Zum 01.01.2020 wechselt das Eingliederungshilferecht aus dem SGB XII in das SGB IX. Die Eingliederungshilfe bezieht ihre Grundlagen aus der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK). Ausdruck findet dies in der Formulierung, dass die Eingliederungshilfe die Aufgabe hat, „die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern.“ Im Übrigen wird nicht auf Unterstützung, Förderung etc. abgestellt, sondern der Begriff der „Befähigung“ in den Mittelpunkt der Zielsetzung von Eingliederungshilfe-Leistungen gestellt.
Wie wichtig die UN-BRK für die Umsetzung der Eingliederungshilfe in der Praxis und auch bei zukünftiges Rechtsstreitigkeiten ist, betonte der Deutsche Bundestag in seiner Entschließung zum Bundesteilhabegesetz (BT-Drucksache 18/10528). Zitat:“ Der Deutsche Bundestag erwartet, dass die Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen das mit dem Bundesteilhabegesetz geschaffene neue Recht in der konkreten Rechtsanwendung stets im Lichte der UN-BRK umsetzen werden.“
Teile des Eingliederungshilferechts wurden durch das Bundesteilhabegesetz schon zu Beginn des Jahres 2018 verändert, beispielsweise Regelung zum Gesamtplanverfahren und zur Bedarfsermittlung, sowie die Einführung von Alternativen zur WfbM.
Das Vertragsrecht (Kapitel 8) der Eingliederungshilfe wurde zum 1.1.2018 direkt in das SGB IX eingebunden.
Allgemeine Vorschriften
Neben der Beschreibung der Aufgaben der Eingliederungshilfe und ihrem Verhältnis zu anderen Leistungen gehört zu den Allgemeinen Vorschriften auch die Klärung der Frage, wer der Träger der Eingliederungshilfe ist.
Entscheiden müssen dies – wie bisher schon – letztlich die Bundesländer, die dafür in § 94 Abs.1 SGB IX die Kompetenz erhalten.
Die Bundesländer sind verantwortlich für eine flächendeckende Versorgung mit Leistungsangeboten (§ 94 Abs. 3 SGB IX) und für die Einrichtung einer Arbeitsgemeinschaft, an der auch Menschen mit Behinderung und die Dachverbände der Leistungserbringer zu beteiligen sind (§ 94 Abs. 4 SGB IX).
Die Träger der Eingliederungshilfe haben daher nach § 95 SGB IX einen konkreten Sicherstellungsauftrag. Sie müssen sicherstellen, dass die einzelne leistungsberechtigte Person auch die für sie notwendigen Leistungen erhält. Sie müssen außerdem eine ausreichende Anzahl qualifizierter Mitarbeitender beschäftigen, die – neben weiteren Kompetenzen – insbesondere umfassende Kenntnisse von Teilhabebedarfen und Teilhabebarrieren über den regionalen Sozialraum und seine Möglichkeiten sowie die Fähigkeit zur Kommunikation mit allen Beteiligten haben (§ 97 SGB IX). Dies ist unter anderem besonders wichtig für die erweiterten Beratungs- und Unterstützungsaufgaben gegenüber den Leistungsberechtigten.
Aufgabe der Eingliederungshilfe
90 SGB IX
Die Leistungen der Eingliederungshilfe differenzieren sich in
- Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 109 i.V.m. §§ 42 ff. und § 64 SGB IX),
- Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 111 i.V.m. § 58, 60 bis 62 SGB IX),
- Leistungen zur Teilhabe an Bildung und (§ 112 SGB IX)
- Leistungen zur Sozialen Teilhabe (§ 113 i.V.m. §§ 77 bis 84 SGB IX)
Hier werden jeweils die besonderen Aufgaben dieser Leistungen definiert. Die Definitionen greifen inhaltlich im Wesentlichen die bisherigen Aufgaben dieser Leistungen unverändert auf; bei der Teilhabe an Bildung wird die Aufgabe der Eingliederungshilfe erweitert.
Zu den Leistungen werden im Laufe des Jahres 2019 in Fokus-Sozialrecht weitere Beiträge erscheinen.
Nachrang der Eingliederungshilfe
91 SGB IX
Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht nur nachrangig, d.h. die Hilfe wird nur gewährt, wenn kein vorrangig verpflichteter Träger Hilfe leistet. Andersherum dürfen andere staatlichen Stellen Hilfen nicht versagen, auch wenn Anspruch auf Eingliederungshilfe bestünde. Daneben kommen auch weitere Verpflichtungen Anderer in Betracht, etwa Versicherungsleistungen auf Grund vertraglicher Verpflichtungen.
Nicht nachrangig, sondern gleichrangig sind die Eingliederungshilfeleistungen in Bezug zu Leistungen der Pflegeversicherung. Eingliederungshilfe und Pflege haben auch nach Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs grundsätzlich unterschiedliche Aufgaben. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist die Förderung der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Aufgabe der Pflege ist die Kompensation von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten. Die Leistungen der Eingliederungshilfe und die Leistungen der Pflege sind grundsätzlich verschieden und stehen daher gleichrangig zueinander. Die Regelungen zum Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe finden sich in § 13 SGB XI.
