Vernachlässigung von Kindern im SGB XIV

Der Leitgedanke der Opferentschädigung ist im Wesentlichen in das seit Anfang 2024 gültige SGB XIV übernommen worden. Neben Opfern von Gewalttaten und Verbrechen haben nun aber auch Opfer von psychischer Gewalt – hierunter fallen insbesondere Fälle von sexueller Gewalt – Anspruch auf Leistungen des Sozialen Entschädigungsrechts.

Tatbestand erhebliche Vernachlässigung

Zu den weiteren Tatbeständen, die Anspruch auf soziale Entschädigung auslösen können, gehört auch die „erhebliche Vernachlässigung von Kindern“. (§ 14 Abs. 1 Nummer 5 SGB XIV). Was dieser Begriff beinhaltet und wie er ausgelegt werden kann, versucht das BMAS nun in einem Rundschreiben an die zuständigen Behörden der Länder darzulegen.

Die erhebliche Vernachlässigung von Kindern ist einer Gewalttat gleichzusetzen. Der Tatbestand setzt zunächst eine Vernachlässigung voraus. Eigenständige Relevanz kommt dem Tatbestand bei Verhaltensweisen zu, die nicht bereits durch den Begriff der (physischen oder psychischen) Gewalt erfasst werden.

Unterlassung fürsorglichen Handelns

Der Begriff „Vernachlässigung“ ist im Gesetz nicht näher definiert. Da das Soziale Entschädigungsrecht auf gesundheitliche Schädigungen abstellt, bietet es sich an, an die im medizinischen Bereich gebräuchliche Auslegung des Begriffs anzuknüpfen. Die Leitfäden der Länder zum Kinderschutz, die über die Homepage der Bundesärztekammer abrufbar sind, definieren die Vernachlässigung als die wiederholte oder andauernde Unterlassung fürsorglichen Handelns durch sorgeverantwortliche Personen, das zur Sicherung der seelischen und körperlichen Bedürfnisse des Kindes notwendig wäre.

Eine Vernachlässigung körperlicher Bedürfnisse liegt u. a. bei unzureichender Nahrung oder Verweigerung medizinisch notwendiger Hilfe vor. Eine Vernachlässigung seelischer Bedürfnisse kann etwa in mangelnder Zuwendung, fehlender sprachlicher Förderung oder in einem abwertenden Verhalten liegen. Zu beachten ist, dass es sich grundsätzlich um ein wiederholtes oder andauerndes Verhalten handeln muss.

Kein vorsätzliches Verhalten nötig

Ein vorsätzliches Verhalten ist nicht erforderlich; erfasst sind auch Fälle, in denen die Sorgeberechtigten vorsatzlos handeln. Ein Bezug zum Straftatbestand des § 225 StGB besteht nicht, sodass es nicht darauf ankommt, ob die Vernachlässigung böswillig erfolgte.

Erheblich

Die Vernachlässigung muss erheblich sein. Wann die Erheblichkeitsgrenze überschritten ist, kann nicht pauschal definiert werden. Vielmehr ist eine Einzelfallbetrachtung notwendig, bei der insbesondere das Alter und die Einsichtsfähigkeit des Kindes eine Rolle spielen. So wird man ein dreijähriges Kind nicht, ein zwölfjähriges dagegen schon regelmäßig alleine zu Hause lassen können. Häufige Wiederholungen oder ein lange andauerndes Fehlverhalten können für die Erheblichkeit der Vernachlässigung sprechen, ebenso die Intensität des Verhaltens. Für die Annahme einer erheblichen Vernachlässigung genügt es nicht, wenn die Entwicklung des Kindes nicht bestmöglich verläuft.

Gilt für Kinder bis 14

Die Norm erfasst nur die erhebliche Vernachlässigung von Kindern. Kinder sind nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII Personen unter 14 Jahren. Abweichungen davon können sich beim Vorliegen einer Behinderung ergeben.

Altfälle

Bei Fällen, die vor dem Inkrafttreten des SGB XIV stattgefunden haben, muss geprüft werden, ob die Vernachlässigung Tatbestand des damals geltenden Opferentschädigungsgesetz war. Danach war eine „erhebliche Vernachlässigung“ nur dann gegeben, wenn die zugrundeliegende Tat oder Unterlassung geeignet war, schwere gesundheitliche Schädigungen hervorzurufen, und zudem nach dem StGB (§ 225) strafbar war.

