Wohnkostenlücke

Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt: Rund 70 Prozent der befragten SGB-II-Leistungsbeziehenden machen sich „etwas Sorgen“ oder „große Sorgen“, dass das Jobcenter nicht die vollen Kosten der Unterkunft übernimmt – und sie dadurch ihre Wohnung verlieren könnten. Darauf weist der aktuelle Tacheles-Newsletter hin.

Während die neue Bundesregierung bemüht ist, die Reform des SGB II wieder zurückzufahren und gleichzeitig die verfassungsrechtlich bedenklichen Sanktionen wieder auszuweiten, beschreibt die IAB-Untersuchung, was SGB II – Beziehende tatsächlich auf den Nägeln brennt.

Angemessenheitsgrenzen und Inflation

Die Wohnkostenlücke im SGB II entsteht im Wesentlichen durch ein Auseinanderdriften zwischen den tatsächlich zu zahlenden Mieten und den vom Jobcenter in „angemessener Höhe“ anerkannten Kosten (den so genannten Angemessenheitsgrenzen). Hinzu kommen regionale und strukturelle Faktoren:

  1. Steigende Mieten versus starre Obergrenzen
    Seit dem Beginn des Wohnungsbooms 2010 sind die Neuvertragsmieten in Deutschland im Schnitt inflationsbereinigt um etwa 4,2 % über 24 Monate gestiegen – in den sieben größten Städten sogar um 4,8 %. Die Jobcenter passen die Angemessenheitsgrenzen jedoch nur sukzessive an diesen Anstieg an, sodass viele Haushalte inzwischen oberhalb der festgelegten Mietobergrenzen wohnen und daher nur einen Teil ihrer tatsächlichen Kosten erstattet bekommen.
  2. Regionale Disparitäten
    Die Kosten der Unterkunft variieren stark: Im Großraum München liegen die durchschnittlichen KdU bei 609 EUR pro Bedarfsgemeinschaft, im ländlichen Raum zum Teil nur bei 243 EUR. Wo die Mietobergrenzen nicht mit der Marktentwicklung Schritt halten, kommt es entsprechend häufig zu Kürzungen.
  3. Zukünftige Mieterhöhungen und Haushaltsänderungen
    Selbst wenn die aktuelle Miete noch unter der Angemessenheitsgrenze liegt, können künftige Mieterhöhungen oder der Auszug eines weiteren Haushaltsmitglieds dazu führen, dass die Grenze überschritten wird. Dieses Risiko verstärkt die Unsicherheit und Sorge um den Verbleib in der Wohnung.
  4. Unzureichende Karenzregelung für Unterkunftskosten
    Obwohl mit dem Bürgergeld seit 2023 eine zwölfmonatige Karenzzeit eingeführt wurde, in der kalte Wohnkosten ohne Prüfung erstattet werden, betrifft dies nur die Anfangsphase des Leistungsbezugs und schließt Heizkosten aus. Langfristig bleibt damit eine Lücke bestehen, sobald die Karenzzeit endet.

Was wäre nötig?

Um die Wohnkostenlücke zu verringern und die Wohnsicherheit von SGB-II-Empfänger*innen zu stärken, bieten sich verschiedene Ansätze an:

  1. Dynamische Anpassung der Angemessenheitsgrenzen
    Die Mietobergrenzen sollten in kürzeren Intervallen und stärker regional differenziert an die tatsächlichen Angebotsmieten angepasst werden. Eine schnellere Nachjustierung würde verhindern, dass wachsende Wohnkosten zu Kürzungen führen.
  2. Ausweitung und Automatisierung der Karenzzeit
    Die heutige Karenzzeit für kalte Wohnkosten könnte auf Heizkosten ausgeweitet und – abhängig von regionaler Marktlage – flexibel verlängert werden, um Betroffenen mehr Planungssicherheit zu geben.
  3. Stärkung des Wohngelds und des sozialen Wohnungsbaus
    Parallel zur Grundsicherung kann der Zugang zu Wohngeld erleichtert und das Wohngeldstärkungsgesetz weiterentwickelt werden. Auch der Bau bezahlbarer Sozialwohnungen muss deutlich ausgeweitet werden, um das Angebot an günstigen Wohnungen zu erhöhen.
  4. Rechtsschutz und Beratungsangebote in Jobcentern
    Viele Betroffene (45 %) tragen die Mehrkosten selbst, nur 22 % können beim Jobcenter erfolgreich höhere Kosten durchsetzen und 8 % gehen juristisch vor. Eine Verstärkung rechtlicher Beratungs- und Unterstützungsleistungen in den Jobcentern (z. B. durch Bürgergeldcoaches mit wohnungspolitischem Fachwissen) könnte helfen, Betroffenen zu ihrer vollen Kostenübernahme zu verhelfen.
  5. Wohnungssicherungskonzepte und Kooperationsmodelle
    Jobcenter, Kommunen und Wohnungsgesellschaften sollten eng zusammenarbeiten, um präventive Wohnungssicherungskonzepte zu entwickeln – von Frühwarnsystemen bei Mietrückständen bis zu dezentralen Case-Management-Teams, die bei drohender Wohnungslosigkeit schnell vermitteln.

Können die Sorgen gesenkt werden?

Durch diese Maßnahmen ließe sich die Kluft zwischen realen Mietkosten und den anerkannten Unterkunftskosten verkleinern, die Sorgen der Betroffenen deutlich senken und letztlich auch die Integration in den Arbeitsmarkt fördern. Die Erfolgsaussichten, dass vernünftige Lösungen umgesetzt werden, sind leider zur Zeit eher gering.

