Heute, am 5.11.2019 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass nur „milde“ Sanktionen verfassungsgemäß sind, also Kürzungen bis 30%. Und die dürfen auch nicht zwingend über drei Monate gehen, sondern sofort enden, wenn der Leistungsbezieher seinen Mitwirkungspflichten nachkommt.
30 % Minderung möglich
Der Gesetzgeber, so das Verfassungsgericht, könne die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz binden, solche Leistungen also nur dann gewähren, wenn Menschen ihre Existenz nicht selbst sichern können. Er könne erwerbsfähigen Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II auch zumutbare Mitwirkungspflichten zur Überwindung der eigenen Bedürftigkeit auferlegen, und dürfe die Verletzung solcher Pflichten sanktionieren, indem er vorübergehend staatliche Leistungen entzieht. Aufgrund der dadurch entstehenden außerordentlichen Belastung gelten hierfür allerdings strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit; der sonst weite Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers sei hier beschränkt.
Mehr als 30% Minderung ist verfassungswidrig
Das bedeutet, die Sanktionen sind mit dem Grundgesetz dann nicht vereinbar, wenn die Minderung nach wiederholten Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres die Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt oder gar zu einem vollständigen Wegfall der Leistungen führt. Mit dem Grundgesetz unvereinbar sind die Sanktionen zudem, wenn für alle Leistungsminderungen eine starre Dauer von drei Monaten vorgegeben wird.
Sofortige Änderung bei den Sanktionen
Der Senat hat die Vorschriften mit entsprechenden Maßgaben bis zu einer Neuregelung für weiter anwendbar erklärt. Der Gesetzgeber muss nun die Sanktionsregeln im SGB II (§ 31 ff) den Vorgaben des Senats anpassen. Bis zu einer Neuregelung gelten folgende Vorgaben:
- Leistungsminderung in Höhe von 30 % nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II bleiben anwendbar.
- Eine Sanktionierung muss nicht erfolgen, wenn dies im konkreten Einzelfall zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde.
- Sanktionen über 30 % bis zum vollständigen Leistungsentzug (§ 31a Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB II) dürfen bis zu einer Neuregelung nicht mehr verhängt werden. Also auch bei wiederholter Pflichtverletzung höchstens 30 % Minderung.
- Auch bei wiederholter Pflichtverletzung darf nur sanktioniert werden, wenn dies im konkreten Einzelfall nicht zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde.
- § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II zur zwingenden dreimonatigen Dauer des Leistungsentzugs ist bis zu einer Neuregelung mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Behörde die Leistung wieder erbringen kann, sobald die Mitwirkungspflicht erfüllt wird oder Leistungsberechtigte sich ernsthaft und nachhaltig bereit erklären, ihren Pflichten nachzukommen.
Eine Frist zur Änderung der Sanktionsparagrafen hat das Gericht dem Gesetzgeber übrigens nicht gesetzt.
In der Praxis bedeutet das, dass die verschärften Sanktionsregeln ab sofort wegfallen.
Betroffen sind auch andere Regelungen
Dies gilt übrigens nun auch
- für die Regelungen nach § 16d SGB II – Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Job“)
- für die Regelungen nach § 16i SGB II – Teilhabe am Arbeitsmarkt (Lohnkostenzuschuss für Arbeitgeber bei Einstellung „sehr arbeitsmarktfernen“ Personen)
- für die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs § 44a Aufenthaltsgesetz
- für die Zumutbarkeit der Arbeitsaufnahme, wenn der Leistungsberechtigte ein über drei Jahre altes Kind nicht in den Kita schicken will oder wenn das Kind nicht in den Kita will (§ 10 Abs.1 Nr.3 SGB II)
Quellen: Bundesverfassungsgericht, SOLEX
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