Quellen: BMAS, SOLEX

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SGB XIV führt nicht zum Verlust von Ansprüchen nach BVG

Nach § 152 SGB XIV haben Personen, die Leistungen nach dem BVG beziehen oder einen Antrag auf Leistungen noch im Jahr 2023 gestellt haben, in einigen Konstellationen zwischen Leistungen nach BVG oder SGB XIV wählen. In einer kleinen Anfrage hatte die CDU-Fraktion die Befürchtung ausgedrückt, dass es für einige Leistungsberechtigte zu schwierig sein könnte, alle Konsequenzen zu überblicken, die sich aus der Auswahlentscheidung ergeben könnten.

Kein Verlust von Ansprüchen

In ihrer Antwort betont die Bundesregierung, dass die Ablösung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) durch das Soziale Entschädigungsrecht im SGB XIV (Vierzehntes Buch Sozialgesetzbuch) zum 1. Januar 2024 nicht zu einem Verlust von Ansprüchen führe.

25-prozentiger Zuschlag

Grundsätzlich würden für Betroffene, die das Bundesversorgungsgesetz als Grundlage ihrer zukünftigen Ansprüche wählen, die Leistungen nach dem BVG auch nach dem 31. Dezember 2023 weiterhin erbracht. Allerdings würden die Geldleistungen addiert und um 25 Prozent erhöht. Der 25-prozentige Zuschlag sei ein pauschaler Ausgleich für Leistungsansprüche, die möglicherweise bei der Weitergeltung des BVG noch hätten entstehen können, im SGB XIV aber nicht mehr berücksichtigt werden. Der sich nach Addition und Zuschlag ergebende Gesamtbetrag werde dann als Geldleistung monatlich ausgezahlt. Damit sei es nicht mehr möglich, einzelne Teilbeträge einer bestimmten Leistung zuzuordnen.

Auf Antrag bis Ende 2033 nach BVG

Im Dezember 2023 bezogene befristete Geld- oder Sachleistungen könnten grundsätzlich auf Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der Befristung weiter nach dem BVG beziehungsweise einem Gesetz, das das BVG ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, bezogen werden, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2033, erläutert die Bundesregierung. Anders sei dies nur, wenn die betroffenen Leistungen mindestens gleichwertig nach dem SGB XIV erbracht werden könnten. In diesem Fall erfolge die Gewährung nach dem SGB XIV.

Neufeststellungen bei Besitzstandsfällen

Generell seien Neufeststellungen bei Besitzstandsfällen gemäß nur in zwei Fällen möglich: zur Feststellung der Anspruchsberechtigung und/ oder des Grades der Schädigungsfolgen. „Mit der Neufeststellung ist automatisch ein Wechsel in das neue Recht verbunden. Die Neufeststellung kann auf Antrag oder von Amts wegen – und somit mit dem entsprechenden Ermessensspielraum der Behörde – erfolgen“, heißt es in der Antwort weiter.

Quelle: Bundestag, FOKUS-Sozialrecht

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SGB XIV naht

Im Dezember 2019 beschlossen Bundestag und Bundesrat das Gesetz zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts (BGBl. I S.2652 Nr. 50). Damit war der Weg frei für ein neues Sozialgesetzbuch XIV. Das Gesetz regelt Ansprüche von Gewalt- und Terroropfern, aber auch von Impfgeschädigten neu. Für Kriegsopfer gelten umfangreiche Bestandsschutzregeln. Das neue Sozialgesetzbuch gilt ab 1. Januar 2024.

Nachfolge des BVG

Das Soziale Entschädigungsrecht wird im SGB XIV gebündelt und neu strukturiert. Der Kern des Soziale Entschädigungsrechts liegt noch im Bundesversorgungsgesetz (BVG) aus dem Jahr 1950. Das BVG wurde für Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene der Weltkriege geschaffen.

Immer unübersichtlicher

Auf das BVG verweisen viele Nebengesetze, zum Beispiel das Opferentschädigungsgesetz (OEG), das Strafrechtliche und Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungs-, das Häftlingshilfe-, das Soldatenversorgungs-, das Infektionsschutz- und das Zivildienstgesetz. Insgesamt wurde das gesamte Soziale Entschädigungsrecht vor allem für die Betroffenen immer unübersichtlicher.

Personenkreis verändert sich

Die Zahl der Kriegsopfer und ihrer Hinterbliebenen geht demografiebedingt weiter zurück. Die Zahl der Opfer von Gewalttaten aber könnte tendenziell zunehmen. Deshalb wird das neue SGB XIV viel stärker an den Bedarfen von Gewaltopfern ausgerichtet. Dabei zieht der Gesetzgeber auch Konsequenzen aus dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016. 

Was bedeutet Soziale Entschädigung?

Soziale Entschädigung unterstützt Menschen, die durch ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung mit der Folge einer Gesundheitsstörung erlitten haben, für die die staatliche Gemeinschaft eine besondere Verantwortung trägt. Das schädigende Ereignis ist Grundlage jeglicher Entschädigung. Es ist ein Ereignis, durch das einer der Entschädigungstatbestände erfüllt wird.

