Das ist der Titel der aktuellen Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu Armutssituation in Deutschland. Danach hat die Armutsquote 2019 in Deutschland mit 15,9 Prozent, das sind 13,2 Millionen Menschen einen Höchststand seit der Wiedervereinigung erreicht. In der Studie wird weiter darauf hingewiesen, dass alles darauf hindeute, dass die Auswirkungen der Corona-Krise Armut und soziale Ungleichheit noch einmal spürbar verschärfen werden.
Große Unterschiede gibt es zwischen den einzelnen Bundesländern. So ist die Armutsquote in den südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg mit 11,9 und 12,3 Prozent mit Abstand am geringsten. Schlusslicht ist Nordrheinwestfalen mit 19,5 Prozent.
Das höchste Armutsrisiko haben nach wie vor Arbeitslose (57,9 Prozent), Alleinerziehende (42,7 Prozent), kinderreiche Familien (30,9 Prozent), Menschen mit niedriger Qualifikation (41,7 Prozent) und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (35,2 Prozent). Bezeichnend ist, dass die Armutsquote bei all diesen ohnehin seit Jahren besonders armutsbetroffenen Gruppen von 2018 auf 2019 noch einmal zugenommen hat.
Die mit Abstand stärkste Zunahme des Armutsrisikos zeigt im längerfristigen Vergleich die Gruppe der Rentner*innen und Pensionär*innen. Unter ihnen wuchs die Armutsquote seit 2006 um 66 Prozent. Aus einer eher geringen wurde mit 17,1 Prozent eine deutlich überdurchschnittliche Armutsquote.
Datenquelle
Die Armutsquoten, mit denen in diesem Bericht gearbeitet werden, beruhen auf dem sogenannten Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes. Der Mikrozensus ist die mit Abstand valideste Datengrundlage zur Berechnung von Armutsquoten in Deutschland. Beim Mikrozensus (kleine Volkszählung) wird nach einer Zufallsstichprobe jährlich etwa ein Prozent aller Haushalte in Deutschland befragt. 2019 waren das fast 380.000 Haushalte mit rund 750.000 Personen.
Trotzdem werden beim Mikrozensus relevante Gruppen nicht erfasst. Personen ohne Wohnung (Obdachlose) etwa haben im Mikrozensus keine Erfassungschance. Personen in Gemeinschaftsunterkünften werden zwar im Mikrozensus erfasst. Bei der Berechnung der Armutsquoten werden alle Personen gezählt werden, die in Haushalten leben, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte beträgt. Entsprechende Werte für Personen in Gemeinschaftsunterkünften liegen jedoch nicht vor.
Damit werden Hunderttausende von wohnungslosen Menschen, über 800.000 pflegebedürftigen Menschen in Heimen, von denen mehr als jede*r Dritte davon auf Sozialhilfe angewiesen, die über 200.000 behinderten Menschen in besonderen Wohnformen oder auch die vielen Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften nicht berücksichtigt.
Relative Armut
Das Statistische Bundesamt und auch der Armutsbericht folgen einer bereits über 30 Jahre alten EU-Konvention, was die Definition und die Berechnung von Armut anbelangt. In Abkehr von einem sogenannten absoluten Armutsbegriff, der Armut an existenziellen Notlagen wie Obdachlosigkeit oder Nahrungsmangel festmacht, ist der Armutsbegriff der EU ein relativer. Arm sind demnach alle, die über so geringe Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist.
Nach dieser EU-Konvention ist derjenige einkommensarm, der mit seinem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Dabei handelt es sich um das gesamte Nettoeinkommen des Haushaltes inklusive Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, anderer Transferleistungen oder sonstiger Zuwendungen.
Beim mittleren Einkommen handelt es sich nicht um das geläufige Durchschnittseinkommen. Dieses wird ermittelt, indem man alle Haushaltseinkommen addiert und die Summe dann durch die Anzahl der Haushalte teilt (arithmetisches Mittel). Es wird stattdessen der sogenannte Median, der mittlere Wert, errechnet: Alle Haushalte werden nach ihrem Einkommen der Reihe nach geordnet, wobei das Einkommen des Haushalts in der Mitte der Reihe den Mittelwert bzw. Median darstellt.
Beispiel Median – arithmetisches Mittel
100.000 | 100.000 |
2.400 | 2.400 |
2.300 | 2.300 |
2.300 | 2.300 |
2.100 | 2.100 |
Median: 2.300 | arithmetrisches Mittel: 21.820 |
Äquivalenzeinkommen
Um Haushalte unterschiedlicher Größe in ihrem Einkommen und in ihren Bedarfen vergleichbar zu machen, wird das sogenannte Pro-Kopf-Haushaltsäquivalenzeinkommen ermittelt. Dabei wird das Gesamteinkommen eines Haushalts nicht einfach durch die Zahl der Haushaltsmitglieder geteilt, um das ProKopf-Einkommen zu ermitteln, es wird vielmehr jedem Haushaltsmitglied eine Äquivalenzziffer zugeordnet.
Das erste erwachsene Haushaltsmitglied bekommt eine 1, alle weiteren Haushaltsmitglieder ab vierzehn Jahren eine 0,5 und unter vierzehn Jahren eine 0,3. Beträgt das Haushaltseinkommen eines Paares mit zwei Kindern unter 14 Jahren 4.000 Euro, ist das so gewichtete ProKopf-Einkommen also nicht etwa
4.000 : 4 = 1.000 Euro, sondern
4.000 : (1 + 0,5 + 0,3 + 0,3) = 1.905 Euro.
Damit soll der Annahme Rechnung getragen werden, dass Mehrpersonenhaushalte günstiger haushalten können als Singles und dass Kinder angeblich keine so hohen Bedarfe haben wie Erwachsene oder Jugendliche.
Armutsschwelle
Damit ist die Armutsschwelle im Jahr 2019 je nach Haushaltsgröße bei
- einem Single bei 1.074 Euro,
- einer Alleinerziehenden mit einem kleinen Kind bei 1.396 Euro,
- einem Paarhaushalt mit zwei kleinen Kindern bei 2.256 Euro.
Lösungsvorschläge
Der Paritätische Wohlfahrftsverband schlägt, um der wachsenden Armut entgegen zu steuern, vor
- eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze in Hartz IV und der Altersgrundsicherung (nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle auf mindestens 644 Euro),
- die Einführung einer Kindergrundsicherung sowie
- Reformen von Arbeitslosen- und Rentenversicherung.
Quelle: Paritätischer Wohlfahrtsverband, Statistisches Bundesamt
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