Kinderrechte ins Grundgesetz

Vor Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kündigte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey an, dass bis Ende 2019  ein Vorschlag vorlegt werde, um Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Derzeit werde in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe über die Formulierung für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes beraten.

Koalitionsvertrag

Dies wurde schon im Koaltionsvertrag 2018. Hier heißt es unter Punkt III.2.:
„Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern. Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang. Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen. Über die genaue Ausgestaltung sollen Bund und Länder in einer neuen gemeinsamen Arbeitsgruppe beraten und bis spätestens Ende 2019 einen Vorschlag vorlegen.“

Deutschland hat 1992 – wie fast alle Staaten – die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) ratifiziert. Damit hat sich auch Deutschland verpflichtet, die Kinderrechte umzusetzen und sie – wo nötig – in innerdeutsches Recht zu überführen. Vor allem hat sich Deutschland verpflichtet, die Interessen von Kindern vorrangig zu berücksichtigen. Bisher sind die Kinderrechte aber nicht ins Grundgesetz aufgenommen, was der UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes kritisiert.

Gesetzesinitiativen

Es gab schon eineige Intiativen, wie etwa den Gesetzentwurf der Fraktion die Grünen. In dem Entwurf wird die Einführung eines neuen Absatz 5 im Artikel 4 des Grundgesetz vorgeschlagen. Wortlaut:
„Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit sowie auf den Schutz vor Gefährdungen für sein Wohl. Bei allem staatlichen Handeln ist das Wohl des Kindes besonders zu berücksichtigen. Sein Wille ist entsprechend seinem Alter und seinem Reifegrad in allen es betreffenden Angelegenheiten zu beachten.“

…oder sind Kinder ausreichend geschützt?

Die Kritik an einer Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz geht dahin, dass befürchtet wird, dass Kinder und Eltern gegeneinander ausgespielt werden könnten. Kinder seien im Grundgesetz schon ausreichend geschützt, schreibt beipielsweise der Augsburger Jura-Professor Prof. Dr. Gregor Kirchhof.

Aktion Kinderrechte

Dagegen bemängelt das Aktionsbündnis Kinderrechte (Kinderschutzbund, Deutsches Kinderhilfswerk, Unicef), dass Kinder bis heute im Grundgesetz als „Regelungsgegenstand“ vorkommen (Art.6 GG, Absatz 2). Kinder würden nicht als Rechtssubjekte behandelt, ihre Grundrechte setzten sich in der Rechtsprechung kaum durch oder fänden in der Rechtsprechung kaum Niederschlag. Das Grundgesetz selbst bringe bis heute weder den in der Kinderrechtskonvention verankerten Vorrang des Kindeswohls noch den grundlegenden Gedanken dieses völkerrechtlichen Abkommens zum Ausdruck – dass nämlich Kinder als gleichberechtigte Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft, als eigenständige Persönlichkeiten mit eigener Würde und dem Anspruch auf Anerkennung ihrer Individualität anzuerkennen sind.

Die Initiative schlägt daher folgende Kernelemente für eine Verfassungsänderung vor:

  • Der Vorrang des Kindeswohls bei allen Kinder betreffenden Entscheidungen;
  • Das Recht des Kindes auf Anerkennung als eigenständige Persönlichkeit;
  • Das Recht des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung;
  • Das Recht des Kindes auf Schutz, Förderung und einen angemessenen Lebensstandard;
  • Das Recht des Kindes auf Beteiligung, insbesondere die Berücksichtigung seiner Meinung entsprechend Alter und Reifegrad;
  • Die Verpflichtung des Staates, für kindgerechte Lebensbedingungen Sorge zu tragen.

Dies könne in einem neu zu schaffenden Artikel 2a im Grundgesetz festgelegt werden.

Mit Spannung wird daher der erste Entwurf des Familienministeriums erwartet.

Quellen: BundesFamilienminsterium, Grüne Bundestagsfraktion, Kinderrechtskonvention (englische Version), Aktionsbündnis Kinderrechte, Grundgesetz

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Stärkung der Geburtshilfe

Das Bundesgesundheitsministerium hat ein Eckpunktepapier zur Stärkung der Hebammenversorgung vorgelegt. Die neuen Regelungen sollen in das Terminservice und Versorgungsgesetz eingebaut werden. Die Sicherstellung einer flächendeckenden Hebammenversorgung hat laut BMG eine wichtige gesundheitspolitische Bedeutung.

Gutachten

Zunächst soll ein Gutachten in Auftrag gegeben werden, das die Schaffung der notwendigen Informationsgrundlage zur Situation der stationären Geburtshilfe sowie zu den Ursachen möglicher Versorgungsengpässe zum Ziel hat, um den gesetzgeberischen Handlungsbedarf bestimmen und Maßnahmen für die Verbesserung der stationären Hebammenversorgung entwickeln zu können.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Hebammen und Entbindungspfleger zu verbessern. Hierbei sollen auch Betreuungsbedarfe rund um die Uhr – jenseits der üblichen Öffnungszeiten von Kitas abgedeckt werden.

