Antiziganismus

Die Einrichtung des Amtes des Antiziganismusbeauftragten durch die deutsche Bundesregierung am 1.Mai 2022 stellt eine Reaktion auf das anhaltende Problem des Antiziganismus dar.

Definition

Die Allianz gegen Antiziganismus hat 2016 ein Grundlagenpapier zum Thema Antiziganismus herausgegeben und darin Antiziganismus wie folgt definiert:

„Antiziganismus ist ein historisch hergestellter stabiler Komplex eines gesellschaftlich etablierten Rassismus gegenüber sozialen Gruppen, die mit dem Stigma ‚Zigeuner‘ oder anderen verwandten Bezeichnungen identifiziert werden. Er umfasst

  1. eine homogenisierende und essentialisierende Wahrnehmung und Darstellung dieser Gruppen;
  2. die Zuschreibung spezifischer Eigenschaften an diese;
  3. vor diesem Hintergrund entstehende diskriminierende soziale Strukturen und gewalttätige Praxen, die herabsetzend und ausschließend wirken und strukturelle Ungleichheit reproduzieren.“

Tätigkeitsbericht

Der Antiziganismusbeauftragte hat Ende März 2025 seinen Tätigkeitsbericht und Handlungsempfehlungen dem Bundestag vorgelegt.

Darin empfiehlt der Beauftragte der Bundesregierung, den 2. August „als Gedenktag für die ermordeten Sinti* und Roma* nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch weltweit anzuerkennen“ und hierzu eine Initiative im Rahmen der Vereinten Nationen einzubringen. Auch plädiert er dafür, sich für eine stärkere Verankerung des 2. August als Gedenktag in Deutschland und Europa einzusetzen.

Gedenktag am 2. August

Zugleich legt er der Bundesregierung nahe, die nationale Strategie „Antiziganismus bekämpfen, Teilhabe sichern!“ weiterzuentwickeln, „mit einem Budget zu hinterlegen und überprüfbare Kriterien zur Erfolgskontrolle zu entwickeln“. Zudem soll die Bundesregierung nach seinem Willen eine „Kommission zur Aufarbeitung des an Sinti* und Roma* nach 1945 begangenen Unrechts“ einsetzen und mit den nötigen Mitteln ausstatten.

Schutzstatus absichern

Daneben spricht sich der Beauftragte dafür aus, „den Schutzstatus der Roma*, die vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, dauerhaft abzusichern und ihnen gleichberechtigten Zugang zu allen relevanten Unterstützungsmaßnahmen zu gewähren“. Des Weiteren rät er, „geflüchteten Roma* aus dem ehemaligen Jugoslawien und ihren Angehörigen, die bis heute vielfach im Status der Duldung leben“, aus humanitären und historischen Gründen eine sichere Bleibeperspektive zu eröffnen.

Gleichstellung mit Opfern der NS-Verfolgung

Ferner dringt er darauf, Lücken in der Entschädigungspraxis zu prüfen und die „Gleichstellung der von NS-Verfolgung betroffenen Sinti* und Roma* mit jüdischen Opfern der NS-Verfolgung in der Verwaltungspraxis sicherzustellen“. Darüber hinaus setzt sich der Beauftragte in seinen Handlungsempfehlungen unter anderem dafür ein, das gesellschaftliche Bewusstsein für die Geschichte von Sinti und Roma zu schärfen und Maßnahmen zur Anerkennung und Förderung ihrer kulturellen Leistungen und Sprache und ihrer Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft zu stärken.

Antiziganistische Vorfälle

Um die Dimension des bis heute häufig heruntergespielten Rassismus gegen Sinti* und Roma* zu verdeutlichen, finden sich in seinem Bericht außerdem Ausführungen zu antiziganistischen Vorfällen in den Jahren 2022 bis 2024, deren Darstellung wesentlich auf Daten der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) und der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität, die vom Bundeskriminalamt gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium herausgegeben wird, beruht.

Vorfälle im Bildungsbereich

Der neueste Bericht der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA), ebenfalls aus dem März 2025 befasst sich mit Vorfällen im Bildungsbereich, also hauptsächlich in Schulen und KITAs. Hier wurden 484 bei der MIA gemeldete Fälle beschrieben und untersucht. Die Auswertung der Fälle zeigt ein erschreckendes Ausmaß der verbalen und physischen Angriffe, Bedrohungen und Beleidigungen, denen sowohl deutsche Sinti und Roma als auch zugewanderte und geflüchtete Roma in den deutschen Bildungseinrichtungen ausgesetzt sind. Auch die Tagesschau berichtete am 2. April 2025 darüber.

Weitere Unterstützung

Der scheidende Antiziganismusbeauftragte, Dr. Daimagüler, fordert die weitere Unterstützung der MIA sicherzustellen und betont die Wichtigkeit und die Fortführung des Amtes des Antiziganismusbeauftragten, auch unter der kommenden Bundesregierung.

Quellen: Allianz gegen Antiziganismus, Bundestag, Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA), Tagesschau

Abbildung: pixabay.com racism-5271245_1280

Antiziganismus schafft es nicht in den Bundestag

Anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust und des 78. Jahrestages der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 wurde in diesem Jahr besonders der 500.000 ermordeten Sinti und Roma gedacht.

Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus

Im Mai 2019 wurde der Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation) veröffentlicht, der am 31. März dem Bundestag zur Beschlussempfehlung erneut (erstmals im Juni 2021) vorgelegt werden sollte.

Die Abstimmung über den Bericht wurde nun schon wieder kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestages am Freitag, 31. März 2023, abgesetzt.

