Rechtsvereinfachung und Entbürokratisierung im Sozialrecht

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. hat Ende Mai 2025 Empfehlungen verabschiedet, die Anregungen zu Rechtsvereinfachung und
Entbürokratisierung im Sozialrecht geben sollen. Die Empfehlungen richten sich an den Bundes- und Landesgesetzgeber, die Ministerien in Bund und Ländern sowie die öffentlichen Träger und Erbringer sozialer Leistungen.

Vielzahl von Regelungen

Das Sozialrecht in Deutschland ist durch eine hohe Komplexität und eine Vielzahl von Regelungen gekennzeichnet, die zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führen. Der Deutsche Verein stellt fest, dass das Sozialrecht die Leistungsgewährung erschwert und das Vertrauen in den Sozialstaat untergräbt. Er fordert, dass Sozialleistungen stärker gebündelt und an Lebenslagen ausgerichtet werden, um ein bürgerfreundliches, digitales Verwaltungssystem zu schaffen.

Vereinheitlichung und Harmonisierung von Rechtsbegriffen

Der Deutsche Verein empfiehlt die Einführung einheitlicher Rechtsbegriffe im Sozialrecht, insbesondere für zentrale Begriffe wie beispielsweise

  • „Einkommen“,
  • „Alleinerziehende“ und
  • „Altersgruppen“.

So würde eine klare, rechtskreisübergreifend anschlussfähige Definition von Einkommen die Rechtssicherheit und Effizienz der Rechtsanwendung sowohl in analoger als auch digitaler Form deutlich steigern. Die Vereinheitlichung soll Missverständnisse und Abgrenzungsfragen vermeiden und die Verwaltungspraxis vereinfachen. Zudem wird empfohlen, die Einführung neuer Begrifflichkeiten zu vermeiden, um weitere Komplexität zu verhindern. Diese Maßnahme würde nicht nur die interne Verwaltung erleichtern, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Behörden und Institutionen verbessern und Doppelarbeit vermeiden.

Verlängerung von Bewilligungszeiträumen

Ein weiterer zentraler Vorschlag ist die Verlängerung von Bewilligungszeiträumen. Der Deutsche Verein schlägt vor, die Bewilligungs- und Bemessungszeiträume so zu gestalten, dass monatliche Berechnungen, Änderungen und Rückforderungen vermieden werden können. Dies würde zu einer besseren Planbarkeit und einer Vereinfachung der Antragstellung und des Verwaltungsvollzugs führen. Allerdings wird auch auf die potenziellen Risiken hingewiesen, wie zeitweise Bedarfsunterdeckungen oder Überzahlungen, die Rückforderungen notwendig machen könnten. Die Verlängerung der Bewilligungszeiträume könnte die Stabilität und Kontinuität der sozialen Leistungen für die Leistungsberechtigten erhöhen und den Verwaltungsaufwand deutlich reduzieren.

Bündelung von Geldleistungssystemen

Der Deutsche Verein spricht sich für die Bündelung bzw. Zusammenführung von Geldleistungssystemen aus. Derzeit existieren zahlreiche sozialrechtliche Leistungen nebeneinander, die unterschiedliche Voraussetzungen haben und bei verschiedenen Behörden zu beantragen sind. Dies führt zu parallelen Beantragungen und einem hohen Mehraufwand. Eine Bündelung der Leistungen, die das gleiche Ziel verfolgen oder den gleichen Bedarf absichern, würde den Leistungsbezug aus einer Hand ermöglichen und den Verwaltungsaufwand erheblich reduzieren. Dies könnte die Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit für die Leistungsberechtigten erhöhen und die Zusammenarbeit zwischen den Behörden verbessern.

Stärkung der Beratungspflichten

Eine weitere wichtige Empfehlung ist die Stärkung der gesetzlichen Beratungspflichten und deren verständliche und barrierefreie Umsetzung. Der Deutsche Verein betont, dass bereits im Vorfeld einer Beantragung von Sozialleistungen niedrigschwellige und barrierefreie Informationsmöglichkeiten sowohl analog als auch digital zur Verfügung stehen sollten. Dies würde eine für alle zugängliche und verständliche Information zu den Leistungen ermöglichen und die Nutzung von digitalen Tools und Informationsplattformen fördern. Eine solche Maßnahme könnte die Effizienz der Verwaltung steigern und die Zugänglichkeit zu sozialen Leistungen verbessern, indem sie die Bürgerinnen und Bürger besser über ihre Rechte und Möglichkeiten informiert.

Rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit

Der Deutsche Verein empfiehlt, die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit gesetzlich abzusichern und den Datenaustausch mitzuregeln. Dies würde die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Leistungen gut gestalten bzw. abbauen und systematische Verschlechterungen für Leistungsberechtigte im Vergleich zum Status Quo vermeiden. Die Schaffung von gemeinsamen Datenbanken und die Einführung von verbindlichen Kooperationsvereinbarungen könnten den Informationsaustausch erleichtern und Doppelarbeit vermeiden. Eine solche Regelung würde die Verwaltung entlasten und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden und Institutionen im Sozialbereich verbessern.

Wer ist der „Deutsche Verein“?

