Bundesteilhabegesetz (Teil 9) – Personenkreis

Kapitel 2 der Eingliederungshilfe beschreibt die Grundsätze, zu denen zunächst die Frage gehört, wer leistungsberechtigt ist. (§ 99 SGB IX und § 53 SGB XII)

Begriff der Behinderung

Die mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) erfolgte Reform der Eingliederungshilfe sollte auch eine Neudefinition des leistungsberechtigten Personenkreises umfassen. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes war aber heillos umstritten, wie diese neue Legaldefinition aussehen soll.

Unumstritten ist, dass das Vorliegen einer Behinderung die erste Voraussetzung ist, um Leistungen zur Teilhabe nach dem SGB IX zu erhalten. Deshalb ist die Klärung, wer eigentlich behindert ist, ein erster wichtiger Schritt hin zur Leistungsberechtigung. Der bisherige Behinderungsbegriff aus dem alten, bis Ende 2017 geltenden SGB IX wurde durch eine moderne, an die „International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)“ der WHO angelehnte Definition ersetzt. Das BTHG hat diese Forderung aufgegriffen und in § 2, Abs. 1 SGB IX ab dem 01.01.2018 eine entsprechende Definition vorgenommen.

Der Behindertenbegriff ist im ICF erheblich weiter gefasst als im SGB IX und im SGB XII. Dies gilt auch nach Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes zum 1. Januar 2018.

Bisher wurde im SGB IX die Behinderung als Beeinträchtigung der Teilhabe bei nicht alterstypisch beeinträchtigten Funktionszustand beschrieben (siehe § 2 SGB IX in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung); dagegen ist im ICF schon eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit ohne Beeinträchtigung der Teilhabe als Behinderung definiert.

Durch das Bundesteilhabegesetz wurde der Begriff der Behinderung in § 2 SGB IX mit Geltung ab 1.1.2018 der ICF weitgehend angepasst – eine vollständige Umsetzung ist allerdings immer noch nicht vorgenommen. Nunmehr sind Menschen mit Behinderungen Personen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.

Der neue Begriff bezieht neben den funktionellen Beeinträchtigungen (funktionale körperliche, geistige oder seelische Dysfunktionen, Sinnesbeeinträchtigungen) deren Wechselwirkung mit fördernden und hemmenden (Barrieren) Faktoren aus der personalen oder sachlichen Umgebung der betroffenen Person mit ein. Das Ergebnis dieser Wechselwirkung ist in Verbindung mit den Wünschen und Einstellungen der Person dann die tatsächlich vorliegende Behinderung an der vollen Teilhabe an der Gesellschaft. Strukturiert werden diese Wechselwirkungen durch neun verschiedene Lebensbereiche (z. B. Kommunikation, Selbstversorgung, Mobilität oder interpersonelle Interaktion und Beziehungen).

Gültig bis 31.12.2022

Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen eine Leistung der Eingliederungshilfe, wenn sie

  • behindert sind im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und sie
  • dadurch wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind.

Diese Definition gilt auch weiterhin bis 31.12.2022, denn erst am 1.1.2023 soll – sofern die bis dahin abgeschlossene Evaluation dazu eine Lösung bietet – die Leistungsberechtigung für die Eingliederungshilfe auf neue Grundsätze gestellt werden.

ab 2023

Seit September 2018 liegt der Abschlussbericht zu den rechtlichen Wirkungen im Fall der Umsetzung von Artikel 25a § 99 des Bundesteilhabegesetzes (ab 2023) auf den leistungsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe vor.
Geplant war, dass die Umsetzung kostenneutral ist und den gleichen Personenkreis bedient.
Das kurzgefasste Ergebnis der Untersuchung lautet: das klappt nicht.

Ob der § 99 SGB IX ab 1.1.2023 also so aussieht, wie geplant, ist noch offen.

Quellen: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), SOLEX, dejure.org

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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Bundesteilhabegesetz (Teil 8) Rechtsanspruch

Eine der noch offenen Fragen im Zusammenhang mit dem Bundesteilhabegesetz lautet: Gibt es einen Rechtsanspruch auf die Leistungen der Eingliederungshilfe?
Zuständig für die Beantwortung der Frage sollte eigentlich der § 107 SGB IX sein.

Die Regelung, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nicht übertragbar sind, nicht verpfändbar sind und auch nicht gepfändet werden können, sind vom § 17 SGB XII übernommen. Es fehlt jedoch, weder in der Überschrift noch im Text der Hinweis darauf, dass es einen Anspruch auf die Hilfeleitungen gibt. Der 1. (Halb-)Satz des § 17 SGB XII lautet: „Auf Sozialhilfe besteht ein Anspruch,…“. In § 107 SGB IX steht davon nichts. Die Überschrift zu § 17 SGB XII lautet: „Anspruch“. Die Überschrift zu § 107 SGB IX lautet: „Übertragung, Verpfändung oder Pfändung, Auswahlermessen“.
Heißt das nun, dass das Gewähren von Leistungen der Eingliederungshilfe nur vom Ermessen des Trägers abhängt?

