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen.
BGH, Beschluss vom 20.6.2018 (Az. XII ZB 489/17)
Pflicht zur verfahrensrechtlichen Hilfestellung bei Betroffenen ohne anwaltliche Vertretung
Der Anspruch auf ein faires Verfahren gebietet es, einen anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen eines zivilrechtlichen Unterbringungsverfahrens im Fall der Erledigung der Hauptsache auf die Möglichkeit hinzuweisen, seinen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringungsanordnung umzustellen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 2.9.2015 – XII ZB 138/15).
BGH, Beschluss vom 16.5.2018 (Az. XII ZB 542/17)
Verletzung des rechtlichen Gehörs bei Nichtmitteilung des Gutachtens
Lässt sich in einer durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache anhand der Gerichtsakten und der von den Instanzgerichten getroffenen Feststellungen nicht klären, ob das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen bzw. im Fall des (entsprechend anwendbaren) § 325 Abs. 1 FamFG zumindest dem Verfahrenspfleger bekanntgegeben wurde und die Erwartung gerechtfertigt war, dass dieser mit dem Betroffenen über das Gutachten sprechen werde, ist von einer Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör auszugehen.
BGH, Beschluss vom 14.3.2018 (Az. XII ZB 629/17)
Zum Gefährdungsbegriff bei einer länger andauernden Unterbringung
a) Der Gefährdungsbegriff des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bleibt auch bei einer bereits länger andauernden Unterbringung unverändert, so dass die (weitere) zivilrechtliche Unterbringung eine – nach wie vor bestehende – ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betroffenen voraussetzt.
b) Besonderheiten können sich bei einer bereits mehrere Jahre währenden Unterbringung allerdings mit Blick auf die Feststellung der von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorausgesetzten Gefährdung von Leib oder Leben des Betroffenen und die hierfür gebotene Begründungstiefe der gerichtlichen Entscheidung sowie für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung ergeben.
BGH, Beschluss vom 17.1.2018 (Az. XII ZB 398/17)
Zur Unterbringung zur Heilbehandlung
Ist auszuschließen, dass der Betroffene eine Behandlung ohne Zwang vornehmen lassen wird, ist die Genehmigung der Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Sinn des § 1906 Abs. 3 BGB (seit 22.7.2017 § 1906a Abs. 1 Satz 1 BGB) vorliegen und diese nach § 1906 Abs. 3a BGB (seit 22.7.2017 § 1906a Abs. 2 BGB) rechtswirksam genehmigt wird.
BGH, Beschluss v. 17.1.2018 (Az. XII ZB 398/17 )
Genehmigung der Unterbringung über die angeordnete Dauer einer Zwangsbehandlung hinaus
Die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist auch über die angeordnete Dauer einer Zwangsbehandlung hinaus möglich, wenn der Tatrichter davon ausgehen kann, dass die notwendige Heilbehandlung auch in der Folgezeit sichergestellt ist. Dies kann der Fall sein, wenn zu erwarten ist, dass sich der Betroffene im Anschluss an die Zwangsbehand-lung fortan freiwillig behandeln lässt oder eine weitere Zwangsbehandlung angeordnet werden kann (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 30.7.2014 – XII ZB 169/14).