Die Kindergrundsicherung, so wie die Familienministerin sie will, sei zu teuer, so des Finanzmisnisters Kurzfassung seiner Blockade der Umsetzung eines wichtigen Punktes im Koalitionsvertrag.
Folgekosten des Nichtstuns
Nun stellt sich raus, dank einer vom DIW veröffentlichen Studie, keine Grundsicherung ist viel teurer. Während die FDP sich noch empört darüber zeigt, dass die Familienministerin ein Gesetz zur Unternehmenssteuersenkung blockiere, wohl wissend, dass sie selber in den letzten Monaten eine ganze Reihe dringender Klimaschutzgesetze blockiert, torpediert und verwässert haben, stellt sich wieder mal heraus, dass Nichtstun in gesellschafts- und umweltpolitischen Fagen ungleich höhere Folgekosten bringen wird. Auch das Märchen, die Familienministerin habe kein Konzept, wird durch stänige Wiederholung nicht wahrer. (siehe hier und hier)
Bei der Bekämpfung der Klimakatastrophe ist das allen mittlerweile klar. Leider gibt es auch in der Ampelkoalition noch einflussreiche Politiker, die weiter Politik im Sinne der Fossilindustrie machen.
Zentrales Vorhaben
Die Kindergrundsicherung ist nach dem Koalitionsvertrag eines der zentralen familien- und sozialpolitischen Vorhaben in dieser Legislaturperiode, um bessere Chancen für Kinder und Jugendliche zu schaffen: Zum einen durch die Bündelung sozial- und familienpolitischer Leistungen und zum anderen durch eine Erhöhung des Grundbedarfs.
Studie im Auftrag der Diakonie
Die Diakonie Deutschland hat am Freitag in Berlin eine Kurzexpertise vorgestellt, die zur Versachlichung der Debatte beitragen soll. Die Kurzexpertise, die DIW Econ, eine Beratungstochter des DIW Berlin, im Auftrag der Diakonie Deutschland erstellt hat, stellt umfassend das Ausmaß der Kinderarmut in Deutschland dar und erörtert die gesellschaftlichen Folgekosten in den Bereichen Gesundheit, Bildung und soziale Teilhabe. Darüber hinaus zeigt die Kurzexpertise auf, welche Effekte eine Erhöhung der monetären Hilfen für Kinder in armen Haushalten auf das Armutsrisiko der Betroffenen hätte.
Die von Familienministerin Lisa Paus anfangs genannten zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung hält die Diakonie Deutschland für nicht ausreichend. Notwendig wären mindestens 20 Milliarden Euro. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten vergangener und aktueller Kinderarmut in Deutschland schätzt eine aktuelle OECD-Studie (Clarke et al 2022) auf jährlich etwa 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Das ist etwa der zehnfache Betrag: 110 bis 120 Milliarden Euro.
Kernaussagen der Studie:
- Zwischen 2010 und 2021 stieg der Anteil von Kindern, die von Einkommensarmut betroffen sind, von 18,2% auf 20,8 %. Der Bevölkerungsdurchschnitt lag 2021 bei 16,6%.
- Schon vor dem sprunghaften Anstieg der Inflation war mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland gefährdet, aktuell ist nach den Daten des Statistischen Bundesamtes knapp jedes vierte Kind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
- In zwei Dritteln der EU-Staaten ist der Anteil der armutsgefährdeten Kinder geringer als in Deutschland.
- Knapp 2 Mio. (1,9 Mio.) Kinder unter 18 Jahren leben nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit in Bedarfsgemeinschaften mit Bürgergeld-Bezug, davon mehr als die Hälfte in Haushalten von Alleinerziehenden (zu 95 Prozent Frauen).
- Bei der Diskussion um die Kindergrundsicherung dürfen nicht nur die Kosten für den Bundeshaushalt Maßstab sein. Vielmehr müssen auch die insgesamt mit Kinderarmut verbundenen gesamtgesellschaftlichen Kosten und die finanzielle Belastung für den Staat durch die entsprechende Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung berücksichtigt werden.
- Insbesondere lassen sich zwei Folgekosten von Kinderarmut feststellen: Erstens erhöhte öffentliche Ausgaben für Gesundheitsversorgung sowie höhere Auszahlungen in den Sozialversicherungssystemen; zweitens ist der Wert der entgangenen wirtschaftlichen Aktivität und der geringeren Produktivität ein wichtiger Faktor.
- Die in der DIW-Studie herausgestellten Zusammenhänge zwischen Kinderarmut und ihren Auswirkungen auf Gesundheit, Bildung und soziale Teilhabe lassen darauf schließen, dass die Kosten für den Staat in den sozialen Sicherungssystemen erheblich sind.
- Eine aktuelle OECD-Studie schätzt die gesellschaftlichen Gesamtkosten durch vergangene und aktuelle Kinderarmut in Deutschland auf jährlich etwa 3,4 Prozent des BIP, dies sind über 100 Milliarden Euro.
- Investitionen in Kinder zahlen sich langfristig aus und führen zu erheblichen Einsparungen bei den sonst entstehenden gesellschaftlichen Folgekosten.
- Durch gezielte Investitionen in die Gesundheitsversorgung, Bildung und soziale Unterstützung von Kindern können langfristige Vorteile erzielt werden. Gesunde und gut ausgebildete Kinder haben deutlich bessere Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben mit höherem Einkommen und einer geringeren Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung.
- Die DIW-Kurzexpertise zeigt, dass die geltenden familien- und sozialpolitischen Regelungen ein massives soziales Ungleichgewicht haben. Kinderarmut kann nur dann wirksam bekämpft und verhindert werden, wenn die Kindergrundsicherung entsprechend ausgestattet wird und existenzsichernd ist.
- In der DIW-Studie werden verschiedene Szenarien der Kindergrundsicherung auf ihre Einkommenseffekte untersucht. Von der Einführung einer Kindergrundsicherung profitieren die besonders von Armut betroffenen Alleinerziehendenhaushalte und Paare mit mindestens drei Kindern am stärksten – dabei umso mehr, je stärker der Fokus auf einer Erhöhung des Existenzminimums liegt und nicht nur auf einer reinen Verwaltungsvereinfachung.
Nachtrag
Von Kinderarmut seien vor allem Familien betroffen, die seit 2015 nach Deutschland eingewandert seien, sagte der FDP-Politiker am 20.8. im „Bericht aus Berlin“. Ob er damit ein paar AFD-Stimmen holen will, um die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen? Das wird nicht gelingen. Die Leute, die er damit gewinnen will, wählen erfahrungsgemäß immer das Original.
Quellen: DIW, Diakonie, Tagesschau, FOKUS-Sozialrecht
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