Verhältnis zu anderen Hilfen aus dem SGB XII
(§ 93 SGB IX)
Eine Vorrang-/Nachrangregelung gibt es nicht bei Leistungen des SGB XII, bei denen es keine Überschneidungen der Leistungen gibt. Dazu gehören:
- Hilfe zum Lebensunterhalt
- Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
- Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten
- Altenhilfe
- Blindenhilfe
Ausnahme: Die Hilfen zur Gesundheit gehen den Leistungen der Eingliederungshilfe vor, wenn sie zur Beseitigung einer Beeinträchtigung mit drohender erheblicher Teilhabeeinschränkung geeignet sind.
Auch wenn das Bundesteilhabegesetz die Eingliederungshilfe laut Koalitionsvertrag 2013 (Seite 111) „aus dem Fürsorgesystem herausführen“ sollte, wird auch weiterhin auf einen Einsatz von Einkommen und Vermögen bei den Bedarfen zur Teilhabe nicht verzichtet. Dieser konsequente Schritt wurde nicht vollzogen, es gibt aber hierbei erhebliche Verbesserungen. Einige Änderungen wurden schrittweise schon 2017 und 2018 eingeführt. Ab 1.1.2020 sehen die Leistungen der Eingliederungshilfe sehen, dass im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit auch der Leistungsberechtigte einen eigenen Beitrag zu den steuerfinanzierten Leistungen beizutragen hat. Die rechtlichen Grundlagen finden sich in Kapitel 9 SGB IX.
Mehr dazu:
Bundesteilhabegesetz (Teil 3) – Einkommensanrechnung
Bundesteilhabegesetz (Teil 4) – Vermögensanrechnung
Bundesteilhabegesetz (Teil 5) – Vergleich der Anrechnungen
Für Leistungen der Eingliederungshilfe wird ein grundsätzliches Antragserfordernis geregelt. Im SGB XII gilt mit Ausnahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die Offizialmaxime, d. h. der Träger hat von Amts wegen tätig zu werden (§ 18 SGB XII). Die Regelung ist mit der Notwendigkeit begründet, die Leistungen zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage unverzüglich erbringen zu können, ohne dass ein förmlicher Antrag vorliegen muss. Bei der Eingliederungshilfe tritt keine „gegenwärtige Notlage“ ein. Ein bestehender Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe kann erst im Rahmen eines umfassenden Gesamtplanverfahrens ermittelt werden. Diese Begründung ist allerdings nicht besonders einleuchtend, da ja beispielsweise bei der Hilfe zur Pflege auch der Bedarf erst mal ermittelt werden muss; trotzdem ist die Leistung ohne Antrag sofort vom Sozialhilfeträger zu erbringen. Die Einführung des Antragsprinzips korrespondiert mit dem Anliegen, die Eingliederungshilfe aus dem System der Sozialhilfe herauszulösen.
Leistungen können ab Zeitpunkt der Antragstellung bewilligt werden, rückwirkend ab dem Ersten des Monats der Antragstellung.
Wenn in einem Gesamtplanverfahren ein Bedarf für Leistungen der Eingliederungshilfe ermittelt worden ist, ist ein Antrag für diese Leistungen nicht notwendig. Dies gilt nicht nur für das anfängliche Gesamtplanverfahren, sondern auch für das Verfahren zur Überprüfung und Fortschreibung des Gesamtplanes.
Die Regelung der Zuständigkeit richtet sich nun durchgängig nach dem gewöhnlichen Aufenthalt und entspricht im Ergebnis weitestgehend der geltenden Regelung zur örtlichen Zuständigkeit des § 98 SGB XII.
Diese Zuständigkeit bleibt bis zur Beendigung des Leistungsbezuges bestehen. Sie ist neu festzustellen, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens sechs Monaten keine Leistungen bezogen wurden. Eine Unterbrechung des Leistungsbezuges wegen stationärer Krankenhausbehandlung oder medizinischer Rehabilitation gilt nicht als Beendigung des Leistungsbezuges.
Wenn der gewöhnliche Aufenthalt nicht ermittelt werden kann, muss für den tatsächlichen Aufenthalt zuständige Träger der Eingliederungshilfe über die Leistung unverzüglich entscheiden und sie vorläufig solange erbringen, bis gegebenenfalls der gewöhnliche Aufenthalt feststeht.
Der gewöhnliche Aufenthalt eines in einer Einrichtung mit Tag und Nacht Betreuung geborenen Kindes richtet sich nach dem der Mutter. Wegen der fehlenden Möglichkeit der Bezugnahme auf eine „stationäre Einrichtung“ im Recht der Eingliederungshilfe ist hier der Leistungsbezug „über Tag und Nacht“ eingefügt worden, der bisher nur im SGB VIII auftauchte.
Quellen: SOLEX, Bundestag, dejure.org
Artikelserie BTHG-Umsetzung auf FOKUS Sozialrecht:
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