Der Rehabilitationswissenschaftler Dr. Harry Fuchs schreibt in seinem Skript zum Blockseminar „Bundesteilhabegesetz“ am 16.2.2018: „Im Gegensatz zum bisherigen Recht (§ 17 Abs.1 SGB XII) besteht kein einklagbarer Rechtsanspruch auf EinglH. Stattdessen wird den Trägern ein noch weiter ausgedehnter Ermessenspielraum bei der Entscheidung eingeräumt, der zudem durch eine Zumutbarkeitsregelung geprägt ist, über die ebenfalls der Träger entscheidet (§ 104 SGB IX).“ Er befürchtet, dass „dass einheitliche Lebensverhältnisse behinderter Menschen kaum noch zu gewährleisten sind“, weil es im BTHG keine Maßstäbe zur Bemessung der Höhe der Leistungen gebe. Daher sei abzusehen, dass es in Verbindung mit dem weitgehendem Trägerermessen bundesweit zu sehr unterschiedlichen Entscheidungen kommen werde.

Prof. Dr. Arne von Boetticher dagegen schreibt in seinem Buch: „Das neue Teilhaberecht“ (Nomos Verlagsgesellschaft, 2018), auf Leistungen der Eingliederungshilfe bestehe weiterhin ein Rechtsanspruch, wenn die Voraussetzungen des § 99 SGB IX erfüllt sind. Die Ausübung des pflichtgemäßen Bemessens sei beschränkt auf das „Wie“ der Leistungserbringung, nicht auf das „Ob“. „Nur dann, wenn eine Behinderung im Sinne des § 1 SGB IX vorliegt, die jedoch die Schwelle der wesentlichen Teilhabeeinschränkung nach § 53 SGB XII nicht erreicht, steht es im Ermessen des Eingliederungshifeträgers, ob Leistungen zu erbringen sind.“ Die ab 2023 gültige Fassung des § 99 SGB IX sehe eine Fortsetzung dieser Differenzierung nach Anspruchs- und Ermessensregelung vor.

Quellen: Dr. Harry Fuchs, Dr. Arne von Boetticher, „Das neue Teilhaberecht“ (Nomos Verlagsgesellschaft, 2018), dejure.org

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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Bundesteilhabegesetz (Teil 7) – Beratung und Unterstützung

Zentrale Bedeutung bei der Umsetzung der Selbstbestimmung und der vollen und gleichberechtigten Teilhabe ist eine umfassende Beratung und Unterstützung (§ 106 SGB IX). Dabei muss die Beratung in für den Betroffenen wahrnehmbarer Form geschehen. Dies trägt dem Artikel 21 der UN-Behindertenrechtkommission Rechnung. Die Beratung soll sich insbesondere der Leichten Sprache bedienen, aber auch Gebärdensprache, Brailleschrift, ergänzende und alternative Kommunikationsformen sollen eingesetzt werden, wenn es gewünscht wird.

Unverständlich ist, warum die Vorschrift in wahrnehmbarer Form zu kommunizieren nur auf die Beratung beschränkt ist. Genauso notwendig ist dies bei den Unterstützungsleistungen. Nicht nur beim Empfang von Informationen, sondern auch bei der Entgegennahme von Hilfeleistungen bei Anträgen, Entscheidungen und Inanspruchnahme von Leistungen ist es wesentlich, dass die leistungsberechtigte Person die Hilfen auch wahrnehmen kann, damit er sie dann annimmt.

Leistungsberechtigte sollen auch auf andere Beratungsmöglichkeiten hingewiesen werden, wie zum Beispiel auf die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung nach § 32 SGB IX (s.u.) oder Beratungen bei Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege.

Der Inhalt der Beratungs- und Unterstützungspflicht ist ausführlich beschrieben und erfordert eine hohe Fachlichkeit bei den Leistungsträgern.

Die Beratung umfasst insbesondere folgende Themen:

  1. die persönliche Situation des Leistungsberechtigten, den Bedarf, die eigenen Kräfte und Mittel sowie die mögliche Stärkung der Selbsthilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft einschließlich eines gesellschaftlichen Engagements,
  2. die Leistungen der Eingliederungshilfe einschließlich des Zugangs zum Leistungssystem,
  3. die Leistungen anderer Leistungsträger,
  4. die Verwaltungsabläufe
  5. Hinweise auf Leistungsanbieter und andere Hilfemöglichkeiten im Sozialraum und auf Möglichkeiten zur Leistungserbringung,
  6. Hinweise auf andere Beratungsangebote im Sozialraum,
  7. eine gebotene Budgetberatung.

Die Unterstützung umfasst insbesondere folgende Themen:

  1. Hilfe bei der Antragstellung,
  2. Hilfe bei der Klärung weiterer zuständiger Leistungsträger,
  3. das Hinwirken auf zeitnahe Entscheidungen und Leistungen der anderen Leistungsträger,
  4. Hilfe bei der Erfüllung von Mitwirkungspflichten,
  5. Hilfe bei der Inanspruchnahme von Leistungen,
  6. die Vorbereitung von Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft einschließlich des gesellschaftlichen Engagements,
  7. die Vorbereitung von Kontakten und Begleitung zu Leistungsanbietern und anderen Hilfemöglichkeiten,
  8. Hilfe bei der Entscheidung über Leistungserbringer sowie bei der Aushandlung und dem Abschluss von Verträgen mit Leistungserbringern sowie
  9. Hilfe bei der Erfüllung von Verpflichtungen aus der Zielvereinbarung und dem Bewilligungsbescheid.

Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung

Mit dem Bundesteilhabegesetz wurde zum 01.01.2018 die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) eingeführt (§ 32 SGB IX). Diese ist unabhängig von Leistungserbringern oder Leistungsträgern und nur dem Ratsuchenden verpflichtet. Als niederschwelliges Beratungsangebot soll sie wohnortnah sein, zeitnah agieren und mit dem Betroffenen auf „Augenhöhe“ sprechen. Um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, sollen die Beratungsstellen aus Fördermitteln des BMAS finanziert werden. Bei der Förderung besonders berücksichtigt werden sollen Beratungsngebote von Betroffenen für Betroffene (Peer-to-Peer-Counseling).

Ziel der EUTB soll sein, „die Position von Menschen mit (drohenden) Behinderungen gegenüber den Leistungsträgern und Leistungserbringern im sozialrechtlichen Dreieck durch ein ergänzendes, allein dem Ratsuchenden gegenüber verpflichtetes Beratungsangebot zu stärken und insbesondere im Vorfeld der Beantragung konkreter Leistungen die notwendige Orientierungs-, Planungs- und Entscheidungshilfe zu geben. Das Angebot soll ganzheitlich die individuelle Persönlichkeit und Situation der Ratsuchenden aufgreifen und deren gesamtes soziales Umfeld mit dem Ziel einbeziehen, die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Ratsuchenden soll dafür ein unabhängiges, d. h. insbesondere von ökonomischen Interessen und der Kostenverantwortung der Leistungsträger und Leistungserbringer weitgehend freies Beratungsangebot zur Verfügung stehen“ (so die Förderrichtlinie zur Durchführung der „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ für Menschen mit Behinderungen vom 17.05.2017).

Mit dem Bundesteilhabegesetz wurden die „gemeinsamen Sevicestellen“ als Beratungsstruktur aufgegeben. Anders als die Servicestellen müssen die Teilhabeberatungsstellen unabhängig sein und dürfen sich weder in Trägerschaft der Reha-Träger noch in der von Leitungserbringern befinden.

Einen individuellen Rechtsanspruch auf eine EUTB gibt es aber nicht. Sollte es an der Umsetzung der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung mangeln, kann dagegen nur auf politischem Weg angegangen werden. Auch sind die Landkreise und Städte nicht verpflichtet solche Angebote einzurichten, die laut Gesetzesbegründung flächendeckend entstehen sollen.

EUTB werden im „neuen“ SGB IX an verschiedenen Stellen als Ansprechpartner genannt, etwa

  • in § 12 Abs. 1 Nr. 4 im Rahmen der allgemeinen Bereitstellung und Vermittlung geeigneter barrierefreier informationsangebote,
  • in § 20 Abs. 3 vor der Durchführung einer Teilhabekonferenz,
  • in § 33 im Rahmen der Beratungsstrukturen und der Beratungspflicht der SGB IX – Träger und
  • in § 106 Abs. 4 speziell der Träger der Eingliederungshilfe.

Ca. 800 EUTB werden bis 2022 mit Bundesmitteln gefördert. Auf https://www.teilhabeberatung.de/ kann man herausfinden, welche Organisationen eine Bewilligung erhalten haben unnd welche in der Nähe zu finden sind.

Quellen: Quellen: SOLEX, Bundestag, dejure.org

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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Mütterrente ab 1. März

Das Gesetz über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz) verabschiedet, dass zum 1. Januar in Kraft trat sieht vor, dass für erziehende Elternteile, die aufgrund der Erziehung von mehr als zwei Kindern im besonderen Maße rentenrechtliche Nachteile aufgrund eingeschränkter Erwerbsarbeit hinnehmen mussten,  für die Erziehung von vor 1992 geborenen Kindern das dritte Kindererziehungsjahr in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt wird. Sie werden insoweit gleichgestellt mit denjenigen, die ab 1992 geborene Kinder erzogen haben beziehungsweise erziehen.

Bestandsrentnerinnen wird die gestiegene Rente ab 1. März rückwirkend zum 1. Januar 2019 ausgezahlt. Neurentnerinnen erhalten die höhere Rente bereits seit Jahresbeginn.

Für jedes Kind erhalten sie dann einen halben Rentenpunkt mehr, wodurch sich die Zahl der Rentenpunkte pro Kind von zwei auf zweieinhalb erhöht. Da ein Rentenpunkt gegenwärtig einem Monatsbruttowert von 30,69 Euro im Osten und 32,03 Euro im Westen entspricht, werden monatlich also 15,35 Euro bzw. 16,02 Euro brutto mehr pro Kind ausgezahlt. Väter, die den überwiegenden Teil der Kindererziehung übernommen haben, haben ebenfalls Anspruch darauf, benötigen dafür aber die Einwilligung der Mutter. Wurde die Erziehung von beiden Elternteilen gleichermaßen übernommen, müssen sie sich einigen, wer die Erziehungszeiten angerechnet bekommt. Für Kinder ab Geburtsjahr 1992 erhalten Mütter bzw. erziehende Väter unverändert drei Rentenpunkte.

Mehr zum RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz finden Sie hier in einem Beitrag der Deutschen Rentenversicherung.

Quelle: Deutsche Rentenversicherung, Fokus Sozialrecht

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Aktualisiertes Hilfsmittelverzeichnis

Der GKV-Spitzenverband hat die Überarbeitung und Fortschreibung des ca. 32.500 Produkte umfassenden Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses abgeschlossen.