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. (kurz Deutscher Verein) mit Sitz in Berlin ist der Zusammenschluss der öffentlichen und freien Träger sozialer Arbeit. Er ist ein eingetragener Verein, der als gemeinnützig anerkannt ist. Der Verein hat über 2.500 Mitglieder, hierzu gehören Landkreise, Städte und Gemeinden sowie deren Spitzenverbände und die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege ebenso wie Bundesministerien und -behörden, Länderverwaltungen, überörtliche Träger der Sozialhilfe, Universitäten und Fachhochschulen, Vereine, soziale Einrichtungen, Ausbildungsstätten, Einzelpersonen und Unternehmen der Sozialwirtschaft. Gegründet wurde er 1880. Nach seiner geltenden Satzung fördert er Bestrebungen auf dem Gebiet der sozialen Arbeit, insbesondere der Sozialhilfe, der Jugendhilfe, der Gesundheitshilfe sowie der Armenpflege in der Bundesrepublik Deutschland. Praktische Sozialarbeit ist nicht Aufgabe des Vereins, sondern die seiner Mitglieder.

Quellen: Deutscher Verein, wikipedia

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Stärkung der hausärztlichen Versorgung

Viele Hausärztinnen und Hausärzte sind mit ihren Arbeitsbedingungen extrem unzufrieden. Ihre Wartezimmer sind oft übervoll – und nach Feierabend müssen die Hausärztinnen und -ärzte weiter am Schreibtisch sitzen, um den „Papierkram“ mit den Krankenkassen zu machen, damit sie für all ihre Leistungen bezahlt werden. Dabei falle viel zu viel Bürokratie an, sagen sie. Ihr größtes Problem ist aber dies: Sie werden nicht für alle Untersuchungen und Behandlungen, die sie an Patienten vornehmen, bezahlt.

Unser gesetzliches Krankenversicherungssystem, in dem etwa neun von zehn Deutschen versichert sind, funktioniert so: Einer (der Arzt) erbringt eine Leistung, ein Zweiter (der Patient) bekommt diese Leistung, und ein Dritter (die Krankenkasse) bezahlt dafür. Diese Dreiecksbeziehung ist anfällig für das, was Volkswirte „Fehlanreize“ nennen.

Zum Beispiel: Der Patient bestellt beim Arzt Behandlungen oder Medikamente, die er gar nicht unbedingt braucht. Der Arzt bietet sie an, weil er daran verdient. Und bezahlen muss dafür am Ende die Allgemeinheit mit steigenden Krankenkassenbeiträgen. Um das zu verhindern, sind die Einnahmen der niedergelassenen Ärzte (also solche mit eigener Praxis mit Kassensitz) gedeckelt. Das soll verhindern, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. 

Gesundheitsminister Lauterbach hat sich Anfang Januar mit den Ärztevertretern getroffen und schlägt folgendes Maßnahmepaket vor.

Reform der hausärztlichen Honorierung

  • Entbudgetierung aller Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung nach ähnlicher Systematik wie für die Kinder- und Jugendärzte.
  • Einführung einer jahresbezogenen hausärztlichen Versorgungspauschale für die Be-
    handlung von erwachsenen Versicherten mit chronischer Erkrankung (mit kontinuierlichem Arzneimittelbedarf).
  • Hausärztliche Vorhaltepauschale: Für echte Versorgerpraxen, die maßgeblich die hausärztliche Versorgung aufrechthalten, wird eine Vorhaltepauschale gesetzlich vorgegeben. Diese ist abrechenbar, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind (z.B. Hausbesuche, Mindestanzahl an Versicherten in Behandlung).
  • Einführung einer einmal jährlich abrechenbaren Vergütung für Hausärzte für eine qualifizierte Hitzeberatung vulnerabler Gruppen. Ziel: Zahl der Hitzetoten soll weiter gesenkt werden (Schätzungen RKI Hitzetote 2022: 4.500 – 2023: 3.200).

Entbürokratisierung

  • Einführung einer wirkungsvollen Bagatellgrenze bei den Wirtschaftlichkeitsprüfun-
    gen von ärztlich verordneten Leistungen.
  • Festsetzung einer Ausschlussfrist von zwei Jahren für Beratungen im Rahmen der
    Wirtschaftlichkeitsprüfung
  • Abschaffung des zweistufigen Antragsverfahrens in der Kurzzeittherapie (Psychotherapie)
  • Vereinfachung bei den Vorgaben zur Einholung eines Konsiliarberichts bei ärztlich
    überwiesenen Patientinnen und Patienten (Psychotherapie)
  • Abschaffung der Präqualifizierungspflicht für Vertragsärztinnen und -ärzte, die Hilfs
    mittel an Versicherte abgeben

Digitalisierung

  • Entlastung der Praxen durch die Möglichkeit zur Ausstellung von elektronischen Re-
    zepten und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei bekannten Patientinnen und Patienten lediglich durch telefonische Konsultation,
  • Flexibilisierung des Umfangs, in dem Videosprechstunden erbracht werden können und Ermöglichung von Homeoffice für Ärzte,
  • Umstellung des bisherigen BtM-Rezeptes auf einen digitalisierten Verschreibungsprozess, einschließlich digitaler Nachweisführung.

Sektorenübergreifende Versorgung

  • Förderung der Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen,
  • Im Rahmen der Krankenhausreform wird die sektorenübergreifende Zusammenarbeit insbesondere durch die Einführung von Level 1i-Krankenhäusern gestärkt.

Die meisten dieser Punkte sollen durch die angekündigten Versorgungsstärkungsgesetze und die Digitalisierungsgetze in Angriff genommen werden, die Lauterbach letzten Sommer ankündigte und die seitdem in Arbeit oder im Beratungsprozess sind.

Quellen: Deutschlandfunk, Tagesspiegel, correctiv, Bundestag, FOKUS-Sozialrexht

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