Quellen: tacheles e.V., IAB-Forum

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Regelsatzverordnung für 2022

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat den Entwurf einer Verordnung zur Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 28a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2022 (RBSFV 2022) vorgelegt. Die Regelsätze sollen demnach so aussehen:

Regelbedarfsstufen nach § 28 in Euro

Gültig

ab
Regel
bedarfs
stufe 1
Regel
bedarfs
stufe 2
Regel
bedarfs
stufe 3
Regel
bedarfs
stufe 4
Regel
bedarfs
stufe 5
Regel
bedarfs
stufe 6
1.1.2022449404360376311285
Das wären in allen Stufen jeweils 3 Euro mehr als 2021,
Kinder unter 6 Jahren bekommen nur einen Zuschlag von 2 Euro.

Gesetzeskonforme Berechnung der Regelsätze

Grundlage für die Regelbedarfsermittlung ist die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die alle fünf Jahre vom Statistischen Bundesamt durchgeführt wird. Die EVS liefert statistische Angaben zu den Lebensverhältnissen der privaten Haushalte in Deutschland, insbesondere über deren Einkommens-, Vermögens- und Schuldensituation sowie die Konsumausgaben.
In Jahren, für die keine Neuermittlung von Regelbedarfen nach § 28 SGB XII erfolgt – so wie im letzten Jahr – wird eine Fortschreibung der Regelbedarfsstufen vorgenommen.
Die Höhe der jährlichen Fortschreibung der Regelbedarfsstufen ergibt sich aus der Berücksichtigung der Veränderungsraten zweier Größen, nämlich der Preisentwicklung regelbedarfsrelevanter Güter und Dienstleistungen einerseits und der Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer andererseits (§ 28a SGB XII). Beide Entwicklungen münden in einen Mischindex, an dem die Preisentwicklung einen Anteil von 70 Prozent und die Nettolohn- und -gehaltsentwicklung einen Anteil von 30 Prozent hat.

  • Die Entwicklung der regelbedarfsrelevanten Preise beträgt +0,1 Prozent.
  • Die entsprechende Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer beläuft sich auf +2,31 Prozent.

Die Veränderungsrate für die Fortschreibung der Regelbedarfe beträgt demnach

70 Prozent von 0,1% = 0,07%
plus
30 Prozent von 2,31% = 0,69%
gleich:
0,76%.

Die aktuelle Berechnung ergibt also eine Erhöhung um 0,76%. Danach muss der Regelsatz 2022 für alleinstehende Erwachsene von 446 Euro auf 449 Euro steigen.

Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf

Der nach § 34 Absatz 3 SGB XII anzuerkennende Teilbetrag für ein erstes Schulhalbjahr eines Schuljahres wird kalenderjährlich mit dem in der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung bestimmten Prozentsatz fortgeschrieben. Der fortgeschriebene Wert wird kaufmännisch gerundet. Entsprechend steigt der Teilbetrag von bisher 103 Euro für das erste Schulhalbjahr auf 104 Euro (1,0076 X 103 Euro = 103,7828 Euro)). Der Betrag für das zweite Schulhalbjahr steigt dadurch auf 52 Euro.

Blanker Hohn

Der Paritätische hatte bereits früh vor einer ungenügenden Fortschreibung gewarnt und die zu geringe Erhöhung öffentlich kritisiert und die minimale Erhöhung gerade für Kinder als „blanken Hohn“ bezeichnet. Die Steigerung falle geringer aus als die Inflationsrate.

Quellen: BMAS, Paritätische

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Höhere Regelsätze

Nach Pressemeldungen, unter anderem in der Tagesschau und im Spiegel, werden die Regelsätze im SGB II und im SGB XII stärker angehoben als geplant.

Danach sollen ab 1.1.2021 folgende Regelsätze gelten:

  • Regelbedarfsstufe 1 / Alleinstehende von 432 € auf 446 € / + 14 €
  • Regelbedarfsstufe 2 / Partner innerhalb BG von 389 € auf 401 € / + 12 €
  • Regelbedarfsstufe 3 / U 25 im Haushalt der Eltern von 345 € auf 357 € / + 12 €
  • Regelbedarfsstufe 4 / Jugendliche von 15 bis 17 J. von 328 € auf 373 € / + 45 €
  • Regelbedarfsstufe 5 / Kinder von 6-14 J. von 308 € auf 309 € / + 1 €
  • Regelbedarfsstufe 6 / Kinder von 0 bis unter 6 Jahren von 250 € auf 283 € / + 33 €

Schon im Referentenentwurf zum Regelbedarfsermittlungsgesetz wurde in der Begründung zu § 7 darauf hingewiesen, dass die für die Fortschreibung zum 1. Januar 2021 benötigten Daten erst Ende August 2020 vollständig vorliegen werden.
Die zu Grunde liegenden Daten stammen aus dem Jahr 2018. In dem Entwurf wurde der zu erwartende Anstieg für die Jahre 2019 und 2020 mit insgesamt geschätzten 0,93 Prozent eingerechnet. Dies war auch schon ein Kritikpunkt der Sozialverbände am Entwurf.

Nun liegen die tatsächlichen Zahlen vor. Danach ergab sich für die Jahre 2019 und 2020 wohl ein tatsächlicher Anstieg um etwa 2,5 Prozent.

Die Erhöhung der Regelsätze ist unter anderem auch relevant für die Höhe der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Hier liegen aber noch keine konkreten Zahlen vor.

Quellen: Tagesschau, Spiegel, FOKUS-Sozialrecht

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