Hebammensuche

Eine eine öffentlich bereitgestellte Vertragspartnerliste soll die Hebammensuche erleichtern. Diese Liste soll der Der GKV-Spitzenverband anbieten und dafür sorgen, dass diese Liste verlässlich und aktuell bleibt. Dazu soll eine umfassende Meldepflicht für Hebammen und Entbindungspfleger in das Gesetz aufgenommen werden.

Rückkehr in den Beruf

Die Rückkehr von Hebammen und Entbindungspfleger in den Beruf soll durch Informations- und Öffentlichkeitskampagnen gefördert werden. Die Bundesagentur für Arbeit fördert unter bestimmten Voraussetzungen geeignete Weiterbildungsmaßnahmen.  Zudem sollen Hebammen und Entbindungspfleger sowie potenzielle Arbeitgeber über die bestehenden Instrumente zur Förderung des Wiedereinstiegs besser informiert werden.

Geburtshilfe-Studium

Die Hebammenausbildung muss aufgrund der EU-Richtlinie 2005/36/EG bis zum 18. Januar 2020 novelliert werden. Um die daraus folgenden Vorgaben umzusetzen, soll die Zugangsvoraussetzung zur Hebammenausbildung von einer zehnjährigen auf eine zwölfjährige allgemeine Schulausbildung angehoben werden. Die Hebammenausbildung wird vollständig akademisiert. Das zukünftige Hebammenstudium wird sich an dem dualen Studium orientieren und einen hohen Praxisanteil aufweisen.

Quelle: BMG

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Kurzzeitpflege bei fehlender Pflegebedürftigkeit wird gut angenommen

Mit Geltung ab 1. Januar 2016 wurde ein Anspruch auf Kurzzeitpflege bei fehlender Pflegebedürftigkeit als neue Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Krankenhausstrukturgesetz eingeführt (§ 39c SGB V). Dieser Leistungsanspruch auf Kurzzeitpflege ergänzt die erweiterten Leistungsansprüche auf häusliche Krankenpflege (Unterstützungspflege) und auf Haushaltshilfe im Leistungskanon der gesetzlichen Krankenversicherung.

Wie aus einem aktuellen Bericht des GKV-Spitzenverbandes hervorgeht, wird diese Leistung gut angenommen. So haben die Krankenkassen im Jahr 2017 in insgesamt 18.5342 Fällen Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V erbracht. Seit dem Einführungsjahr 2016 haben die Krankenkassen zur Realisierung des Anspruchs auf Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V über 37 Mio. Euro gezahlt:

  • 2016: ca. 11,5 Mio. Euro.
  • 2017: ca. 17,0 Mio. Euro
  • 2018: rund 9,274 Mio. Euro (1./2. Quartal).

Übersicht über den Leistungsanspruch auf Kurzzeitpflege auf Kosten der GKV

Der Anspruch besteht, wenn

  • (noch) kein Pflegegrad 2, 3, 4, oder 5 nach dem SGB XI vorliegt, und
  • wegen schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung
    einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung, aufgrund krankheitsbedingter Einschränkungen im Bereich der Grundpflege und Hauswirtschaft Unterstützung notwendig ist.

Die Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V werden auf Antrag gewährt. Dem Antrag soll eine ärztliche Bescheinigung über die medizinische Notwendigkeit einer Kurzzeitpflege bei nicht vorliegender Pflegebedürftigkeit
beigefügt werden. Aus der Bescheinigung sollte zudem hervorgehen, dass aufgrund einer schweren Krankheit oder einer akuten Verschlimmerung einer Krankheit ein Kurzzeitpflegeaufenthalt indiziert ist.

Die Krankenkassen erbringen die Kurzzeitpflege für einen begrenzten Leistungszeitraum entsprechend der Konstruktion der Kurzzeitpflege im Bereich des SGB XI – also: Anspruch auf acht Wochen je Kalenderjahr und begrenzt auf einen Gesamtbetrag von bis zu 1.612 Euro im Kalenderjahr (vgl. § 42 Absatz 2 Satz 1 und 2 SGB XI).

Der Anspruch auf Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V setzt voraus, dass keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5 vorliegt. Das hat im Umkehrschluss jedoch nicht zur Folge, dass Versicherte mit Pflegegrad 1 per se einen Anspruch auf Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V haben.

Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V kommt bei Pflegegrad 1 nur in Betracht, wenn andere Leistungsansprüche den speziellen Bedarf der Versicherten bei schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere
nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung nicht im erforderlichen Maße abdecken. Zu prüfen ist, ob eine Haushaltshilfe oder häusliche Krankenpflege nicht ausreichend sind. Es gilt folgende Prüfreihenfolge:

  1. Besteht ausschließlich ein Bedarf auf hauswirtschaftliche Unterstützung,
    kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Haushaltshilfe nach § 38 Abs. 1 Satz 3 SGB V in Betracht, sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen.
  2. Besteht neben einem hauswirtschaftlichen auch ein grundpflegerischer
    Versorgungsbedarf, kommen Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 1a SGB V in Betracht.
  3. Besteht ein grundpflegerischer und ein hauswirtschaftlicher Versorgungsbedarf und reichen Leistungen der häuslichen Krankenpflege nicht aus, weil der Versorgungsbedarf rund um die Uhr – auch nachts – besteht oder unvorhersehbar zu jeder Tages- oder Nachtzeit eintreten kann und
    deshalb die Versorgung mangels ergänzender Unterstützung im persönlichen Umfeld des Versicherten nur im stationären Kontext ausreichend sichergestellt werden kann, kommen Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V in zugelassenen Kurzzeitpflegeeinrichtungen nach dem SGB XI oder in anderen geeigneten Einrichtungen in Betracht.

Quelle: Bericht des GKV-Spitzenverbandes zu den Erfahrungen mit der Einführung der Kurzzeitpflege bei fehlender Pflegebedürftigkeit (Unterrichtung durch die Bundesregierung, Drs. 19/6933)

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Hartz IV auch bei Pflegetätigkeit möglich

Wer sich um die Pflege eines Angehörigen kümmert, kann auch dann einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach SGB II (Hart IV) haben, wenn er trotz der Pflegetätigkeit eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, dann aber einen Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitgeber schließt, weil sich im Nachhinein herausstellt, dass sich die Arbeit doch nicht mit der Pflegetätigkeit vereinbaren lässt.

Im vorliegenden Fall lebt eine 38-jähigen Frau mit ihrer schwerbehinderten und pflegebedürftigen Mutter in einem Haushalt. Die Frau hatte eine Vollzeitstelle angenommen mit Schichtdienst angenommen. Zugleich kümmerte sie sich um die Pflege ihrer Mutter. Nachdem sich deren Gesundheitszustand verschlechtert hatte, konnte sie Arbeit und Pflege nicht mehr vereinbaren. Sie schloss daher mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag. Vom Jobcenter bezog sie Grundsicherungsleistungen (Hartz-IV).

Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bewertete das Jobcenter als sozialwidriges Verhalten (§ 34 SGB II) und forderte rund 7.100 Euro zurück. Die Frau habe schon bei Abschluss des Arbeitsvertrags gewusst, dass sie im Schichtdienst arbeiten würde und dass ein Umzug nicht möglich sei. Die Mutter habe die Pflegestufe II und die Tochter müsse nicht selbst die Pflege übernehmen. Dies könne auch durch einen Pflegedienst geschehen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei dafür nicht notwendig. Dieses Verhalten sei zumindest grob fahrlässig.

Dieser Rechtsauffassung schloss sich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen nicht an.

Grundsätzlich sei zwar jede Arbeit zumutbar (vgl. § 10 SGB II), wenn die Pflege von Angehörigen anderweitig sichergestellt werden könne. Selbst bei Pflegestufe II (wäre nach aktueller Rechtslage Pflegegrad 3) seien Arbeitszeiten von bis zu 6 Stunden täglich zumutbar. Dies sei im Falle der Klägerin jedoch nicht möglich. Sie habe im Schichtsystem auf Abruf mit variablen Zeiten gearbeitet. Die Einsatzzeiten seien erst vier Tage vor dem Einsatz mitgeteilt worden. Die dreimal täglich anfallende Pflege sei damit nicht zu vereinbaren.

Das Gericht hat zudem das Selbstbestimmungsrecht der Mutter berücksichtigt, die einen Pflegedienst ablehnte und nur ihre Tochter akzeptierte.

Dass die Klägerin dies alles vorher gewusst habe, stehe dem Anspruch auf Leistungen nicht entgegen. Auch angesichts der Erwerbsobliegenheit dürfe ein Leistungsempfänger die Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege austesten, ohne sich im Falle des Scheiterns einem Ersatzanspruch auszusetzen.

Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen , Urteil vom 12.12.2018, Az. L 13 AS 162/17 >> zum Volltext

Behandlungsmethoden per Ministerverordnung

Am Mittwoch, 16.1.2019, findet im Ausschuss für Gesundheit eine öffentliche Anhörung zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSGV) statt.  Für Aufsehen sorgt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Einführung eines neuen § 94a in das Sozialgesetzbuch Füntes Buch einführen will. Mit dieser Vorschrift würde das Bundesgesundheitsministerium ermächtigt, unabhängig von einer Entscheidung des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss, der dafür zuständig ist, über die Zulassung von Medikamentn und Behandlungsmethoden zu entscheiden) weitere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen.