Rechtliche Grundlagen

Die Versorgung mit Hilfsmitteln im Sinne des § 33 SGB V ist Teil der medizinischen Vorsorgeleistungen und der Krankenbehandlung.
Nach § 139 Abs. 1 SGB V erstellt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen ein systematisch strukturiertes Hilfsmittelverzeichnis. In dem Verzeichnis sind von der Leistungspflicht umfasste Hilfsmittel aufzuführen.
Nachdem es in der Vergangenheit immer wieder Beschwerden darüber gab, dass Versicherte mit schlechten und/oder veralteten Hilfsmitteln versorgt wurden, eskalierte der Streit im Herbst 2015 zwischen dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung und dem GKV-Spitzenverband, der schießlich in einer Gesetzesinitiative mündete. Mit dem „Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG)“, das am 11. April 2017 in Kraft trat, wurden zahlreiche Maßnahmen beschlossen, die zu einer besseren und transparenteren Hilfsmittelversorgung führen sollen, unter anderem wurde der  Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2018 das Hilfsmittelverzeichnis grundlegend zu aktualisieren (§ 139 Abs. 9 SGB V).

Verbesserungen für Versicherte

Die Überarbeitung des Hilfs- und Pflegehilfsmittelverzeichnis hat zu zahlreichen Verbesserungen geführt. Unter anderem:

  • Mit dem motorbetriebenen und computergesteuerten Exo-Skelett können Querschnittsgelähmte aufstehen, sich hinsetzen, stehen und gehen.
  • Mechatronische Fußpassteile und Kniegelenke verhelfen Versicherten sicherer zu gehen, senken das Sturzrisiko und erhöhen die Bewegungsmöglichkeiten.
  • Mit myoelektrisch gesteuerten Armprothesen, die mithilfe von elektrischer Energie angetrieben werden und die noch vorhanden Muskelspannungen des Armstumpfes verstärken, können Nutzerinnen und Nutzer besser greifen und Gegenstände halten.
  • Das Eigengewicht von Rollatoren darf 10 Kilogramm nicht mehr überschreiten; damit wird die alltägliche Benutzung leichter. Zu mehr Sicherheit tragen darüber hinaus Ankipphilfen, anatomische Handgriffe sowie allseitige Reflektoren bei.
  • Die Neuregelung bei der Versorgung mit Elektromobilen schreibt vor, dass der individuelle Nutzungsumfang der bzw. des Versicherten zuvor ermittelt wird; so kann etwa berücksichtigt werden, ob das Elektromobil auch im öffentlichen Nahverkehr genutzt werden soll.

In der Überarbeitung und Fortschreibung des Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses für GKV-Versicherte waren zahlreiche Akteure beteiligt: Hersteller- und Leistungserbringerorganisationen, Patientenvertretungen, MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) und MDS (Medizinischer Dienst des GKV-Spitzenverbandes), medizinische Fachgesellschaften, Sachverständige sowie natürlich die Krankenkassen und ihre Verbände.

Portal zum Recherchieren

Im Zeitraum von Juli 2015 bis Dezember 2018 wurden die 41 Produktgruppen des Hilfs- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses überarbeitet, fortgeschrieben und aktualisiert. Das Hilfsmittelverzeichnis umfasst ca. 32.500 Produkte in ca. 2.600 Produktarten. Im Webportal Hilfsmittelverzeichnis stellt der GKV-Spitzenverband ein strukturiertes Hilfsmittelverzeichnis zur ein systematisch strukturiertes Hilfsmittelverzeichnis zur Verfügung. In dem Verzeichnis sind von der Leistungspflicht der Kranken- und Pflegekassen umfasste Hilfsmittel aufgeführt. Das Hilfsmittelverzeichnis gliedert sich in Anlehnung an das jeweilige Therapieziel in 37 unterschiedliche Produktgruppen. Das Pflegehilfsmittelverzeichnis besteht aus weiteren vier Produktgruppen.

Quellen: GKV-Spitzenverband, SOLEX,

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Spahn versucht es noch mal

Der Bundesgesundheitsminister möchte unbedingt die Macht des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) einschränken und Änderungen im Verfahren zur Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung und in der Krankenhausversorgung durchsetzen.

Der erste Versuch , diese Gesetzesänderung in das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) einzubauen scheiterte an dem Widerstand der Fachverbände und des Koalitionspartners.

Nun wurde das Vorhaben – wieder völlig fachfremd – in das Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur Errichtung des Deutschen Implantateregisters (Implantateregister-Errichtungsgesetz – EDIR) eingeschmuggelt.

Das Ziel des Bundesgesundheitsministers ist, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden schneller in die Versorgung gelangen. Dazu sind die notwendigen Methodenbewertungsverfahren innerhalb von zwei Jahren abzuschließen. Gelingt dies nicht, kann das BMG über eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates über die Aufnahme in die Versorgung entscheiden und die Finanzierung regeln.

Bisher gilt, dass der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung der medizinischen Versorgung vorgibt. Die Einzelheiten werden von der gemeinsamen Selbstverwaltung in eigener Verantwortung und nach definierten wissenschaftlichen Kriterien der evidenzbasierten Medizin festgelegt.

Wieder hagelt es Proteste der Kassenverbände und aus den Reihen der SPD. Vom Schritt zurück ins Mittelalter ist wieder die Rede und davon, dass die geplante Vorschrift den Partikularinteressen einzelner Leistungserbringer oder Medizinproduktehersteller diene.

Ob der Gesundheitsminister sein Anliegen nun durchboxen kann oder nicht: wenn die Methode Schule macht, fachfremde Vorschriftenänderungen kurzfristig in Gestzesvorhaben einzuschleusen, dient dies sicher nicht dem Ziel, der Poltikverdrossenheit entgegenzuwirken.