Beauftragter gegen Antiziganismus

In dem mehr als 800 Seiten umfassenden Bericht fordert die 2019 eingesetzte Kommission die Bundesregierung auf, einen „Beauftragten gegen Antiziganismus“zu berufen, der Maßnahmen zur Überwindung von Antiziganismus koordinieren soll. Beraten werden soll er nach dem Willen der Kommission von einem unabhängigen Kreis aus Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft, der von der Bundesregierung in Absprache mit dem Beauftragten berufen wird.

Zur Sicherstellung der Umsetzung zahlreicher in dem Bericht formulierten Empfehlungen fordert die Kommission zudem die Schaffung einer ständigen Bund-Länder-Kommission, da viele Maßnahmen zur Überwindung von Antiziganismus laut Vorlage in die Zuständigkeit der Länder fallen.

Anerkennung des Genozids an Sinti und Roma

Zu den zentralen Forderungen der Kommission zählt zudem die umfassende Anerkennung des nationalsozialistischen Genozids an Sinti und Roma. Für nicht in Deutschland lebende Überlebende des NS-Völkermordes an Sinti_ze und Rom_nja fordert die Kommission die Einrichtung eines Sonderfonds durch das Bundesfinanzministerium für diejenigen, die nach den gesetzlichen Vorschriften der Bundesrepublik bisher keine oder nur geringfügige Entschädigungen erhalten haben.

Eine niedrigschwellige, einmalige Anerkennungsleistung sei für alle Roma und Sinti vorzusehen, die vor der Befreiung ihres damaligen Heimat- oder Emigrationslandes von der NS-Besatzung oder den mit dem NS-Regime kollaborierenden Regierungen geboren wurden, heißt es in der Vorlage weiter. Wer die Anspruchsvoraussetzungen erfülle, solle laufende Leistungen erhalten.

Aniziganismus in Deutschland

Der Bericht listet zu Beginn eine Reihe erschreckender Ereignisse auf, die während der Erstellung des Berichts seit 2019 in Deutschland passierten und die zeigen, dass Rassismus gegen Sinti_ze und Rom_nja hierzulande coh weit verbreitet ist.

Dazu gehören:

  • die gesetzwidrige Sondererfassung von Sinti_ze und Rom_nja bei der Berliner Polizei,
  • antiziganistisch legitimierten Absperrungen ganzer Wohnblocks im Kontext der Corona-Ausnahmesituation,
  • Planungen zu einem Abbau des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas aufgrund des Baus einer S-Bahn-Trasse,
  • Abschiebungen von seit Jahrzehnten in Deutschland lebenden Rom_nja in existenziellen Notlagen,
  • Abführung eines elfjährigen Kindes in Handschellen und seine Inhaftnahme,
  • Äußerungen von prominenten Personen aus der Unterhaltungsbranche, die in ignoranter, verletzender und verächtlichmachender Manier bei mehreren Anlässen vor einem Millionenpublikum ihr Beharren auf der rassistischen Fremdbezeichnung „Zigeuner“ zum Besten gaben,
  • der rechtsterroristische Anschlag in Hanau vom 19. Februar 2020. Unter den neun Todesopfern befinden sich drei Angehörige aus den Communitys von Sinti_ze und Rom_nja: die 35-jährige Mercedes Kierpacz, der 23-jährige Vili Viorel Păun und der 33-jährige Kaloyan Velkov.

Schaden umfassend ausgleichen

Die Kommission fordert darüber hinaus, „den gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Schaden, der durch die massive Benachteiligung in der Wiedergutmachungspraxis und den fortgesetzten Antiziganismus nach 1945 der Zweiten Generation entstanden ist, umfassend auszugleichen“. Den bis 1965 in Deutschland geborenen Kindern der im Nationalsozialismus verfolgten Sinti und Roma seien daher nach dem Vorbild der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ einmalige Pauschalen auszuzahlen.

Des Weiteren dringt das Gremium auf die Einsetzung einer Kommission zur Aufarbeitung des an Sinti und Roma begangenen Unrechts in der Bundesrepublik. Sinti und Roma „wurde und wird durch staatliche Behörden und andere gesellschaftliche Institutionen der Bundesrepublik Deutschland (zum Beispiel Polizei, Justiz, öffentliche Verwaltung, Ausländer- und Sozialbehörden, Schulen, Jugendämter, Kirchen, Wohlfahrtsverbände) gravierendes Unrecht zugefügt“, schreiben die Autoren. Deshalb fordere die Kommission die Bundesregierung auf, einen „umfassenden Prozess der Aufarbeitung dieses auch als Zweite Verfolgung bezeichneten Unrechts einzuleiten“. Dazu solle die Bundesregierung ein mit angemessenen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattetes Gremium einsetzen.

Anerkennung geflüchteter Roma als schutzwürdig

Ferner pocht die Kommission in ihrem Bericht auf die Anerkennung geflüchteter Roma als „besonders schutzwürdige Gruppe“. Mit Blick auf die praktische Anwendung der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes sei klarzustellen, dass die in Deutschland lebenden Roma „aus historischen und humanitären Gründen als eine besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen sind“. Landesregierungen und Ausländerbehörden seien aufgefordert, die Praxis der Abschiebung von Roma sofort zu beenden. Der Bundesregierung und dem Bundesgesetzgeber wird in dem Bericht empfohlen, die Einstufung von Serbien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro und dem Kosovo als asylrechtlich „sichere Herkunftsstaaten“ zurückzunehmen.

Zentrale Forderungen

Schließlich macht sich die Kommission in ihren „zentralen Forderungen“ für die „Umsetzung und Verstetigung von Partizipationsstrukturen“ stark. Unter anderem soll danach die zivilgesellschaftliche Arbeit der Organisationen von Sinti und Roma in Deutschland durch „transparente Strukturen einer dauerhaften finanziellen Förderung“ gestärkt werden.

Quellen: Bundestag

Abbildung: pixabay.com racism-5271245_1280