In der Begründung zur Einführung des Ermächtigungsparagrafen heißt es, das Gesundheitsministerium (BMG) könne auch dann solche Methoden in den Leistungsumfang aufnehmen, wenn der G-BA sie abgelehnt habe, oder sie noch nicht genehmigt habe. Dies komme zum Beispiel dann in Betracht, wenn es für die entsprechende Krankheit keine oder keine zumutbare andere Behandlungsmethode in der gesetzlichen Krankenversicherung gebe. Das BMG werde solche Entscheidungen auf Grundlage der vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse nach Abwägung der Behandlungschancen und -risiken treffen.

CDU/CSU und SPD legten ihrem Antrag auch gleich einen Entwurf für eine Methodenaufnahmeverordnung (MAV) bei.

Der G-BA weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass Leistungen der Krankenkassen nach den grundlegenden Anforderungen des SGB V dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen müssten. Dies beinhalte nach ständiger Rechtsprechung und nach allen wissenschaftlichen Kriterien einen Wirksamkeitsnachweis, der zumindest ein positives Nutzen-Schaden-Verhältnis voraussetze. Dies sei ein elementarer Schutz vor unnützen oder gar schädlichen Behandlungen.

Dagegen sei der geplante neue § 94a SGB V ein Schritt zurück ins medizinische Mittelalter, denn er ersetze in der Bundesrepublik Deutschland die mittlerweile sich weltweit sogar in Schwellenländern als Standard durchsetzende evidenzbasierte (auf empirische Belege gestützte) Medizin durch früher geltende Prinzipien der eminenzbasierten (auf Vorgaben von Autoritäten gestützte) Medizin, die jahrhundertelang Grundlage für unwirksame und gefährliche Anwendungen war, wie etwa den Aderlass.

Letztlich diene die geplante Vorschrift den Partikularinteressen einzelner Leistungserbringer oder Medizinproduktehersteller.

Quellen: BMG, G-BA

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Hartz IV-Sanktionen vor dem Verfassungsgericht

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am Dienstag, 15. Januar 2019 über eine Vorlage des Sozialgerichts Gotha. Gegenstand sind die „Sanktionen“, die der Gesetzgeber im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) geregelt hat. In den §§ 31, 31a, 31b SGB II sind Mitwirkungspflichten von Leistungsberechtigten normiert, bei deren Verletzung das Arbeitslosengeld II in gestufter Höhe über einen starren Zeitraum von jeweils drei Monaten gemindert wird.

Grundgesetzwidrig?

Diese Vorschriften werden schon länger kritisiert, sind Gegenstand von Reformplänen, werden verteidigt von den Befürwortern des Prinzips des „Fördern und Fordern“. Nicht nur das Sozialgericht Gotha hält sie für verfassungswidrig. Nach dessen Ansicht verstoßen sie gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes) , gegen die verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit (Art.12 GG) und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

Artikel 1 GG – Existenzminimum

Der Gesetzgeber habe das Existenzminimum mit der Entscheidung über die Höhe des Regelbedarfs fixiert; dies dürfe nicht unterschritten werden. Im Fall einer Leistungskürzung werde der Bedarf nicht gedeckt, obwohl er sich tatsächlich nicht geändert habe. Damit verletze der Gesetzgeber das Gebot, eine menschenwürdige Existenz jederzeit realistisch zu sichern.

Das Bundesverfassungsgericht hat zweimal Regelungen, die von ihrer gesetzgeberischen Intention her der Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums dienen sollten, aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für verfassungswidrig erklärt:

Art.12 GG – Berufsfreiheit

Die Regelungen verstießen ferner gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit, denn eine sanktionierte Arbeitspflicht beeinträchtige die Berufswahlfreiheit und sei mittelbarer Arbeitszwang. Bereits die Drohwirkung, die eine Sanktionierungsmöglichkeit nach §§ 31 ff. SGB II entfaltet, ist geeignet, den freien und selbstbestimmten Entscheidungsprozess zu beeinträchtigen. Es ist naheliegend und vom Gesetzgeber gerade beabsichtigt, dass der Leistungsempfänger eine Kürzung der Zahlungen vermeiden will. Das führt dazu, dass er de facto genötigt wird, jede i. S. des Gesetzes zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 d SGB II oder ein gemäß § 16 e SGB II gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, unabhängig davon, ob dies seinem Willen oder seinem Verständnis von guter bzw. akzeptabler Arbeit entspricht. Die Sanktionsandrohung übt auf den Leistungsberechtigten einen faktischen Zwang aus, der einer imperativen Verpflichtung zur Aufnahme einer nicht gewollten Tätigkeit gleichkommt. Besonders augenscheinlich wird dieser Zwang im Fall einer 100 % Sanktion, wenn eine i. S. des SGB II zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit nicht genutzt wird.