Quelle: Ärztezeitung, Verband der Ersatzkassen, Fokus Sozialrecht

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Reform der Kinder- und Jugendhilfe

Im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode haben CDU/CSU und SPD vereinbart, die Kinder- und Jugendhilfe weiterzuentwickeln und dabei insbesondere den Kinderschutz und die Unterstützung von Familien zu verbessern. Darüber hat der Bundestag am 21. Februar erstmalig beraten. Ziel ist eine Gesetzesinitiative zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe mit einer Reform des derzeit geltenden SGB VIII (Achtes Buch Sozialgesetzbuch).

Antrag der Koalitionsparteien

In einem gemeinsamen Antrag (19/7904) fordern CDU/CSU und SPD die Bundesregierung auf, in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Kinderschutz, die Übergänge zwischen den verschiedenen Leistungssystemen, die Fremdunterbringung, die Heimaufsicht und die Unterstützung von Herkunftsfamilien verbessert sowie die Qualifizierung und Unterstützung von Pflegeeltern weiterentwickelt. Die fachliche und finanzielle Verantwortung müsse dabei weiterhin bei den Kommunen und Ländern verbleiben. Beim Reformprozess sollen Perspektiven und Erfahrungen junger Menschen und Familien mit der Kinder- und Jugendhilfe sowie mit familiengerichtlichen Verfahren berücksichtigt werden.

Pläne der Familienministerin

Auch die Familienministerin will die Perspektive der Betroffenen stärker berücksichtigen. SIe kündigte an, noch im Februar werde das Forschungsvorhaben „Hochproblematische Kinderschutzverläufe: Betroffenen eine Stimme geben“ starten, das die bisherige wissenschaftliche Begleitforschung zur Betroffenenbeteiligung ergänzt. Bereits seit November läuft der Dialogprozess „Mitreden & Mitgestalten“ zur Modernisierung der Kinder- und Jugendhilfe. Nach einer Auftaktkonferenz mit einer breit eingeladenen Fachöffentlichkeit wurde der Dialog in einer Arbeitsgruppe (AG) weitergeführt.

Auf der Plattform www.mitreden-mitgestalten.de wird fortlaufend über den Dialogprozess informiert und die Fachöffentlichkeit kann sich am Dialog beteiligen.

Antrag der Linksfraktion

Auch die Linksfraktion reichte am 21.2. im Bundestag eine Antrag (19/7909) zu dem Thema ein. Sie fordert die Bundesregierung auf, das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer einzurichtenden Enquete-Kommission neu zu fassen. Die armutsbedingten Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen müssten abgebaut werden, um ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben umfassend zu gewährleisten. Zudem müsste rechtlich klargestellt werden, dass die im SGB VIII verankerten Leistungen nicht auf Freiwilligkeit der öffentlichen Träger beruhen. Die Kommunen seien finanziell in die Lage zu versetzen, die Umsetzung des SGB VIII zu gewährleisten.

Quellen: Bundestag, Familienministerium

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Brexit

Mit dem Ende der Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU, wenn es dazu kommt, entfallen auch die Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nach den Verordnungen (EG) Nr. 883/2004, (EG) Nr. 987/2009 sowie (EG) Nr. 859/2003 (in Verbindung mit der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71) als Rechtsgrundlage für die Koordinierung von britischen Leistungen unter anderem bei

  • Krankheit und Pflegebedürftigkeit,
  • Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellten Leistungen bei Vaterschaft,
  • Leistungen bei Alter, an Hinterbliebene und bei Invalidität,
  • bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten,
  • bei Arbeitslosigkeit,
  • bei der Ausbildungsförderung und
  • beim Bafög.

Um bis zu einer Neuregelung der Beziehungen und eventuellen neuen vertraglichen Vereinbarungen für die Betroffenen eine Übergangslösung zu schaffen hat das BMAS nun einen Gesetzentwurf vorgelegt mit dem schönen Titel:
Entwurf eines Gesetzes zu Übergangsregelungen in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit, Soziales und Staatsangehörigkeit nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union

Folgende Regelungen sollen verabschiedet werden:

  • Für den Erwerb, die Aufrechterhaltung, die Dauer oder das Wiederaufleben von Ansprüchen der Kranken-, Pflege-, Unfall-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung von Personen, die bereits vor dem Austritt im Sinne der oben genannten Verordnungen relevante Zeiten in Großbritannien zurückgelegt haben, sollen diese vor dem Austritt zurückgelegten Zeiten auch nach dem Wegfall der oben genannten Verordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (in Bezug auf Großbritannien) berücksichtigt werden, als ob Großbritannien weiterhin ein Mitgliedstaat der EU wäre.
  • Zudem sollen Personen, die vor dem Austritt in der deutschen gesetzlichen Renten- oder Krankenversicherung oder der sozialen Pflegeversicherung versichert waren, nicht allein auf Grund des Austritts ihren Versicherungsstatus verlieren oder unfreiwillig einer Doppelversicherungspflicht unterliegen.
  • In der gesetzlichen Rentenversicherung sollen bei Personen, die vor dem Austritt sowohl Zeiten nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland als auch nach den Rechtsvorschriften Großbritanniens zurückgelegt haben, Zeiten auch in den ersten fünf Jahren nach dem Austritt weiter berücksichtigungsfähig sein.
  • Die Lücke in der Gesundheitsversorgung, die für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Austritt und die dadurch entfallende Sachleistungsaushilfe entsteht, soll durch eine Regelung zur Kostenerstattung geschlossen werden.
  • Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird geregelt, dass neben den in Großbritannien eingetretenen Sachverhalten auch die in einem anderen Mitgliedstaat der EU, in einem Vertragsstaat des EWR oder in der Schweiz eingetretenen entsprechenden Sachverhalte im unfallversicherungsrechtlichen Feststellungsverfahren zugunsten des Versicherten berücksichtigt werden.
  • Durch weitere Regelungen im Arbeitsförderungsrechtsoll es möglich sein, auch über den Austrittstermin Großbritannien hinaus bereits begonnener betrieblicher Berufsausbildungen abzuschließen bzw. weiter zu unterstützen.
  • Außerdem soll die Grundlage geschaffen werden, Auszubildenden auch nach dem Austritt für einen in Großbritannien bereits vorher begonnenen Ausbildungsabschnitt gegebenenfalls noch bis zu dessen Abschluss Leistungen nach dem BAföG zu gewähren.
  • Zudem sollen auch Auszubildende, die vor dem Austritt nur wegen ihrer britischen Staatsangehörigkeit als Unionsbürger oder als Familienangehörige persönlich nach dem BAföG anspruchsberechtigt waren und eine förderungsfähige Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland betrieben haben, noch nach dem Austritt bis zum Abschluss des zu diesem Zeitpunkt laufenden Ausbildungsabschnitts weiter Leistungen nach dem BAföG erhalten können.

Damit in den Fällen, in denen Anträge auf Einbürgerung noch vor dem Austritt gestellt worden sind, längere Bearbeitungszeiten nicht zu Lasten von britischen Einbürgerungsbewerbern in Deutschland oder von deutschen Einbürgerungsbewerbern in Großbritannien gehen, soll nach diesem Gesetz in diesen Fällen auf den Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt und Mehrstaatlichkeit hingenommen werden.

Es soll sich hierbei um ein eigenständiges Gesetz handeln, also nicht etwa Modifizierungen anderer Gesetze. Das Gesetz soll an dem Tag in Kraft treten, wenn der Austritt Großbritanniens aus der EU ohne ein Austrittsabkommen wirksam wird.

Quelle: Bundestag

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Bundesteilhabegesetz (Teil 6) – Allgemeine Vorschriften

Zum 01.01.2020 wechselt das Eingliederungshilferecht aus dem SGB XII in das SGB IX. Die Eingliederungshilfe bezieht ihre Grundlagen aus der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK). Ausdruck findet dies in der Formulierung, dass die Eingliederungshilfe die Aufgabe hat, „die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern.“ Im Übrigen wird nicht auf Unterstützung, Förderung etc. abgestellt, sondern der Begriff der „Befähigung“ in den Mittelpunkt der Zielsetzung von Eingliederungshilfe-Leistungen gestellt.

Wie wichtig die UN-BRK für die Umsetzung der Eingliederungshilfe in der Praxis und auch bei zukünftiges Rechtsstreitigkeiten ist, betonte der Deutsche Bundestag in seiner Entschließung zum Bundesteilhabegesetz (BT-Drucksache 18/10528). Zitat:“ Der Deutsche Bundestag erwartet, dass die Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen das mit dem Bundesteilhabegesetz geschaffene neue Recht in der konkreten Rechtsanwendung stets im Lichte der UN-BRK umsetzen werden.“

Teile des Eingliederungshilferechts wurden durch das Bundesteilhabegesetz schon zu Beginn des Jahres 2018 verändert, beispielsweise Regelung zum Gesamtplanverfahren und zur Bedarfsermittlung, sowie die Einführung von Alternativen zur WfbM.

Das Vertragsrecht (Kapitel 8) der Eingliederungshilfe wurde zum 1.1.2018 direkt in das SGB IX eingebunden.

Allgemeine Vorschriften

Neben der Beschreibung der Aufgaben der Eingliederungshilfe und ihrem Verhältnis zu anderen Leistungen gehört zu den Allgemeinen Vorschriften auch die Klärung der Frage, wer der Träger der Eingliederungshilfe ist.

Entscheiden müssen dies – wie bisher schon – letztlich die Bundesländer, die dafür in § 94 Abs.1 SGB IX die Kompetenz erhalten.

Die Bundesländer sind verantwortlich für eine flächendeckende Versorgung mit Leistungsangeboten (§ 94 Abs. 3 SGB IX) und für die Einrichtung einer Arbeitsgemeinschaft, an der auch Menschen mit Behinderung und die Dachverbände der Leistungserbringer zu beteiligen sind (§ 94 Abs. 4 SGB IX).

Die Träger der Eingliederungshilfe haben daher nach § 95 SGB IX einen konkreten Sicherstellungsauftrag. Sie müssen sicherstellen, dass die einzelne leistungsberechtigte Person auch die für sie notwendigen Leistungen erhält. Sie müssen außerdem eine ausreichende Anzahl qualifizierter Mitarbeitender beschäftigen, die – neben weiteren Kompetenzen – insbesondere umfassende Kenntnisse von Teilhabebedarfen und Teilhabebarrieren über den regionalen Sozialraum und seine Möglichkeiten sowie die Fähigkeit zur Kommunikation mit allen Beteiligten haben (§ 97 SGB IX). Dies ist unter anderem besonders wichtig für die erweiterten Beratungs- und Unterstützungsaufgaben gegenüber den Leistungsberechtigten.