Entschädigungstatbestände nach dem SGB XIV sind nach derzeitigem Stand (zivile) Gewalttaten (OEG), nachträgliche Kriegsauswirkungen der beiden Weltkriege (BVG), Ereignisse im Zusammenhang mit der Ableistung des Zivildienstes (ZDG) sowie Impfschäden nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Durch das schädigende Ereignis muss eine gesundheitliche Schädigung eingetreten sein und diese Schädigung muss zu einer Gesundheitsstörung geführt haben. Beispiel: Messerstich in die Brust verursacht Schädigung der Lunge, die nicht folgenlos verheilt, sondern zu einer Funktionseinschränkung der Lunge führt.

Berechtigte

Berechtigte nach dem SGB XIV sind grundsätzlich

  • Geschädigte (im Bereich Gewaltopfer auch Schockschadensopfer),
  • Angehörige von Geschädigten,
  • Hinterbliebene von Geschädigten und
  • Nahestehende von Geschädigten. Darunter verstehen wir Menschen, die zu der oder dem Geschädigten in einem besonderen Näheverhältnis stehen. z. B. Menschen, die mit der oder dem Geschädigten in einer dauerhaften Lebensgemeinschaft leben, die einer Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft ähnlich ist.

Opfer sexueller Gewalt

Auch Opfer sexueller Gewalt können bei Vorliegen der weitergehenden Voraussetzungen Leistungen nach dem SGB XIV erhalten. Dies ist auch möglich, wenn die sexuelle Gewalttat schon Jahre zurückliegt.

Traumaambulanzen

Die neue Leistung der Traumaambulanzen können auch Personen in Anspruch nehmen, die das schädigende Ereignis zunächst – oft für Jahre oder Jahrzehnte – verdrängt haben, dann aber eine aktuelle/akute psychische Belastung erleben. Eine aktuelle Belastung liegt vor, wenn akute Symptome auftreten. Sie hängt nicht vom Zeitpunkt des traumatisierenden Ereignisses ab. Diese Fallkonstellation kann insbesondere bei Personen auftreten, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden sind.

Beweiserleichterung

Dazu wird es künftig eine Regelung zur Beweiserleichterung geben, die insbesondere Opfern sexueller Gewalt zugutekommt. Für sie ist es nicht immer einfach nachzuweisen, dass die gesundheitlichen Schädigungsfolgen auf eine oft schon Jahre zurückliegende Schädigung zurückzuführen sind. Wenn nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mehr dafür als dagegen spricht, dass zwischen erlittener Tat, gesundheitlicher Schädigung und Schädigungsfolgen ein ursächlicher Zusammenhang besteht (Prinzip der doppelten Kausalität), sind Ansprüche nach dem SGB XIV möglich. Die Kausalität wird also vermutet, wenn bei psychischen Gesundheitsstörungen Tatsachen vorliegen, die geeignet sind, einen Ursachenzusammenhang zu begründen und dies nicht durch einen anderen Kausalverlauf widerlegt wird.

Leistungskatalog nicht identisch

Der Leistungskatalog des SGB XIV ist nicht identisch mit dem Leistungskatalog des BVG. Einige Leistungen des BVG gehen in anderen Leistungen auf oder werden nach dem SGB XIV nur noch als Härtefall-Leistung erbracht.

  • Badekuren, Versehrtenleibesübungen – Grund: wurden nur noch selten abgefragt, sie gehen in der Regelleistung medizinische Rehabilitation auf.
  • Erholungshilfe – Grund: das Erholungsbedürfnis von Menschen hat seine Ursache nicht im schädigenden Ereignis.
  • Altenhilfe – Grund: Erschwernisse im Alter haben ihre Ursache nicht im schädigenden Ereignis.
  • Ausgleichsrente – Grund: Zusammenfassung in der wesentlich erhöhten monatlichen Entschädigungszahlung, Vereinfachung
  • Ehegattenzuschlag – Grund: Zusammenfassung in der wesentlich erhöhten monatlichen Entschädigungszahlung, Vereinfachung.
  • die Hilfe zur Pflege – Grund: geht in den ergänzenden Leistungen bei Pflegebedürftigkeit auf.

Mehr Informationen

Weitere Fragen rund um das neue SGB XIV beantwortet das Bundesministerium für Arbeit uns Soziales hier. Außerdem informiert das BMAS über das Soziale Entschädigungsrecht auch in Leichter Sprache.

Quellen: BMAS, FOKUS-Sozialrecht, Sozialverband Deutschland

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