Art.2 GG – körperliche Unversehrtheit

Auch stelle sich die Frage, ob der Gesetzgeber gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verstoße, wenn mit den Sanktionen die Gesundheit der Leistungsberechtigten gefährdet werde. Die gesundheitsschädlichen Folgen, die eine Sanktionierung mit sich bringen kann, ergeben sich aus der mangelhaften Versorgung mit Lebensmitteln, fehlender ärztlicher Versorgung, und der Gefährdung durch Obdachlosigkeit. Die Betroffenen werden durch die Sanktionen gezwungen, sich sozial zu isolieren, ungesund zu ernähren und sind durch die Unterschreitung des Existenzminimums in ihrem physischen und psychischen Wohlbefinden derart eingeschränkt, dass ihre körperliche Unversehrtheit und in einzelnen Fällen möglicherweise auch ihr Leben nicht mehr geschützt ist.
Quellen: Bundesverfassungsgericht, Sozialgericht Gotha

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Kindergrundsicherung

Die SPD Bundestagsfraktion hat in einem Positionspapier für das Jahr 2019 angekündigt, an einem Modell für eine zuverlässige und bedarfsgerechte Absicherung von Kindern zu arbeiten, das sie noch in diesem Jahr vorlegen wollen. Mit der SPD steht nach Grünen und LINKE nun schon die dritte Partei im Deutschen Bundestag hinter der Idee einer eigenständigen Kindergrundsicherung.

Die Forderung nach einer Kindergrundsicherung wird indes schon seit etwa 10 Jahren von verschiedenen Fachverbänden und Organisationen erhoben, die sich in dem Bündnis Kindergrundsicherung zusammengeschlossen haben. Das Bündnis wird unterstützt von der Arbeiterwohlfahrt, von der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen, von der deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie, vom Deutschen Kinderschutzbund, von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, von Pro Familia, vom Verband berufstätiger Mütter, vom Zukunftsforum Familie und von weiteren Verbänden und Organisationen sowie von diversen Wissenschaftlern.

Auf der Homepage des Bündnissen kann man auch näheres über die mögliche Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung erfahren. Zunächst werden die Widersprüche im gegenwärtigen Sozialsystem eschrieben:

  • Kinder von Erwerbslosen bzw. Geringverdienern/innen beziehen je nach ihrem Alter Sozialgeld in Höhe von 240 bis 316 Euro pro Monat.
  • Kinder von Erwerbstätigen mit unteren und mittleren Einkommen erhalten monatlich 194 Euro (für das erste und zweite Kind), 225 Euro (für das dritte Kind) und 223 Euro (für das vierte und alle weiteren Kinder) Kindergeld.
  • Die Kinder von Gut- und Spitzenverdiener/innen hingegen profitieren mit steigendem Einkommen von den steuerlichen Kinderfreibeträgen. Diese wirken sich aufgrund des progressiven Steuersystems bei den höchsten Einkommen am stärksten aus. Aktuell beträgt die maximale Entlastung aufgrund der Freibeträge gut 300 Euro monatlich. Zusätzlich können Bezieher/innen hoher Einkommen ihre Ausgaben für häusliche Kinderbetreuung und/oder für Privatschulen steuersparend absetzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in verschiedenen Entscheidungen das Existenzminimum für Kinder festgelegt. Aktuell (2019) beträgt die Höhe des verfassungsrechtlich notwendigen Existenzminimums 635 Euro monatlich. Es besteht aus

  • 415 Euro  – dem sächlichen Existenzminimum und
  • 220 Euro – dem Freibetrag für die Betreuung und Erziehung bzw. Ausbildung (BEA)

Um das Ziel zu erreichen, dass alle Kinder gleich behandelt wird, lautet der Vorschlag, künftig alle Kinder mit einer Kindergrundsicherung in Höhe von 635 Euro monatlich abzusichern. Im Gegenzug schlägt das Bündnis vor, dass Kinderfreibeträge, Kindergeld, Sozialgeld und weitere pauschal bemessene Transfers in der neuen Leistung aufgehen.

Die am stärksten von Armut betroffenen Gruppen sollten deutlich besser gestellt werden, etwa Alleinerziehende oder Familien mit mehreren Kindern. Daher soll  die Kindergrundsicherung mit steigendem Einkommen langsam absinken.

Die Kindergrundsicherung muss einfach, unbürokratisch und automatisch ausgezahlt werden, damit sie auch tatsächlich ankommt. Schnittstellen zwischen Leistungen müssen gut aufeinander abgestimmt sein.

Quellen: SPD-Fraktion, Bündnis Kindergrundsicherung,
Hans Böckler Stiftung: „Kindergrundsicherung, Kindergeld und Kinderzuschlag: Eine vergleichende Analyse aktueller Reformvorschläge“ Irene Becker und Richard Hauser, März 2012

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Freiwilligendienste auch in Teilzeit

Nach dem Jugendfreiwilligendienstegesetz (JFDG) kann ein Freiwilligendienst nur vergleichbar einer Vollzeitbeschäftigung geleistet werden (§ 2 Absatz 1 JFDG). Dies gilt entsprechend für Freiwillige im Bundesfreiwilligendienst, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 2 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes (BFDG)). Davon abweichende Regelungen für Freiwilligendienstleistende unter 27 Jahren gibt es bislang weder im JFDG noch im BFDG.