Aufgabe der Eingliederungshilfe
90 SGB IX

Die Leistungen der Eingliederungshilfe differenzieren sich in

  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 109 i.V.m. §§ 42 ff. und § 64 SGB IX),
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 111 i.V.m. § 58, 60 bis 62 SGB IX),
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung und (§ 112 SGB IX)
  • Leistungen zur Sozialen Teilhabe (§ 113 i.V.m. §§ 77 bis 84 SGB IX)

Hier werden jeweils die besonderen Aufgaben dieser Leistungen definiert. Die Definitionen greifen inhaltlich im Wesentlichen die bisherigen Aufgaben dieser Leistungen unverändert auf; bei der Teilhabe an Bildung wird die Aufgabe der Eingliederungshilfe erweitert.

Zu den Leistungen werden im Laufe des Jahres 2019 in Fokus-Sozialrecht weitere Beiträge erscheinen.

Nachrang der Eingliederungshilfe
91 SGB IX

Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht nur nachrangig, d.h. die Hilfe wird nur gewährt, wenn kein vorrangig verpflichteter Träger Hilfe leistet. Andersherum dürfen andere staatlichen Stellen Hilfen nicht versagen, auch wenn Anspruch auf Eingliederungshilfe bestünde. Daneben kommen auch weitere Verpflichtungen Anderer in Betracht, etwa Versicherungsleistungen auf Grund vertraglicher Verpflichtungen.

Nicht nachrangig, sondern gleichrangig sind die Eingliederungshilfeleistungen in Bezug zu Leistungen der Pflegeversicherung. Eingliederungshilfe und Pflege haben auch nach Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs grundsätzlich unterschiedliche Aufgaben. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist die Förderung der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Aufgabe der Pflege ist die Kompensation von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten. Die Leistungen der Eingliederungshilfe und die Leistungen der Pflege sind grundsätzlich verschieden und stehen daher gleichrangig zueinander. Die Regelungen zum Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe finden sich in § 13 SGB XI.

Verhältnis zu anderen Hilfen aus dem SGB XII
(§ 93 SGB IX)

Eine Vorrang-/Nachrangregelung gibt es nicht bei Leistungen des SGB XII, bei denen es keine Überschneidungen der Leistungen gibt. Dazu gehören:

  • Hilfe zum Lebensunterhalt
  • Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
  • Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten
  • Altenhilfe
  • Blindenhilfe

Ausnahme: Die Hilfen zur Gesundheit gehen den Leistungen der Eingliederungshilfe vor, wenn sie zur Beseitigung einer Beeinträchtigung mit drohender erheblicher Teilhabeeinschränkung geeignet sind.

Beitrag
92 SGB IX

Auch wenn das Bundesteilhabegesetz die Eingliederungshilfe laut Koalitionsvertrag 2013 (Seite 111) „aus dem Fürsorgesystem herausführen“ sollte, wird auch weiterhin auf einen Einsatz von Einkommen und Vermögen bei den Bedarfen zur Teilhabe nicht verzichtet. Dieser konsequente Schritt wurde nicht vollzogen, es gibt aber hierbei erhebliche Verbesserungen. Einige Änderungen wurden schrittweise schon 2017 und 2018 eingeführt. Ab 1.1.2020 sehen die Leistungen der Eingliederungshilfe sehen, dass im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit auch der Leistungsberechtigte einen eigenen Beitrag zu den steuerfinanzierten Leistungen beizutragen hat. Die rechtlichen Grundlagen finden sich in Kapitel 9 SGB IX.

Mehr dazu:
Bundesteilhabegesetz (Teil 3) – Einkommensanrechnung
Bundesteilhabegesetz (Teil 4) – Vermögensanrechnung
Bundesteilhabegesetz (Teil 5) – Vergleich der Anrechnungen

 

Antrag
§ 108 SGB IX

Für Leistungen der Eingliederungshilfe wird ein grundsätzliches Antragserfordernis geregelt. Im SGB XII gilt mit Ausnahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die Offizialmaxime, d. h. der Träger hat von Amts wegen tätig zu werden (§ 18 SGB XII). Die Regelung ist mit der Notwendigkeit begründet, die Leistungen zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage unverzüglich erbringen zu können, ohne dass ein förmlicher Antrag vorliegen muss. Bei der Eingliederungshilfe tritt keine „gegenwärtige Notlage“ ein. Ein bestehender Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe kann erst im Rahmen eines umfassenden Gesamtplanverfahrens ermittelt werden. Diese Begründung ist allerdings nicht besonders einleuchtend, da ja beispielsweise bei der Hilfe zur Pflege auch der Bedarf erst mal ermittelt werden muss; trotzdem ist die Leistung ohne Antrag sofort vom Sozialhilfeträger zu erbringen. Die Einführung des Antragsprinzips korrespondiert mit dem Anliegen, die Eingliederungshilfe aus dem System der Sozialhilfe herauszulösen.

Leistungen können ab Zeitpunkt der Antragstellung bewilligt werden, rückwirkend ab dem Ersten des Monats der Antragstellung.

Wenn in einem Gesamtplanverfahren ein Bedarf für Leistungen der Eingliederungshilfe ermittelt worden ist, ist ein Antrag für diese Leistungen nicht notwendig. Dies gilt nicht nur für das anfängliche Gesamtplanverfahren, sondern auch für das Verfahren zur Überprüfung und Fortschreibung des Gesamtplanes.