Gesetzentwurf

Auch für unter 27-Jährige soll es zukünftig möglich sein, einen Freiwilligendienst in Teilzeit zu absolvieren. Mit dem jetzt beschlossenen Gesetzesentwurf des BMFSJ (FWDTeilzeitG) sollen die Rahmenbedingungen verbessert und die Chancen für mehr Engagement erhöht werden.

Einen freiwilligen Dienst in Teilzeit können jedoch nur diejenigen leisten, die ein berechtigtes Interesse an einer Teilzeitarbeit haben.

Laut Gestzesbegründung besteht ein berechtigtes Interesse, wenn der/die Freiwillige, wenn

  • ein eigenes Kind oder einen nahen Angehörigen zu betreuen haben,
  • schwerbehindert sind und nicht die regelmäßige tägliche oder wöchentliche Dienstzeit absolvieren können oder
  • vergleichbare schwerwiegende Gründe gegeben sind.

Kritik

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte prompt diese Regelung als nicht zielführend, wolle man mehr Freiwillige gewinnen: „Die Definitionshoheit, was ein berechtigtes Interesse ist, sollte in Verantwortung der direkt an den Freiwilligendiensten beteiligten Akteure liegen. Dies sind die jugendli-chen Freiwilligen selbst, die Freiwilligendienstträger und die Einsatzstellen.“

Der Gesetzentwurf stellt allerdings klar, dass nicht geplant ist, einen Rechtsanspruch auf Teilzeit zu installieren.

Seminare

Die Anzahl der Seminartage soll auch bei Teilzeit-Freiwilligen derjenigen im Vollzeitdienst entsprechen. Seminartage können auch teiltägig gestaltet werden, wobei dann mehr teiltägige Seminartage erforderlich sind, um dem Umfang der Seminartage im Vollzeitdienst zu entsprechen.
Dies ist allerdings ein Punkt, bei denen sich die Dienststellen sicher schwertun werden, einer Teilzeit zuzustimmen, wenn nach einer Woche Seminar erst mal Arbeitstage wegfallen, um die dadurch angefallenen Überstunden auszugleichen.

Taschengeld

Das Taschengeld soll bei Freiwilligen in Teilzeit anteilmäßig gekürzt werden. Da das Taschengeld plus Gewährung von Unterkunft und Verpflegung (oder die entsprechenden Geldleistungen dafür) das Existenzminimum des Freiwilligen sichern soll, heißt dies für viele Teilzeitler, dass sie sich anderweitig Geld dazu verdienen müssten, um auf das Existenzminimum zu kommen.
Das Taschengeld darf die Höhe von 6% der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung nicht übersteigen, das heißt für das Jahr 2019: 402 Euro.

Quellen: BMSFJ, Der Paritätische

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Reform des Kinderzuschlags

Nach „Gute Kita“ jetzt „Starke Familien“. Mit dem Starke-Familien-Gesetz – (StaFamG) möchte die Bundesregierung die Regelungen zum Kinderzuschlag reformieren. Hauptkritikpunkte am Kinderzuschlag sind:

  • zu wenig
  • zu kompliziert
  • der Übergang zwischen Kinderzuschlag und kein Kinderzuschlag zu abrupt („Abbruchkante“)

Referentenentwurf

Nun liegt ein Referentenentwurf vor der im Wesentlichen folgendes beinhaltet:

  • Erhöhung des Kinderzuschlags von bisher maximal 170 € auf maximal bis zu 183 €, (§ 6a Abs. 2 BKGG n.F.) – geplant zum 1.7.2019
  • Weniger Anrechnung von Kindeseinkommen, (§ 6a Abs. 3 BKGG n.F.) – geplant zum 1.7.2019
  • Ein einheitlicher Bewilligungszeitraum von sechs Monaten soll festgelegt werden, ( § 6a Abs. 7 BKGG n.F.) – geplant zum 1.7.2019
  • Abschaffung der Abbruchkante, an der der Kinderzuschlag bisher abrupt wegfällt, dazu werden Einkommensgrenzen angehoben, (§ 6a Abs. 1 BKGG n.F.) – geplant zum 1.1.2020
  • neuer erweiterter Kinderzuschlag für Eltern, denen mit Erwerbseinkommen, dem Kinderzuschlag und ggf. dem Wohngeld höchstens 100 € fehlen, um den Grundsicherungsbezug zu vermeiden, (§ 6a Abs. 1 Nr. 3 BKGG n.F.) – geplant zum 1.1.2020
  • Erhöhung des Betrags beim Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) für die Ausstattung mit persönlichen Schulbedarf in zwei Schritten von bisher 100 € auf 150 € sowie Streichung des Eigenanteils der Eltern, ( § 28 Abs. 3 SGB II n.F. und § 34 Abs. 3 und 3a SGB XII n.F.) – geplant zum 1.1.2020
  • Wegfall der Eigenanteile bei Mittagsverpflegung/Schülerbeförderung beim BuT, (§ 28 Abs. 4 SGB II n.F., § 34 Abs. 4 SGB XII n.F. und § 28 Abs. 6 Satz 1 SGB II n.F.; § 34 Abs. 6 Satz 1 SGB XII n.F., § 42a SGB XII n.F.) – geplant zum 1.1.2020
  • Lernförderung wird unabhängig von der Versetzungsgefährdung gewährt, (§ 28 Abs. 5 SGB II n.F.; § 34 Abs. 5 SGB XII) – geplant zum 1.1.2020

Stellungnahmen

In den ersten Stellungnahmen werden zwar einige Punkte des Gesetzesvorhabens begrüßt, aber der Entwurf wird insgesamt als halbherzig oder gar enttäuschend beschrieben.

Nach wie vor sind die Regelungen zum Kinderzuschlag zu kompliziert. Kritisiert wird auch, dass für die Inanspruchnahme der Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket gesonderte Antragsverfahren notwendig sind. Auch dieser Gesetzentwurf bleibe damit – trotz der zu begrüßenden systematischen Anbindung des Kinderzuschlags an das sächliche Existenzminimum – in der bestehenden Systematik mit all ihren Schwierigkeiten, bemängelt der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge.

Stattdessen müsse, so die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände (BAGFW), eine Bündelung zentraler monetärer Leistungen zu einer existenzsichernden Grundsicherung für Kinder erfolgen. Auch der Kinderschutzbund hält dies für erforderlich.

Quellen: BAGFW, Deutscher Kinderschutzbund, Deutscher Verein, Bundesfamilienministerium

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Urteil zum Wohngruppenzuschlag

Urteil des LSG Essen

Das LSG Essen hat entschieden, dass eine gemeinsame Wohnung als Voraussetzung für einen Wohngruppenzuschlag i.S.v. § 38a SGB XI auch dann vorliegt, wenn die pflegebedürftigen Bewohner durch die Ausstattung der Zimmer mit jeweils eigenem Bad und eigener Kochgelegenheit weitgehend selbständig in ihren Zimmern leben können.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Menschen mit Pflegegrad 1, der ein Zimmer mit einer Einbauküche und einem separaten Badezimmer in einer Wohnung mietete, in der die anderen Zimmer ebenso ausgestattet waren. Der Streit ging um die Frage, ob es sich dabei um mehrere Einzelappartements handelte oder um eine gemeinsame Wohnung. Das Landessozialgericht entschied, dass es sich um eine Gemeinschaftswohnung handele. Sie sei ausreichend groß, verfüge über mehrere Räume, sei nach außen hin abgeschlossen und habe einen selbständigen Zugang. Der gemeinschaftliche Flur nebst Schränken, die Gästetoilette, der Hauswirtschaftsraum, die gemeinsame Küche sowie der Balkon vor dem Gemeinschaftsraum könne jederzeit von allen Bewohnern genutzt werden.

Was bedeutet Wohngruppenzuschlag?

§ 38a SGB XI besagt, dass Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen (sog. Pflege-WG), die Pflegesachleistungen oder Pflegegeld beziehen, seit 1.1.2017 einen Wohngruppenzuschlag in Höhe von 214 EUR je Monat erhalten. Die Voraussetzungen für den Wohngruppenzuschlag und die Ausgestaltung von ambulanten Wohngruppen wurde mit dem Pflegestärkungsgesetzen I und II weiterentwickelt:

Voraussetzungen

Der Pflegebedürftige hat Anspruch auf Wohngruppenzuschlag:

  • Wenn er mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zusammenlebt.
  • Davon sind mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI.
  • Von einer gemeinsamen Wohnung kann ausgegangen werden, wenn der Sanitärbereich, die Küche und, wenn vorhanden, der Aufenthaltsraum einer abgeschlossenen Wohneinheit von allen Bewohnern jederzeit allein oder gemeinsam genutzt werden. Die Wohnung muss von einem eigenen, abschließbaren Zugang vom Freien, von einem Treppenhaus oder von einem Vorraum zugänglich sein. Es handelt sich dagegen nicht um eine gemeinsame Wohnung, wenn die Bewohner jeweils in einem Apartment einer Wohnanlage oder eines Wohnhauses leben. Hinweise darüber können sich z.B. aus dem abgeschlossenen Mietvertrag, der Teilungserklärung (notarielle Differenzierung zwischen Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum) oder dem Wohnungsgrundriss ergeben – so die Abgrenzung des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen.
  • Die Bewohner müssen Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI), Pflegegeld (§ 37 SGB XI), Kombinationsleistungen (38 SGB XI), Angebote zur Unterstützung im Alltag (§ 45a SGB XI) oder den Entlastungsbetrag (§ 45b SGB XI) beziehen.
  • Zweck der Wohngemeinschaft ist die gemeinschaftlich organisierte pflegerische Versorgung.
  • Eine Person muss durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt werden, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten.