Zuständigkeit
§ 98 SGB IX

Die Regelung der Zuständigkeit richtet sich nun durchgängig nach dem gewöhnlichen Aufenthalt und entspricht im Ergebnis weitestgehend der geltenden Regelung zur örtlichen Zuständigkeit des § 98 SGB XII.

Diese Zuständigkeit bleibt bis zur Beendigung des Leistungsbezuges bestehen. Sie ist neu festzustellen, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens sechs Monaten keine Leistungen bezogen wurden. Eine Unterbrechung des Leistungsbezuges wegen stationärer Krankenhausbehandlung oder medizinischer Rehabilitation gilt nicht als Beendigung des Leistungsbezuges.

Wenn der gewöhnliche Aufenthalt nicht ermittelt werden kann, muss für den tatsächlichen Aufenthalt zuständige Träger der Eingliederungshilfe über die Leistung unverzüglich entscheiden und sie vorläufig solange erbringen, bis gegebenenfalls der gewöhnliche Aufenthalt feststeht.

Der gewöhnliche Aufenthalt eines in einer Einrichtung mit Tag und Nacht Betreuung geborenen Kindes richtet sich nach dem der Mutter. Wegen der fehlenden Möglichkeit der Bezugnahme auf eine „stationäre Einrichtung“ im Recht der Eingliederungshilfe ist hier der Leistungsbezug „über Tag und Nacht“ eingefügt worden, der bisher nur im SGB VIII auftauchte.

Quellen: SOLEX, Bundestag, dejure.org

Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:

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Starke-Familien-Gesetz im Bundesrat

Der Bundesrat begrüßt die von der Bundesregierung geplante Anhebung des Familienzuschlags, fordert aber noch Nachbesserungen:

Der Regierungsentwurf sieht weniger Anrechnung von Kindeseinkommen, (§ 6a Abs. 3 BKGG n.F.) vor. Der Bundesrat fordert nun, die geplante Obergrenze von 100 Euro, die bei der Anrechnung des Kindeseinkommens auf den Kinderzuschlag unberücksichtigt bleiben, zu streichen.

Die Regelung betrifft vor allem Alleinerziehende. Anders als die meisten Kinder aus Paarfamilien haben Kinder Alleinerziehender Einkommen in Form von Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss, der den Kinderzuschlag in der Regel entfallen lässt. Diese Problematik wird durch den Gesetzentwurf angegangen, aber nicht mit der notwendigen Konsequenz. Die Regelung greift zu kurz, da die Anrechnungsquote zwar von 100 auf 45 Prozent reduziert wird, der Betrag, der unberücksichtigt bleiben darf, aber auf 100 Euro begrenzt ist. Älteren Kindern, denen relativ hohe Unterhalts- beziehungsweise Unterhaltsvorschussbeträge zustehen, wird deshalb auch nach der Neuregelung in erheblichem Umfang Einkommen angerechnet, so dass diese nicht besser gestellt sind als vorher.

Um auch die Alleinerziehenden mit älteren Kindern zu erreichen, muss die Begrenzung des unberücksichtigten Betrags auf 100 Euro entfallen. Die Streichung dieser Obergrenze hat zur Folge, dass die Höhe des Kinderzuschlags auch bei dieser Altersgruppe steigt und die Summe von Kindeseinkommen, Wohngeld und Kinderzuschlag künftig auch bei älteren Kindern höher liegt als nach der aktuellen Rechtslage. Gleichzeitig bewirkt sie, dass das Hinzutreten eines Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss nicht mehr – wie es bisher in manchen Konstellationen der Fall ist – zu einer Reduzierung der Summe von Unterhaltsvorschuss, Wohngeld und Kinderzuschlag führt und sich somit im Ergebnis nachteilig auf die finanzielle Situation des Haushalts auswirkt. Dieses Schnittstellenproblem, das seit Langem besteht und durch die Reform des Unterhaltsvorschusses im Jahr 2017 nochmals an Bedeutung gewonnen hat, wird damit ebenfalls beseitigt.

Der Bundesrat fordert bessere Information und mehr Entbürokratisierung. Dass der Kinderzuschlag auch nach der Reform von voraussichtlich nur ca. 35 Prozent der Berechtigten in Anspruch genommen werde, könne nicht hingenommen werden.

Auch die Änderungen beim Bildungs- und Teilhabeangebot halten die Länder noch für verbesserungswürdig. So sollten auch bei Klassenfahrten keine gesonderten Anträge mehr erforderlich sein. Außerdem sei sicherzustellen, dass die Teilnahme an Lernfördermaßnahmen nicht daran scheitert, dass Schülerinnen und Schüler die Fahrtkosten nicht aufbringen können, um das Lernangebot anzunehmen. Die Beförderungskosten müssten deshalb ebenfalls übernommen werden. Zudem fordert der Bundesrat eine Regelung, wonach die Kosten fürs Mittagessen auch dann übernommen werden, wenn es nicht von der Schule selbst angeboten wird. Nach der derzeitigen Rechtslage besteht der Leistungsanspruch nur, wenn die Mittagsverpflegung der Schule obliegt. Die monatliche Unterstützung zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben muss nach Ansicht der Länder angehoben werden. Die bislang gewährten 10 Euro seien zu niedrig, um Aktivitäten wie Musikunterricht oder Sport nachzugehen.

Quelle: Bundesrat

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