Präsenzkraft

In der Wohngruppe muss also mindestens eine Präsenzkraft tätig sein, die von den Mitgliedern der Wohngruppe gemeinschaftlich zur Aufgabenerbringung beauftragt werden muss. Die beauftragte Person wird in der Regel eine Vielfalt an Aufgaben in der Wohngruppe übernehmen. Es genügt jedoch, dass ihr eine der alternativ genannten Aufgaben übertragen wird. Eine Reinigungskraft oder eine Kraft, die nur hauswirtschaftliche Tätigkeiten selbst erbringt, ohne die Bewohnerinnen und Bewohner in die Tätigkeiten einzubeziehen, erfüllt nicht die Voraussetzung der „hauswirtschaftlichen Unterstützung“. Eine Unterstützung im Sinne dieser Vorschrift ist keine vollständige Übernahme von Tätigkeiten, sondern setzt eine Einbeziehung des Pflegebedürftigen voraus. Eine solche Unterstützung liegt z. B. beim gemeinschaftlichen Kochen vor. Unterstützung ist die teilweise Übernahme, aber auch die Beaufsichtigung der Ausführung von Verrichtungen oder die Anleitung zu deren Selbstvornahme.

Mitarbeit der Bewohnerinnen und Bewohner

Es muss sicher gestellt sein, dass die ambulante Leistungserbringung nicht tatsächlich weitgehend den Umfang einer stationären oder teilstationären Versorgung erreicht, und somit eine Situation vermieden wird, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter für die Mitglieder der Wohngruppe eine Vollversorgung anbietet. Das zentrale Merkmal einer ambulanten Versorgung ist, dass regelhaft Beiträge der Bewohnerinnen und Bewohner selbst, ihres persönlichen sozialen Umfelds oder von bürgerschaftlich Tätigen zur Versorgung notwendig bleiben.

Der Anbieter einer ambulant betreuten Wohngruppe hat die Pflegebedürftigen vor deren Einzug in die Wohngruppe in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass dieser Leistungsumfang von ihm oder einem Dritten in der Wohngruppe nicht erbracht wird, sondern die Versorgung auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres sozialen Umfeldes sichergestellt werden kann.

Neue Wohnformen

Ziel des Wohngruppenzuschlages ist es, gemeinschaftliche Pflegewohnformen außerhalb der stationären Pflegeeinrichtungen und außerhalb des klassischen „betreuten Wohnens“ leistungsrechtlich besonders zu unterstützen.
Der MDK soll im Einzelfall prüfen, ob in Wohngruppen die Inanspruchnahme der Tages‐ und Nachtpflege erforderlich ist. Nur dann, wenn durch eine Prüfung nachgewiesen ist, dass die Pflege in einer ambulant betreuten Wohngruppe ohne teilstationäre Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden kann, kann die Leistung in Anspruch genommen werden.

Pauschale Leistung

Der Zuschlag wird als Pauschale, aber nur zweckgebunden gewährt: Voraussetzung für die Zahlung des Zuschlages ist, dass in der Wohngruppe mindestens eine Pflegekraft organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten verrichtet (Präsenzkraft). Auf einen konkreten Nachweis entstandener Kosten wird bewusst verzichtet. Das Erbringen von Nachweisen über entstandene Kosten (und damit verbundene Buchführungen) wäre zu bürokratisch und würde insbesondere selbst organisierten Wohngruppen nicht gerecht. Der Zuschlag kann zum Beispiel auch dafür genutzt werden, eine von den Pflegekassen anerkannte Einzelpflegekraft dafür zu entlohnen, dass sie – neben der über die Sachleistung bereits finanzierte Pflege- und Betreuungstätigkeit – verwaltende Tätigkeiten in der Wohngruppe übernimmt. Pflegebedürftige haben Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag, wenn es sich um ein organisiertes gemeinschaftliches Wohnen von regelmäßig mindestens drei Pflegebedürftigen zum Zweck der gemeinschaftlichen pflegerischen Versorgung in einer gemeinsamen Wohnung mit häuslicher pflegerischer Versorgung handelt.

Freie Wahl des Pflegedienstes

Die Bewohner von Wohngruppen haben ebenso wie auch sonst bei häuslicher Pflege selbst die Wahl zwischen verschiedenen ambulanten Pflegediensten. Die ambulanten Pflegedienste, die von den einzelnen Bewohnern der Wohngruppe für die Sicherstellung ihrer Pflege frei gewählt worden sind, unterliegen der für ambulante Pflegedienste allgemein vorgesehenen Qualitätssicherung und -prüfung sowie der Zulassung.

Quellen: Juris, SOLEX

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